Round TableCloud und Apps
Auf Einladung der Deutschen Post diskutierten am 8. August 2012 Experten in Bonn über das Thema „Behördenkommunikation 2020 – E-Government und Bürgernähe vereinen“.
Die Runde (v.l.): Reinhold Harnisch, Geschäftsführer KRZ Lemgo; Dr. Sönke E. Schulz, Geschäftsführer Lorenz-von-Stein-Institut für Verwaltungswissenschaften an der Universität Kiel; Heinz-Hermann Herbers, Geschäftsbereichsleiter Vertrieb BRIEF Öffentliche
(Bildquelle: K21 media AG)
Die elektronische Kommunikation der Ämter und Behörden mit Bürgern und Unternehmen hat sich bis heute nicht durchgesetzt, obwohl der Gesetzgeber auf die technische Entwicklung reagiert hat. Wo liegen die Gründe?
Schulz: Im Paragraf 3a des Verwaltungsverfahrensgesetzes wurde schon vor zehn Jahren die qualifizierte Signatur für das Verwaltungsverfahren als Schriftformersatz festgeschrieben. Damit sollte die rechtssichere Kommunikation über E-Mail ermöglicht werden. Was als Ermöglichungsvorschrift gedacht war, erwies sich jedoch eher als Verhinderungsparagraf. Streng genommen hätte man damals auch sagen müssen: Ein Fax ist eine elektronische Übermittlung; da eine qualifizierte elektronische Signatur nicht angefügt werden kann, erfüllt es auch das Schriftformerfordernis nicht. Später wurde auch das Computer-Fax akzeptiert, damit wurde im Grunde eine Struktur geschaffen, die eigentlich nicht in die Systematik des Paragrafen 3a VwVfG passt. Diese Gefahr einer Parallelstruktur sehe ich aktuell beim E-Government-Gesetz auch. Dort sind zwei sichere Verfahren der elektronischen Identifizierung zugelassen: die eID-Funktion des neuen Personalausweises und De-Mail. Es entwickeln sich jedoch auch andere Dienste, zum Beispiel der E-Post-Brief, der mehr Funktionen bietet. Wenn jetzt der Gesetzgeber sagt, nur De-Mail erfüllt das Schriftformerfordernis, geschieht im Grunde dasselbe wie vor zehn Jahren bei der elektronischen Signatur. Ob sich die De-Mail durchsetzen wird, ist keineswegs sicher. In fünf Jahren stellen wir dann fest, dass es zu wenige Nutzer und akkreditierte Anbieter gibt.
Warum spielt die Frage der Schriftform immer noch eine so bedeutende Rolle?
Schulz: Die Schriftform soll sicherstellen, dass derjenige, der ein Dokument unterschrieben und abgesendet hat, identifizierbar ist. Zudem soll sichergestellt sein, dass Dokumente beim Übermittlungsvorgang nicht von einem Dritten verändert werden können, dass also die Willenserklärung tatsächlich von dem stammt, dessen Name darunter steht. Eigentlich könnten alle Kommunikationsmittel genutzt werden, die diese Voraussetzungen erfüllen. Dieser Weg wird jetzt offensichtlich wieder verbaut.
Harnisch: Die kommunalen IT-Dienstleister haben den Vorschlag gemacht, das Schriftformerfordernis im E-Government-Gesetz ganz fallen zu lassen. Die Verwaltung hätte dann in fünf Jahren nachweisen können, wo die Schriftform tatsächlich gebraucht wird. Das wäre ein innovativer Ansatz gewesen. Ich glaube, die Verwaltung käme zu dem Ergebnis, dass die Schriftform nur in ganz wenigen Fällen tatsächlich erforderlich ist.
Nun bietet der Bund doch eine Lösung, warum steht De-Mail in der Kritik?
Schulz: In der Öffentlichkeit wirkt es ja so, als gäbe es ein Produkt De-Mail. In Wirklichkeit gibt es das De-Mail-Gesetz und ein Unternehmen kann darauf aufbauend ein Produkt entwickeln und anbieten, indem es sich akkreditieren lässt. Ich halte es für problematisch, wie der Gesetzgeber vorgegangen ist. Eigentlich hat er sich für eine Marktlösung entschieden, diese dann aber durch rechtliche Maßnahmen abgesichert. Damit verhält er sich im Grunde nicht marktneutral. Es wäre konsequenter gewesen, gleich eine Staatsmail zu entwickeln.
Harnisch: Außerdem ist De-Mail ein nationales System, das europaweit gar nicht nutzbar ist. Man kann es nur als Unsinn bezeichnen, was hier passiert. Denn was hilft es der Wirtschaft, wenn nur eine nationale Komponente für sichere Kommunikation sorgt? Und: Wie steht es mit der im Gesetz verankerten Sicherheit, wenn kleinere Anbieter den Wettbewerb nicht durchhalten? Dann ist diese sichere Komponente durch Marktkräfte gefährdet und es läuft möglicherweise auf ein Monopol hinaus. Und das wünschen wir uns alle nicht.
