InterviewGefahren für die Demokratie
Herr Oberbürgermeister Salomo, nicht erst mit der neuen Bundesregierung steht die Digitalisierung ganz oben auf der Agenda. Wie ist in Heidenheim an der Brenz der Stand der Dinge bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG)?
Heidenheim war schon immer ein Vorreiter und wir sind auf vielen Plattformen vertreten, von Facebook über Instagram bis Tiktok. Wir wollen damit die jungen Menschen erreichen und sie darüber informieren, was in der Stadtpolitik gerade geschieht. Die Digitalisierung hat ja viele Aspekte: In den Schulen wird digitalisiert und auch die Verwaltungsprozesse werden peu à peu umgestellt. Bei uns können Baugenehmigungen bereits online beantragt werden. Dennoch bedeutet Digitalisierung eine große Herausforderung, auch für die Belegschaft. Es müssen nämlich die gesamten Arbeitsprozesse umgestellt werden – und dies geschieht zu einem Zeitpunkt, an dem vielerorts auch die Infrastruktur erneuert wird. Denn zahlreiche Rathäuser aus den 1950er- und 1960er-Jahren werden gerade saniert. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen also nicht nur veränderten Arbeitsprozessen gegenüber, sondern sind auch noch erschwerten Arbeitsbedingungen ausgesetzt.
Wie sieht es im Bereich Smart City in Heidenheim aus?
Wir haben zusammen mit der Stadt Aalen vom Bund 17,5 Millionen Euro für Smart-City-Projekte erhalten. In einem ersten Schritt haben wir zunächst die Grundlagen erarbeitet, um entscheiden zu können, was wir umsetzen wollen. Dabei haben wir auch auf Bürgerbeteiligung und Kooperation mit der Wirtschaft gesetzt. Welche Sensorik kann in der Stadt helfen, gewisse Abläufe zu verbessern – den Verkehrsfluss, die Anlieferung in der Fußgängerzone oder digitale Behördengänge? Dafür jedoch ist die digitale Erreichbarkeit entscheidend. Wenn alle fünf Meter die Internet-Verbindung abbricht, funktioniert Smart City nicht.
Steht Ihnen für die Umsetzung der Projekte auch mehr Personal zur Verfügung?
Wir haben eine zusätzliche Stelle geschaffen, die wir ebenfalls über Fördermittel finanzieren, eine weitere soll folgen. Doch bei Fördermitteln handelt es sich immer nur um eine Anschubfinanzierung. Das, was wir damit an Infrastrukturen aufbauen, geht im Regelbetrieb an die Kommune über. Wenn wir jetzt eine komplette Sensorik aufbauen, um intelligente Verkehrssteuerung betreiben zu können, dann lässt sich das zwar über Fördermittel realisieren, aber irgendwann stehen die Kosten im eigenen Haushalt. Wir Kommunen werden vom Bund regelmäßig angefüttert und dann im Regen stehen gelassen. Für die Digitalisierung an Schulen haben Bund und Land viele Millionen Euro für den Kauf von Tablets zur Verfügung gestellt. Doch was ist mit der Ersatzbeschaffung, was ist mit der Integration der Geräte und deren Wartung? Der Bund stellt gerne Geld zur Verfügung, um die Dinge in eine bestimmte Richtung zu lenken. Bei den Folgekosten sind wir Kommunen dann aber davon abhängig, ob sie von Bund oder Land übernommen werden, sonst geht das komplett zu unseren Lasten.
„Wir Kommunen werden vom Bund regelmäßig angefüttert und dann im Regen stehen gelassen.“
Fördermittel sind ja vorrangig dazu da, um Anreize zu schaffen.
