Samstag, 30. November 2024

REPORTDie Zukunft ist offen

[14.06.2010] Die Regierungschefs in den USA und in Großbritannien sorgen für Tempo bei der Umgestaltung der öffentlichen Verwaltung hin zu mehr Offenheit und Transparenz. Nur in der deutschen Politik ist der Glaube an Herrschaftswissen offenbar noch groß.

In den USA und in Großbritannien wird eine breite Diskussion geführt, wie die öffentliche Verwaltung offener und transparenter werden kann. Open Government und Open Data lauten die Ziele, die mithilfe von Web-2.0-Technologien umgesetzt werden sollen. Insbesondere Präsident Barack Obama sorgt für einen regelrechten Kulturwandel in der öffentlichen Verwaltung der Vereinigten Staaten von Amerika. Auch die neue britische Regierung unter David Cameron setzt auf Transparenz und Offenheit.

Open Government verändert Demokratie

Open Government ist jedoch keine angelsächsische Eigenheit. Das Beratungsunternehmen Deloitte erwartet dadurch unmittelbaren Einfluss auf die Demokratie. In der Studie „Unlocking government – how data will transform democracy“ heißt es, Open Government werde zum Kernelement einer zukunftsfähigen, demokratischen Verwaltung. Mit Open Government könnten Verwaltungen nicht nur Offenheit gegenüber den Bürgern demonstrieren, sondern würden auch selbst profitieren, indem etwa durch die Zusammenführung von Daten aus verschiedenen Behörden zusätzliche Erkenntnisse gewonnen werden. Dazu muss die öffentliche Hand nach Angaben von Deloitte vor allem zur qualifizierten Datenanalyse fähig sein. Dies müsse künftig insbesondere auf kommunaler, aber auch auf Landes- und Bundesebene zu den Kernkompetenzen staatlicher Stellen gehören.

Erstes Prinzip: Transparenz

Diese Erkenntnis ist in den USA weiter verbreitet als in Deutschland. Denn dort ist Open Government Chefsache. Präsident Barack Obama verkündete noch am Tag seiner Amtseinführung im Januar 2009 das Memorandum „Transparency and Open Government“. Die Open-Government-Strategie der neuen amerikanischen Regierung umfasst drei Schwerpunkte: Transparenz, Teilhabe und Zusammenarbeit (Transparency, Participation, Collaboration). Professor Jörn von Lucke, Inhaber des Lehrstuhls für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik an der Zeppelin-University in Friedrichshafen, hat die amerikanische Open-Government-Strategie analysiert. Der deutsche Verwaltungswissenschaftler stellt fest: „Der erste Baustein bezieht sich darauf, öffentliche Daten über das Internet zur Verfügung zu stellen. Vorgänge und Entscheidungen in Politik, Verwaltung und Justiz sollen so besser nachvollziehbar gemacht werden.“ Diese Transparenz 2.0 werde sich dadurch auszeichnen, dass zu allen nicht personenbezogenen und allen nicht geheimen Daten und Informationen der öffentlichen Verwaltung ein Zugang besteht. Dazu müssten Primärquellen bereitgestellt und eine Weiterverbreitung und Folgenutzung der Daten sichergestellt werden.
Beispiele für diese Art der Transparenz sind die US-Regierungsportale recovery.gov und data.gov. Ersteres dient dazu, die Bürger über die Mittelvergabe im Rahmen des amerikanischen Konjunkturprogramms zu informieren. Das Datenportal data.gov soll den öffentlichen Zugang zu vorhandenen Datenbeständen der Behörden erleichtern. So lassen sich beispielsweise die IT-Budgets der US-Bundesministerien analysieren und der Umsetzungsstand von Projekten abrufen.

