IT-InnovatorenBeruf als Berufung
Ulm tut Ihnen gut und Sie sind gut für Ulm – so kommentierte Oberbürgermeister Ivo Gönner die fast einstimmige Wiederwahl seines Finanzbürgermeisters Gunter Czisch im Jahr 2008. Der sieht das genauso. Geboren in Dietenheim, 20 Kilometer von Ulm entfernt, macht Czisch seine erste Ausbildung bei der Stadt Ulm und kehrt nach 13 Jahren Verwaltungstätigkeit am Bodensee wieder dorthin zurück, wo ihm seit August 2000 als Erster Bürgermeister der Fachbereich Zentrale Steuerung untersteht, der Finanzen, Personal, Organisation, Informationstechnologie, Sonderaufgaben und Beteiligungen umfasst.
Verwaltung statt Kunst
Eine Verwaltungslaufbahn war Czisch aber keineswegs in die Wiege gelegt. Im Gegenteil: Eigentlich wollte er Kunst studieren. Schon zu Schulzeiten macht er viel Musik, betreibt Leistungssport und malt. Er bereitet sogar eine Kunstmappe vor. Czischs Eltern sind jedoch der Meinung, ihr Sohn solle „etwas G’scheites“ lernen. Deshalb entscheidet er sich nach einer Präsentation der Stadt Ulm in der Schule für eine Verwaltungsausbildung – allerdings mit dem Gedanken im Hinterkopf, später Kunst zu studieren. Czisch hat nicht damit gerechnet, dass ihm der Dienst am Bürger so großen Spaß machen würde, dass er nach seiner Ausbildung bei der Stadt Ulm erneut die Schulbank drückt und das Fachabitur macht. Anschließend bewirbt er sich in der Region für den gehobenen Dienst. Nach Studium und Lehrauftrag an der Hochschule ist es nach Aussage von Czisch eher Zufall, dass er mit 30 Jahren Kämmerer im Landratsamt Bodenseekreis wird. Er stellt fest, dass er das vielfältige Aufgabenspektrum schätzt und kein Problem damit hat, Tag und Nacht zu arbeiten, weil ihm die Verantwortung gefällt. Das hat sich bis heute nicht geändert. Wenn er über seine 60- oder 70-Stunden-Woche spricht, dann tut er das ohne Gram. Denn für ihn ist das Bürgermeisteramt kein Beruf, sondern eine Berufung: „Es gibt Berufe, die ergreift man nicht des Geldes oder Ansehens wegen – das bei Bürgermeistern sowieso nicht mehr so groß ist – sondern weil man sich berufen fühlt, und dann identifiziert man sich auch ganz anders damit.“
Diener der Bürgerschaft
Wichtig für die knappe Freizeit sei dann aber die Privatheit im eigenen Zuhause und mit Freunden, die mit der Politik nichts zu tun haben. Entspannen kann der Ulmer Bürgermeister zudem bei guter Lektüre oder beim Musizieren. Czisch spielt seit 40 Jahren Schlagzeug und hat sich zehn Jahre lang intensiv mit Jazz und Dixieland beschäftigt. Heute spielt er ab und zu in seiner alten Band oder in bunt zusammengewürfelten Jazz-Formationen, wobei auch schon mal Haushaltsberatungen musikalisch reflektiert werden. Da seine beiden Söhne, 14 und 17, ebenfalls Schlagzeug spielen, ist im Hause Czisch Musik ein wichtiger Teil des Familienlebens. Den Spagat zwischen Privatleben und Beruf zu schaffen, ist laut Czisch überlebenswichtig – gerade wenn der Job so spannend ist wie in seinem Fall. Er erläutert: „Es geht um die Lebensbedingungen der Menschen in einer Stadt. Das ist eine große Verantwortung und erfordert immer wieder die Demut, Diener der Bürgerschaft zu sein.“
Alle anhören
Der Dienst am Bürger steht auch bei den Ulmer E-Government-Projekten im Vordergrund. „Wir sind der Meinung, dass erst das Government und dann das
E kommen muss. Es geht nicht um die nette Anwendung, sondern um Government und um ein Denken und Handeln vom Bürger her.“ Dies zeigt sich beispielsweise im Service-Center Neue Mitte für die Lebenslage Umzug, das von Stadt und Stadtwerken betrieben wird. Typisch für die Ulmer Vorgehensweise ist, dass zunächst eine Testphase für einen überschaubaren Bereich durchgeführt wird, bevor in größeren Dimensionen gedacht wird. Außerdem will Czisch erst dann Vorgaben machen, wenn er die Erfahrungen von Praktikern gehört hat. Wichtig ist dem Finanzbürgermeister bei Projekten auch, sich auf einen ergebnisoffenen Prozess einzulassen und alle anzuhören, um möglichst viele mitzunehmen. Am Ende sei es aber natürlich immer auch eine Führungsaufgabe, da gibt sich der Oberulmer keiner Illusion hin. Vieles in der Verwaltung bewege sich schließlich nicht freiwillig. Czisch erklärt das so: „Das Einbinden der Mitarbeiter ist extrem wichtig, aber manchmal muss man die Leute auch zu ihrem Glück zwingen.“ Darüber hinaus gelte es, die Chance, ein Projekt zu verhindern, nicht zu groß werden zu lassen, auf der anderen Seite aber auch bereit zu sein, gegenzusteuern, wenn deutlich wird, dass man sich auf dem Holzweg befindet.
