InterviewBrücken bauen
Herr Jung, Sie sind seit Juni neuer Präsident des Deutschen Städtetags (wir berichteten) – der erste aus einer ostdeutschen Stadt. Welche Ziele haben Sie sich für Ihre Amtszeit gesetzt?
Der Deutsche Städtetag versteht sich selbst als die Stimme der Städte, egal ob diese im Osten, Westen, Norden oder Süden Deutschlands liegen. Diesem Selbstverständnis kann ich sehr viel abgewinnen. Aber natürlich bringe ich als Leipziger Oberbürgermeister auch ostdeutsche Perspektiven in die Diskussionen ein. Statt allerdings immer wieder nur über Ost-Befindlichkeiten und West-Befindlichkeiten zu debattieren, ist es mir sehr wichtig, gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen in den Städten die eine oder andere Brücke zwischen Ost und West zu bauen. Wichtige Themen bleiben natürlich auch Klimaschutz, bezahlbares Wohnen, gleichwertige Lebensverhältnisse, nachhaltige Mobilität und Digitalisierung.
Wie sollte Digitalisierung im Verhältnis zwischen Bürgern und Verwaltung ausgestaltet werden?
Die Städte haben den Anspruch, ihre Verwaltungen nutzerfreundlich, zeitgemäß und wirtschaftlich aufzustellen. Im Kern geht es um einen guten, modernen Service für die Menschen, möglichst unabhängig von klassischen Öffnungszeiten und ohne Fahrtwege. „Digital first“ ist der Leitgedanke. Der persönliche Kontakt zur Verwaltung muss aber natürlich weiterhin möglich bleiben.
Was müssen die Städte bei der Digitalisierung besser machen, um im internationalen Vergleich aufzuholen?
Verglichen mit Bund und Ländern sind die großen Städte seit Beginn der 1990er-Jahre Vorreiter bei digitalen Verwaltungsleistungen. Unbestritten sind aber auch weiterhin große Anstrengungen notwendig – sowohl aufseiten der Kommunen, als auch von Bund und Ländern. So müssen beispielsweise Verwaltungsprozesse komplett medienbruchfrei digital abgebildet werden können, so wie es das Onlinezugangsgesetz (OZG) vorgibt. Damit das gelingt, müssen wir die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft stärken und dort vorhandene Lösungen einbeziehen. Und wir müssen die Bürgerinnen und Bürger dafür begeistern, die digitalen Verwaltungsleistungen zu nutzen.
„Bis 2022 können wir die Chancen, die das OZG bietet nicht realisieren.“
Wie kommt die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes in den Städten voran? Wurde das Zeitfenster zu eng bemessen?
Hinter dem Onlinezugangsgesetz steckt ein föderales Großprojekt mit Bund, Ländern und Kommunen als Beteiligten. Erklärtes Ziel ist es, dass die Menschen über verbundene Portale ihre Verwaltungsangelegenheiten regeln, egal ob Bund, Land oder Kommune zuständig sind. Die Städte sind bei der Umsetzung des OZG treibende Kräfte, denn sie stehen im direkten Kontakt mit den Menschen vor Ort. Wie Bund und Länder auch wollen wir die Kundenzufriedenheit verbessern und Verwaltungsleistungen online anbieten. Das Zeitfenster wurde dafür jedoch viel zu eng bemessen. Bis 2022 können wir die Chancen, die das OZG bietet – nämlich ein besserer Service für die Menschen – nicht realisieren. Vorhandene Verwaltungslösungen müssen zunächst überarbeitet werden. Keinesfalls dürfen wir alte analoge Prozesse eins zu eins digitalisieren. Für zentrale Verwaltungsverfahren, zum Beispiel die Beantragung eines Personalausweises, brauchen wir zentrale Lösungen, denn nicht jede Stadt muss hier etwas Eigenes anbieten. Das alles kostet Zeit, ist aber auch sinnvoll. Sonst vertun wir die Chance, zu entbürokratisieren, einzusparen und die Bürgerinnen und Bürger zufriedener zu machen.
Wie kann der Deutsche Städtetag die Kommunen bei der Umsetzung des OZG unterstützen?
Bei der Umsetzung des OZG ist der Erfahrungsaustausch der Städte untereinander elementar. Wir unterstützen die Städte bei konkreten fachlichen Umsetzungsfragen und spezifischen technischen Lösungen und sorgen dafür, dass Mehrfacharbeiten möglichst vermieden werden. Neben dem Transfer konkret erzielter Ergebnisse geht es auch darum, dass sich die Städte bereits in einem frühen Planungsstadium zu ersten Überlegungen eng austauschen. Und wir unterstützen die Städte dabei, Positionen gegenüber Bund und Ländern zum Onlinezugangsgesetz zu bilden und vertreten sie in Gremien wie dem IT-Planungsrat.
Viele Städte machen sich auf den Weg zur Smart City. Was sehen Sie als größte Hindernisse?
Für die intelligente Vernetzung zu Smart Cities gibt es keine Blaupause. Dazu werden in den Städten gerade viele gute Projekte entwickelt und erprobt. Oftmals steht eine nachhaltige und klimaschonende Mobilität im Fokus, die Nutzung erneuerbarer Energien oder auch die lebenswertere Gestaltung öffentlicher Räume. Die Ziele, die sich die Städte im Zuge einer intelligenten Vernetzung geben, sind jedoch sehr unterschiedlich. Klar ist allerdings, dass die Stadt der Zukunft eine vernetzte sein wird, in der Kooperationen weiter an Bedeutung gewinnen und sich bestehende Routinen und Prozesse grundlegend verändern.
An welchen Vorbildern können sich die Städte hier orientieren?
Vorbildhaft sind die Städte, die mit ihren baulichen Beständen sorgsam umgehen, sie für die Zukunft ertüchtigen, Neues behutsam hinzufügen, Grün in die Stadt holen und gleichzeitig urbane Dichten – die Mischung von Wohnen, Gewerbe, Produktion, Bildung, Freizeit und Erholung auf engem Raum – ermöglichen und auf eine nachhaltige Mobilität setzen. Der entscheidende Faktor ist der Mensch. Sein Wohlergehen muss der Maßstab für unser Handeln bleiben bei allen denkbaren Veränderungen. Nicht alles, was technisch machbar ist, ist sinnvoll und erstrebenswert.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe November 2019 von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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