REPORTBürger beteilige dich
Sind die Briten mutiger als die Deutschen? Bei der Online-Bürgerbeteiligung mit Sicherheit. Oliver Märker von Zebralog sagt, er würde sich in Deutschland mehr Mut wünschen, um bislang noch weitgehend geschlossene Planungs- und Entscheidungsprozesse für die Expertise und das Feedback der Bevölkerung zu öffnen. In Großbritannien ist dieser Mut offensichtlich vorhanden. Online-Konsultationen haben dort gerade Hochkonjunktur. Bürger können ihre Meinung unter anderem zu Gesetzen und Bürgerrechten kundtun oder sich zu dem Prinzipienkatalog der Transparenz-Kommission äußern. Im Rahmen einer Kooperation mit dem sozialen Netzwerk Facebook werden Ideen für Sparmaßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte gesammelt.
Akzeptanz schaffen, vom Wissen profitieren
Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderung und dem Aufkommen neuer Technologien wie Web 2.0 wollen Bürger nicht mehr nur Empfänger von Informationen und Entscheidungen sein, sondern an der Produktion von Inhalten und der Lösung von Problemen beteiligt werden, meint Märker. Professor Herbert Kubicek, Geschäftsführer des Instituts für Informationsmanagement Bremen (ifib), erwartet für die Zukunft einen Anstieg elektronischer Bürgerbeteiligungsangebote auf kommunaler Ebene. Grund: Knappe Mittel erfordern Prioritäten, die sich mit E-Partizipation inhaltlich besser bestimmen lassen und für die dann größere Akzeptanz gewonnen werden kann. Dies erklärt beispielsweise auch, warum momentan so viele Bürgerhaushalte durchgeführt werden, teilweise mit erklärten Sparzielen wie in Essen oder Solingen (siehe REPORT: Bürger dein Haushalt).
Neben dem Werben für Akzeptanz können Politik und Verwaltung durch Online-Bürgerbeteiligungen vom Wissen der Bürger profitieren, etwa von deren Ortskenntnissen wie im Falle der Essener Lärmkartierung. Hier wurden die vom Umweltamt errechneten Lärmkarten zunächst mit Erfahrungen der Bürger angereichert. In einem zweiten Schritt hatten Bürger die Möglichkeit, die geplanten städtischen Maßnahmen zu bewerten. Über das Portal Maerker Brandenburg können den teilnehmenden Kommunen Missstände wie defekte Straßenlaternen, wilde Müllkippen oder Schlaglöcher gemeldet und die Bearbeitung der Hinweise verfolgt werden. Ein weiteres Beispiel ist das von Bürgern realisierte Unortkataster Köln, in das inzwischen auch die Stadtverwaltung schaut.
Im Dialog bleiben
Für E-Partizipation spricht außerdem, dass dadurch Lösungen für festgefahrene Debatten gefunden werden können. So geschehen 2007 bei der Online-Konsultation zur Neugestaltung des Hamburger Domplatzes. Laut Oliver Märker konnten durch das Bürgerbeteiligungsverfahren langjährige Planungsblockaden überwunden und neue Handlungsoptionen gewonnen werden. Die Mehrheit der Teilnehmer sprach sich schließlich für eine Nutzung als öffentliche Grünfläche aus. Diese wurde 2009 als Interimslösung eröffnet. Bei der Hamburger Living Bridge, der Gestaltung einer Wohnbrücke über die Elbe, steht die endgültige Entscheidung über den Bau dagegen auch mehr als zwei Jahre nach Ende der Online-Konsultation noch aus. Bei der Online-Bürgerbeteiligung zur Zukunft des Stadionbads Bremen hatten sich die zuständigen Gremien vor dem Start verpflichtet, das Ergebnis der Konsultation zu zwei konkurrierenden Entwürfen zu übernehmen, wenn in einem fairen Verfahren ein Konsens zwischen den verschiedenen Interessengruppen erreicht wird. Dieser wurde tatsächlich erzielt und ein Kompromiss aus beiden Modellen baulich umgesetzt.
In der Stadt- und Landschaftsplanung ist die Beteiligung der Öffentlichkeit gesetzlich vorgeschrieben. Im Baugesetzbuch ist seit 2004 die Möglichkeit verankert, dabei ergänzend auch IT einzusetzen. Bei der Unterstützung der formalen Bürgerbeteiligung etwa in der Bebauungsplanung ist die E-Partizipation nach Aussage von Oliver Märker am weitesten fortgeschritten. Da die Eingaben jedoch auf die Verwaltung gerichtet seien, würden Bürger nicht in Austausch miteinander gebracht. Anders verhalte es sich bei den Online-Dialogen, bei denen Ideen zur Planung oder Weiterentwicklung öffentlicher Räume gesucht werden, beispielsweise bei der Neunutzung des Flughafengeländes Berlin-Tempelhof oder der Nutzung des Neumarktes in Dresden.