Zweites Prinzip: Partizipation

Ein weiteres Ziel der Obama-Regierung ist es, die Bürger mittels Internet-Technologien stärker in die Entscheidungsprozesse von Politik und Verwaltung einzubinden. Es sollen so neue Formen des offenen Diskutierens und der gemeinschaftlichen Entscheidungsfindung entstehen. Dazu Professor Jörn von Lucke: „Partizipation 2.0 wird sich dadurch auszeichnen, dass Individuen und Organisationen als Stakeholder stärker in Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse von Staat und Verwaltung eingebunden werden. Die Web-2.0-Technologien ermöglichen es, konventionelle Formen der Meinungsbildung durch elektronische Formate zu ergänzen.“ So sollen neue Formen der Beteiligung möglich werden wie verteiltes Brainstorming, moderierte Dialoge oder offen angelegte Bürgerbefragungen.
Die US-Regierung hat inzwischen solche Formate zur Meinungsbildung und -äußerung etabliert. Mittels des Online-Angebots Open for Questions antwortet Präsident Obama auf Bürgerfragen, außerdem will die Regierung die Rathäuser dabei unterstützen, ähnliche Angebote (Open for Questions Town Hall) aufzubauen. Selbst die Open-Government-Strategie wurde in einem offenen Brainstorming mit Bürgern diskutiert, anschließend wurden auf Basis einer Wiki-Plattform Empfehlungen erarbeitet.
Die Ideen von Partizipation 2.0 gehen aber noch viel weiter. Jörn von Lucke meint, dass ganz neue Formen direkter Demokratie möglich werden: „Zumindest technisch wäre es realisierbar, die Stimmvergabeentscheidung jederzeit zu ändern und das einem Delegierten übertragene Stimmrecht zurückzufordern, um es einem Dritten zu übertragen oder es selbst auszuüben.“

Drittes Prinzip: Collaboration

Beim dritten Baustein von Open Government geht es um das virtuelle Miteinander innerhalb einer Behörde, die Kooperation zwischen verschiedenen Behörden und auch eine darüber hinaus stattfindende Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und der Gesellschaft. Bei der Aufgabenverteilung zwischen Staat und Gesellschaft soll verstärkt auf Bürger, Unternehmen und Verbände gesetzt werden. Kennzeichen dieser Entwicklung werden eine neuartige Kultur eines gemeinschaftlichen Handelns und neue Formen gemeinschaftlicher Programmierung sein, so Professor von Lucke. Ein Beispiel dafür ist das Portal defensesolutions.gov. Das US-Verteidigungsministerium erhofft sich, über die Website neue Ideen von innovativen Unternehmen zu erhalten, um militärische Missionen besser erfüllen zu können. Im zivilen Bereich ist Spacebook ein Beispiel für Collaboration 2.0. Das soziale Netzwerk für Mitarbeiter der US-Raumfahrtbehörde NASA soll deren Zusammenarbeit verbessern.

Obamas Direktive Open Government

Dass es Barack Obama ernst meint mit Government 2.0 zeigt die Open-Government-Direktive, die Ende vergangenen Jahres erlassen wurde. Darin ist festgelegt, wie die amerikanischen Regierungsbehörden Open Government umsetzen sollen. Die Anordnung sah sportliche Termine vor: Innerhalb von nur 45 Tagen sollte jede Behörde drei hochwertige Datensätze in einem offenen Format veröffentlichen und über das Portal data.gov zur Verfügung stellen. Außerdem wurden die Behörden verpflichtet, innerhalb von 60 Tagen eine Open-Government-Website freizuschalten. 120 Tage Zeit gab der Präsident den Behörden, um einen Open-Government-Plan aufzustellen, in dem beschrieben steht, wie Transparenz und Zusammenarbeit verbessert und Bürgerbeteiligung in das behördliche Wirken integriert werden sollen.

Britische Open-Government-Initiative

Auch in Großbritannien spielt Open Government eine wichtige Rolle bei der Modernisierung der öffentlichen Verwaltung. Kurz vor seiner Abwahl betonte Premierminister Gordon Brown die Bedeutung einer Erneuerung der Politik durch Öffnung und Transparenz. In einer Rede zur digitalen Zukunft Großbritanniens Ende März 2010 kündigte Brown an, dass die britische Regierungswebsite Directgov zu einem personalisierbaren Verwaltungsportal namens Mygov umgestaltet werden soll. Gordon Brown: „Heutzutage sagen Websites, welche anderen Produkte oder Dienstleistungen einen interessieren könnten. Warum tun Verwaltungswebsites das nicht? Mit Mygov werden sie es tun.“ Bürger erhielten die Kontrolle, würden den für sie relevanten Inhalt wählen und den Grad ihres Dialogs bestimmen. Das Feedback der Bürger wiederum helfe der Verwaltung, ihre Dienste zu verbessern.

