E-PartizipationBerlins neue Mitte
Die alte Mitte Berlins zwischen Fernsehturm und Spree ist nahezu unbebaut. Im Auftrag des Berliner Abgeordnetenhauses initiierte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt im Frühjahr 2015 unter dem Titel „Alte Mitte – Neue Liebe?“ dazu eine ergebnisoffene Stadtdebatte. Nach einem dreiviertel Jahr intensiver Diskussion gibt es nun eine gemeinsame Vision für die Berliner Mitte. Das Areal zwischen Fernsehturm und Spree ist der Gründungskern Berlins. Wo einst enge Gassen und Fachwerkhäuser das Stadtbild prägten, führten die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und die Planungen der DDR-Moderne schließlich zu einer großen gestalteten Freifläche. Marienkirche, Neptunbrunnen und das Berliner Rathaus sind als historische Wahrzeichen auf dem Platz integriert. Für die einen ist die Mitte eine geschichtsvergessene Einöde ohne Aufenthaltsqualität. Anderen dient sie als nicht-kommerzielle grüne Oase inmitten des Großstadtgetümmels. Jahrelang stand somit die Frage im Raum: Soll die Fläche wieder bebaut oder als Freifläche erhalten werden? In Punkto Bürgerbeteiligung hat die Stadtdebatte zur Berliner Mitte neue Maßstäbe gesetzt. Neben klassischen Beteiligungsformen wie Bürgerwerkstätten und Fachkolloquien wurden auch ungewöhnliche Formate wie partizipatives Theater, ein Townhall Meeting und thematische Erkundungen angeboten. Zugleich wurde das Projekt öffentlichkeitswirksam bekannt gemacht und zwar durch eine Open-Air-Ausstellung zwischen Fernsehturm und Spree, stadtweite Plakatierungen, den eigenen Twitter-Kanal @berlinermitte und eine hohe Medienaufmerksamkeit.
Bürger diskutieren mit
Um von Beginn an wichtige Akteure einzubinden, wurde ein namhaft besetztes Kuratorium berufen. Persönlichkeiten aus Fach- und Stadtöffentlichkeit haben den Prozess intensiv begleitet. Zudem waren die stadtentwicklungspolitischen Sprecher aller fünf Berliner Abgeordnetenhausfraktionen beteiligt. Um das Beteiligungsverfahren zu unterstützen, unterzeichneten sie öffentlich ein Dialogversprechen. Als Geschäftsstelle wurde die Agentur Zebralog beauftragt, um alle Aktivitäten zu koordinieren und den Prozess zu steuern. Dieses ehrgeizige Vorgehen wurde von den Teilnehmenden honoriert. Mehr als 10.000 Bürger nahmen aktiv an der Stadtdebatte teil. In insgesamt über 20 Dialogveranstaltungen konnten sich alle einbringen: Passanten, Anwohner und Jugendliche vor Ort sowie die interessierte Fach- und Stadtöffentlichkeit. Zu Beginn wurde gefragt, wie die Berliner und Besucher das Areal zwischen Fernsehturm und Spree wahrnehmen und was sie sich für die Zukunft wünschen. Alle Ergebnisse der ersten Dialogphase wurden in 15 Thesen zusammengefasst. Diese wurden beim Halbzeitforum – konzipiert als Townhall Meeting – vorgestellt und gemeinsam mit den Bürgern diskutiert. Das Ergebnis war eindeutig: Allen Thesen, die Aussagen zur Bedeutung und Nutzung der Berliner Mitte machten, wurde deutlich zugestimmt. Der erste Baustein für eine Programmierung des Ortes war damit gelegt. Im Online-Dialog und bei den Veranstaltungen der ersten Phase wurden je sechs Dialogbotschafter gewonnen. Diese trugen die Ergebnisse in die zweite Halbzeit der Beteiligung. In der zweiten Dialogphase wurde vertieft und konkretisiert. Eine gemeinsame Vision zeichnete sich ab, in der sich die jeweiligen Schwerpunkte der Thesen sinnvoll ergänzten. So einigten sich die Teilnehmenden zum Abschluss der Stadtdebatte auf zehn Bürgerleitlinien zur Berliner Mitte. Den redaktionellen Feinschliff gaben die Bürger auf dem Abschlussforum Ende 2015.
Online debattieren mit Erfolg
Ein wichtiger Anlaufpunkt war die Online-Plattform zur Stadtdebatte. In einer Umfrage und zwei Online-Dialogen konnten alle Berliner ihre Ideen zur Zukunft der historischen Mitte einbringen. Neben erprobten Tools der eingesetzten Dialogzentrale für die Diskussion konnte so eine integrierte Verknüpfung zu den Vor-Ort-Elementen erreicht werden. Vorteile der Dialogzentrale: die übersichtliche Terminankündigung, ein zentrales Anmelde-Management für Veranstaltungen, deren Dokumentation sowie eine umfassende Bibliothek mit wichtigen Dokumenten. Für die Mitte einer westeuropäischen Hauptstadt lesen sich die Ergebnisse der Stadtdebatte beinahe revolutionär: Die Mehrheit der Bürger will einen Ort für alle, frei von Kommerzialisierung und mit Raum für kulturelle Aktivitäten und politische Auseinandersetzung. Eine vollständige Bebauung wurde abgelehnt. Vielmehr setzen die Bürger auf die Weiterentwicklung und Nutzung der vorhandenen Freiräume. Das Spreeufer soll für den Aufenthalt geöffnet und der Verkehr insgesamt beruhigt werden. Senator Andreas Geisel und Senatsbaudirektorin Regula Lüscher bilanzieren die Stadtdebatte als großen Erfolg. Die jahrelange Kontroverse zwischen Befürwortern einer historischen Rekonstruktion der Alten Mitte und Freiraumbefürwortern konnte aufgebrochen werden. Auch die stadtentwicklungspolitischen Sprecher resümieren, dass jetzt auf einer anderen Ebene diskutiert wird – Entscheidungen zur Gestaltung müssen nun unter der Dachmarke der zehn Bürgerleitlinien diskutiert werden. Die Bürger fühlen sich ernstgenommen und stehen hinter den Ergebnissen. Mit den Leitlinien werden dem Berliner Abgeordnetenhaus klare Aussagen übergeben, an denen sich die Politik orientieren muss.
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