BIK für AlleBarrierefrei muss sein
Im Dezember 2016 wurde sie im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und muss nun in deutsches Recht übertragen werden: Die EU-Richtlinie über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen. Die neue EU-Richtlinie verpflichtet sämtliche öffentliche Stellen – Verwaltungen, Gerichte, Polizeistellen, öffentliche Krankenhäuser, Universitäten oder Bibliotheken – zu barrierefreien Internet-Seiten und Apps. Damit wird in Deutschland Barrierefreiheit zukünftig auch auf kommunaler Ebene verpflichtend.
Nach dem Inkrafttreten der EU-Richtlinie müssen die erforderlichen nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften bis September 2018 erlassen werden. Doch damit nicht genug. Die EU-Richtlinie sieht auch vor, dass die EU-Mitgliedstaaten die Einhaltung der Rechtsetzung langfristig überprüfen und der EU-Kommission regelmäßig Bericht erstatten.
Inhaltlich definiert die EU-Richtlinie bereits Übergangsfristen und Anforderungen: Demnach müssen neue Websites innerhalb eines Jahres, ältere Websites innerhalb von zwei Jahren barrierefrei angeboten werden. Mobile Anwendungen müssen ab Juni 2021 barrierefrei sein. In ihren Web-Angeboten müssen Anbieter zukünftig außerdem eine Barrierefreiheitserklärung publizieren und einen Feedback-Mechanismus für Nutzer anbieten.
Vier globale Prinzipien beachten
Als Standard für Barrierefreiheit wird die europäische Norm EN 301 549 genannt, die bezüglich des Webs die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.0 wiedergibt. Die WCAG sind der weltweit gültige Standard für barrierefreies Webdesign. Sie bestehen aus vier globalen Prinzipien: Internet-Auftritte müssen wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust sein. Was das heißt, wird in den WCAG durch so genannte Erfolgskriterien konkretisiert, etwa dass es für Grafiken Textalternativen geben oder dass das Web-Angebot per Tastatur bedienbar sein muss. In Deutschland setzt die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) die WCAG in Bundesrecht um. Im Jahr 2002 als Ergänzung des Behindertengleichstellungsgesetzes in Kraft getreten, verpflichtet sie Bundesbehörden zu barrierefreiem Webdesign. Viele Bundesländer haben die BITV übernommen und halten zum Teil auch schon auf kommunaler Ebene zu Barrierefreiheit an, so etwa das Land Baden-Württemberg.
Wird ein Web-Angebot WCAG- oder BITV-konform umgesetzt, ist es für alle Nutzer – einschließlich Menschen mit Behinderungen und altersbedingten Einschränkungen – zugänglich. Nicht umsonst wird auch von Design for All gesprochen. Barrierefreiheit heißt, ein blinder und ein sehender Nutzer können den Auftritt wahrnehmen – der eine, indem er sich visuell orientiert, der andere, indem er sich die Seite von seinem Bildschirmleseprogramm ausgeben lässt. Es bedeutet, dass ein hörender und ein schwerhöriger Mensch ein eingebettetes Online-Video nutzen können: Der Hörende akustisch, der Schwerhörige über die Untertitelung. Barrierefrei heißt auch, dass sich sowohl der Maus- als auch der Tastaturnutzer – etwa Menschen mit eingeschränkter Handmotorik – durch ein Web-Angebot bewegen können: Der eine klickt Web-Inhalte per Mauszeiger an, der andere benutzt die Tastatur. Für alle heißt Barrierefreiheit Nutzbarkeit, Übersichtlichkeit und Verständlichkeit.
Bei der Entwicklung von Web-Angeboten sollten zukünftig die Barrierefreiheitsanforderungen der WCAG in den Blick genommen werden. Die Projektreihe zum barrierefreien Internet BIK, kurz für barrierefrei informieren und kommunizieren, wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert. Das erste BIK-Projekt ging bereits 2002 an den Start. Um die Umsetzung von Barrierefreiheit zu unterstützen, hat BIK damals ein Testverfahren entwickelt, das die Einhaltung der BITV überprüfbar macht. Inzwischen ist der BITV-Test ein etabliertes Verfahren. Es wird von einem deutschlandweiten Prüfverbund angeboten und kam bereits tausendfach zum Einsatz. Gut zugängliche Web-Auftritte werden in der Liste 90+ aufgeführt und erhalten ein Prüfsiegel.
Kommunen im Fokus
Im aktuellen BIK-Projekt BIK für Alle wird die Möglichkeit einer Testauswertung gemäß WCAG geschaffen. Vor allem geht es aber darum, in solchen Bereichen für barrierefreie Web-Angebote zu werben, die bisher noch nicht zu Barrierefreiheit verpflichtet sind. Vier zentrale Handlungsfelder wurden ausgewählt, eines davon ist der Bereich Soziales und Kommunen. Viele Gemeinden oder Kreise haben nur begrenzte Mittel für die Entwicklung und Pflege ihres Internet-Auftritts. „Unser Ziel ist es zu erproben, wie Barrierefreiheit effizient und kostengünstig auf kommunaler Ebene umgesetzt werden kann“, berichtet Projektleiterin Heike Clauss. Dazu werden aktuell zwei Modellprojekte mit dem Kreis Ostholstein und der Zentralbücherei für Blinde in Leipzig durchgeführt. Die Ergebnisse aus den Modellregionen werden auf der Projekt-Website BIK für Alle in Form von Leitfäden veröffentlicht. Bereits jetzt finden sich hier vielfältige Informationen zu barrierefreiem Webdesign.
Die Umsetzung von Barrierefreiheit unterstützt auch der BITV-/WCAG-Test. Er beschreibt Barrierefreiheitsanforderungen ausführlich und setzt sie in konkrete Prüfschritte um. Der Test steht auch als Selbstbewertung zur Verfügung: ein kostenfreies Online-Tool, das sich insbesondere als entwicklungsbegleitende Hilfe eignet und durch seine ausführliche Beschreibung von Anforderungen eine Menge Know-how vermittelt. Durch die neue EU-Richtlinie wird Barrierefreiheit zukünftig verpflichtend. Doch die Expertin ist überzeugt, dass noch mehr für Barrierefreiheit spricht. „Ein barrierefreies Web-Angebot setzt auch auf gute Bedienbarkeit und Verständlichkeit und ist nebenbei besonders suchmaschinenfreundlich und mobil gut nutzbar“, fasst Clauss zusammen. Gemeinsam mit der Gesetzeslage dürfte es also nicht an Argumenten mangeln, bei Web-Angeboten zukünftig auch auf Barrierefreiheit zu achten.
http://www.bik-für-alle.de
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