Mittwoch, 18. Dezember 2024

Digitaler ZwillingDie Zukunft visualisieren

[16.12.2024] Entgegen ihres Namens sind Urbane Digitale Zwillinge (UDZ) nicht nur etwas für Großstädte. Das zeigt das Projekt TwinBY: Es umfasst unter anderem einen Metadatenkatalog, der die Replikation erfolgreicher UDZ-Anwendungen durch andere Kommunen ermöglicht.
Virtuelles Abbild der Boschetsrieder Straße in München schräg von oben. Zu sehen sind auch mehrere Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger, Pkw, Busse und Radfahrer.

Urbane Digitale Zwillinge (UDZ) können Planungsvarianten virtuell erlebbar machen und optimieren.

(Bildquelle: Landeshauptstadt München)

Wie fügt sich ein geplantes Schulzentrum in die umgebende Bebauung ein? Lohnt es sich aus ökonomischer und ökologischer Sicht im Zuge des Schulneubaus ein Nahwärmenetz zu errichten? Welche Auswirkungen sind durch das Schulzentrum auf den örtlichen Straßenverkehr zu erwarten? Welche Konsequenzen hat es auf den Oberflächenabfluss bei Starkregen, wenn die jetzige Grünfläche in einen asphaltierten Schulparkplatz umgewandelt wird? Digitale Zwillinge von Städten und Gemeinden versprechen, die Beantwortung solcher fachübergreifender Fragen zu erleichtern. Es ist charakteristisch, dass sie mehrere Ressorts und kommunale Handlungsfelder betreffen.

Aber was ist ein Digitaler Zwilling der Stadt und wie kommt eine Kommune zu ihrem Urbanen Digitalen Zwilling (UDZ)? Der neu erschienene, aus dem vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen geförderten Projekt „Connected Urban Twins – Urbane Datenplattformen und Digitale Zwillinge für integrierte Stadtentwicklung (CUT)“ hervorgegangene Standard DIN SPEC 91607 „Digitale Zwillinge für Städte und Kommunen“ liefert Antworten. 

Für unterschiedliche Interessengruppen verständlich

Der Begriff UDZ wird durch die DIN SPEC definiert als „system- und nutzergruppenübergreifende Abbildung der kommunalen Realität mit systematischem Realitätsabgleich“. Ein UDZ verbindet also vorhandene IT-Systeme innerhalb der Kommune und darüber hinaus mit dem Ziel, ein umfassendes digitales Abbild der physischen Objekte (wie Gebäude, Straßen, Vegetation und Gewässer) und Prozesse (wie etwa Stadtentwicklung, Verkehrsplanung und -steuerung, Energieverbrauch und -erzeugung) der Kommune zu erzeugen.

Der Nutzen eines UDZ besteht in der Prozessoptimierung unter Berücksichtigung einer ganzheitlichen Betrachtungsweise. Das heißt, dass anhand des UDZ Veränderungen in der Kommune aus dem Blickwinkel mehrerer Fachressorts und Handlungsfelder betrachtet und ihre Auswirkungen in der virtuellen Welt simuliert werden, um faktenbasierte Abwägungen und Entscheidungen treffen zu können. UDZ enthalten hierfür meist Geobasisdaten, die den Bezug zu den realen Objekten der Kommune herstellen.

Aufgrund ihrer Fähigkeit, die Auswirkungen von Entscheidungen zu simulieren und mittels einer intuitiv verständlichen Visualisierung transparent zu machen, eignen sich UDZ zur Einbindung unterschiedlicher Interessengruppen und werden häufig als Grundlage für die Beteiligung der Zivilgesellschaft genutzt. Die Visualisierung des aktuellen Zustands der Kommune sowie von Planungsszenarien findet dabei häufig auf der Basis dreidimensionaler Stadt- und Landschaftsmodelle statt. In Kombination mit VR-Technologie können so Planungsvarianten virtuell erlebbar gemacht und optimiert werden.

Einführung und Betrieb

Laut DIN SPEC und nach den Erfahrungen aus Projekten zur Entwicklung von UDZ, wie dem bereits genannten Förderprojekt CUT, in dem die Städte Hamburg, München und Leipzig zusammenarbeiten, sollte ein UDZ immer anwendungsfallbezogen und bedarfsorientiert eingeführt werden. Priorisiert durch die aktuellen Ziele und Fragestellungen in einer Kommune kann es dabei verschiedene UDZ geben. So kann in einer Kommune zunächst ein so genannter Energiezwilling die kommunale Energieplanung unterstützen. Zu einem späteren Zeitpunkt wird dann ergänzend ein Verkehrszwilling erstellt. Diese Zwillinge können unterschiedlich stark mit der physischen Realität verbunden sein, von einer ausschließlichen Abbildung des Zustands der realen Kommune zum Zweck der Wissensgenerierung bis hin zur automatisierten Steuerung physischer Systeme.

