Freitag, 22. November 2024

Round TableGesunde Mischung

[19.02.2021] Mit einem Innovationspreis zeichnet Axians Infoma Kommunen aus, die beispielgebende Digitalisierungsprojekte umsetzen. Teil 2 des Kommune21-Round-Table-Gesprächs mit den Initiatoren und Preisträgern 2020.
Der Axians Infoma Innovationspreis würdigt außerordentliche kommunale Digitalisierungsprojekte.

Der Axians Infoma Innovationspreis würdigt außerordentliche kommunale Digitalisierungsprojekte.

(Bildquelle: Axians Infoma)

Sie waren mit Ihren Projekten beim Innovationspreis 2020 von Axians Infoma erfolgreich. Ziehen die ausgezeichneten Projekte weitere Planungen hinsichtlich der Umsetzung eines Smart Governments im Sinne eines intelligent vernetzten Verwaltungshandelns nach sich? Welche weiteren Modernisierungsvorhaben haben Sie in der Pipeline?

Bürgermeister Günter Oldekamp (Neuenhaus): Man sagt ja immer, Stillstand ist Rückschritt. Aber um vorwärts zu gehen, muss man klare Ziele vor Augen haben. Ich habe festgestellt, dass wir schon eine ganze Menge erreicht haben. Jetzt müssen wir aus den Erfahrungen des Lockdowns lernen. Wir als kleine Verwaltung sollten schnell handlungsfähig sein, zum Beispiel wenn es um das Thema Homeoffice geht. Zudem ist der weitere Ausbau unseres Bürgerportals OpenR@thaus geplant, damit dessen Nutzen für die Bürger noch deutlicher wird und wir dadurch eine hohe Zulaufquote bekommen.

Michael Wübben (Neuenhaus): In unserer Arbeitsgruppe haben wir uns als nächsten Schwerpunkt den Ausbau der Dienstleistungen im Bürgerportal gesetzt. Außerdem planen wir den digitalen Posteingang. Wir haben zwar ein sehr gutes Dokumenten-Management-System im Haus, aber der Posteingang und die weitere Bearbeitung der Post ist noch nicht vollständig digitalisiert. Es wird jedoch Zeit brauchen, um das umzusetzen. Deshalb möchten wir die Mitarbeiter erst informieren und Vertrauen schaffen. Gleichzeitig müssen wir sehen, dass wir mit unseren knapp 30 Mitarbeitern dieses Projekt überhaupt stemmen können. Hier ist eine genaue Vorbereitung erforderlich.

Carina Steinert (Bergheim): Wir wollen uns im Bereich des Finanzwesens weiterentwickeln. Wir bieten zwar schon Online-Bezahlmöglichkeiten an, nicht nur für die Verwaltung, sondern auch für unsere Stadtbibliothek. Bürger können zudem ihre Strafzettel online bezahlen. Das würden wir alles gerne so miteinander verbinden, dass keine manuellen Arbeiten mehr erforderlich sind. Im Endeffekt wollen wir das, was wir jetzt für die Web-Kasse gelöst haben – dass wir dort durchgängig digital sind – auch für dieses E-Payment-Thema einführen. Was uns darüber hinaus seit Jahren beschäftigt, ist alles rund um das Thema Digitalisierung. Das heißt, wir arbeiten mit einem Dokumenten-Management-System, wir nutzen einen flächendeckenden Aktenplan, wir haben aber noch nicht überall flächendeckend Fallakten im Einsatz. Zudem wollen wir für das Onlinezugangsgesetz (OZG) so aufgestellt sein, dass wir möglichst alle Formulare online zur Verfügung stellen können, sodass diese durchgängig elektronisch bearbeitet werden können. Unser digitaler Posteingang, der schon produktiv läuft, soll hausweit genutzt werden. Mit E-Akte, Formular-Server und digitalem Posteingang soll es eine runde Sache mit komplett digitalen Prozessen werden. Das dritte Thema, das uns beschäftigt, ist die künstliche Intelligenz. Aktuell arbeiten wir beispielsweise am Einsatz eines Roboters. Der Roboter-Kollege soll bald bei uns angestellt werden, damit der Bürger bei ihm zum Beispiel einen Personalausweis beantragen kann.

Wie wirkt sich die Corona-Krise auf die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung aus, welche Lehren können gezogen werden?

