REPORTE-Vergabe spart Milliarden
Wer mit dem Bundesministerium des Innern (BMI) ins Geschäft kommen will, hat keine Wahl mehr: Seit Anfang dieses Jahres nimmt das Beschaffungsamt des Ministeriums Angebote nur noch elektronisch entgegen. Die Umstellung könnte sich für Unternehmen lohnen: Das Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern vergab im Jahr 2008 über 1.000 Aufträge mit einem Gesamtvolumen von fast 1,1 Milliarden Euro.
Das BMI ist damit einer der Vorreiter beim Electronic Procurement. Die internetbasierte Beschaffung von Gütern und die elektronische Vergabe von Aufträgen der öffentlichen Hand werden seit Jahren heiß diskutiert. Schließlich kaufen Bund, Länder und Kommunen fast alles ein, von Bleistiften über Hochleistungsrechner bis hin zum Hubschrauber. Verlässliche Zahlen, wie hoch das Beschaffungsvolumen ist, gibt es zwar nicht, in Schätzungen werden jedoch bis zu 270 Milliarden Euro genannt. Es gilt: Der Public Sector ist mit Abstand der größte Auftraggeber für die Privatwirtschaft.
Beschaffung: Die Vorteile der Digitalisierung
Jährlich werden rund 2,4 Millionen Vergabeverfahren der öffentlichen Hand allein für Lieferungen und Dienstleistungen durchgeführt. Experten vermuten hier ein riesiges Einsparpotenzial. So wird über elektronische Vergabeplattformen ein größerer Bieterkreis angesprochen, was zu günstigeren Konditionen führen kann. Das eigentliche Potenzial von E-Procurement-Projekten liegt jedoch in der Optimierung der internen und externen Prozesse des Beschaffungsvorgangs. Hier kann der Verwaltungsaufwand in allen Bereichen deutlich reduziert werden. Gerade beim Einkauf von C-Gütern, also Artikeln mit geringem Wert und hohem Beschaffungsvolumen, machen sich verkürzte Durchlaufzeiten positiv bemerkbar. Schätzungen gehen davon aus, dass die elektronischen Beschaffung bis zu 15 Prozent Materialkosten und sogar bis zu 50 Prozent der Prozesskosten erspart. Laut einer Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie entstehen in Deutschland im Zusammenhang mit der öffentlichen Auftragsvergabe Bürokratiekosten in Höhe von 19 Milliarden Euro pro Jahr. Davon entfallen auf die öffentlichen Auftraggeber 46 Prozent und auf die Bieter 54 Prozent. Hier schlummert ein Kostensenkungspotenzial, das bei etwa 20 Prozent pro Jahr liegt, dies entspricht rund 4 Milliarden Euro.
Doch nicht nur finanzielle Vorteile werden von der digitalen Beschaffung erwartet. „Die E-Vergabe führt zu mehr Transparenz des Vergabeprozesses und höherer Rechtssicherheit“, sagt Olaf Volz, Vergabe-Experte beim Berliner Beratungsunternehmen Infora. Durch die durchgängig elektronische Abbildung der Prozesse bestehen umfassende Möglichkeiten, die gesamten Abläufe zu kontrollieren. Dies schütze Mitarbeiter und stelle gleichzeitig eine wirksame Vorbeugung gegen Korruption dar. Und: Mit dem Einsatz von E-Procurement-Werkzeugen entstünden eine höhere Prozessqualität und Rechtssicherheit.
Warum hat sich E-Procurement nicht durchgesetzt?
Trotz aller Vorteile: Die Hoffnungen auf Einsparungen sind mindestens ebenso groß wie die Enttäuschung, dass sich elektronische Beschaffung bisher nicht flächendeckend durchgesetzt hat. Dabei wurden bereits im Jahr 2001 die rechtlichen Voraussetzungen für die elektronische Vergabe geschaffen. Die Vergabeverordnung wurde damals neu gefasst, die Verdingungsordnungen (VOB, VOL, VOF) angepasst und das Signaturgesetz novelliert. Dennoch werden heute nur fünf bis zehn Prozent der öffentliche Aufträge elektronisch erteilt. Lediglich auf Ebene der Bundesverwaltung sind die Vergabestellen für das elektronische Zeitalter gerüstet: Immerhin 34 Prozent verwenden ein elektronisches Vergabe-Management-System. In den Ländern sind es nur 19 Prozent und auf kommunaler Ebene sieht es düster aus: Nur knapp 6 Prozent der Vergabestellen setzen elektronische Systeme ein.
