Freitag, 22. November 2024

InterviewDie Blockchain-Genossen

[28.04.2020] Kommunale IT-Dienstleister haben die Genossenschaft govdigital gegründet, die sich mit der Blockchain-Technologie befasst. Kommune21 sprach mit Geschäftsführer Matthias Kammer über den Aufbau der nötigen Infrastruktur und die Aufgaben.
Matthias Kammer

Matthias Kammer

(Bildquelle: Vitako)

Herr Kammer, die Digitalisierung des öffentlichen Sektors in Deutschland geht voran. Wie schätzen Sie die gegenwärtige Lage ein?

Es gibt in Deutschland eine intensive Diskussion über unsere digitale Souveränität. Wenn die Grunderkenntnis richtig ist, dass im öffentlichen Sektor ohne IT nichts mehr geht, dann ist die Verantwortung für die IT so auszufüllen, dass man sie als öffentliche Hand auch selbst gestalten kann. Hier haben sich die Rahmenbedingungen geändert. Diesen Kontext halte ich für wichtig, wenn man die Frage nach dem Status der Digitalisierung beantworten will. Denn wir haben hier großen Handlungsbedarf.

Das heißt konkret?

In den vergangenen Jahren hat es einen richtigen Schub durch das Onlinezugangsgesetz (OZG) gegeben, einen Planungsschub jedenfalls. Diese Phase ist weitgehend abgeschlossen. Jetzt kommt es darauf an, dass eine Umsetzung in der Wirklichkeit gelingt. Es ist immer schwierig zu sagen, wie weit die Kommunen damit hierzulande sind, doch ich hoffe, dass sie die Umsetzung des OZG auch als ihre Sache begreifen. Es kommt darauf an, die IT-Dienstleister und ihre Auftraggeber, eben die Kommunen, davon zu überzeugen, dass nicht allzu viel gleiche Lösungen für ein und dieselbe Aufgabe implementiert werden.

Inwieweit kann die govdigital-Genossenschaft den Digitalisierungsprozess in Kommunen unterstützen?

Die Genossenschaft ist aus meiner Sicht etwas Besonderes. Im kommunalen Umfeld haben wir gesehen, dass Kooperationen als eine wertvolle Erfahrung erlebt werden. Verschiedene Möglichkeiten des Zusammenarbeitens wurden und werden ausprobiert – bis hin zu Fusionen. Die IT-Dienstleister haben sich auch auf Arbeitsteilung verständigt und zusammengearbeitet, ohne zu verschmelzen. Nun haben sich mehrere öffentliche IT-Dienstleister entschieden, mit govdigital ein gemeinsames Unternehmen zu gründen. Und ich möchte betonen, dass hier die kommunale Ebene, die Länderebene und der Bund gemeinsam vorgehen – das hat es meines Wissens so noch nicht gegeben.

„Die Genossenschaft will sich mit neuen Themen beschäftigen, die für die Verwaltung wichtig sind.“
Was bedeutet das für die Kommunen?

Die Genossenschaft will sich mit neuen Themen beschäftigen, die für die Verwaltung wichtig sind, dazu zählt etwa künstliche Intelligenz. Da wird es mit Sicherheit auch relevante Lösungen für Kommunen geben. Im Augenblick ist govdigital vorrangig damit befasst, eine Betriebsinfrastruktur zu errichten, die den Einsatz von Blockchain-Technologie ermöglicht.

Selbst die Privatwirtschaft ist bei Blockchain eher zurückhaltend. Ist die öffentliche Verwaltung nunmehr Avantgarde?

Bei Blockchain stellt sich ein Henne-Ei-Problem: Wer fängt an? Die Mitglieder unserer Genossenschaft wollen als erstes eine wichtige Voraussetzung schaffen, nämlich eine sichere, vertrauenswürdige und verlässliche Infrastruktur. Wenn man keine Infrastruktur hat, wird es auch keine Anwendungen geben. Am Aufbau einer Infrastruktur für einen stabilen Betrieb beteiligen sich jetzt alle Mitglieder der Genossenschaft. Wir streben an, dass ab der zweiten Jahreshälfte erste Anwendungen darauf laufen können.

