Montag, 25. November 2024

Digitale RatsarbeitGekommen, um zu bleiben

[06.04.2023] Die hybride und digitale Gremienarbeit erleichtert nicht nur die Verbindung von Beruf, Familie und ehrenamtlichem Engagement, sie bietet auch viele weitere Vorteile. Zunächst sind aber die entsprechenden rechtlichen und technischen Voraussetzungen zu schaffen.
Ratsarbeit: Präsenzsitzungen verlieren an Bedeutung.

Ratsarbeit: Präsenzsitzungen verlieren an Bedeutung.

(Bildquelle: redaktion93/stock.adobe.com)

Schenken wir den Grußworten von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern Glauben, sind die Digitalisierungsprozesse in unseren Kommunen erfolgreich aufgesetzt. Sicher ist: Für die digitale Ratsarbeit gilt das nicht. In Städten, Gemeinden und Landkreisen ist große Zurückhaltung zu spüren. Aber die digitalen und hybriden Arbeitsformen kommunaler Gremien sind gekommen, um zu bleiben. Die Corona-Pandemie hat zu grundlegenden Veränderungen geführt. Fehlende Präsenzmöglichkeiten veranlassten die Landesgesetzgeber, kommunale Selbstverwaltung durch die Zulassung alternativer Sitzungsformen sicherzustellen. Und in den Kommunen wurde sodann bewiesen, dass die neuen Formen digitaler Entscheidungsfindung technisch möglich sind und zudem Effizienz und Attraktivität ehrenamtlicher Arbeit erhöhen. Daraus ist vielerorts der Wunsch entstanden, hybride Gremienarbeit auch in der Post-Covid-19-Zeit dauerhaft zu implementieren.
Die Kombination von ehrenamtlicher Ratsarbeit, Familie, Beruf und anderen ehrenamtlichen Tätigkeiten wird durch digitale Ratsarbeit nicht nur erleichtert, sondern an vielen Stellen überhaupt erst möglich. Wegezeiten entfallen, häufigere Teilnahmemöglichkeiten werden geschaffen. Ferner ist positiv zu vermerken, dass im Rahmen von hybriden Sitzungen konzentrierter und fokussierter gearbeitet wird. Die Effizienz der Sitzungen wird gesteigert. Entscheidungen können gründlicher vorbereitet werden. Auf den Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz durch wegfallende Fahrten und weniger Papier darf ebenfalls hingewiesen werden. Auch sparen die Kommunen insbesondere durch wegfallende Fahrtkosten im Ergebnis Geld. Des Weiteren steigert die digitale und hybride kommunale Gremienarbeit in Verbindung mit Live-Streaming nicht nur die Attraktivität des Ehrenamts, sondern ist aufgrund des veränderten Informations- und Kommunikationsverhaltens der Bevölkerung zur Herstellung der Öffentlichkeit auch geboten.

Rechtssicherheit gewährleisten und Verhaltenskodex festlegen

Bei allen Notwendigkeiten und Möglichkeiten der Implementierung hybrider und digitaler Ratsarbeit muss allerdings stets die Rechtssicherheit der Beschlüsse gegeben sein. Ordnungsgemäße Ladung, Formen, Fristen, Mitwirkungsverbot, Öffentlichkeitsgebot und die ordnungsgemäße Abstimmung sind einzuhalten. Notwendige Bedingung für die Durchführung einer Gremiensitzung in Teilpräsenz ist zunächst, dass der zuständige Landesgesetzgeber – unabhängig einer Pandemie oder vergleichbaren außergewöhnlichen Notsituation – den rechtlichen Rahmen hierfür schafft. Die Regelungen in den Ländern sind aktuell sehr heterogen. Die Kommunen haben allerdings, unabhängig von der in den Kommunalverfassungsgesetzen und Gemeindeordnungen normierten Gremienarbeit, alleinige Regelungskompetenzen für digitale Ratsarbeit in informellen Gremien.
Regelungen zur Zulässigkeit der hybriden Rats- und Ausschusssitzungen sind im Rahmen der Landesgesetze zunächst in den Hauptsatzungen der Kommunen zu verankern. Weitere Regelungen in der Hauptsatzung oder Geschäftsordnung sind insbesondere zur Sicherstellung der Geheimhaltung, des Mitwirkungsverbots und zur Zuordnung von Verantwortlichkeiten (Sphären) bei technischen Störungen zu treffen. Zur Sicherstellung des Öffentlichkeitsgebots müssen digital teilnehmende Ratsmitglieder die Kamera immer angeschaltet lassen. Deshalb sollte die Geschäftsordnung des Rates einen Verhaltenskodex für die digital Teilnehmenden implementieren. Es gilt zu konkretisieren, welche Endgeräte eingesetzt, welche Orte für die Zuschaltung zulässig und welche weiteren Regeln zu beachten sind. Zugespitzt muss die Frage beantwortet werden, ob die Zigarette und das Weinglas neben den Sitzungsunterlagen, die Katze auf dem Schoß, der Sandstrand am Atlantik oder das Bordrestaurant im ICE einer Ratssitzung gerecht werden (können). Die Praxis zeigt, dass Nebengeräusche der zugeschalteten Ratsmitglieder einen erheblichen Störfaktor darstellen können.