Tim Berners-Lee unterstützt Labour

Ziel der Labour-Regierung war es, den Bürgern durch Open Government und Open Data mehr Mitsprache bei politischen Entscheidungen einzuräumen. Unterstützung bei der Umsetzung der Pläne holte sich Gordon Brown bei Tim Berners-Lee, dem Erfinder des World Wide Web. Mithilfe des Internet-Pioniers baute die britische Regierung in wenigen Monaten das Datenportal data.gov.uk auf. Inzwischen sind dort über 3.000 Datensätze aus der öffentlichen Verwaltung verfügbar, mehr als auf dem US-amerikanischen Pendant data.gov. Auch die britische Hauptstadt London macht Daten der öffentlichen Verwaltung besser zugänglich und hat Anfang dieses Jahres ein offenes Datenportal im Web freigeschaltet (data.london.gov.uk).
Auf Basis der öffentlich verfügbaren Behördendaten wurden in Großbritannien eine Vielzahl von Applikationen entwickelt und so genannte Mashups programmiert, die verschiedene Datensätze zu einem neuen kombinieren. Das Angebot Safer Streets (saferstreets.direct.gov.uk) beispielsweise informiert über sichere und gefährliche Gegenden in Städten, die unabhängige Website Oneplace (oneplace.direct.gov.uk) hilft den Bürgern bei der Suche nach zuständigen Ämtern und Behörden und Mycounciltax (mycounciltax.org.uk) zeigt, wie hoch die Grundsteuern in den jeweiligen britischen Kommunen sind.

David Camerons Podcast

Die Labour-Regierung hat also ein klares Bekenntnis zu Open Government abgelegt. Es ist bereits erkennbar, dass die neue konservativ-liberale Koalition diesen Weg weiterverfolgen wird. In einem ersten Podcast, den David Cameron Ende Mai 2010 während einer Zugfahrt aufnahm, äußerte sich der neue Premierminister auch zu Open Government. Sein Ziel sei es, die offenste und transparenteste Regierung der Welt zu schaffen. Er wolle, dass die Bürger mehr Einfluss erhalten und dies bedeute, ihnen mehr Informationen zu geben. Cameron bezeichnete es als lächerlich, dass viele Informationen, etwa darüber wie die öffentlichen Mittel ausgegeben werden und welche Ergebnisse erzielt werden, nur wenigen bekannt seien. Cameron: „It’s your money, your government, you should know what’s going on.“ Seine Regierung werde deshalb den Schleier der Geheimhaltung herunterreißen (rip off that cloak of secrecy) und soweit wie möglich für Transparenz in Politik und Verwaltung sorgen.
Wenige Tage später konkretisierte David Cameron die Pläne. In einem Brief an Regierungsbehörden heißt es, dass alle wesentlichen Informationen über Ausgaben von Behörden und Kommunen schrittweise bis Anfang 2011 veröffentlicht werden sollen. Auch andere Daten werden zugänglich gemacht, etwa Kriminalitätsstatistiken oder die Namen und Gehälter von Regierungsbeamten mit einem Einkommen von mehr als 150.000 Pfund. Cameron kündigte zudem die Gründung einer Transparenz-Kommission an. Das im Cabinet Office angesiedelte Public Sector Transparency Board soll unter anderem Standards für offene Daten setzen und den Behörden bei der Umsetzung ihrer Open-Data-Strategien helfen.

Tempo in den USA und im UK

Die Regierungen in den USA und in Großbritannien legen bei Open Government also ein enormes Tempo vor. Der deutsche Verwaltungswissenschaftler Jörn von Lucke sagt, es sei beachtlich, in welch kurzer Zeit und mit welchem Schwung es der US-Regierung unter Präsident Obama gelungen ist, Transparenz und Offenheit, Partizipation und Collaboration nicht nur als strategische Prinzipien zu positionieren, sondern sie auch zu gelebten Werten zu machen, von denen Staat, Verwaltung und Bevölkerung gleichermaßen profitieren. Die Bewegung hin zu mehr Transparenz, Teilhabe und Zusammenarbeit durch Web-2.0-Technologien sei von kultureller Bedeutung. Sie werde Regierung und Verwaltung grundlegend verändern.

