Sonntag, 20. Oktober 2024

Kreis HavellandBlick in die Zukunft

[11.12.2020] Wie die digitale Zukunft der Kreisverwaltung Havelland aussehen kann, haben Studierende der Universität Potsdam ergründet. Aus den Ergebnissen des Projekts lassen sich allgemeine Handlungsempfehlungen für die digitale Verwaltung ableiten.
Wie sieht die Arbeit der Verwaltung künftig aus?

Wie sieht die Arbeit der Verwaltung künftig aus?

(Bildquelle: kantver/123rf.com)

Der Einsatz digitaler Technologien in allen Lebensbereichen hat unser Zusammenleben und -arbeiten in den vergangenen Jahren stark verändert. Die Corona-Pandemie, die das gesamte Jahr 2020 maßgeblich bestimmt, hat die Relevanz dieser Technologien für das psychische und physische Wohl der Bevölkerung, aber vor allem für die virtuelle Zusammenarbeit nochmals mit aller Deutlichkeit unterstrichen. Organisationen mit digitalen Geschäftsmodellen und solche, die bereits interne digitale Prozesse leben, hat die Krise mitunter weniger hart getroffen als andere. Die öffentliche Verwaltung, die sich mit Veränderungsprozessen zuweilen schwerer tut, kam zum Teil komplett zum Erliegen. Ein Grund dafür ist, dass die digitale Transformation in diesem Bereich noch fast am Anfang steht, wenngleich es viele Pläne und Initiativen gibt, das zu ändern.

Studentisches Beratungsprojekt

So auch im Landkreis Havelland in Brandenburg. Dieser kooperiert seit einigen Jahren mit dem Lehrstuhl für Public und Nonprofit Management an der Universität Potsdam. Im Jahr 2019 wurde das Thema Digitalisierung auf die Agenda der Zusammenarbeit gesetzt. Im Rahmen eines studentischen Beratungsprojekts haben sich Studierende der Verwaltungswissenschaft, Politikwissenschaft, Wirtschaftsinformatik und Betriebswirtschaftslehre mit Zukunftsszenarien für den digitalen Landkreis beschäftigt. In drei Teilprojekten ergründeten sie aus Perspektive der Verwaltungskunden (der Bürger und Unternehmen), aus Perspektive der Aufbau- und Ablauforganisation und aus Sicht der Mitarbeiter, wie die digitale Zukunft aussehen kann. Die interdisziplinäre Zusammensetzung der drei Projekt-Teams spielte eine wichtige Rolle bei der Erarbeitung der Szenarien und lieferte kreative Ansätze.

Entscheidende Treiber

In allen drei Teilprojekten wurden Szenariomethoden angewandt. Diese ermöglichen es, sich aktiv mit der Zukunft und den damit einhergehenden Unsicherheiten auseinanderzusetzen. Zur Erstellung der Szenarien wurden zunächst entscheidende Treiber für Veränderungen identifiziert und als Achsen einer Szenariomatrix dargestellt. Daraus ergeben sich in den Feldern der Matrix positive und negative Extrem-Szenarien. Diese können als Kurzgeschichten erzählt werden und sind daher oft eingängiger und den Beteiligten eines Wandlungsprozesses leichter zu vermitteln.
Für die Erarbeitung der Szenarien hat jedes Team spezifisch angepasste sozial­wissenschaftliche Methoden wie Dokumenten-Analysen, Interviews und Online-Befragungen genutzt und die so erhobenen Daten systematisch ausgewertet.

Zwei Einflussfaktoren

Das erste Teilprojekt befasste sich mit den Bedürfnissen und Erwartungen der Bevölkerung an das Havelland. Aus dem Stand der Forschung ergaben sich zunächst zwei Einflussfaktoren in diesem Feld: „Digitalisierungskompetenz“ und „Datenschutzbedenken“. Mithilfe dieser Treiber als Achsen einer Szenariomatrix ergeben sich vier Zukunftsszenarien des Kontakts zwischen Verwaltung und Bürger. Wird die Kommunikation in Zukunft über Verwaltungsautomaten, Online-Portale, ein mobiles Rathaus oder vollautomatisiert erfolgen? Nach Ansicht der Bürger muss die Landkreisverwaltung der Zukunft sowohl digital als auch analog aufgestellt sein. Besonders wichtig ist ein hoher Grad an Serviceorientierung und Nutzerfreundlichkeit. Die Beratung sollte kompetent und flexibel sein, die Prozesse sollten beschleunigt werden und weniger komplex sein. In Bezug auf Unternehmen zeigt sich ein etwas geringerer Handlungsbedarf, dennoch gibt es Optimierungspotenzial. So stehen für Unternehmen eine gute Erreichbarkeit, schnelle Prozesse und kompetente Ansprechpartner im Vordergrund. Entgegen der Erwartungen aus der Literatur wird weiterhin der persönliche (telefonische) Kontakt gegenüber Online-Lösungen bevorzugt.