Jens Weiß (Hochschule Harz): Wir haben gemeinsam mit Axians Infoma eine Befragung zum Stand der Digitalisierung in Kommunen durchgeführt, die Ergebnisse werden in Kürze veröffentlicht. In dieser Befragung haben wir auch verschiedene Fragen zur Wirkung der Corona-Pandemie gestellt. Ich würde die Prognose wagen, dass der Wettbewerb um den Innovationspreis 2021 deutlich anders aussieht, denn in der Pandemie-Situation hat sich der Nutzen von Digitalisierungsprojekten gezeigt und viele neue Digitalisierungsmaßnahmen wurden mehr oder weniger erzwungen. Es wurde eine Entwicklung angestoßen, gewisse Dinge nach vorne zu treiben. Das Thema Homeoffice wurde ja schon angesprochen, das war eine riesige Herausforderung. Videokonferenzen sind selbstverständlich geworden, und nach einer Anlaufphase hat man fast überall gemerkt, dass sich die meisten Themen und Probleme auch mit Online-Besprechungen sinnvoll bearbeiten lassen. Gleichzeitig glaube ich – und das deutet sich auch in unserer Befragung an –, dass manche Projekte im Bereich der Digitalisierung deutlich schwieriger geworden sind. Insbesondere wenn es darum geht, Menschen von etwas zu überzeugen, das sie ablehnen, und Veränderungen konstruktiv und konsensual umzusetzen, ist die persönliche Kommunikation eben doch oft unersetzlich.

Oldekamp (Neuenhaus): Wir sind eine kleine Verwaltung und ich bin ganz froh, dass unser Rathaus überwiegend Einzelbüros hat. Das war in Corona-Zeiten ein großer Vorteil, um den Abstand zu wahren und Hygienemaßnahmen einzuhalten. All diese Erfahrungen müssen wir sammeln und aus der Pandemie die richtigen Schlüsse ziehen. Mehr Büroräume brauchen wir im Rathaus jedenfalls nicht. Pläne zur Rathauserweiterung, die es in manchen Kommunen vielleicht gab, werden jetzt sicher erst einmal auf Eis gelegt.

Holger Schmelzeisen (Axians Infoma): Wir haben in Ulm jüngst einen neuen Gebäudetrakt angebaut und die Bürokapazitäten damit deutlich erhöht, was auch dem permanenten Mitarbeiterwachstum geschuldet ist. Allerdings nutzen auch wir momentan die Digitalisierung mehr denn je. Ich habe mein Büro in Limburg und war als Geschäftsführer in diesem Jahr so gut wie gar nicht in Ulm. Über Videokonferenzen funktioniert trotzdem alles reibungslos.

Steffen Schanz (Axians Infoma): Interessanterweise hat Corona bei uns dazu geführt, dass wir anbauen, weil wir mehr Platz brauchen. Termine, die wir sonst vor Ort beim Kunden durchgeführt hätten, finden nun online oder per Telefon statt. Da stört es, wenn man zu zweit oder zu dritt im Büro sitzt. Wir weichen deshalb in Einzelbüros aus und haben nun einen größeren Platzbedarf.

Birgit Ritz (Bergheim): Natürlich hat uns Corona erst einmal alle überrascht. Wir arbeiten seit dem Jahr 2008 zentralisiert. Viele Kommunen, die das nicht tun, hatten Probleme, ihre Mitarbeiter ins Homeoffice zu schicken. Das war in Bergheim definitiv nicht so. Wir verfügen in erster Linie über Doppelbüros, diese konnten wir entzerren und 50 Prozent der Mitarbeiter vom Homeoffice aus arbeiten lassen. Das haben wir im Wechsel durchgeführt. In diesem Zuge haben wir bemerkt, dass es viel mehr Prozesse gibt, die man vollständig digital abbilden kann. In der Wohngeldstelle beispielsweise haben wir festgestellt, dass Publikumsverkehr kaum noch notwendig ist. Wir wollen deshalb weitere Prozesse digital abbilden, um Besuche im Rathaus weiter gering zu halten.

Florian Herpel (Grevenbroich): Ich glaube, dass durch die Pandemie die Digitalisierung stärker als Erleichterung wahrgenommen wird. Jetzt geht es darum, die positiven Erfahrungen in die Zukunft zu übernehmen. Sei es, was die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter angeht, sei es die Kommunikation untereinander, seien es technische Fragen oder welcher Raumbedarf zukünftig besteht. Diese Diskussionen hat die Pandemie nicht nur angestoßen, sondern dramatisch beschleunigt. Nun muss im Hinblick auf Arbeitskultur und -prozesse darauf geachtet werden, dass die Schraube nicht in die andere Richtung überdreht wird und der gegenteilige Effekt eintritt, sondern dass wirklich eine gesunde Mischung gefunden wird, wenn es um das Verhältnis von Homeoffice- zu Präsenzarbeitsplätzen geht.