Damit UDZ als Systeme von Systemen mit vertretbarem Aufwand erstellt und nachhaltig betrieben werden können, gilt es aus organisatorischer und technischer Sicht einiges zu beachten. So ist es beispielsweise essenziell für eine Integration von Daten aus unterschiedlichen IT-Systemen im Zuge der Erstellung eines UDZ sowie für die Vernetzung mehrerer anwendungsspezifischer UDZ, dass offene, standardisierte, herstellerunabhängige Schnittstellen genutzt werden. Die Einführung und der Betrieb eines UDZ verlangt zudem die Etablierung einer Daten-Governance, in der zum Beispiel für jeden genutzten Datensatz Verantwortlichkeiten definiert, Datenschutz und Informationssicherheit beachtet und ethische Fragestellungen geprüft werden.

TwinBY adressiert kleinere und mittlere Kommunen

Das klingt erst einmal kompliziert. Dass UDZ trotzdem nicht nur in großen Städten mit den dort verfügbaren personellen und finanziellen Ressourcen umgesetzt werden können, zeigt das Projekt TwinBY des Bayerischen Staatsministeriums für Digitales, an dem 17 kleinere und mittlere Kommunen in Bayern beteiligt waren. Das Vorgehen sowie die technische Umsetzung der UDZ basierte auf der Smart District Data Infrastructure (SDDI), einem Rahmenwerk für das Datenmanagement in Smart Cities, das ursprünglich speziell für kleinere Einheiten (Stadtquartiere) von der Technischen Universität München (TUM) mit Partnern in Projekten der EU Climate Knowledge and Innovation Community (EIT Climate-KIC) entwickelt wurde. Kernkomponenten dieses Rahmenwerks, das sich in allen wesentlichen Punkten auf die DIN SPEC abbilden lässt, sind ein Metadatenkatalog (SDDI-Katalog), ein virtuelles Modell des Quartiers beziehungsweise der Kommune (Virtual District Model, VDM) sowie ein Vorgehensmodell für die anwendungsgetriebene Erstellung von UDZ.

Der im TwinBY-Projekt von den Kommunen für ihre jeweiligen UDZ befüllte SDDI-Katalog kann einerseits für das Management der UDZ genutzt werden. Dank der speziellen Metadatenstruktur des Katalogs kann die bei München gelegene Gemeinde Haar beispielsweise identifizieren, welche Online-Applikation betroffen ist, wenn ein bestimmter Verkehrssensor ausfällt. 

In Zukunft mit Künstlicher Intelligenz

Andererseits stellt der Katalog auch eine Grundlage für die Replikation von erfolgreichen UDZ-Anwendungen durch andere Kommunen dar. Durch Katalogrecherchen können zum Beispiel alle registrierten UDZ gefunden werden, die zum Handlungsfeld Gesundheit gehören. Für jeden gefundenen UDZ kann anschließend identifiziert werden, auf welche Daten er sich stützt, welche Softwarekomponenten verwendet werden und vieles mehr. Eine Kommune mit ähnlichen Herausforderungen kann basierend auf diesen Informationen mit der Replikation des UDZ starten.

Wie werden sich Urbane Digitale Zwillinge weiterentwickeln? Die TUM untersucht aktuell in Kooperation mit der Stadt München, wo die Reise mit KI-Unterstützung hingehen kann. Der Fokus liegt auf der Nutzung von generativer KI und großen Sprachmodellen (LLM). KI soll einerseits helfen, den Zugang zu den im UDZ integrierten komplexen Informationen und Simulationen zu erleichtern und andererseits den Aufwand beim Erstellen und Bewerten von Planungsszenarien reduzieren. Die eingangs erwähnten Fragestellungen für die Planung eines Schulzentrums sollen so in Zukunft in natürlicher Sprache direkt an den UDZ gestellt und vom UDZ valide beantwortet werden können.

Dr.-Ing. Andreas Donaubauer arbeitet am Lehrstuhl für Geoinformatik an der Technischen Universität München.




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