Sonntag, 10. November 2024

Open DataBürger planen Städte

[04.09.2017] Mithilfe des Computerspiels Minecraft und offener Daten könnten Verwaltungen schon bald Bürger in raumplanerische Prozesse einbinden. Zwei in Berlin angesiedelte Pilotprojekte hat jetzt con terra, ein Unternehmen der Esri Deutschland Group, mit großem medialem Erfolg umgesetzt.
Projektgebiet Berlin Mitte und Siegermodell Gropiusstadt.

Projektgebiet Berlin Mitte und Siegermodell Gropiusstadt.

(Bildquelle: con terra GmbH / Interactive Media Foundation)

Digitale 3D-Stadtmodelle im millionenfach genutzten Computerspiel Minecraft bieten Kommunen eine völlig neue Möglichkeit, E-Partizipation und E-Government zu fördern. Offene Daten werden dabei auf innovative Weise in Wert gesetzt.
Die beiden Projekte Berlin Minecraft und Baukraft konnten aufzeigen, dass Minecraft-Wettbewerbe Bürgerbeteiligung fördern und in der Öffentlichkeit auf eine hohe Resonanz stoßen. Überführt wurden die 3D-Stadtmodelle in Minecraft vom Unternehmen con terra auf Basis offener Daten des Landes Berlin, unter Hinzunahme von OpenStreetMap-Daten und mithilfe der Geodatendrehscheibe FME (Feature Manipulation Engine, einem Werkzeug für die Modelltransformation).
Minecraft ist ein Open-World-Spiel von Microsoft, das auch von Schulen und freien Bildungsträgern in den unterschiedlichsten Bereichen eingesetzt wird. Spielidee ist es, Block für Block, einzeln oder gemeinsam mit anderen Spielern, die eigene virtuelle Welt zu gestalten, faszinierende Bauwerke zu errichten oder ganze Städte und Landschaften entstehen oder vergehen zu lassen. Eine Art digitales Lego. Weltweit ist eine Community aus Millionen von Spielern aktiv, die gemeinsam detailreiche Welten erschaffen oder in mühevoller Handarbeit ganze Städte und Landschaften nachbilden. 

Pilotprojekt in Berlin

Ein erstes Pilotprojekt zu einer stadtplanerischen Nutzung von Minecraft hat con terra zusammen mit der Technologiestiftung Berlin durchgeführt – mit zwei Zielen: Zum einen sollte die technische Machbarkeit der Integration offener Daten in das Spiel geprüft werden. Zum anderen sollten die Möglichkeiten erforscht werden, welche sich für eine Stadt durch diese Technologie bieten. Umgesetzt wurde die Datenaufbereitung für Minecraft mit der Software FME, einer Datendrehscheibe, mit der über 350 räumliche und nicht-räumliche Datenformate nahezu grenzenlos verarbeitet und ausgetauscht werden können.
Geeignete Grundlagendaten für Berlin bot das Berliner Open-Data-Portal. Berlin stellt das für das digitale 3D-Stadtmodell der Berliner Wirtschaftsförderungsgesellschaft Berlin Partner genutzte Gebäudemodell im Detailierungsgrad Level-of-Detail 2 (Baukörper mit Dachformen) sowie ein Grünflächen- und Straßenbaumkataster öffentlich zum Download bereit.
Die vorhandenen Formate City-GML und Esri Shape File konnten mit FME eingelesen und verarbeitet werden. Damit das Minecraft-Modell nicht nur aus Bäumen und Gebäuden besteht, wurde noch eine weitere, frei verfügbare Datenquelle genutzt: OpenStreetMap-Daten. Hier waren insbesondere Daten zum Straßenverlauf, zu Fußgängerwegen, Gewässerlinien, Grün- und Parkflächen sowie die Linien des S- und U-Bahnnetzes der Stadt von Interesse. 