Warum dies so ist, könnte auch an den Bietern liegen. Carsten Prokop, Geschäftsführer der Firma ausschreibungs-abc, hat beobachtet, dass sich viele Unternehmen schwer damit tun, die vorhandenen E-Vergabe-Systeme der öffentlichen Auftraggeber zu nutzen: „Ein Grund ist, dass die Unternehmen zu wenig über die E-Vergabe wissen. Viel schwerer wiegt jedoch die Tatsache, dass die Teilnahme an elektronischen Vergabeverfahren für die Bieter derzeit zu einem erheblichen Mehraufwand führt.“ Prozesskostenersparnisse ließen sich hingegen noch nicht in nennenswertem Umfang erzielen.
Offensichtlich reicht es nicht aus, den Bietern die elektronischen Vergabeunterlagen und den Zugang zur Plattform kostenlos bereitzustellen. Denn die Firmen sind meist für mehrere öffentliche Auftraggeber tätig. Die Probleme beginnen laut Prokop bereits bei der Bekanntmachung von Ausschreibungen. Da viele Vergabestellen hierzu eine eigene Plattform installieren, würden die Bieter die Ausschreibungen nicht mehr in den gewohnten Quellen finden und hätten zusätzlichen Rechercheaufwand. Noch gravierender sei es, dass die zu verwendende Software nicht auf die Bedürfnisse der Unternehmen abgestimmt ist. Fazit von Carsten Prokop: „Die Umstellung auf ein neues Verfahren bedeutet für die Bieter zunächst erheblichen organisatorischen, personellen und womöglich auch finanziellen Aufwand. Steht dem keine spürbare Entlastung bei den Prozesskosten gegenüber, führt dies aus Sicht der Bieter zu einer insgesamt negativen Bilanz, womit sie die E-Vergabe eher meiden werden.“
Gefallene Hürden und politischer Druck
Inzwischen ist wenigstens eine technische Hürde für die Bieter gefallen. Noch vor wenigen Jahren war bei der E-Vergabe zur Abgabe eines elektronischen Angebots die qualifizierte elektronische Signatur vorgeschrieben – verbunden mit dem Einsatz einer Signaturkarte und eines Lesegeräts. Inzwischen wurde die Vergabeverordnung geändert. Jetzt genügt die fortgeschrittene elektronische Signatur, eine reine Software-Lösung. Auch das Vergaberecht wurde modernisiert: Nach erheblichen Verzögerungen und erbitterten Verhandlungen ist das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts im April 2009 in Kraft getreten. Damit wurden die elektronische Auktion und das dynamische elektronische Verfahren ins deutsche Recht eingeführt.
Zudem macht die Politik Druck. Bis zum Frühjahr 2010 soll eine nationale E-Government-Strategie formuliert werden. Ein Ziel wird sein, die Prozesse zwischen Wirtschaft und Verwaltung zu vereinfachen. Ab dem Jahr 2012 sollen Transaktionen zwischen Verwaltung und Wirtschaft nur noch elektronisch abgewickelt werden. Das zumindest wurde bereits auf dem 1. Nationalen IT-Gipfel beschlossen.
Mainz ist kommunaler E-Procurement-Pionier
Viele Kommunen sehen inzwischen in der elektronischen Beschaffung eine Möglichkeit, Kosten zu reduzieren und eine Professionalisierung beim Einkauf voranzutreiben. E-Procurement-Pionier auf kommunaler Ebene ist Mainz. Bereits Anfang 2000 hatte die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt positive Erfahrungen mit der elektronischen Vergabe im Bereich VOB gesammelt. Darauf aufbauend sollten Produktgruppen aus dem Bereich VOL ebenfalls elektronisch ausgeschrieben werden. Dabei zeigte sich, dass dieses Ziel mit einem grundlegenden Strategiewechsel im Einkauf verbunden war. Es galt, papiergestützte Beschaffungsvorgänge durch Digitalisierung und Verschlankung von Prozessen zu ersetzen. Weil dafür die notwendigen Ressourcen nicht zur Verfügung standen, entschied sich die Stadtverwaltung, Technologie, Service und Know-how im Einkauf an den externen Dienstleister TEK-Service zu vergeben. Bestellungen im Bereich geringwertiger Güter werden seither auf Grundlage von Rahmenverträgen über einen Online-Shop aufgegeben und bearbeitet.
