Freitag, 27. Dezember 2024

InterviewEher Marathon als Sprint

[11.07.2023] Annabelle Brandes, Beigeordnete für Digitalisierung der Stadt Essen, spricht im Interview über ihren neuen Geschäftsbereich, die öffentliche Hand als Arbeitgeberin, Stolpersteine der Verwaltungsmodernisierung sowie ihre Motivation im Alltag.
Annabelle Brandes

Annabelle Brandes, Beigeordnete für Digitalisierung der Stadt Essen

(Bildquelle: Moritz Leick, Stadt Essen)

Frau Brandes, die Stadt Essen hat den Geschäftsbereich für Personal, Allgemeine Verwaltung und Digitalisierung neu geschaffen und Sie zu dessen Vorsitzender berufen (wir berichteten). Was waren die Gründe für die Neuausrichtung?

Die Arbeitswelt befindet sich im Umbruch. Die Arbeitgeber müssen umdenken, um in Zeiten des demografischen Wandels sowie des Fachkräftemangels noch ausreichend qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen und diese auch zu binden. Denn der so genannte War for Talents, also das Buhlen um die besten Leute, hat längst begonnen. Ebenso haben die Anforderungen und die Komplexität in Bezug auf die Digitalisierung in der Verwaltung zugenommen. Auch hier müssen wir am Ball bleiben und unsere Prozesse entsprechend überprüfen und ausrichten. Das Ganze ist aber kein Sprint, sondern eher ein Marathon und wir stehen erst am Start. Das hat die Stadtverwaltung Essen erkannt und den Themen durch die Herausstellung und Zusammenlegung in einem eigenen Geschäftsbereich die entsprechende Bedeutung zugemessen.

Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?

Ich wünsche mir, dass der öffentliche Dienst zum Vorreiter einer modernen, an den Bedürfnissen der Menschen orientierten digitalen Arbeitswelt wird. Nach meiner Vorstellung sind Stadtverwaltungen demnach fortschrittliche und agile Dienstleisterinnen, die flexibel auf neue Bedarfe reagieren. Sie sind geprägt durch die effiziente Vernetzung der Fachbereiche über Organisationsgrenzen hinweg, mehr Beteiligung und frühzeitige Einbindung relevanter Akteure, zielführende Arbeitsstrukturen, neue Räume für Zusammenarbeit, schnelle Zielanpassung und Ressourcensteuerung sowie hochqualifiziertes und -motiviertes Personal. Die Stadt von morgen ist attraktive Arbeitgeberin, technisch und methodisch am Puls der Zeit, baut auf effiziente interne Organisationsstrukturen und begeistert mit zukunftsfähigen Arbeitsbedingungen Beschäftigte langfristig für die Verwaltung. Sie ist zudem der Fels in der Brandung in puncto Daseinsvorsorge für Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen. Dazu braucht sie resiliente Binnenstrukturen. Um die skizzierte Vorstellung für die Stadtverwaltung Essen umzusetzen, wird es also Zeit, einen großen Schritt in Richtung Zukunft zu machen. Dafür brenne ich und werde täglich, im Rahmen meines Einflussbereiches, alles geben.

Wie ist die Stadt Essen im Bereich Digitalisierung aufgestellt? Wo sehen Sie noch Verbesserungspotenziale?

Um die richtigen Schwerpunkte im Bereich der Digitalisierung zu setzen, haben wir eine Digitalstrategie aufgesetzt, die im Februar 2023 einstimmig im Stadtrat verabschiedet wurde. Darin beschreiben wir fünf Handlungsfelder, die uns bei der Digitalisierung besonders wichtig sind und die wir mit Prio­rität angehen; so unter anderem ein nutzungsfreundlicher digitaler Verwaltungsservice für Bürgerinnen, Bürger, Unternehmen und Mitarbeitende, der Anspruch, eine moderne und attraktive Arbeitgeberin mit zeitgemäßen Arbeitsbedingungen zu sein, sowie ein offenes, datenbasiertes und transparentes Verwaltungshandeln. Hinsichtlich der Geschwindigkeit bei der Umsetzung von digitalen Leistungen und Angeboten können wir uns noch verbessern.

Welches sind die größten Stolpersteine, welche die Verwaltungsmodernisierung behindern?

Lange Zeit wurden die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger im Rahmen einer Vorsprache bei einem Amt erledigt. Entsprechend hat sich auch die Verwaltung organisiert. Durch die zunehmende Digitalisierung, die Aufgabenteilung, die Nutzung vor- und nachgelagerter Prozesse und Schwerpunktthemen wie Nachhaltigkeit und Nutzerzentrierung entwickeln wir uns immer stärker zu einer Netzwerkkommune. Die Verbindungen innerhalb der Verwaltung und nach außen nehmen zu. Unsere Geschäftsprozesse verändern sich und mit ihnen die Art, wie wir arbeiten. Das OZG hat schon einiges bewegt; es hatte seinen Fokus jedoch auf elektronischen Anträgen, nicht auf digitalen Prozessen. Ich setze mich in den Gremien, in denen ich die Stadt Essen vertrete, dafür ein, dass digitale Prozesse Ende-zu-Ende umgesetzt werden – ohne Medienbrüche; und auch dafür, dass Aufgaben kritisch hinterfragt werden.