Ernüchterung in Deutschland

Diese Erkenntnis hat die deutsche Politik noch nicht erreicht. Exemplarisch zeigte sich dies beim 3. Netzpolitischen Dialog, den Bundesinnenminister Thomas de Maizière Mitte Mai 2010 in Berlin mit Experten und Vertretern der Netz-Community führte. Staatliche Angebote im Internet lautete das Thema dieser Diskussionsveranstaltung.
Als Grundlage für das Gespräch hatten die Organisationen Open Data Network und Government 2.0 Netzwerk ein Positionspapier erarbeitet, das die Prinzipien von Open Government – Transparenz, Partizipation und Collaboration – aus deutscher Sicht erläutert. Zudem werden in dem Papier Empfehlungen für eine deutsche Open-Government-Strategie ausgesprochen. Unter anderem wird gefordert, dass die nationale E-Government-Strategie eine für alle föderalen Ebenen geltende Richtlinie zu den Open-Government-Prinzipien enthalten sollte.
Wer allerdings Aussagen der Bundesregierung zu Open Government erwartet hatte, wurde auf der Dialogveranstaltung enttäuscht. Statt ein Statement zu Transparenz und Offenheit abzugeben, sprach sich Innenminister de Maizière dafür aus, den staatlichen Kulturauftrag im Internet stärker in den Vordergrund zu rücken: „Kulturgüter, die im Eigentum des Staates stehen, sollten im Internet angeboten werden.“ Anke Domscheit, Vorstand beim Netzwerk Government 2.0 und Teilnehmerin des Dialogs, berichtete hinterher ernüchtert: „Meine Erwartung war, dass ein vorbereiteter Minister dann zumindest von den größten Datenportalen – data.gov aus den USA und data.gov.uk aus England – schon einmal gehört hat.“ Das war erstaunlicherweise nicht der Fall. Immerhin versprach der Innenminister, dass er sich „noch heute Abend“ die Datenportale im Internet anschauen werde.

Privatsache Open Government?

Somit bleibt Open Government in Deutschland bis auf Weiteres Sache einiger privater Aktivisten. Das Open Data Network beispielsweise hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein Register mit frei zugänglichen Behördendaten aufzubauen. Über die Website offenedaten.de können Daten aus Politik, öffentlicher Verwaltung, Bibliotheken sowie Wissenschaft und Forschung gesucht und auch eingetragen werden.
Die Open-Government-Aktivisten fragen sich allerdings nach den Erfahrungen mit den Dialogveranstaltungen mit dem Bundesinnenministerium, wer sich außerhalb der Netz-Community überhaupt für das Thema interessiere. Im Blog des Netzwerks Government 2.0 schreibt Thomas Langkabel selbstkritisch: „Sind wir tatsächlich so etwas wie der Samen einer Grassroots-Bewegung, die langsam aber gewaltig einen der vielbeschworenen Paradigmenwechsel im Verhältnis zwischen Bürgern und Verwaltung einleiten wird? Oder existieren wir eher in einer Art Realitätsblase oder einer Mikro-Öffentlichkeit, in der wir uns selber gegenseitig eine gesellschaftliche Relevanz und einen Modernisierungsimpetus zusprechen, der aber eben leider nur mit uns in unserer Wahrnehmungsblase existiert?“ Nötig sei eine stärkere Öffentlichkeitsarbeit für Open Government. Die Politik müsse erkennen, dass sich damit Wählerstimmen gewinnen lassen und die Verwaltungen müssten unruhig werden, wenn sie in öffentlichen Vergleichen und Bewertungen zurückliegen. Auch die Presse soll überzeugt werden, dass sich hier „viele spannende Stories“ bieten.
Es gibt noch ein wichtigeres Argument für Open Government. Gerade deutsche Politiker sollten sich einen Satz aus dem ersten Podcast des britischen Premiers David Cameron sehr genau anhören: „Transparency can help to rebuilt trust in our politics.“





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