Kontinuum zwischen Extrempolen

Die Digitalisierung der Abläufe einer Organisation lässt sich auf einem Kontinuum zwischen den Extrempolen einer „Eins-zu-eins-Digitalisierung“ und „fundamentalen digitalen Prozessneugestaltung“ darstellen. Die Extrempole der aufbauorganisatorischen Entwicklungen sind die „klassische Linienorganisation“ auf der einen und die „agile Netzwerkorganisation“ auf der anderen Seite. Aus der Kombination dieser Achsen ergeben sich vier Szenarien für die Organisation der digitalen Verwaltung: bewegliche Projektverwaltung, routinierte Kompetenzverwaltung, Webersche Digitalverwaltung und effiziente Fachverwaltung. Aus Sicht des Teams ist die mittelfristige Reorganisation in eine Fachverwaltung erstrebenswert. Diese ist durch die Fachspezifität der Verwaltungseinheiten sowie eine stark segmentierte und hierarchisierte Verwaltungsstruktur geprägt. Langfristig sollte sich ein Landkreis zur beweglichen Projektverwaltung weiterentwickeln, welche sich durch agil arbeitende Einheiten auszeichnet. Diese sind interdisziplinär zusammengesetzt und erbringen Verwaltungsservices, um den Landkreis bei der Umsetzung von OZG-Leistungen zu unterstützen oder arbeiten zu Querschnittsthemen der Verwaltung zusammen.

Sechs Handlungsfelder

Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung sind in ihrem Arbeitsalltag, in ihren Möglichkeiten und Anforderungen immer stärker von Digitalisierung betroffen. Das Projekt-Team identifizierte hier sechs Handlungsfelder und skizzierte in diesen entsprechende Szenarien: (flexible) Arbeitsmodelle, (digitale) Kompetenzen, veränderte Aufgabenprofile, Personalbedarf, Personalgewinnung und -entwicklung. Für die Mitarbeiter spielen individuelle Bedürfnisse eine immer größere Rolle, was zur Forderung nach flexibleren Arbeitsmodellen führt, wie beispielsweise Homeoffice, Teilzeit und Vertrauensarbeitszeit. Auf Führungs- wie auf Mitarbeiterebene sind andere Kompetenzen gefragt. „Digital Lit­eracy“ ist hier ein wichtiges Stichwort, aber auch der Umgang mit Fehlern und die Fähigkeit, sich zu verändern. Zwischenmenschlichkeit bleibt relevant und die Aufgabe der Führungskräfte wird immer stärker darin bestehen, Mitarbeiter zu motivieren. Automatisierung führt zum Wegfall und der Verschiebung von Aufgaben und zu neuen Aufgabenprofilen. Auch die Personalentwicklung muss in Zukunft digitaler und individueller gestaltet werden, indem beispielsweise Online- und Präsenzweiterbildungsmaßnahmen kombiniert werden (Blended Learning).

Serviceorientierung und Bürgernähe

Über alle drei Teilprojekte hinweg lassen sich allgemeine Handlungsempfehlungen ableiten, die nicht nur in der Verwaltung des Kreises Havelland anwendbar sind. Zunächst sollte bei der Digitalisierung ein hohes Maß an Serviceorientierung und Bürgernähe berücksichtigt werden. Die Verwaltung muss die Bedürfnisse der Bürger, der Unternehmen und ihrer Mitarbeiter ernst nehmen und hierfür in der Regel erst einmal erheben, wie diese Bedürfnisse lauten. Der kontraintuitive Wunsch der befragten Unternehmen nach persönlichem Kontakt zeigt, dass hier individuelle Anpassungen nötig sind. Dennoch können Verwaltungen auch von den Best Practices anderer Verwaltungen und Unternehmen lernen, etwa wenn es um Erfahrungen in der Prozessdigitalisierung geht. Dabei ist vor allem eine Vernetzung mit anderen Kommunen sinnvoll, da hier der organisationale Kontext ähnlich ist. Besonders wichtig ist, dass das Thema Digitalisierung zur Chefsache gemacht wird, etwa als Stabsstelle, die direkt beim Bürgermeister oder Landrat angesiedelt ist. Darüber hinaus sollten die Kommunen mutige und innovative Entscheidungen treffen, und nicht darauf warten, dass das Land oder der Bund etwas entscheidet und vorgibt.

Clementine Bertheau ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik, insbesondere Prozesse und Systeme, der Universität Potsdam; Dr. Caroline Fischer ist Postdoc am Lehrstuhl für Public und Nonprofit Management der Universität Potsdam.




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