Stadtplanerische Ideen spielerisch verwirklichen

Mittels eines von con terra konfigurierten FME-Umsetzungsprozesses konnten diese heterogenen und grafisch zunächst nicht ansprechenden Datensätze in vielfältige virtuelle Baumaterialien für das Spiel Minecraft transformiert werden. Hierbei gab es einige Hürden zu nehmen. Die Datensätze mussten so modelliert werden, dass etwa Wasserflächen die Stadt nicht überfluten, die U-Bahnlinien in Tunneln unter dem Straßenniveau verlaufen und Bäume so gepflanzt und angelegt werden, dass diese im Minecraft-Spiel später weiter wachsen. Auch an Blumen in den virtuellen Parks wurde gedacht.  
Erzeugt wurde ein Modell von Berlin Mitte mit einer Größe von circa sechs Quadratkilometern. Auf diese Weise ließ sich das Gebiet zwischen Potsdamer Platz und Rosa-Luxemburg-Platz und zwischen Reichstag und Alexanderplatz mit all seinen historischen Gebäuden und Sehenswürdigkeiten wie dem Fernsehturm, dem roten Rathaus und dem Brandenburger Tor in Minecraft erleben.  
Um das Modell für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurde von der Technologiestiftung Berlin ein Minecraft-Server bereitgestellt und eine Projekt-Website veröffentlicht. Von dort konnten sich interessierte Bürger, allen voran Jugendliche und Stadtplanungsbegeisterte, das Modell herunterladen. Ziel war es, die eigenen stadtplanerischen Ideen und Träume in diesem Modell spielerisch zu verwirklichen. So wurden Freiflächen und Stadtbrachen umgestaltet, neu geplant, verschönert und oft bis ins letzte Detail mit Minecraft Klötzen ausgearbeitet.
In der Folge hat Berlin Minecraft eine hohe mediale Aufmerksamkeit erzeugt. Neben zahlreichen Berichten im Internet gab es Radio- und Zeitungsbeiträge. Außerdem wurde das Projekt auf mehreren Veranstaltungen der Technologiestiftung Berlin und des Spieleherstellers Microsoft präsentiert. Mittels geeigneter Hardware wie Virtual-Reality-Brillen und Joysticks konnte das Modell auf beeindruckende Weise live und in 3D erlebt werden. 

Wettbewerb visualisiert Gropiusstadt

Aufgrund des positiven Echos und der großen Beteiligung hat con terra ein zweites Projekt dieser Art – diesmal in Kooperation mit der gemeinnützigen Organisation Interactive Media Foundation aus Berlin – durchgeführt. Für den städtebaulichen Wettbewerb Baukraft wurde die Berliner Gropiusstadt in Minecraft visualisiert. Adressiert wurden mit dem Wettbewerb insbesondere Jugendliche. Ihnen wurde damit die Möglichkeit gegeben, ihren Kiez neu zu gestalten.
Auch bei diesem Wettbewerb war die Beteiligung hoch und die Planungsergebnisse überraschend konstruktiv. Eine Jury prämierte im Anschluss die sechs kreativsten Planungsmodelle. Der Gesamtsieger hat nun die Chance, seine Ideen zusammen mit einem örtlichen Planungsbüro in den realen Planungsprozess für dieses Gebiet mit einfließen zu lassen. 
Mithilfe der Datendrehscheibe FME, offenen Daten und Minecraft gelang der Beleg dafür, dass mit der passenden Brückentechnologie amtliche Daten auf neue und nie dagewesene Art genutzt werden können, um deren enormes wissenschaftliches, wirtschaftliches und gesellschaftliches Potenzial ganz im Sinne von Open Government zu erschließen.

Viele Vorteile und Anwendungsmöglichkeiten

Für die Kommune ergeben sich folgende Vorteile beim Einsatz von 3D-Stadtmodellen in Minecraft:
• Förderung der Open-Data-Nutzung,
• Beteiligung der Bürger an der Stadtplanung,
• große Öffentlichkeitswirksamkeit,
• Image-Gewinn der Kommune,
• frische Ideen für Planungsprozesse.
Spannende Anwendungsmöglichkeiten zeichnen sich zum Beispiel in Stadtplanungsprozessen, bei Bürgerbeteiligungsverfahren, im Stadtmarketing und für Schulklassen, die ihre Schulumgebung nachbauen und neugestalten wollen, ab. Amtliche Geodaten und Minecraft können so spielerisch einen neuartigen Beitrag zur Stadtplanung und digitalen Bildung leisten. Auf der Intergeo 2017 in Berlin wird con terra die Arbeitsergebnisse gemeinsam mit dem Unternehmen Microsoft am Firmenstand präsentieren.

Thomas Woge ist Projekt-Manager und Consultant im Team Spatial ETL Project Services bei der con terra GmbH, Münster.




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