Natürlich sind Fördermittel attraktiv, aber auch zwiespältig. Ein Beispiel: Sie bauen einen Bahnhof für 120 Millionen Euro und erhalten dafür 30 Prozent Fördermittel. Gleichzeitig können sie aber die Schultoiletten nicht sanieren, weil es da keine Fördermittel gibt und die Stadt es sich nicht leisten kann. Das verstehen die Bürgerinnen und Bürger oft nicht mehr. Es heißt dann: Für den Bahnhof haben sie Geld, aber für grundsätzliche Aufgaben nicht. So entsteht Misstrauen. Problematisch ist auch der Eindruck, dass Berlin oder Stuttgart besser wüssten, was in einer Kommune gerade wichtig ist. Nicht ohne Grund sind wir in Baden-Württemberg und Bayern so wirtschaftsstark. Das liegt daran, dass wir kleingliedrige Verwaltungen haben, deshalb sehr nah an den Bürgerinnen und Bürgern sind und auf ihre Anliegen und die der Wirtschaft gut reagieren können.
Könnten nicht die Digitalisierung und Automatisierung von Verwaltungsprozessen dabei helfen, Kosten zu sparen?
Viele Angelegenheiten lassen sich gar nicht automatisieren. Wer soll denn im Katastrophenfall reagieren, wer meistert die Asylherausforderung, wer die Corona-Pandemie? Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker genießen das höchste Ansehen in der Politik. Das rührt daher, dass wir einen engeren Kontakt zur Bürgerschaft haben. Wenn wir jetzt alles digital machen und uns abgrenzen, besteht die Gefahr eines Vertrauensverlusts in die Institutionen. Darüber hinaus bedeutet Digitalisierung immer auch mehr Endgeräte, die bedient und gewartet werden müssen. Mir ist kein Prozess bekannt, wo ich zum Schluss gesagt hätte, hier konnte eine Stelle eingespart werden.
Wie sieht es beim Thema Klimaschutz aus, der Kommunen in Zukunft stark beschäftigen wird?
Aus meiner Sicht müsste es beim Klimaschutz etwas ganzheitlicher zugehen. Wenn am Freitag die Kinder bei Fridays for Future auf die Straße gehen und am Samstag die Eltern, weil sie das Windrad nicht vor der Haustür stehen haben wollen, ist das schon ziemlich paradox. Das Bewusstsein dafür, dass Energie erzeugt werden muss, ist nicht immer genügend ausgeprägt. Gleichzeitig wollen nur Wenige beim Verbrauch verzichten. Dabei gäbe es schon andere Hebel: So könnte der Bund beispielsweise eine dezentrale Lösung anregen. Je nachdem, wie viel Energie eine Stadt oder Gemeinde verbraucht, wird ihr auferlegt, die Erzeugung autonom zu regeln. Den Kommunen bliebe beispielsweise Zeit bis zum Jahr 2035, um über ihre Stadtwerke zu klären, wie viel Energie verbraucht wird. Dieselbe Menge an grünem Strom müssten sie dann selbst erzeugen. Die augenblickliche Diskussion um Windräder in der Nordsee und dicke Stromtrassen in den Süden folgt dem Sankt-Florians-Prinzip und niemand fühlt sich verantwortlich.
Wieder ein Plädoyer für eine Zuständigkeit vor Ort?
In der wachsenden Allzuständigkeit des Bundes durch seine Fördermittelpolitik sehe ich eine Riesengefahr für unsere Demokratie. Was glauben Sie, wie Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern vor Ort die Hölle heiß gemacht wird, wenn im Fernsehen gesagt wird, dass 500 Millionen Euro Fördermittel für die Schulsanierung nicht abgeflossen sind? Aber bei uns regnet es durch das Schuldach. Oft sind die Hürden einer Bundesförderung aber schlicht zu hoch, um in der Praxis Anwendung finden zu können. Und wenn wir dann eine Bundesförderung für eine Schulsanierung erhalten, steht ein Bundestagsabgeordneter mit auf dem Foto zum Förderbescheid. Dabei lautet die Frage doch: Sind Schulsanierungen Bundesangelegenheit oder eine kommunale Aufgabe? Es wird viel zu sehr der Eindruck erweckt, es gäbe nur noch den Bund. Das halte ich für gefährlich und sogar demokratieschädlich. Ich wünsche mir deutlich mehr Autonomie und mehr Finanzmittel, um vor Ort das umsetzen zu können, wofür wir eigentlich da sind.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Februar 2022 von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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