„Es wird Zeit, einen großen Schritt in Richtung Zukunft zu machen.“
Wie könnte der Bund die Kommunen entlasten?

Die Konzentration auf unsere Kernkompetenz fiele leichter, wenn uns der Bund die Werkzeuge für die Aufgaben geben würde, die er uns übertragen hat, zum Beispiel bei der Fahrzeugzulassung. Das müssen beziehungsweise sollten die rund 400 Zulassungsstellen in Deutschland nicht immer wieder neu für sich erfinden und Software beschaffen. Gleiches gilt für das Thema Datenschutz: Wenn eine Einer-für-Alle-Leistung bereitgestellt wird, prüfen alle nachnutzenden Kommunen für sich noch einmal, ob dem Datenschutz Genüge getan wurde und kommen dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen. Wir prüfen die gleichen Sachverhalte immer wieder. Und da wundern wir uns, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht verstehen, warum wir in jeder Kommune ein und dieselbe Leistung anders umsetzen.

Bevor Sie nach Essen kamen, waren Sie unter anderem als Personalreferentin im Bereich Personalpolitik bei der Bundes­agentur für Arbeit tätig. Was kann getan werden, um die öffentliche Hand als Arbeitgeberin attraktiver zu machen?

Es liegt an uns, das Image des öffentlichen Dienstes zu verbessern und uns zeitgerecht aufzustellen. Dazu gehört zum einen, wettbewerbsfähige Gehälter und Vergütungen anzubieten, die mit denen des privaten Sektors vergleichbar sind. Darüber hinaus ist es wichtig, den Mitarbeitenden Karrieremöglichkeiten und Entwicklungsperspektiven in Aussicht zu stellen sowie flexible Arbeitszeitmodelle anzubieten. Ein modernes und attraktives Arbeitsumfeld, das mit den neuesten Technologien und Arbeitsmitteln ausgestattet ist, trägt ebenfalls zur Attraktivitätssteigerung bei. Im Kern geht es jedoch immer auch um das Miteinander. So stellen eine moderne und positive Unternehmens- und Führungskultur, eine gute Arbeitsatmosphäre, Kollegialität über Hierarchien hinweg und gute Arbeitsbedingungen wichtige Weichen dafür, dass Beschäftigte sich wohlfühlen. Und: Je größer das Maß der Digitalisierung in einer Organisation ist, desto mehr Aufmerksamkeit braucht der Mensch.

Was könnte getan werden, um die Zahl der Frauen in Führungspositionen zu erhöhen?

Problematisch ist oftmals der Frauenanteil in den höheren Führungsebenen. Hier gilt es, Frauen zu bestärken, zu ermutigen und auch direkt anzusprechen, damit sie sich für solche Jobs bewerben. Zudem bin ich ein großer Fan von Jobsharing – auch in Führungspositionen – und mache mich mit konkreten Ideen und Maßnahmen für das Thema stark. Von der Frauen­quote bin ich hingegen kein Fan. Denn keine Frau möchte im Vorstand eines Unternehmens sitzen oder eine Stelle bekommen, nur weil ein Arbeitgeber eine verbindliche Quote umsetzt. Frauen wollen ebenso wie Männer aufgrund ihrer Leistung beurteilt werden. Und da brauchen Frauen sich nicht zu verstecken.

Interview: Alexandra Braun




Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Politik
Außenansicht des Ministeriums des Innern und für Kommunales in Potsdam, ein weißes, klassizistisches Gebäude

Brandenburg: OZG-Umsetzung auf Kurs

[19.12.2024] In seiner OZG-Bilanz meldet Brandenburg für 2024 deutliche Fortschritte: 100 neue digitale Verwaltungsdienste wurden eingeführt, insgesamt sind nun 650 verfügbar. Fördermittel und Kampagnen unterstützen Kommunen bei der Digitalisierung. mehr...

martin-Hagen-Porträt
interview

Digitalisierung: IT-Budgets zusammenziehen

[18.12.2024] Dr. Martin Hagen, Staatsrat beim Senator für Finanzen in der Freien Hansestadt Bremen, spricht über seine Vorschläge zur Registermodernisierung und fordert mehr Zentralisierung bei der Steuerung und Budgetierung von IT-Großprojekten. mehr...

Digitale Bildung: Dem DigitalPakt 2.0 einen Schritt näher

[17.12.2024] Bundesbildungsminister Cem Özdemir und die Bildungsministerkonferenz der Länder (Bildungs-MK) haben eine Vereinbarung über den DigitalPakt Schule 2.0 getroffen. Dieser sieht eine Investition von insgesamt fünf Milliarden Euro vor, die gleichmäßig zwischen Bund und Ländern aufgeteilt werden. mehr...

Ansicht einer ländlichen Gemeinde aus der Vogelperspektive.
bericht

Niedersachsen: Initiative für Kommunen

[05.12.2024] Von der Bestandsaufnahme bis zur Umsetzung von Maßnahmen unterstützt die Initiative Digitale Kommune Niedersachsen Verwaltungen bei ihrem Transformationsprozess. Das vom Land initiierte Projekt soll außerdem die Herausforderungen in der Praxis offenlegen. mehr...

