Dienstag, 11. Februar 2025

Digitale VerwaltungAnspruch und Wirklichkeit

[11.03.2015] Eine moderne Verwaltung ist Voraussetzung für einen wettbewerbsfähigen Staat in Zeiten des Internets. Damit Deutschland mit den Veränderungen der Gesellschaft Schritt halten kann, muss nicht zuletzt die IT-Nutzung im öffentlichen Sektor optimiert werden.
Anspruch und Wirklichkeit der IT-Nutzung im öffentlichen Sektor klaffen auseinander.

Anspruch und Wirklichkeit der IT-Nutzung im öffentlichen Sektor klaffen auseinander.

(Bildquelle: MEV Verlag)

Die Schweiz hat sich dafür interessiert, den neuen Personalausweis (nPA) von Deutschland für die elektronischen Identitäten im eigenen Land zu übernehmen. Das erklärte jedenfalls der für die Schweizer eID zuständige Christian Weber, Leiter E-Government für KMU im Staatssekretariat für Wirtschaft. Grund: „Weil die Deutschen alles perfekt machen.“ Nach näherer Untersuchung stellten die Schweizer aber fest, dass der nPA zu perfekt und kaum nutzbar ist. Nun suchen sie eine einfachere Lösung, die für die Akzeptanz durch die Bürger mehr Erfolg verspricht. Das Digitale Bayern, angeführt von Finanzminister und CIO Markus Söder, blickt vor diesem Hintergrund auf die österreichische Handysignatur. Im E-Government-Pakt mit den Kommunen wird überlegt, ob man sich dieser für die meisten Fälle ausreichend sicheren Variante für die eID anschließen möchte. Die Österreicher, gesteuert aus dem Bundeskanzleramt in Wien, sind mit ihrer Plattform Digitales Österreich ohnehin meilenweit voraus. Da Innovationskraft, Kontinuität, Benutzerakzeptanz und Pragmatismus über Perfektionismus und Bürokratismus gestellt werden, hat das Land auch beim E-Government die Nase vorn. Für Christian Rupp, der seit 2003 Sprecher der Plattform Digitales Österreich ist, sind die modernen digitalen Instrumente, die Bürger und Wirtschaft nutzen, auch für die Verwaltung selbstverständlich. So kann erst gar keine technologische Kluft zwischen Bürger, Wirtschaft und Verwaltung entstehen.

Bürokratie statt Handeln

Seit dem ersten IT-Gipfel der Bundeskanzlerin im Jahr 2006 ist die Haltung der Bundesregierung geprägt durch Nichthandeln und Bürokratisierung. Mit dem IT-Sicherheitsgesetz ist ein Bürokratie-Ungetüm dazugekommen, das die Chancen der Aufholjagd in Sachen Digitalisierung eher verringert. Dabei könnte ein europäischer Sicherheitsraum für Digitalisierung ein Wettbewerbsvorteil sein gegenüber dem angelsächsischen und chinesischen Raum. So kommt der EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft, Günther Oettinger, nach wenigen Wochen Amtszeit zu der Erkenntnis: „Wer die Daten hat, hat die Macht.“ Oettinger hat erkannt, dass es einer starken europäischen Initiative bedarf. Das könnte eine Europäische Cloud mit vertrauensvollen elektronischen Identitäten sein. Die deutsche Hoffnung liegt ohnehin in Brüssel, denn was ist seit dem ersten IT-Gipfel hierzulande passiert und was war am achten IT-Gipfel im Jahr 2014 anders? Wo steht Deutschland tatsächlich mit Blick auf die Digitale Agenda und die Digitale Verwaltung 2020? Beim schnellen Internet-Anschluss pro Haushalt ist Deutschland nicht unter den ersten 20 Nationen der Welt. Und das wird laut Digitaler Agenda bis 2018 so bleiben. Bei Investitionen in die Industrie 4.0 liegt Deutschland mit weniger als einem Zehntel der Beträge weit hinter den USA oder China. Beim E-Government-Vergleich in Europa rangiert Deutschland seit 2006 auf Rängen um Platz 10. Die Chancen des Netzes mit Technologien wie Social Media, Mobility, Analytics und Cloud Computing (SMAC) sollten auch in der Bundesrepublik genutzt werden. Die Institutionen für eine digitale Governance sind immerhin etabliert. Zum einen ist das Grundgesetz seit 2009 um den Artikel 91c ergänzt. Zum anderen sind der IT-Planungsrat, der Cyber-Sicherheitsrat von Bund und Ländern und der IT-Gipfel seit mehreren Jahren aktiv.

