Dienstag, 19. November 2024

EuropaDie Digitale Dekade

[18.08.2022] Die Welt rückt zusammen: Mit ihrer Digitalstrategie „Europas digitale Dekade“ zielt die EU darauf ab, die Freizügigkeit durch digitale Verwaltungsleistungen zu realisieren. Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, ist aber noch einiges zu tun.
Die EU-Kommission verfolgt eine ambitionierte Digitalstrategie.

Die EU-Kommission verfolgt eine ambitionierte Digitalstrategie.

(Bildquelle: Grecaud Paul/stock.adobe.com)

Auf der Klaviatur des Föderalismus rangieren Europa und Kommunen an entgegengesetzten Enden. In Kommunen ist häufig die Ansicht verbreitet, einen denkbar großen Abstand zur Europäischen Union und ihren Institutionen einzunehmen. Tatsächlich jedoch gibt die EU-Kommission in vielen Bereichen längst den Takt vor, so auch bei Digitalisierung und E-Government. Das Ziel, eine Harmonisierung zwischen den Mitgliedsländern zu erreichen und den Bürgerinnen und Bürgern der EU die vier Grundfreiheiten (Waren, Personen, Dienstleistungen, Kapital) zu gewährleisten, bringt vielfältige gesetzgeberische Aktivitäten mit sich, welche die digitale Organisation des europäischen Binnenmarkts betreffen. Mit diesem verbindet sich das Versprechen nach Wachstum, Innovation und Arbeitsplätzen.
Die aktuellen Maßnahmen der EU-Kommission sind im März 2021 in einer Digitalstrategie mit dem Titel „Europas digitale Dekade“ vorgestellt worden und sollen bis 2030 gelten. Sie umfassen die digitale Gesellschaft, digitale Technologien und Infrastrukturen, die Digitalwirtschaft sowie Politik und internationale Kooperationen. Auch elektronische Behördendienste sind inbegriffen, denn sie erst ermöglichen den grenzübergreifenden Informationsaustausch und die Handlungsfähigkeit zwischen Behörden, Unternehmen und Bürgern. So wie sich Menschen im gesamten EU-Raum frei bewegen und arbeiten können, dürfen Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit in allen EU-Ländern frei ausüben. Von der Auftragsvergabe über Rechnungsstellung und Zahlungsdienste bis hin zu Sozialversicherungsdaten und Zoll sind viele unternehmerische Transaktionen gesetzgeberisch geregelt und elektronisch durchführbar.

Einheitliches digitales Zugangstor

Eine der weitreichendsten Brüsseler Vorgaben für Verwaltungen aller föderalen Ebenen in den EU-Ländern ist die Verordnung 2018/1724 zum Single Digital Gateway (SDG). Sie wurde im Jahr 2018 verabschiedet und zielt auf die Errichtung eines einheitlichen digitalen Zugangstors für Unternehmen und Bürger ab. Damit verpflichtet die EU die öffentlichen Verwaltungen dazu, die Verwaltungsdigitalisierung im eigenen Land voranzutreiben und nutzer­orientiert umzusetzen. In Deutschland sind vor allem das Online­zugangsgesetz (OZG) und das Projekt Registermodernisierung mit der Umsetzung dieser EU-Verordnung befasst. Erste Meilen­steine wurde bereits erreicht.
Der Fahrplan der SDG-Verordnung sieht vor, dass die Mitgliedsländer Informationen über Verwaltungsleistungen und so genannte Unterstützungsdienste, mit denen Bürgern und Unternehmen bei der Wahrnehmung ihrer Rechte am europäischen Binnenmarkt geholfen wird, veröffentlichen. Hierfür steht das zentrale Europa-Portal „Your Europe“ bereit, das mit den Portalen der Mitgliedsstaaten verlinkt wird. In Deutschland ist 2021 eine Verknüpfung mit dem Verwaltungsportal des Bundes realisiert worden. Bislang wurden 23.000 auf FIM-Bausteinen basierende Informationsseiten sowie Metadaten an das Europa-Portal übermittelt.