Die Anmietung einer Infrastruktur wäre nicht in Frage gekommen?

Aus unserer Sicht müssen es öffentliche Unternehmen sein, die eine solche Infrastruktur anbieten. Wenn es um Daten geht, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes der Verwaltung anvertraut haben, muss deren Verarbeitung in einer Infrastruktur betrieben werden, welche die Verwaltung selbst verantwortet. Insofern können wir froh sein, dass wir eine Vielzahl von leistungsfähigen, öffentlichen IT-Dienstleistern haben, die das stemmen können.

Welche Anwendungen kommen für Ihre Blockchain in Betracht?

Ein bekanntes Beispiel, das seit Längerem diskutiert wird, ist die Zeugnisvalidierung. Es gibt Annahmen, nach denen 30 Prozent der Zeugnisse, die irgendwo vorgelegt werden, gefälscht sind. Da stellt sich die Frage, ob man mit einer Blockchain-Technologie – bei der man Hashwerte in Blöcken abbildet, die auf das Original des Zeugnisses verweisen – eine höhere Verbindlichkeit und Sicherheit erhalten kann. Dies ist ein Geschäftsziel der Genossenschaft, das von einigen Mitgliedern wohl selbst verfolgt wird. Weiter gibt es eine lange Liste von Ideen. Es geht dabei aber immer um Validierung, also um die Frage, ob das, was in einem Register steht, stimmt oder nicht. In einem zweiten Projekt befassen wir uns mit Identitäten.

Worum geht es dabei?

Es wird schon lange darüber debattiert, inwieweit Identitäten so abzubilden sind, dass die Bürger souveräner damit umgehen können. Die Grundidee: Datensätze müssen nicht mehr komplett übermittelt werden. So reicht es gegebenenfalls zu wissen, dass jemand volljährig ist, ohne das genaue Geburtsdatum zu kennen. Für viele solche Verifizierungsprozesse, aber auch andere Zwecke sind Meta-Informationen wichtig, die keine konkreten personifizierten Daten erfordern. Wir glauben, dass die Blockchain geeignet ist, um solche digitalen und gleichzeitig datensparsameren Verfahren aufzusetzen.

Es gibt Zweifel daran, ob eine Blockchain DSGVO-konform ist. Erst kürzlich haben Branchenverbände eine klare Rechtslage bezüglich der in der Blockchain gespeicherten Hashwerte und dem Recht auf Vergessen gefordert.

Unser Ziel ist es natürlich, eine vollständig DSGVO-konforme Verarbeitung der Daten in der Infrastruktur von govdigital zu gewährleisten. Mir sind Konzepte bekannt, nach denen personenbezogene Daten eben nicht in der Blockchain abgelegt werden. So werden etwa bei Self-Sovereign Identities (SSI) ausschließlich einfache Links als URL in der Chain gespeichert; die eigentlichen Daten liegen aber in anderen Systemen. Bei der Speicherung von Hashwerten ist sehr genau darauf zu achten, dass darüber kein Personenbezug hergestellt werden kann. Hashwerte von anonymen IoT-Geräten können beispielsweise sehr gut in einer Blockchain abgelegt werden, solange sie nicht eindeutig einer Person zuzuordnen sind.

Kann mit der Blockchain-Technologie auch ein Recht auf Vergessen garantiert werden?

Das kommt auf das jeweilige Konzept an, mit dem die Daten in der Blockchain gespeichert und mit dem es umgesetzt wird. Wenn man, wie oben beschrieben, nur Bezüge auf personenbezogene Daten speichert, die Daten selbst aber in einem anderen System ablegt, ließe sich das Recht auf Vergessen problemlos umsetzen.

