HannoverBürger online befragt
Die niedersächsische Landeshauptstadt hat die Bürgerbeteiligung auf das Internet ausgeweitet. Als erste deutsche Großstadt will Hannover mehrmals im Jahr eine repräsentative Auswahl von Einwohnern – ein so genanntes Bürger-Panel – zu wichtigen Themen der Stadtpolitik online befragen. Die erste Umfrage zum Thema Verkehrspolitik wurde im Oktober 2012 durchgeführt – mit einer sehr hohen Beteiligung und einem Ergebnis, das in der Öffentlichkeit für interessante Debatten gesorgt hat.
Einschätzungen der Bürger abholen
„Bürgerbeteiligung hat in Hannover eine lange Tradition. Wir wollen dafür jetzt auch die Möglichkeiten des Internet nutzen. Damit lassen sich die Meinungen der Bürger zu wichtigen Fragen der Stadtpolitik schneller und organisatorisch einfacher einholen“, begründet Oberbürgermeister Stephan Weil das Vorhaben, das intern eine gut einjährige Vorbereitungszeit hinter sich hat. „Wir möchten, dass sich Stadtverwaltung und Politik auch außerhalb von Wahlterminen gelegentlich vergewissern, was die Bevölkerung über zentrale kommunalpolitische Themen denkt.“ Allerdings, auch das ist von Beginn an sehr deutlich gemacht worden, geht es nicht um einen Volksentscheid. „Die Bürgerbefragung soll die Ratspolitik in Hannover nicht ersetzen, sondern sie unterstützen und zu zentralen Fragen wichtige Einschätzungen einholen“, betont OB Stephan Weil.
Mit jährlich zunächst drei bis vier repräsentativen Online-Befragungen will Hannovers Stadtverwaltung auch den willkürlichen Umfragen im Internet begegnen. So präsentieren etwa Lokalzeitungen auf ihren Portalen des Öfteren offene Umfragen zu strittigen Themen. Die Ergebnisse können von Lobby-Gruppen durch abgesprochene Klick-Aktivitäten manipuliert werden. Damit wirken die Ergebnisse dieser Umfragen oft spektakulär, sind aber alles andere als repräsentativ und damit für politische Entscheidungen nur eingeschränkt nützlich.
Einzigartiges Projekt
Hannover betritt mit der regelmäßigen Befragung in einem Bürger-Panel in Deutschland Neuland. Das Projekt wird wissenschaftlich und technisch begleitet vom Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung (FÖV) Speyer. Das Team von Kai Masser hat bereits Erfahrungen mit Online-Befragungen gesammelt. „Das Bürger-Panel in Hannover ist in seiner Art und Größe einzigartig in Deutschland. In keiner anderen Stadt gibt es eine derart große Gruppe von Bürgern, die regelmäßig die Möglichkeit erhält, ihre Meinung zu wichtigen lokalpolitischen Fragen abzugeben“, so Masser.
Aufbau und Pflege des Bürger-Panels erfolgen durch die Statistikstelle der Stadt. Das FÖV in Speyer berät bei der Erstellung der Fragebögen und wickelt den Online-Versand sowie die statistische Auswertung ab. Nach Speyer wandern jedoch keine personenbezogenen Daten. Sowohl die Befragung als auch die Auswertung erfolgen anonym. Das gesamte Verfahren ist mit dem Datenschutzbeauftragten der Stadt sowie der Kommunalaufsicht des niedersächsischen Innenministeriums abgestimmt.
Teilnehmer repräsentativ ausgewählt
Für das Panel wurden insgesamt 16.000 Bürger per Zufallsstichprobe angeschrieben. Geachtet wurde dabei auf eine repräsentative Verteilung nach Geschlecht, Altersgruppen und Stadtteilen. Nach einer ersten Einladung war eine zweite, gezielte Einladung notwendig, weil sich zunächst zu wenig Menschen unter 24 Jahren und zu wenig Männer über 65 Jahren beteiligt hatten. Insgesamt erklärten sich 2.850 Bürger zur Teilnahme an den Umfragen bereit, 73 Prozent davon per Internet, eine nach den Erfahrungen des FÖV Speyer bereits hohe Quote. Auch Bürger zwischen 65 und 75 Jahren sind bereits mehrheitlich online dabei. Um keine Bevölkerungsgruppe auszuschließen, ist auch der Postweg möglich. Die Teilnahme am Panel kann jederzeit ohne Angabe von Gründen beendet werden. Das Bürger-Panel wird regelmäßig überprüft und kann nach Bedarf durch neue Einladungen aufgefüllt werden.