Aufbruch gestalten
Laut einem von der Bertelsmann-Stiftung unter Mitwirkung der Freien und Hansestadt Hamburg, dem Bundesinnenministerium und dem Deutschen Städte- und Gemeindebund im Mai 2010 veröffentlichten Leitfaden eignen sich alle Politikfelder für E-Partizipation, die eine breite Einbeziehung von Bürgern und Experten sinnvoll erscheinen lassen. Neben Bürgerhaushalten, Raumordnung und Stadtplanung sind dies Agenda- und Politikfeldgestaltung sowie Gesetzgebung. Das letztere Anwendungsfeld umfasst die Sammlung von Vorschlägen zur Gesetzesgestaltung sowie die Erläuterung und Einholung von Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben, wie etwa zum Entwurf des De-Mail-Gesetzes durch den Bund.
Als prominentes Beispiel für die Bürgerbeteiligung zur Agenda- und Politikfeldgestaltung nennt der Leitfaden das Citizen’s Briefing Book in den USA, bei dem die Bevölkerung über die Website change.gov Ideen übermitteln konnte, worum sich Barack Obama nach seinem Amtsantritt als US-Präsident kümmern sollte. Mehr als 500.000 Bürger haben sich beteiligt, circa 70.000 Einzelpersonen haben rund 44.000 Vorschläge eingebracht. In Deutschland werden derartige Beteiligungsprojekte ebenfalls durchgeführt, wenn auch in kleinerem Rahmen. So haben Hamburg und Köln die Bürger an der Ausgestaltung eines Leitbildes beteiligt. Hamburg, München und Berlin boten Projekte zur Verbesserung der Familienfreundlichkeit im Stadtleben an. In Bayern hatten Bürger kürzlich die Möglichkeit, zu drei landespolitischen Themen Vorschläge einzubringen, zu diskutieren und zu bewerten. Über die Online-Dialogplattform „Aufbruch Bayern“ gingen in rund acht Wochen fast 750 Vorschläge aus der Bevölkerung ein. Insgesamt verzeichnete das Portal der Staatsregierung mehr als 100.000 Besucher. Zu dem Erfolg hat mit Sicherheit beigetragen, dass die Online-Bürgerbeteiligung in Bayern von den politischen Entscheidungsträgern gefördert wird. Ministerpräsident Horst Seehofer hatte zum Start des Portals gesagt: „Ich habe in meiner Regierungserklärung einen Paradigmenwechsel hin zu mehr Beteiligung der Bürger angekündigt. Auch mit dieser Plattform setzen wir das Versprechen um.“
Kommunen versus Bund/Land
Ein weiterer Erfolgsfaktor für E-Partizipation abgesehen von der Unterstützung durch die Verantwortlichen ist die Einbindung des Verfahrens in den Verwaltungskontext. Einer der Gründe, warum der Kölner Bürgerhaushalt so erfolgreich ist. Wichtig ist zudem, dass ausreichend finanzielle und personelle Ressourcen sowie genügend Zeit für Planung, Durchführung und Nachbereitung zur Verfügung stehen. Darüber hinaus müssen die Bürger zur Beteiligung bereit sein. Durch eine Verlagerung des Verfahrens ins Internet steigt die Teilnehmerzahl nämlich nicht automatisch. Es muss intensiv für das E-Partizipationsangebot geworben werden – und zwar über mehrere Kanäle. Außerdem muss transparent und nachvollziehbar sein, wie mit den Beiträgen der Bürger verfahren wird. Bei der Online-Konsultation zu den netzpolitischen Thesen von Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat politik-digital.de bemängelt, dass auf der Plattform nicht erläutert werde, wie der Weg von der Konsultation hin zu konkreten Gesetzen oder Projekten aussehe.