E-Mail gilt vielen bereits als überholt, es soll aber auch Menschen geben, die weder eine E-Mail-Adresse haben, noch auf Facebook vertreten sind. Mit hybriden Kommunikationsmitteln will die Deutsche Post diese Personen erreichen. Welche Vorteile hat dies für eine Verwaltung der Zukunft?
Herbers: Aus neueren Untersuchungen wissen wir, dass bis zu einem Drittel der Bürger das Internet nicht nutzt und auch künftig nicht nutzen will. Diese Menschen erreichen wir mit dem E-Postbrief, der ja bei fehlender elektronischer Erreichbarkeit von uns ausgedruckt und per Postbote zugestellt wird. Für die Verwaltung hat das den Vorteil, dass mit der Digitalisierung von Prozessen begonnen werden kann und dennoch alle Bürger erreicht werden.
Heißt Behördenkommunikation 2020 auch, dass die Bürger künftig per Smartphone-App mit der Verwaltung kommunizieren? Was bedeuten die Veränderungen in der Kommunikation für eine Behörde?
Schulz: Die mobile Kommunikation hat tatsächlich einen entscheidenden Vorteil bei der Identifizierung. Mobil identifiziert man sich einfach mit seiner Handynummer, die man im Vertrag nachweisen kann. Ein Problem ist aber, wie bei den E-Government-Portalen, die entstehende App-Vielfalt. Wahrscheinlich wird es künftig 120 bis 160 verschiedene Apps der öffentlichen Verwaltung geben. Dabei wäre es optimal, wenn es eine App gäbe, die für jede Behörde und alle Behördenkontakte nutzbar ist.
Habbel: Die großen Trends auch für die Verwaltung sind mobiles Internet und Smartphones. Das führt in der Verwaltung zu einem grundlegenden Paradigmenwechsel. Die IT wird geprägt von Cloud Computing und Apps. Die Datenverwaltung und die Prozesse werden künftig über die Cloud organisiert, Rechenzentren werden dann eine noch wichtigere Rolle spielen. Und Videokommunikation wird sich im öffentlichen Sektor durchsetzen, weil so Entfernungen überbrückt werden und Zeit für Beratungsgespräche gewonnen wird. Das reale Rathaus wird es jedoch auch in 200 Jahren noch geben. Die Menschen suchen Orte der Begegnung, der Identifikation und des Gemeinwesens.
Harnisch: Nicht nur die Rechenzentren, auch die Verwaltung insgesamt wird sich völlig umstellen müssen. Wenn man die demografische Entwicklung betrachtet und den sich abzeichnenden Fachkräftemangel, wird deutlich, dass die Verwaltung schlanker wird und große Bürgerservice-Center die Front-Office-Funktionen übernehmen. Das Back Office ist in regionalen Rechenzentren viel stärker gebündelt als heute, dies wird Ergebnis von neuen Formen der interkommunalen Zusammenarbeit sein. Auch ich glaube im Übrigen, dass Videokommunikation wichtiger wird und zur Qualitätssteigerung beiträgt. VideoCenter könnten beispielsweise in der noch verbliebenen Bankfiliale im ländlichen Bereich aufgestellt werden, sodass auch dort der Kontakt zur Verwaltung sichergestellt ist. Bei bestimmten Fachfragen kann ein Spezialist per Videokonferenz zugeschaltet werden, der möglicherweise 200 Kilometer entfernt sitzt. Die Verwaltung 2020 verbindet moderne Kommunikationsmittel mit neuen Transaktionsmöglichkeiten. Das bedeutet, dass wir uns von dem tradierten Muster lösen müssen, dass alle Aufgaben im Rathaus erledigt werden.
Habbel: Und wir müssen die Zuständigkeiten überdenken. In Brüssel beispielsweise ist ein großer Teil der Arbeitsvermittlung in privaten Händen. Dort finden sich in einer Straße neben dem Waschsalon und Restaurants zwei Läden, wo Arbeitsagentur darüber steht und sich die Menschen um Jobs kümmern. Ein Ort, an dem eben auch Kontakte zur Verwaltung entstehen und das in einer völlig anderen Umgebung.
Herbers: Ich denke, es ist schwierig, Vorhersagen zu machen, weil wir nicht wissen, wie sich das Internet entwickelt. Ich bin mir aber sicher, dass es noch eine Weile dauern wird, bis Briefe durch elektronische Kommunikationsmittel ersetzt werden. Die Diskussion um De-Mail zeigt: Da wird versucht, Produkte über ein Gesetz zu definieren, ohne zu wissen, wie die Infrastruktur in einigen Jahren aussehen wird. Aus unserer Sicht hätte es genügt, gewisse Mindestanforderungen und -standards zu setzen. Denn das Internet wird sich nicht so entwickeln, wie es die bundesdeutsche Gesetzgebung oder Rechtsprechung gerne möchte. Heute vor zehn Jahren hätte auch niemand gedacht, dass es so etwas wie Facebook gibt und wie sich unsere Kommunikation dadurch verändert.
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