Monika Stirken-Hohmann (Grevenbroich): Zudem sollten wir unsere organisatorischen Strukturen überdenken und nicht nur irgendetwas digitalisieren, sondern auch die Prozesse genau beleuchten und entsprechend verändern. Dass wir uns neu strukturieren, ist ein ganz wichtiger Punkt. Darunter fällt auch die Frage, ob die hierarchischen Strukturen in der Verwaltung noch zeitgemäß sind.

Der Bund stellt im Rahmen des Corona-Konjunkturpakets rund drei Milliarden Euro Fördermittel für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung bereit. Werden Sie von dem Geld profitieren?

Oldekamp (Neuenhaus): Das glaube ich nicht, da bin ich durch Erfahrungen geprägt. Die Gelder aus Berlin werden meist über die Länder verteilt und bleiben dort hängen. Ich bin Mitglied im Finanz- und Wirtschaftsausschuss des Niedersächsischen Städtetags und wir hatten jüngst eine interessante Diskussion über dieses Thema. Unser Spitzenverband hat das Land Niedersachsen aufgefordert, endlich einen Handlungsplan OZG aufzustellen, wonach auch die Kommunen von den Geldern partizipieren können. Dafür gibt es aber weiterhin keine dezidierte Haushaltsposition. Wir haben also noch einige Kämpfe auszufechten.

Weiß (Hochschule Harz): Ich würde gerne noch auf einen anderen Aspekt eingehen. In unserer Befragung scheint sich eine These zu bestätigen, die ich schon seit einigen Jahren vertrete. Nämlich, dass die Kommunen nicht nur oder nicht primär mehr Geld brauchen, um Software und Hardware zu kaufen. Kommunalverwaltungen brauchen vor allem mehr Beschäftigte, die Digitalisierungsprojekte mitgestalten können. Dazu braucht man Menschen, die gleichzeitig etwas von Verwaltungsorganisation, Recht und IT verstehen. Es gibt in den kommunalen Verwaltungen ohnehin meist zu wenig Personal für IT-Aufgaben. Und um gute Digitalisierungsprojekte umzusetzen, braucht man weitere Kompetenzen, die in der klassischen Verwaltungsausbildung kaum vermittelt wurden, vor allem im Bereich des Prozess-Managements. Aus meiner Sicht liegt da das größte Problem für Digitalisierungsprojekte in Kommunen in den nächsten Jahren.

Schmelzeisen (Axians Infoma): Wir gehen aktuell nicht davon aus, dass ein Geldregen auf uns niedergeht. Dennoch erhoffen wir uns, mit guten Software-Produkten einen entsprechenden Nutzen bei den Kunden und den Verwaltungen zu entfalten. Wir wünschen uns, dass unsere Produkte noch weiter in die Fläche kommen und es bei über 1.200 Kunden, die wir im kommunalen Bereich haben, dann auch jede Menge Nachahmer gibt.

Schanz (Axians Infoma): Der Nutzenaspekt steht definitiv im Vordergrund. Wir haben festgestellt, dass sich die Motivation, etwas Neues einzuführen, geändert hat. Wurde früher vielleicht nur aufgrund des Drucks durch ein Gesetz etwas angestoßen, gibt es heute doch viel Eigeninitiative. Um einen Blick vo­raus zu werfen: Wir werden im zweiten Quartal 2021 unsere Modern Clients ausliefern. Sie ermöglichen es, dass die Mitarbeiter jederzeit von jedem Ort aus arbeiten können, egal welches Gerät sie dabei nutzen.

Schmelzeisen: Unabhängig von Fördermitteln bin ich zuversichtlich, dass die Digitalisierung der Kommunalverwaltungen vorankommt. Unsere Erfahrung ist: Wenn aus Eigenmotivation ein Projekt gestartet wurde, folgen weitere Vorhaben. Der Appetit kommt also beim Essen.

Moderation: Alexander Schaeff; Dokumentation: Corinna Heinicke

Am virtuellen Round Table saßen:, Günter Oldekamp, Bürgermeister der Samtgemeinde Neuenhaus; Michael Wübben, Kassenverwalter der Samtgemeinde Neuenhaus; Jacqueline Ewert, in der Samtgemein- de Neuenhaus zuständig für Finanzen, Kasse und Controlling; Birgit Ritz, Abteilungsleiterin Organisation und IT und Stabsstelle BM-digital Kreisstadt Bergheim; Carina Steinert, Organisation und IT und Stabsstelle BM-digital Kreisstadt Bergheim; Monika Stirken-Hohmann, Stadtbetriebe Grevenbroich AöR, Kaufmännische Vorständin; Florian Herpel, Stadtbetriebe Grevenbroich AöR, Technischer Vorstand; Dr. Jens Weiß, Professor für Verwaltungswissenschaften an der Hochschule Harz; Holger Schmelzeisen, Geschäftsführer Axians Infoma; Steffen Schanz, Prokurist Axians Infoma.



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