Vorleben statt Werben
Das Sammeln von Praxiserfahrungen steht auch bei dem für dieses Jahr geplanten Relaunch der städtischen Website im Vordergrund. Probefeld ist hier das Donauportal. Ulms Bürgermeister erläutert: „Ganz breit werden dabei in einem kleinen Bereich, aber bei Bürgern mit hoher Internet-Affinität Web-2.0-Instrumente getestet.“ Das konkrete, anschauliche Beispiel soll auch dazu beitragen, bei den Beschäftigten die Hemmschwelle abzubauen, sich den Themen Web 2.0 und Social Media zu nähern. In seinem Fachbereich spiele er immer den Pilotanwender, so der 49-Jährige. Mit einem Schmunzeln fügt er hinzu: „Wenn es irgendein neues Gerät auf dieser Welt gibt, das spannend ist, dann habe ich es in der Ulmer Verwaltung als erster. Ich probiere es aus und laufe anschließend durch die Stadtverwaltung und preise es an.“ Bei Smartphones und iPads sei das folgendermaßen abgelaufen: „Ich habe etwa 20 Geräte gekauft und an diejenigen in der Stadtverwaltung verteilt, von denen ich weiß, dass sie eine Affinität dazu haben. Werbung brauchte ich dann keine mehr zu machen. Es dauerte rund sechs Wochen, bis die ersten ankamen und auch so ein Gerät haben wollten.“ Oberbürgermeister Gönner sei nicht unbedingt der Technik-Freak, sagt Czisch, aber er sei sehr stolz, dass auch er jetzt ein iPhone besitze. „Wir witzeln immer über unsere unterschiedliche Technikaffinität, aber im Grunde ist es so, dass wir die perfekte Arbeitsteilung haben, denn der Oberbürgermeister ist technischen Neuerungen gegenüber aufgeschlossen und befördert sie.“ Wichtig ist Czisch außerdem, dass alle Verwaltungsmitarbeiter die Instrumente, wie beispielsweise die Ulm-App, einmal ausprobiert haben, auch wenn sie diese dann nicht ständig nutzen.
Chancen von Social Media und Web 2.0
Social Media und Web 2.0 werden die Kultur der Stadtverwaltung noch gewaltig verändern, ist Czisch überzeugt. Er führt aus: „Der Fokus der deutschen Bürokratie lag immer schon darauf, zunächst einmal sich selbst gut zu organisieren, bevor darüber nachgedacht wird, ob es auch für die Bürger optimal ist. Ich glaube aber, dass man von außen nach innen organisieren muss.“ Hier sei unter anderem mit Open Data ein Schutzwall gebrochen.
Web 2.0 und Social Media sieht Czisch als große Chance für die kommunale Demokratie, die allerdings auch eine Änderung des Verwaltungshandelns bedeutet. „Der Staat muss umdenken, weil er nicht mehr Herr des Verfahrens ist, weil die Spielregeln im Internet anders sind und weil die Verwaltung auch rechtlich gar nicht in der Lage ist, das Spiel in dieser Dynamik mitzuspielen.“ In der Verwaltungskultur fehlen noch die Instrumente, um mit dieser neuen Situation sachgerecht umzugehen. Hier seien Regeln notwendig. Denn in einer repräsentativen Demokratie gehe es auch darum, die jeweiligen Rollen zu respektieren. Neben der Festlegung von Regeln sei ein ernsthaftes Betreiben entscheidend. Czisch erklärt: „Lieber macht man weniger, aber das, was man macht, richtig.“ Schwäbisch unaufgeregt spricht sich der Ulmer Bürgermeister gegen die große Marketing-Nummer aus. Skeptiker könne man viel eher mit erfolgreichen Praxisbeispielen überzeugen. Daran wird Gunter Czisch auch weiterhin arbeiten. Auf die Frage, ob er sich in zehn Jahren immer noch im Ulmer Rathaus sieht, antwortet Czisch: „Ziemlich sicher. Denn das, was ich jetzt mache, mache ich mit ganzem Herzen.“
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