Porträtfoto von Dr. Denis Alt.
interview

Rheinland-Pfalz: Erfolg durch Kooperation

[18.11.2024] Der digitale Wandel dient den Menschen, sagt Staatssekretär Denis Alt. Im Interview mit Kommune21 spricht der neue rheinland-pfälzische CIO und CDO über die Umsetzung der Digitalstrategie des Landes. mehr...

Melitta Kühnlein

Potsdam: Fachbereichsleiterin für E-Government bestätigt

[12.11.2024] Potsdams Stadtverordnete haben Melitta Kühnlein als neue Leiterin des Fachbereichs E-Government bestätigt. Kühnlein ist seit Anfang 2021 in leitender Funktion im IT-Bereich der Stadtverwaltung tätig. mehr...

Baden-Württemberg: Änderung der Gemeindeordnung verabschiedet

[11.11.2024] Der Landtag von Baden-Württemberg hat jetzt eine Änderung der Gemeindeordnung verabschiedet, die Kommunen in administrativen Abläufen entlastet und die finanzielle Berichterstattung vereinfacht. mehr...

Blick vom See auf das neue Rathaus Hannover, HMTG

Hannover: Fonds für digitalen Fortschritt

[30.10.2024] Hannover setzt mit einem 48-Millionen-Euro-Digitalisierungsfonds auf die umfassende Modernisierung seiner Verwaltungsprozesse. Ziel ist ein digitales Rathaus, das Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen effiziente, benutzerfreundliche Services bietet. Die IT-Strategie umfasst dazu digitale Souveränität und Kosteneffizienz. mehr...

Digitalisierung: Dresdner Forderungen 2.0

[22.10.2024] Die Fachgruppe Verwaltungsinformatik der Gesellschaft für Informatik hat 20 Thesen zum digitalen Wandel formuliert. Die Forderungen zielen darauf ab, die Verwaltung effizienter, zukunftssicherer und bürgerfreundlicher zu machen. mehr...

bericht

Liechtenstein: Mit Pragmatismus und Agilität

[14.10.2024] Liechtenstein hat auf dem Weg zum Smart Country bereits eine beeindruckende Entwicklung zurückgelegt. Das ist nicht zuletzt vielen mutigen Entscheidungen und einer gehörigen Portion Pragmatismus geschuldet. mehr...

Holger Klötzner, Dezernent für Digitalisierung und Bildung der Stadt Darmstadt; Maral Koohestanian, Leiterin des Dezernats für Smart City, Europa und Ordnung der Stadt Wiesbaden; Eileen O’Sullivan, Dezernentin für Bürger:innen, Digitales und Internationales der Stadt Frankfurt am Main
interview

Smartes Rhein Main 2030: Gemeinsame Vision

[02.10.2024] Eine gemeinsame Vision für ein smartes Rhein-Main-Gebiet haben die Städte Frankfurt am Main, Wiesbaden und Darmstadt erarbeitet. Im Interview erklären die CIOs Eileen O’Sullivan, Maral Koohestanian und Holger Klötzner, was konkret geplant ist. mehr...

Landrat Achim Brötel ist neuer Präsident des Deutschen Landkreistages.

Deutscher Landkreistag: Achim Brötel ist neuer Präsident

[11.09.2024] Der Deutsche Landkreistag (DLT) hat einen neuen Präsidenten gewählt: Achim Brötel, Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises, tritt die Nachfolge von Reinhard Sager an, der das Amt zuvor zehn Jahre lang innehatte. mehr...

Charta Digitale Ethik setzt die Rahmenbedingungen für den Einsatz digitaler Technologien in der Essener Stadtverwaltung.

Essen: Charta Digitale Ethik verabschiedet

[04.09.2024] In ihrer Charta Digitale Ethik hat die Stadt Essen die Rahmenbedingungen für den Einsatz digitaler Technologien in der Stadtverwaltung festgelegt. Das soll insbesondere für einen ethisch verantwortungsvollen Umgang mit Künstlicher Intelligenz sorgen. mehr...

Scheckübergabe an die Gewinner des Wettbewerbs um den Ulmer Lederhof.

Ulm: Innovationsmotor gestartet

[23.08.2024] Um ihre Digitale Agenda mit kreativen Köpfen aus der Region umzusetzen, hat die Stadt Ulm den Innovationsmotor gestartet – einen Ideenwettbewerb insbesondere für junge Unternehmen. Runde eins hat der digitale Begleiter für Angsträume gewonnen. mehr...

Markt Postbauer-Heng: Digitalisierung ist kein Privileg der Metropolen

[08.08.2024] Auch kleine Kommunen sind in der Lage, bürgernahe digitale Lösungen zu implementieren, wie das Beispiel des Marktes Postbauer-Heng zeigt. Um die Entstehung digitaler Insellösungen zu vermeiden, wurde die Zukunftskommission #Digitales Bayern 5.0 ins Leben gerufen. mehr...