Interview: Helmut Merschmann

Kammer, MatthiasMatthias Kammer ist Geschäftsführer der govdigital eG in Berlin. Der Jurist und Senatsdirektor a. D. war ab 2002 verantwortlich für das Projekt zur Gründung des IT-Dienstleisters Dataport und bis Oktober 2011 dessen Vorstandsvorsitzender. Danach leitete er von 2011 bis Ende 2018 das Deutsche Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI).



Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: IT-Sicherheit
Von links halten Bastian Schäfer von der ekom21, Staatssekretär Martin Rößler und Prof. Dr.-Ing. Jörn Kohlhammer vom Fraunhofer IGD den Förderbescheid des Landes Hessen.

Fraunhofer IGD / ekom21: Cybergefährdungslagen visualisieren

[21.11.2024] Neue interaktive Visualisierungen von IT-Gefährdungslagen sollen in einem Forschungsprojekt des Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung IGD und des IT-Dienstleisters ekom21 entstehen. Das vom Land Hessen geförderte Vorhaben berücksichtigt auch die Bedürfnisse kleinerer Institutionen wie Kommunen. mehr...

Modern eingerichteter Sitzungssaal mit weißen Tischen und Wänden.

Märkischer Kreis: Neue IT-Projekte im Fokus

[20.11.2024] Grünes Licht für die Haushaltsansätze im Bereich Digitalisierung und IT gab der Ausschuss für Digitalisierung und E-Government des Märkischen Kreises. Geplant sind Investitionen in IT-Sicherheit, Netzwerkinfrastruktur und den weiteren Ausbau digitaler Services. mehr...

Claudia Plattner (l.), Präsidentin des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), und Bundesinnenministerin Nancy Faeser präsentieren den Bericht zur Lage der IT-Sicherheit in Deutschland.

BSI: Bericht zur Lage der IT-Sicherheit

[12.11.2024] Die Bedrohungslage bliebt angespannt, die Resilienz gegen Cyberangriffe aber ist gestiegen. Das geht aus dem aktuellen Bericht zur Lage der IT-Sicherheit in Deutschland hervor, den das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) nun vorgestellt hat. mehr...

LivEye: Sicherheitsüberwachung auf Weihnachtsmärkten

[08.11.2024] Für die Sicherheitsüberwachung auf Weihnachtsmärkten hat das Unternehmen LivEye ein neues Konzept entwickelt, das Datenschutz und effektive Gefahrenabwehr kombiniert. mehr...

Innenminister Roman Poseck eröffnete den Cybersicherheitsgipfel im Regierungspräsidium Darmstadt vor mehr als 100 Vertreterinnen und Vertretern südhessischer Kommunen.

Hessen: Höhere Cybersicherheit

[05.11.2024] Mit dem Aktionsprogramm Kommunale Cybersicherheit sollen hessische Kommunen umfassender in der IT-Sicherheit unterstützt und auf künftige Cyberangriffe vorbereitet werden. mehr...

Illustration: Stilisierter aufgeklappter Laptop mit Piratenfahne über dem Display, einen Ransomware-Angriff symbolisierend.

SIT: Ein Jahr nach dem Ransomware-Angriff

[04.11.2024] Ein Jahr nach der Cyberattacke auf die Südwestfalen-IT haben die Mitarbeitenden gemeinsam mit den IT-Teams betroffener Kommunen die Systeme wiederhergestellt. Um künftig besser gegen Cyberbedrohungen geschützt zu sein, fordert Geschäftsführer Mirco Pinske klarere gesetzliche Regelungen – etwa die Berücksichtigung kommunaler IT-Dienstleister in der NIS2-Richtlinie. mehr...

Screenshot eines pixeligen Bildschirms. Zu sehen ist auf dunklem Grund die hellblaue Schrift "Security", eine Mauszeigerhand zeigt darauf.