Auch die Verwaltung des Stadtstaates Bremen hat das Bestellwesen modernisiert und eine Online-Bestellplattform eingeführt. Im E-Katalog Bremen können inzwischen die Mitarbeiter von etwa 50 Dienststellen und öffentlichen Einrichtungen nach den verfügbaren Artikeln suchen und diese im Rahmen ihrer Budgets bestellen. Entwickelt wurde die E-Procurement-Lösung vom Bremer Software-Anbieter Sourcing Management. Künftig sollen alle Rahmenverträge mit Lieferanten über den E-Katalog für die Online-Bestellung durch die Behörden und Einrichtungen des Landes Bremen freigegeben werden.
Auf die E-Vergabe umgestiegen ist Göttingen. Die Universitätsstadt in Niedersachsen nutzt dafür die E-Business-Plattform ARRIBA net der Stuttgarter Firma RIB Software. Die erste Submission über die elektronische Plattform erfolgte im April 2009. Bereits 70 Prozent der Bieter reichten dabei ihre Angebote auf elektronischem Wege ein.
Kooperationen und gemeinsame Vergabemarktplätze
In Baden-Württemberg nutzen Städte wie Tübingen, Reutlingen, Lörrach oder Friedrichshafen seit Jahren die webbasierende Dienstleistung der Firma TEK-Service, um interkommunale Einkaufsgemeinschaften zu steuern. Nach Einführung des elektronischen Einkaufes auf Grundlage dieser Dienstleistungen konnten Kosten gesenkt und Preisvorteile generiert werden.
Nordrhein-Westfalen baut bereits seit 2002 an einem integrierten Vergabeportal für Landesverwaltung und Kommunen. Ein Element dieses Portals ist der Vergabemarktplatz NRW, über den mehrere Vergabeplattformen erreichbar sind. Zwei davon betreibt das Land für seine eigenen Vergabestellen. Die drei Vergabemarktplätze Rheinland, Westfalen und Metropole Ruhr werden von kommunalen IT-Dienstleistern betrieben. Letzterer steht den Städten, Gemeinden und Kreisen des Ruhrgebiets seit Februar 2010 zur Verfügung. Betrieben wird die Plattform von der GKD Recklinghausen.
Auf interkommunale Zusammenarbeit setzt auch die Metropolregion Rhein-Neckar. Im März vergangenen Jahres führte die Region eine europaweite Ausschreibung für eine E-Vergabe-Lösung im Application-Service-Providing-Modell durch. Den Zuschlag erhielt die Firma T-Systems Enterprise Services, die auf die bereits etablierte Software-Lösung von Healy Hudson zurückgreift. Seit Anfang 2010 können 65 Kommunen aus Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz die neue, gemeinsame Plattform für einen vollständig elektronischen Vergabeprozess nutzen.
Europäische Ziele in weiter Ferne
Trotz dieser Beispiele liegen die E-Procurement-Ziele der Europäischen Union in Deutschland noch in weiter Ferne. In der i2010-Initiative der EU-Kommission wurde bereits 2005 festlegt, dass die Mitgliedsstaaten die Voraussetzungen für digitale Vergabeprozesse schaffen sollen. Geplant war, dass bereits im Jahr 2010 mindestens die Hälfte der Verfahren mit einem Auftragswert von über 50.000 Euro bei den Waren und Dienstleistungen beziehungsweise 6 Millionen Euro bei den Bauleistungen elektronisch vergeben werden. Auch die EU erwartet dadurch gigantische Einsparungen: Öffentliche Aufträge machen rund 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU aus, dies sind 1,5 Billionen Euro. Durch E-Procurement sollen Einsparungen von bis zu 30 Prozent realisiert werden. Das wären 450 Milliarden Euro. Damit könnten die Schulden Griechenlands locker getilgt werden.
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