Sonntag, 24. November 2024

BeschaffungDer Riese hat Hunger

[12.11.2020] Der Internet-Konzern Amazon ist seit einiger Zeit im Bereich Öffentliche Beschaffung tätig und hat sich auf unterschwellige Angebote spezialisiert. Das ist gesetzes-, aber nicht datenschutzkonform.
Auch Kommunen bestellen bei Amazon.

Auch Kommunen bestellen bei Amazon.

(Bildquelle: Amazon)

Die öffentliche Vergabe in Deutschland ist ein großer und mächtiger Markt. 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), das entspricht 500 Milliarden Euro, umfasst nach Angaben der OECD der deutsche Beschaffungsmarkt – vom Bleistift bis zum Panzer. Entsprechend attraktiv sind die Ausschreibungen, welche die öffentliche Hand ab einer bestimmten Höhe europaweit tätigen muss, für Unternehmen und Händler. Aber auch eine ganz andersartige Beschaffung weckt Begehrlichkeiten.
Seit dem Jahr 2016 ist Amazon Business in Deutschland im Bereich öffentlicher Beschaffung aktiv. Die Geschäftskundensparte des Online-Konzerns rühmt sich mit dem Zugang zu über 250 Millionen Produkten, die Amazon selbst oder die vielen Online-Händler auf der Plattform anbieten. Der Konzern ist damit auch in den USA, Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan und Indien präsent. Und in Deutschland. Nach Angaben von Amazon zählen 14 der 15 größten deutschen Städte mit mehr als 500.000 Einwohnern, 10 der 15 größten Krankenhäuser und 13 der 15 größten Universitäten sowie eine Vielzahl kleinerer öffentlicher Verwaltungen zu den Kunden von Amazon Business. Es heißt, die Amazon-Plattform werde für „Markterkundungen“ und den Direktkauf im Rahmen der unterschwelligen Beschaffung genutzt, wobei die Funktion „Kauf auf Rechnung“ für die öffentliche Verwaltung besonders attraktiv sei. Hierbei werden die Kosten erst nach der Lieferung beglichen.

E-Marktplatz senkt Transaktionskosten

Zu den Produkten, die auf diese Weise beschafft werden, gehören Laptops, Bürobedarf, elektronisches Zubehör, Aufbewahrungslösungen, Büromöbel oder Reinigungsgeräte – sofern sie die Schwelle von 1.000 Euro (beziehungsweise beim Bund neuerdings 3.000 Euro im Rahmen des Konjunkturpakets) nicht übersteigen.
Amazon hat unlängst eine Studie bei Michael Eßig, Professor an der Universität der Bundeswehr in München, in Auftrag gegeben, die sich insbesondere auch für die Bedeutung von elektronischen Marktplätzen für die öffentliche Beschaffung interessiert. Der Experte für Supply Management kommt wenig überraschend zu dem Schluss, dass sich digitale Marktplätze insbesondere für „Produkte relativ geringer Wertigkeit und Kritikalität“ eignen. In diesem Bereich sei normalerweise das Verhältnis von Anschaffungs- und Prozesskosten besonders ungünstig, weil viel Aufwand für die Bestellung von kleinvolumigen Ausgaben betrieben würde. E-Marktplätze könnten indessen die Transaktionskosten signifikant senken und erfüllten somit das Primat der Wirtschaftlichkeit.

Vergabe lohnt

Auf einer Online-Konferenz des Bundeswirtschaftsministeriums zu „Chancen und Nutzung von E-Marktplätzen im öffentlichen Einkauf“, zu der sich Amazon über den Bundesverband Materialwirtschaft Einkauf und Logistik Zugang verschaffte, hob Burkhard Schemel, bei Amazon Business für Großkunden und öffentliche Einrichtungen zuständig, ebenfalls die Effizienz von Online-Marktplätzen hervor, die er für Unternehmenskunden mit 19 Prozent Einsparung bei den Prozesskosten bezifferte. Für die öffentliche Hand seien solche Berechnungen aber noch nicht angestellt worden. Schemel machte auf die Möglichkeit des monatlichen Reporting aufmerksam, wodurch jede öffentliche Institution einen guten Überblick über Bündelungs- und Skaleneffekte erhalte.
Genau dieser Aspekt wird von angestammten Marktteilnehmern skeptisch betrachtet. Ihrer Erfahrung nach führt eine reguläre Beschaffung und Digitalisierung des Einkaufs durch Dienstleister zu besserer Transparenz und Steue­rungsmöglichkeiten. „Vergabe lohnt! Unsere Kunden berichten immer wieder von überraschenden Preisvorteilen, die sich aus der verwaltungsweiten Bündelung aller Beschaffungsvorgänge durch Ausschreibung und Vergabe ergeben“, sagt Monika Schmidt, Aufsichtsratsvorsitzende beim Dienstleister TEK Service aus Lörrach. 25 bis 40 Prozent Preisvorteil seien bei regulären Ausschreibungsverfahren keine Seltenheit. Würden Geschäfte hingegen über Marktplätze abgewickelt, fielen zum Teil erhebliche Provisionsmargen an die Betreiber an, die wiederum eingepreist würden. „Aus Sicht einer Verwaltung lohnt es unbedingt, genau hinzusehen und auch kleinpreisige Artikel zu bündeln und auszuschreiben, anstatt Verwaltungsmitarbeitern die Einzelbeschaffung über Portale oder Marktplätze zu gestatten“, erklärt Schmidt.