Wettbewerbsfähig bleiben

Eine effiziente Verwaltung ist ein bedeutender Standortfaktor im internationalen Wettbewerb. Eine Voraussetzung ist, dass der Staat ausreichend in die Förderung der technologischen Innovation investiert. Eine digitale Infrastruktur ist eine zweite Voraussetzung, sodass alle Bürger und Unternehmen das Internet geschäftlich und privat von jedem Standort aus nutzen können. Immerhin wird in anderen Ländern flächendeckend WLAN mit wesentlich höheren Bitraten angeboten und aufgebaut. Eine weitere Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit ist, dass alle Bürger und Unternehmen ihre Kommunikation mit dem Staat und seinen Behörden online erledigen können. Zudem muss der Staat mit seinen Institutionen effizient organisiert sein. Auch darf der Staat die Wirtschaft nicht mit bürokratischen Auflagen zusätzlich belastet. Industrie 4.0 gilt als Fortschreibung der Industrialisierung. Mit der Machine-to-Machine-Kommunikation von Sensoren und Aktoren können sich Maschinen über das Internet regelbasiert selbst steuern. Cloud Computing ermöglicht in allen Betriebsprozessen Informationen zu verarbeiten. Mit Big Data und der Verwendung von semantischen Netzen können alle erzeugten Daten für das Gesamtsystem genutzt werden. Was ist seit den Umsetzungsempfehlungen zu Industrie 4.0 passiert? Sind 200 Millionen Euro Forschungsmittel der Bundesregierung für Industrie 4.0 ausreichend? Allein die Planmehrkosten des BND-Neubaus in Berlin waren so hoch – von den Mehrkosten des Berliner Flughafens von rund 2,3 Milliarden Euro ganz zu schweigen. Längst hat sich wie bei der Standardisierung des Internets ein Industrial Internet Consortium (IIC) unter Führung von General Electric formiert. Bosch und Siemens sahen sich gezwungen diesem Konsortium beizutreten. Die Idee eines europäischen Standardisierungsgremiums musste der schnellen Realität Platz machen. Obwohl McKinsey und andere ausgerechnet hatten, dass mit den neuen digitalen Produktionstechnologien jährlich volkswirtschaftliche Vorteile von bis zu 6,2 Billionen Dollar erzielt werden können, waren die Europäer nicht in der Lage, eine eigene Organisation im Bereich Industrial Internet aufzubauen.