Sachsen-Anhalt: Mehr IT-Sicherheit für Kommunen

[04.11.2024] Um die Cybersicherheit in Sachsen-Anhalts Kommunen zu stärken, startete das Land gemeinsam mit dem BSI das Pilotprojekt SicherKommunal. Durch das Projekt sollen Städte, Landkreise und Gemeinden gezielt bei der Verbesserung ihrer IT- und Informationssicherheit unterstützt werden. mehr...

bericht

Lösungen: Cybersicherheit stärken

[13.09.2024] Die NIS2-Richtlinie bietet die Chance, die IT-Sicherheit auf ein deutlich höheres Level zu heben, ist aber auch mit Herausforderungen verbunden. Kommunen benötigen zudem Lösungen, die speziellen IT-Sicherheitsanforderungen genügen. mehr...

Zwei Versionen der Videokonferenzlösung Zoom haben ein IT-Sicherheitskennzeichen vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik erhalten.

BSI: IT-Sicherheitskennzeichen für Zoom

[11.09.2024] Für zwei seiner Produkte hat der vielfach genutzte Videokonferenzdienst Zoom das IT-Sicherheitskennzeichen vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) erhalten. Geprüft wurden unter anderem der Accountschutz, Rechenzentrumsbetrieb und das Update- und Schwachstellenmanagement. mehr...

Die Panelteilnehmenden des Vitako-Empfangs.
bericht

IT-Sicherheit: Feuerwehr und Firewall

[02.09.2024] Cyberattacken treffen immer öfter auch Verwaltungen. Um kommunale IT besser abzusichern, fordert Vitako eine Reihe von Maßnahmen: eine stärkere Vernetzung, mehr Mittel, den Ausbau des BSI zur Zentralstelle und die Schaffung eines regulativen Rahmens. mehr...

Bayerns Finanz- und Heimatminister Albert Füracker (2.v.r.) übergibt das LSI-Siegel „Kommunale IT-Sicherheit“ an die Stadt Schwandorf.

Schwandorf: Siegel für IT-Sicherheit

[29.08.2024] Die Stadt Schwandorf hat vom bayerischen Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (LSI) jetzt das Siegel „Kommunale IT-Sicherheit“ erhalten. mehr...

Mirco Pinske

Interview: Wertvolle Lehren gezogen

[14.08.2024] Nach dem umfassenden Cyberangriff arbeitet der IT-Dienstleister Südwestfalen-IT an einer strategischen Neuausrichtung. Im Kommune21-Interview berichtet Geschäftsführer Mirco Pinske, wie die Aufarbeitung vorangeht und welche Konsequenzen bereits gezogen wurden mehr...

In München kümmert sich jetzt eine eigene Hauptabteilung um die IT-Sicherheit.

München: Hauptabteilung für IT-Sicherheit

[02.08.2024] Die bayerische Landeshauptstadt München misst der IT-Sicherheit einen hohen Stellenwert bei. Um dies zu verdeutlichen, wurde im IT-Referat jetzt eine neue Hauptabteilung für Cybersecurity gegründet. Geleitet wird sie von Chief Information Security Officer Thomas Reeg. mehr...

ITEBO: OpenR@thaus-Vorfall aufgearbeitet

[23.07.2024] Mit seinem Verwaltungsportal OpenR@thaus liefert ITEBO zahlreichen Kommunen eine Basisinfrastruktur, um Leistungen, wie vom OZG vorgesehen, digital anbieten zu können. Im Juni war die Lösung aus Sicherheitsgründen offline gestellt worden. Nun berichtet ITEBO im Detail über den Vorfall und dessen Aufarbeitung. mehr...

Zentralisierte Daten zur Auswirkung der Crowdstrike-/Azure-Panne auf Kommunalverwaltungen liegen dem BSI nicht vor. Einzelne Kommunen melden Ausfälle in geringem Maß.

Crowdstrike-Panne: Geringe Störungen bei Kommunalverwaltungen

[22.07.2024] Das Update des Sicherheitsdienstleisters Crowdstrike, das am Freitag globale IT-Ausfälle auslöste, hat auch dazu geführt, dass der kommunale IT-Dienstleister SIT seine Systeme sicherheitshalber abgeschaltet hat. Die Auswirkungen auf Kommunen waren aber lediglich geringfügig. mehr...