Entscheidend für den Erfolg elektronischer Bürgerbeteiligungsangebote ist auch, dass die Bürger überzeugt sind, dass ihr Beitrag einen Einfluss auf die letztlich getroffenen Entscheidungen hat. Dies erklärt möglicherweise, warum Online-Konsultationen in den Kommunen weiter verbreitet sind als auf Landes- und Bundesebene. In einer Erhebung, welche Zebralog und ifib 2008 für die vom Bundesinnenministerium beauftragte E-Partizipations-Studie durchgeführt haben, werden als Gründe für die Teilnahme an Online-Bürgerbeteiligungsverfahren auf kommunaler Ebene Betroffenheit (67,7 Prozent) und erwartete Wirksamkeit des eigenen Engagements (64,5 Prozent) genannt. Auf Bundesebene gehen nur 6,2 Prozent der Wahlbevölkerung ab 18 Jahren davon aus, hierdurch am meisten bewirken zu können. Ifib-Geschäftsführer Professor Herbert Kubicek fasst das gegenüber Kommune21 folgendermaßen zusammen: „E-Partizipationsprojekte auf Bundes- und Länderebene sind in Deutschland meistens unverbindliche Konsultationen oder Petitionen an die jeweiligen Parlamente. Sie behandeln zwar Themen von bundesweiter Bedeutung, eröffnen aber kaum Einflussmöglichkeiten. Auf kommunaler Ebene gibt es solche Einflussmöglichkeiten hingegen häufiger, außerdem haben die Verfahren eine höhere Verbindlichkeit und die Bürger somit eine größere Motivation, sich zu beteiligen.“
Doch auch auf kommunaler Ebene ist die Beteiligung ausbaufähig, heißt es im Fazit der Studie zu E-Partizipation und Web 2.0, welche das Unternehmen CSC im Juni 2010 veröffentlicht hat. Dabei wird vermutet, dass die geringen Teilnehmerzahlen im Vergleich zur jeweiligen Gesamtbevölkerung einer Stadt nicht zuletzt in der fehlenden Kommunikation und Auffindbarkeit der E-Partizipationsangebote begründet sind. Die Informationen über verschiedene Formen der Online- und Offline-Bürgerbeteiligung seien über die Such- und Navigationsmechanismen der Kommunalportale nicht zu finden gewesen. Die Fülle an Informationen zur politischen Entscheidungsfindung blieb in den Ratsinformationssystemen der Städte verborgen. Der Wille zur E-Partizipation ist laut CSC zwar vorhanden, der Weg wird jedoch nicht konsequent zu Ende gegangen.
Mut beweisen
Hier fehlen letztendlich auch die Offenheit und der Mut, verwaltungsinterne Barrieren zu überwinden. In der E-Partizipations-Studie für das Bundesinnenministerium heißt es: „Beteiligungsprozesse liegen oft quer zu den Eigeninteressen und zur Kommunikationskultur der Verwaltung. Sie verlangen die Einführung neuer Abläufe und bedürfen bei der Umsetzung eines hohen Abstimmungsaufwands zwischen verschiedenen Ressorts.“ Beteiligung ist zunächst immer mit der Reduzierung von Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten verbunden, meint Rolf Lührs, Abteilungsleiter Interaktive Kommunikation beim Hamburger Unternehmen TuTech Innovation. Sie erlaube aber eben auch die Einbindung externer Kreativität, Expertise und freiwilliger Mitarbeit.
Die Versachlichung von Konflikten, die Identifizierung und Berücksichtigung von Umsetzungshürden und -möglichkeiten sowie die Vermeidung von Interventionen durch eine frühzeitige Einbeziehung nennt der Leitfaden der Bertelsmann-Stiftung als weitere Vorteile von Online-Konsultationen. Ebenso soll auf beiden Seiten Verständnis gefördert werden – für die Probleme und Sichtweisen verschiedener Adressaten ebenso wie für die Komplexität politischer Aushandlungsprozesse. Zudem biete sich die Chance, Alternativen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten und innovative Lösungswege zu finden. Darüber hinaus könnten durch E-Partizipation Demokratie und Bürgernähe gefördert sowie das Vertrauen in Politik und Verwaltung gestärkt werden. Dies allein dürfte vor dem Hintergrund steigender Politikverdrossenheit ein schlagkräftiges Argument sein, auf Online-Konsultationen zu setzen, ganz abgesehen von all den anderen Vorteilen. Warum also steht E-Partizipation dann in Deutschland immer noch am Anfang? Ist es der Respekt vor dem Aufwand, die fehlende Typisierung von Verfahren? Oliver Märker von Zebralog sieht eine gewisse Standardisierung als Grund dafür an, dass Bürgerhaushalte das beliebteste E-Partizipationsangebot sind. Muss das Wissen über Möglichkeiten, Grenzen und die Umsetzung von Online-Konsultationen ausgebaut werden, oder fehlt den Deutschen tatsächlich einfach der Mut? In der CSC-Studie heißt es, der Mut, Ansätze in der Praxis zu testen, könnte Deutschland international in eine führende Position bringen. Aktuell belegt die Bundesrepublik im E-Partizipationsindex der Vereinten Nationen Rang 14, Großbritannien Rang 5. Ein Blick über den Kanal könnte sich also durchaus lohnen.
http://maerker.brandenburg.de
http://www.unortkataster.de
http://www.hamburg-domplatz.de
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