IT im öffentlichen Sektor

Die Kluft zwischen Bürger und Wirtschaft zum Staat ist in vielen Bereichen so groß, dass sich die Verwaltung in ihren Digitalisierungsbemühungen gehörig anstrengen muss. Die Ausgangslage der Verwaltungs-IT in Deutschland ist immer noch geprägt von heterogenen Strukturen, alter Technik, unnötiger Vielfältigkeit und von wenig betriebswirtschaftlich aufgestellten IT-Dienstleistern. Bei rund 23 Milliarden Euro Jahresbudget gibt es genügend Konsolidierungs-, Modernisierungs- und Effizienz-Potenzial in der IT des Public Sectors. Hinzu kommt, dass die IT-Strukturen der öffentlichen Verwaltung einen Nachholbedarf an IT-Sicherheit haben. Von rund 30.000 Rechnern ist nur etwa die Hälfte in gesicherten Rechenzentren untergebracht. Ein politisches Interesse an der effizienteren Nutzung der IT wäre sinnvoll. Mit der Verbesserung könnten Milliarden am IT-Betrieb gespart und für Innovationen genutzt werden. Moderne IT-Organisationen verlangen allerdings stetiges Re-Engineering. Das heißt: Die politische Spitze ist als Führung gefordert. IT und Verwaltungsprozesse sind eng miteinander verknüpft. Vorgänge werden mit IT-Verfahren abgewickelt, dokumentiert und die Daten zur Wiederverwendung gespeichert. Bei rund fünf Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst sind das sehr viele Vorgänge, die zwischen Verwaltungen sowie zwischen Verwaltungen und Bürgern oder Unternehmen stattfinden. Die Prozesskosten werden auf rund 270 Milliarden Euro geschätzt. Prozesskosten-Optimierung ist in der Wirtschaft fast jährlich im Umfang von bis zu zehn Prozent üblich. Das ist ein Potenzial, das genutzt werden sollte. Die frei werdenden Mittel könnten für Investitionen beispielsweise in der IT-Sicherheit sinnvoll genutzt werden.

Staat muss Schritt halten

Seit 2006 wird im Rahmen des IT-Gipfels der Bundeskanzlerin eine Präsentation über den Fortschritt der Digitalisierung in Deutschland vorgelegt. Neben dem E-Government wird jeweils der flächendeckende Breitband-Ausbau als Ziel deklariert. So auch in der Digitalen Agenda. Beim Ausbau geht es jedoch nicht so richtig voran. Mit viel Aufwand wurden nPA und De-Mail etabliert. Die Anwendung durch die Bürger bleibt aufgrund der Komplexität und dem geringen Nutzen aber sehr niedrig. Wie kann das bei einem der wirtschaftlich stärksten Länder der Welt sein, wenn zugleich das E-Government seit 2009 Verfassungsrang hat? Seither werden E-Government und die IT von Bund und Ländern im IT-Planungsrat als entscheidendem Gremium behandelt. Dieses Gremium kann seiner wichtigen Aufgabe aber nicht gerecht werden, wenn jährlich nur ein Budget von rund zwei Millionen Euro für E-Government-Vorhaben von Bund, Ländern und Kommunen zur Verfügung gestellt wird. Die bisherigen Anstrengungen reichen nicht aus. Die Digitale Agenda der Bundesregierung enthält neben Allgemeinplätzen nur die Fortschreibung bestehender Projekte. Das Bürgertelefon 115 befindet sich noch immer nicht flächendeckend im Einsatz. Die für das Jahr 2009 von der EU verordnete Dienstleistungsrichtlinie, welche die barrierefreie Online-Gewerbeanmeldung ermöglichen soll, ist nur partiell verfügbar. Der Prozessdatenbeschleuniger, der die Melde- und Genehmigungsprozesse zwischen Wirtschaft und Verwaltung elektronisch gewährleisten soll, ist nur in zwei Beispielen ansatzweise implementiert, nämlich bei der Online-Beantragung von Schwerlasttransporten und der Meldeverpflichtung von Emissionsdaten. Diese Beispiele zeigen, dass sich die Beteiligten mehr anstrengen müssen, damit die schon klaffende Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit nicht größer wird. Denn unabhängig von den gegenwärtigen Bemühungen des Staates verändert sich die Gesellschaft rasant. Die mobilen, stets mit dem Internet vernetzten Bürger erwarten, dass auch die Behörden in allen Lebenslagen elektronisch erreichbar sind und Behördengänge in der Cloud erledigt werden können.

Horst Westerfeld, Staatssekretär a. D. und ehemaliger CIO des Landes Hessen, ist Lehrbeauftragter an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.




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