Mittwoch, 20. November 2024

InterviewDas OZG hängt an der Cloud

[31.10.2022] Ralf Kleindiek, seit Dezember vergangenen Jahres neuer Berliner Chief Digital Officer, spricht im Kommune21-Interview über den Digitalisierungsstand in der Hauptstadt sowie die Zukunft des Onlinezugangsgesetzes und des Einer-für-Alle-Prinzips.
Dr. Ralf Kleindiek

Dr. Ralf Kleindiek

(Bildquelle: Foto Kirsch)

Herr Kleindiek, Sie sind seit Dezember vergangenen Jahres neuer Berliner Chief Digital Officer (CDO) und haben zu Ihrem Amtsantritt 100 digitale Akteure besucht. Welche Eindrücke haben Sie dabei gewonnen?

Die Idee war, in den ersten 100 Tagen 100 Akteurinnen und Akteure aus allen Bereichen zu treffen, die mit der Digitalisierung in Berlin zu tun haben. Die Verwaltung war dabei, die Wirtschaft, die Wissenschaft und die Zivilgesellschaft. Dabei habe ich drei Dinge bemerkt: Erstens, dass sich die Gespräche und Themen, die sich aus dem 100-Tage-Programm ergeben haben, fortsetzen und ich mit vielen Menschen weiterhin in Kontakt stehe. Zweitens haben wir in Berlin ein wahnsinniges Potenzial, hier arbeiten 120.000 Menschen im Bereich Digitalisierung. Das gibt es nirgendwo sonst in Europa. Uns beneiden etwa viele um die sehr erfolgreiche und starke Start-up-Szene. Die dritte Erkenntnis ist, dass dieses Potenzial für die öffentliche Hand, Verwaltung und Politik noch viel zu wenig genutzt wird und wir die Zusammenarbeit der einzelnen Bereiche deshalb intensivieren müssen.

Berlin bildet eines der Schlusslichter bei der Verwaltungsdigitalisierung. Woran liegt das?

Ich bin als CDO für alle gesamtstädtischen Fragen der Digitalisierung verantwortlich, so auch für die Digitalisierung der Verwaltung. Zu meinen Aufgaben gehört, dafür zu sorgen, dass wir etwa das so genannte 14-Tage-Ziel erreichen und alle Bürgerinnen und Bürger innerhalb von zwei Wochen einen Termin beim Bürgeramt bekommen können. Wir haben uns auch die Modernisierung der Ordnungsämter vorgenommen und wollen, dass das Behörden-Pingpong zwischen Senat und Bezirken aufhört und die Zuständigkeiten geklärt werden. Das alles sind große Transformationsvorhaben. Seit Mitte Mai dieses Jahres nutzt das Bezirksamt Mitte als erste Behörde die neue Version der digitalen Akte, Ende August ist die Innenverwaltung gefolgt und sukzessive kommen in diesem Jahr noch 15 weitere Verwaltungen auf Bezirks- und Landesebene hinzu. Laut Berliner E-Government-Gesetz muss die digitale Akte bis Ende 2024 eingeführt sein. Das ist eines meiner wichtigsten Projekte.

Warum kam es zu so großen Verzögerungen bei der E-Akte? Andere Länder und Kommunen sind längst weiter.

Die Einführung der elektronischen Akte ist für alle Verwaltungen eine große Herausforderung, nicht nur in Berlin. Und das nicht allein in technischer Hinsicht, sondern vor allem, weil es sich um ein großes Transformationsprojekt und Reorganisationsvorhaben handelt. In Berlin gibt es einige Besonderheiten, unter anderem eine Ausschreibung, die wiederholt werden musste. Diese Hürden sind jetzt überwunden, und es gibt einen verlässlichen Plan.

Sind die Zuständigkeiten mit den Berliner Bezirken nun geklärt und gibt es künftig keine eigene IT mehr in den Rathauskellern?