Problem Datenschutz

Darüber hinaus spielen hier auch Datenschutzaspekte eine Rolle. US-Unternehmen stehen vor der Schwierigkeit, den transatlantischen Datenverkehr DSGVO-konform zu gestalten. Der Europäische Gerichtshof hatte kürzlich das so genannte Privacy-Shield-Abkommen für den Datenaustausch zwischen Europa und den USA mit der Begründung gekippt, dass Informationen über europäische Verbraucher auf US-Servern nicht vor dem Zugriff dortiger Behörden und Geheimdienste geschützt seien. Amazon erklärt zwar, dass Kundendaten aus Sicherheitsgründen immer verschlüsselt werden und es nicht zum Geschäftsmodell des Konzerns gehöre, persönliche Informationen an andere zu verkaufen. Das ist sicherlich richtig.
Im Ernstfall jedoch, das heißt, wenn der US-amerikanische Patriot Act greift, müsste Amazon seine Kundendaten den amerikanischen Behörden zur Verfügung stellen. Und in dieser Hinsicht darf ein Interview mit Florian Böhme, Director Amazon Business DACH, in der „Zeitschrift für effiziente Beschaffung“, CEBRA, einigermaßen verwundern. Es heißt dort: „In den vergangenen Monaten, während des Corona-Lockdowns, haben wir beispielsweise vielen Unternehmen und Organisationen dabei geholfen, Lieferungen – von IT-Hardware wie Monitoren und Adaptern bis hin zu Büromaterial oder sogar Stühlen und Tischen – an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Hause zu liefern.“ Amazon ist folglich auch im Besitz der Privatadressen von Verwaltungsmitarbeitern, und es dürfte spannend sein, zu erfahren, auf welcher rechtlichen Grundlage dies geschieht.

Zu dem Artikel ist uns ein Statement von Amazon zugegangen. Sie finden es hier.

Helmut Merschmann




Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: E-Procurement
Stilisierte Darstellung von Zahnrädern, die ineinanergreifen. Hellblau auf dunkelblauem Grund.

TEK-Service/B_I Medien: Einkauf und Vergabe eng verzahnt

[19.11.2024] Die Firmen B_I Medien und TEK-Service bieten künftig gemeinsam Lösungen und Services für Verwaltungen, um Einkauf und Vergabe zu kombinieren und digital zu steuern. Ziel ist, Prozesse zu vereinfachen und Zeit für Kernaufgaben zu schaffen. mehr...

Ein Tablet liegt auf dem Tisch, darüber eine Hand. Über dem Tablet schweben Symbole für die digitalen Einkauf, wie ein Einkaufswagen sowie Symbole für Cloud Computing und IT-Sicherheit.
bericht

Öffentlicher Einkauf: Die Beschaffung der Zukunft

[16.09.2024] Um die öffentliche Beschaffung zu vereinfachen, wurde als EfA-Leistung das Lieferantencockpit entwickelt. Privatwirtschaftliche IT-Unternehmen und deren Verbände sehen sich nicht nur hier durch das EfA-Prinzip übergangen – etablierte Lösungen gäbe es längst. mehr...

Um die 400 Teilnehmer werden zur 25. Beschaffungskonferenz in Berlin erwartet.

25. Beschaffungskonferenz: Gut einkaufen für öffentliche Auftraggeber

[13.08.2024] Vom 23. bis 24. September findet die 25. Beschaffungskonferenz in Berlin statt. Teilnehmer aus den Bereichen Beschaffung, Vergabe, Wissenschaft, Politik und der Wirtschaft kommen hier zusammen und erhalten Ein- und Ausblicke rund um den öffentlichen Einkauf. mehr...

AKDB: BayKIT eG übernimmt Vergabeverfahren

[16.05.2024] Die Bayerische Kommunale IT-Einkaufsgenossenschaft (BayKIT) ist ins Genossenschaftsregister eingetragen, in München hat die Geschäftsstelle ihren Betrieb aufgenommen. Schon jetzt stößt das Angebot auf breites Interesse der kommunalen Träger. mehr...

E-Procurement: E-Einkauf bewährt sich

[28.03.2024] Eine elektronische Abwicklung des Einkaufs hat nicht nur wirtschaftliche und vergaberechtliche Vorteile, sondern sorgt angesichts des Fachkräftemangels auch für spürbare Entlastung. Das zeigen Beispiele aus Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Berlin. mehr...

Deutschland ist fristgerecht eForms-ready.