Hannover hat bei der Bürgerbeteiligung eine lange Tradition. Bereits seit Längerem gibt es alle drei Jahre eine umfangreiche Repräsentativbefragung zur Zufriedenheit mit der Stadtpolitik, die fortgesetzt wird. Die Online-Befragungen per Bürger-Panel werden als wichtige Ergänzung gesehen. Ihr Reiz liegt darin, dass sie kurzfristig möglich sind. Das Thema wird in der Regel von der Stadtverwaltung vorgegeben. Denkbar ist auch ein Auftrag des Stadtrates für ein konkretes Thema. Der Rat ist über eine „Kleine Kommission Bürger-Panel“ kontinuierlich über den Aufbau des Panels und die Konzeption der Befragungen unterrichtet worden. Das Projekt wird von allen Fraktionen im Stadtparlament getragen.
Erste Umfrage betraf Verkehrsentwicklung
Grundlage für die erste Online-Befragung war der Verkehrsentwicklungsplan „Masterplan Mobilität 2025“ für Hannover. Anhand der Bürgerbefragung sollen Wünsche der Bevölkerung in die konkreten Planungen einfließen. Gefragt wurde zunächst nach dem eigenen Verkehrsverhalten und der Zufriedenheit mit der Verkehrssituation in Hannover insgesamt sowie unterteilt nach einzelnen Verkehrsmitteln (Pkw/Motorrad, Busse/Bahnen, Radverkehr, zu Fuß). In drei Blöcken ging es dann um eine Bewertung jeweils neun konkreter Ziele und Maßnahmen für die einzelnen Verkehrsmittel. Dabei konnte eine Maßnahme zusätzlich als besonders wichtig markiert werden. Ebenso gab es die Möglichkeit, weitere Themen für künftige Bürgerbefragungen vorzuschlagen. Vom Ende der Umfragefrist bis zur Veröffentlichung der Auswertung verging gut ein Monat.
Das Ergebnis wurde in der Medienöffentlichkeit heftig diskutiert. Auf die Detailergebnisse der Verkehrsumfrage muss hier nicht näher eingegangen werden, da sie überwiegend von lokaler Bedeutung sind. Jedoch lassen sich drei zentrale Erkenntnisse nennen. Erstens: Das Instrument der Online-Befragung scheint den Nerv der Bürger zu treffen – 2.428 Antwortbögen gingen ein, eine Beteiligung von 85 Prozent, die FÖV-Projektleiter Kai Masser sensationell nennt. Zweitens: Das Verständnis für die Interessen der Verkehrsteilnehmergruppen untereinander ist größer als öffentliche Debatten vermuten lassen. Bürger urteilen also differenzierter als angenommen. Drittens: Entgegen der veröffentlichten Meinung ist die Zufriedenheit der Bürger mit der Verkehrssituation in Hannover mit insgesamt 66 Prozent sehr hoch – und das quer durch alle Gruppen von Verkehrsteilnehmern. Auch bei den Autofahrern lag die Unzufriedenheitsquote bei lediglich 17 Prozent. Die erste Umfrage des hannoverschen Bürger-Panel ergab damit einen Kontrapunkt zur öffentlichen Debatte. Gleichzeitig nutzten die Befragten die Möglichkeit, wichtige Maßnahmen und Ziele zu markieren, wie etwa eine Verbesserung der Ampelschaltungen, den Ausbau von ÖPNV und Radverkehr oder ein einfacheres Tarifsystem im ÖPNV.
Kritiker der hannoverschen Verkehrspolitik, wie der ADAC, Niedersachsens Wirtschaftsminister Jörg Bode und eine bundesweit bekannte Boulevard-Zeitung, machten Stimmung gegen das Bürgervotum. Da die Ergebnisse nicht ins eigene Verkehrsbild passten, zweifelten sie der Einfachheit halber die Repräsentativität an – ein fachlich gewagter Schritt bei einem Panel dieser Größenordnung.
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