Es hapert an den nötigen technischen Infrastrukturen

Für 2022 und 2023 steht die Integration von für den Single Digital Gateway relevanten Online-Diensten an. Zudem müssen Kommunen bis Ende 2022 Aufschluss geben über den Stand der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen. Bislang ist lediglich das Online-Verfahren BAföG-Digital direkt an das Europa-­Portal angeschlossen. Bis Ende 2023 sollen 21 der wichtigsten Verwaltungsverfahren aus den Lebensbereichen Geburt, Wohnsitz, Studium, Arbeit, Umzug, Ruhestand und Unternehmensgründung folgen und in allen Mitgliedsstaaten vollständig digital, grenzüberschreitend und medienbruchfrei abgerufen werden können. Darunter die Registrierung eines Kraftfahrzeugs, die Beantragung einer Europäischen Krankenversicherungskarte oder die Anmeldung von Pensionsansprüchen. Unternehmen sollen beispielsweise eine Geschäftstätigkeit anmelden, Beschäftigte registrieren und Körperschaftssteuern erklären können.
Ob dieses sportliche Ziel gelingt, ist ungewiss. Selbst im digitalen Österreich ist man von dieser He­rausforderung nicht positiv überzeugt. Längst nicht überall liegen die technischen Infrastrukturen vor, die den transeuropäischen Informationsaustausch ermöglichen. Zudem soll es dem Willen der EU-Kommission zufolge Bürgern und Unternehmen abgenommen werden, ihre Daten wiederholt eingeben zu müssen, um Verwaltungsdienste zu beanspruchen. Hierfür steht das Once-Only-Technical-System (OOTS) der EU zu Verfügung. In Deutschland hängt Once Only an der Modernisierung der verschiedenen Register, für deren Umsetzung noch rechtliche Schritte und technische Anpassungen erforderlich sind. Datensätze müssen homogenisiert, ihre automatische Abfrage und Weitergabe legitimiert werden. „Priorisierte Register“ sollen bei uns bis Ende 2025 in Angriff genommen werden. Insofern erscheint das Jahr 2030, das die EU als Zielpunkt ihrer Digitalstrategie etwa auch für die Nutzung elektronischer Ausweise vorgesehen hat, realistischer.

Bei der eID hat Deutschland die Nase vorn

Bei der elektronischen Identität hat Deutschland ausnahmsweise die Nase vorn. Seit 2010 ist die eID in unseren Personalausweisen integriert und nun auch verpflichtend freigeschaltet. Gegenwärtig wird in Brüssel eine Revision der eIDAS-Verordnung von 2014 vorbereitet, die weitere digitale Identitäten berücksichtigt. Geburtsurkunden, Meisterbrief, Doktortitel oder Segelschein sollen in einer einheitlichen Digital Identity Wallet gesammelt werden können. Auch das Nutzerkonto Bund entspricht bereits den europäischen Vorgaben. Um digitale Verwaltungsdienste zu beanspruchen, müssen Bürgerinnen und Bürger ein eigenes Nutzerkonto anlegen, mit dem sie sich in einem Verwaltungsportal identifizieren. Hier hat sich das seit 2019 bereitgestellte Nutzerkonto des Bundes, das schon von 100.000 Menschen genutzt wird, als Servicekonto etablieren können. Mit der BundID sollen einmal auch europäische Verwaltungsdienste in Anspruch genommen werden können.
Digitalisierung ist Vernetzung. So wie sich Menschen am heimischen Computer mit ihrem Bürgeramt vernetzen, um einen Anwohnerparkausweis zu beantragen, sollen sie künftig auch innerhalb der EU die digitalen Dienste nutzen können – eine sicherlich große Erleichterung auf dem Arbeitssektor und für Unternehmen. Mit ihrer „Digitalen Dekade“ will die EU den Abstand zwischen Bürgern und Institutionen verkleinern. Es soll keine Rolle mehr spielen, auf welcher föderalen Ebene man sich bewegt, um einen Verwaltungsvorgang zu erledigen. Mit den digitalen Impulsen rücken Europa und Kommunen näher aneinander.

Helmut Merschmann




Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Politik
Porträtfoto von Dr. Denis Alt.
interview

Rheinland-Pfalz: Erfolg durch Kooperation

[18.11.2024] Der digitale Wandel dient den Menschen, sagt Staatssekretär Denis Alt. Im Interview mit Kommune21 spricht der neue rheinland-pfälzische CIO und CDO über die Umsetzung der Digitalstrategie des Landes. mehr...

Melitta Kühnlein

Potsdam: Fachbereichsleiterin für E-Government bestätigt

[12.11.2024] Potsdams Stadtverordnete haben Melitta Kühnlein als neue Leiterin des Fachbereichs E-Government bestätigt. Kühnlein ist seit Anfang 2021 in leitender Funktion im IT-Bereich der Stadtverwaltung tätig. mehr...

Baden-Württemberg: Änderung der Gemeindeordnung verabschiedet

[11.11.2024] Der Landtag von Baden-Württemberg hat jetzt eine Änderung der Gemeindeordnung verabschiedet, die Kommunen in administrativen Abläufen entlastet und die finanzielle Berichterstattung vereinfacht. mehr...

Blick vom See auf das neue Rathaus Hannover, HMTG

Hannover: Fonds für digitalen Fortschritt

[30.10.2024] Hannover setzt mit einem 48-Millionen-Euro-Digitalisierungsfonds auf die umfassende Modernisierung seiner Verwaltungsprozesse. Ziel ist ein digitales Rathaus, das Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen effiziente, benutzerfreundliche Services bietet. Die IT-Strategie umfasst dazu digitale Souveränität und Kosteneffizienz. mehr...