E-Beschaffung: Meilenstein erreicht

[25.03.2024] Mit der Einführung von eForms als digitalem Standard für EU-weite Bekanntmachungen ist ein Meilenstein bei der Digitalisierung der Beschaffung erreicht. Als Dreh- und Angelpunkt für Vergabestellen und Bieter fungiert künftig der Datenservice Öffentlicher Einkauf. mehr...

Im Webinar aus der Reihe „Kommune 21 im Gespräch“ berichtete die Einkaufsgenossenschaft KoPart von ihrer Kooperation mit TEK-Service.

Webinar „Kommune 21 im Gespräch“: Einblick in die Blackbox

[21.03.2024] Am 7. März widmete sich eine Folge der Webinar-Reihe „Kommune21 im Gespräch“ dem digitalen Einkauf. Das Unternehmen TEK-Service und die Einkaufsgenossenschaft KoPart gaben dabei Einblicke in ihre Zusammenarbeit. Eine ihrer Besonderheiten: Seit diesem Jahr ermöglicht die KoPart mit Unterstützung von TEK-Service die Kombination von Rahmenverträgen und Einzelbestellungen. mehr...

In der Webinar-Reihe „Kommune21 im Gespräch“ geht es am 7. März 2024 um Synergien zwischen Ausschreibungen der öffentlichen Hand und Online-Marktplätzen.

Live-Webinar „Kommune21 im Gespräch“: Synergien bei Ausschreibungen

[02.02.2024] In der Webinar-Reihe „Kommune21 im Gespräch“ geht es am 7. März 2024 um Synergien zwischen Ausschreibungen der öffentlichen Hand und Online-Marktplätzen. Ralf Togler und Andreas Pokropp von der Einkaufsgemeinschaft KoPart sowie Monika Schmidt von der TEK-Service AG diskutieren über die innovative Kombination von Ausschreibungsverfahren und Marktplatzmodellen. mehr...

Die neu gegründete Einkaufsgenossenschaft BayKIT will bayerische Kommunen beim IT-Einkauf entlasten.

Bayern: Einkaufsgenossenschaft für Kommunen

[31.01.2024] Auf Initiative der AKDB erfolgte die Gründung einer Bayerischen Kommunalen IT-Einkaufsgenossenschaft. Sie soll Hardware und verbundene Dienstleistungen für ihre Mitglieder beschaffen – zunächst im Schulbereich. mehr...

Dataport hat für seine Vergabestelle den Hamburger Vergabepreis 2024 erhalten

Hamburger Vergabepreis: Auszeichnung geht an Dataport

[29.01.2024] Der IT-Dienstleister Dataport fungiert auch als Vergabestelle. Dabei liegt der gesamte Vergabeprozess in einer Hand. Die Jury des Hamburger Vergabepreises zeigte sich von dieser Aufstellung überzeugt. mehr...

Thüringen: E-Vergabe-Plattform etabliert

[11.01.2024] Im Jahr 2023 wurden 2.304 Ausschreibungen auf der E-Vergabe-Plattform des Freistaats Thüringen veröffentlicht. Die Landesvergabeplattform ist in einen Kooperationsverbund mit der Bundesverwaltung und mehreren Bundesländern eingebunden. mehr...

Hamburg vereinfacht Vergabe.

Hamburg: Vereinfachte Vergabe

[08.01.2024] Durch eine Experimentierklausel werden die Vergabeverfahren der Freien und Hansestadt Hamburg bis zu einem bestimmten Auftragswert deutlich vereinfacht. mehr...

Die E-Vergabe-Plattformen von RIB Software wurden pünktlich an den neuen Veröffentlichungsstandard angepasst.

E-Vergabe: Reibungsloser Start der eForms


[18.12.2023] Im Rahmen des digitalen Wandels des öffentlichen Auftragswesens spielen die eForms als neuer Veröffentlichungsstandard innerhalb der EU eine wichtige Rolle. Über die Vergabeplattformen von RIB Software sind in den ersten sechs Wochen seit dem Start bereits mehr als 1.000 eForm-Veröffentlichungen erfolgt. mehr...

CGI: Volldigitales Wettbewerbsregister

[06.12.2023] Um den fairen Wettbewerb im öffentlichen Auftragswesen zu sichern, betreibt das Bundeskartellamt das Wettbewerbsregister. Dafür hat CGI jetzt als eines der ersten volldigitalen Register der öffentlichen Verwaltung ein durchgängig digitalisiertes Fachverfahren entwickelt. mehr...

adesso: Mitarbeit an Beschaffungsplattform

[04.12.2023] Die Plattform „Datenservice Öffentlicher Einkauf“ soll für Transparenz bei öffentlichen Ausschreibungen sorgen und entspricht der aktuellen EU-Durchführungsverordnung, die den Standard eForms-DE vorschreibt. adesso hat das Beschaffungsamt bei der Umsetzung zentraler Komponenten unterstützt. mehr...