Personal im Umgang mit der Technik schulen

Kommunale Pflichten bestehen darüber hinaus für die Beschaffung von Hard- und Software. Die notwendige Infrastruktur für die Ausstattung der Sitzungsräume kann beziehungsweise muss mobil sein und darf auch an externe Anbieter vergeben werden. Für die digitalen Teilnehmer ist ein mobiles Endgerät erforderlich, das mindestens mit Kamera und Mikrofon ausgestattet ist. Dieses muss aber nicht gezwungenermaßen von der Kommune bereitgestellt werden. Notwendige Übertragungsgeschwindigkeiten sind zu gewährleisten; temporäre Lösungen sind denkbar. Für die Durchführung digitaler Ratssitzungen ist zudem zusätzliches Personal notwendig, insbesondere für die Bereiche IT-Service, Unterstützung der Sitzungsleitung, die Moderation der Sitzung in Ergänzung der Sitzungsleitung und für die Regie bei Nutzung mehrerer Kameras. Geboten sind auch Schulungen und Qualifikationen, etwa zur unfallfreien Nutzung der eingesetzten Software, das Verhalten bei digitaler Zuschaltung sowie zu Präsentationstechniken.
Die digitale Gremienarbeit und die Übertragung von Sitzungen in das Internet berühren Rechte von Ratsmitgliedern, aber auch von Verwaltungsmitarbeitern, sachkundigen Einwohnern und Gästen sowie der teilnehmenden Öffentlichkeit. Betroffen sind insbesondere Persönlichkeitsrechte, Datenschutzthemen und das freie Mandat. Diese Rechte sind gesondert zu berücksichtigen und gegebenenfalls Zustimmungserklärungen der Betroffenen einzuholen. Das gilt auch für die Teilnehmenden in Präsenz.

Hybrides Arbeiten kommunaler Gremien wird zum Must-have

Fest steht: Die tradierte Präsenzsitzung wird weiter an Bedeutung verlieren, der hybriden und digitalen Gremienarbeit gehört die Zukunft. Neben den Kommunen sind dabei die Landesgesetzgeber in der Pflicht. Es darf nicht von kommunalen Mehrheitsentscheidungen abhängig sein, ob hybride und digitale Formate angeboten werden dürfen. Der überfällige Generationenwechsel in den kommunalen Vertretungen, insbesondere die Einbeziehung jüngerer Frauen in der Rushhour des Lebens in die Ratsarbeit, zwingt dazu, die Vorteile der Digitalisierung zu nutzen. Digitale Ratsarbeit und hybride Arbeitsformen in kommunalen Gremien sind heutzutage eben nicht nur „Nice to have“, sondern ein Must-have.

Dr. Oliver Junk war von 2011 bis 2021 Oberbürgermeister der Stadt Goslar und ist seit 2022 Professor im Fachbereich Verwaltungswissenschaften an der Hochschule Harz.


Stichwörter: RIS | Sitzungsmanagement,


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