Digitalisierung: Dresdner Forderungen 2.0

[22.10.2024] Die Fachgruppe Verwaltungsinformatik der Gesellschaft für Informatik hat 20 Thesen zum digitalen Wandel formuliert. Die Forderungen zielen darauf ab, die Verwaltung effizienter, zukunftssicherer und bürgerfreundlicher zu machen. mehr...

bericht

Liechtenstein: Mit Pragmatismus und Agilität

[14.10.2024] Liechtenstein hat auf dem Weg zum Smart Country bereits eine beeindruckende Entwicklung zurückgelegt. Das ist nicht zuletzt vielen mutigen Entscheidungen und einer gehörigen Portion Pragmatismus geschuldet. mehr...

Holger Klötzner, Dezernent für Digitalisierung und Bildung der Stadt Darmstadt; Maral Koohestanian, Leiterin des Dezernats für Smart City, Europa und Ordnung der Stadt Wiesbaden; Eileen O’Sullivan, Dezernentin für Bürger:innen, Digitales und Internationales der Stadt Frankfurt am Main
interview

Smartes Rhein Main 2030: Gemeinsame Vision

[02.10.2024] Eine gemeinsame Vision für ein smartes Rhein-Main-Gebiet haben die Städte Frankfurt am Main, Wiesbaden und Darmstadt erarbeitet. Im Interview erklären die CIOs Eileen O’Sullivan, Maral Koohestanian und Holger Klötzner, was konkret geplant ist. mehr...

Landrat Achim Brötel ist neuer Präsident des Deutschen Landkreistages.

Deutscher Landkreistag: Achim Brötel ist neuer Präsident

[11.09.2024] Der Deutsche Landkreistag (DLT) hat einen neuen Präsidenten gewählt: Achim Brötel, Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises, tritt die Nachfolge von Reinhard Sager an, der das Amt zuvor zehn Jahre lang innehatte. mehr...

Charta Digitale Ethik setzt die Rahmenbedingungen für den Einsatz digitaler Technologien in der Essener Stadtverwaltung.

Essen: Charta Digitale Ethik verabschiedet

[04.09.2024] In ihrer Charta Digitale Ethik hat die Stadt Essen die Rahmenbedingungen für den Einsatz digitaler Technologien in der Stadtverwaltung festgelegt. Das soll insbesondere für einen ethisch verantwortungsvollen Umgang mit Künstlicher Intelligenz sorgen. mehr...

Scheckübergabe an die Gewinner des Wettbewerbs um den Ulmer Lederhof.

Ulm: Innovationsmotor gestartet

[23.08.2024] Um ihre Digitale Agenda mit kreativen Köpfen aus der Region umzusetzen, hat die Stadt Ulm den Innovationsmotor gestartet – einen Ideenwettbewerb insbesondere für junge Unternehmen. Runde eins hat der digitale Begleiter für Angsträume gewonnen. mehr...

Markt Postbauer-Heng: Digitalisierung ist kein Privileg der Metropolen

[08.08.2024] Auch kleine Kommunen sind in der Lage, bürgernahe digitale Lösungen zu implementieren, wie das Beispiel des Marktes Postbauer-Heng zeigt. Um die Entstehung digitaler Insellösungen zu vermeiden, wurde die Zukunftskommission #Digitales Bayern 5.0 ins Leben gerufen. mehr...

Kick-off zur Digitalisierungsstrategie der Stadt Petershagen
.

Petershagen: Mit OWL-IT in die digitale Zukunft

[02.08.2024] Gemeinsam mit dem IT-Dienstleister OWL-IT hat die Stadt Petershagen nun den Startschuss für die Erarbeitung einer umfassenden Digitalstrategie gegeben. mehr...

In Bayern soll nach dem Willen von Digitalminister Fabian Mehring der „Digitalisierungsturbo“ gezündet werden.

Bayern: Land unterstützt Digitalisierung der Kommunen

[16.07.2024] Bayerns Digitalminister sieht die konsequente Digitalisierung der Verwaltung als wichtige Möglichkeit, um den künftigen Ruhestand der Babyboomer-Generation und den dadurch entstehenden Fachkräftemangel zu kompensieren. Es gelte, die Potenziale von Standardisierung, Zentralisierung und KI zu nutzen. mehr...

Essen-CDO Peter Adelskamp

Interview: Wir brauchen eine Dachmarke

[15.07.2024] Peter Adelskamp ist Chief Digital Officer (CDO) in Essen und dort zugleich Fachbereichsleiter Digitale Verwaltung. Im Gespräch mit Kommune21 berichtet er von seiner Arbeit in Essen und dem dortigen Stand der Digitalisierung. mehr...

Laut dem jüngsten eGovernment-Benchmark-Report haben die europäischen Staaten bei der Bereitstellung digitaler Behördendienste stetige Fortschritte gemacht.

eGovernment Benchmark 2024: Nutzerzentrierung ist der Schlüssel

[08.07.2024] Laut dem jüngsten eGovernment-Benchmark-Report der Europäischen Kommission haben die europäischen Staaten bei der Bereitstellung digitaler Behördendienste stetige Fortschritte gemacht. Raum für Optimierungen gibt es insbesondere bei grenzüberschreitenden Diensten und bei Dienstleistungen, die von regionalen und kommunalen Behörden erbracht werden. mehr...