Es gibt eine klare politische Verständigung im Koalitionsvertrag darüber, dass die Landesverwaltung zum ITDZ Berlin kommt, dem zentralen IT-Dienstleister. Bei den Bezirken ist es aufgrund ihrer Eigenständigkeit nicht ganz so einfach möglich, wird im Ergebnis aber trotzdem dazu führen. Das setzt einerseits die Leistungsfähigkeit des ITDZ voraus und geeignete Rahmenbedingungen, nicht zuletzt finanzielle, damit sich das ITDZ besser entwickeln kann, als dies bislang der Fall war. Andererseits müssen die Verwaltungen eine Bereitschaft zur Migration entwickeln. Zur Zentralisierung gibt es aus technischen und fiskalischen Gründen und nicht zuletzt auch unter IT-Sicherheits­aspekten keine Alternative.

„Nach fünf Jahren OZG wissen wir, dass die Verwaltungscloud ein absoluter Erfolgsfaktor ist.“

Wie weit ist Berlin beim Onlinezugangsgesetz (OZG)? Laut OZG-Dashboard sind bislang nur 80 OZG-Leistungen verfügbar, nämlich die des Bundes.

Wir haben in Berlin rund 120 Dienstleistungen, die wir digital in unterschiedlichen Reifegraden anbieten. Wir müssen uns noch mit dem Bund darüber verständigen, wie wir das im Dashboard genau zählen und dokumentieren können. Berlin hat beim OZG die Federführung für den elektronischen Nachweis übernommen, da geht es beispielsweise um Heirats- und Geburtsurkunden. Spätestens im Frühjahr nächsten Jahres werden wir soweit sein, dass wir sie nutzen können. Generell muss man eingestehen: Die Ziele des Onlinezugangsgesetzes noch bis Ende dieses Jahres zu erreichen, war seit Längerem für die Bundesländer unrealistisch. Das habe ich sehr früh gesagt und hätte mir dies auch vom Bund gewünscht, damit wir gemeinsam mit den Ländern und Kommunen früher in die Diskussion darüber hätten eintreten können, wie wir mit dieser Situation umgehen. Es darf kein erneutes Scheitern des OZG-Vorhabens geben! Deswegen brauchen wir realistische Ziele, die wir auch finanzieren können. Das betrifft alle, die daran beteiligt sind, aber vor allem Kommunen und Länder, die zum Teil noch einen erheblichen Nachholbedarf haben. Wir sollten jetzt nicht ein unrealistisches Ziel durch ein neues ersetzen.

Wie stehen Sie zum Einer-für-Alle (EfA)-Prinzip?

Das Einer-für-Alle-Prinzip hat viel Dynamik erzeugt, doch wenn man sich das Ergebnis anschaut, dann ist der Ertrag, also die Nachnutzung ganz konkreter Dienstleistungen, minimal. Die Quote fällt umso geringer aus, je kleiner eine Kommune ist. Es überrascht also wenig, dass das EfA-Prinzip bei der Freien und Hansestadt Hamburg mit dem Dienstleister Dataport offenbar gut funktioniert, während es in einer ganzen Reihe von Flächenstaaten deutlich weniger erfolgreich ist. Ich plädiere dafür, dass wir das EfA-Prinzip neu justieren und prüfen, ob solche Nachnutzungen technologisch, fiskalisch, rechtlich und organisatorisch sinnvoll sind oder nicht.

Man gewinnt den Eindruck, dass mit dem Scheitern des OZG die Länder an eigenen Lösungen und Verteilwegen sitzen. Macht jetzt wieder jeder seins?

Nein, der Eindruck täuscht. Wir brauchen den FIT-Store und auch die Möglichkeiten, die sich durch den Marktplatz von govdigital eröffnen. Die zentralen Dienstleister der einzelnen Länder werden künftig sehr viel stärker zusammenarbeiten. Damit Dienstleistungen jedoch einfach und umstandslos genutzt werden können, brauchen wir möglichst schnell leistungsfähige Cloud-Lösungen. Jede Dienstleistung in jeder Kommune eigenständig zu etablieren, wäre ein sehr mühsamer Weg. Nach fünf Jahren OZG wissen wir, dass die Verwaltungscloud ein absoluter Erfolgsfaktor ist. Gleichermaßen ist für mich wichtig, dass es eine Fokussierung gibt und die 575 Dienstleistungen ebenso wie die EfA-Leistungen priorisiert werden müssen. Was sind die 50 bis 60 Dienstleistungen, die 80 Prozent der Verwaltungsvorgänge ausmachen? Hierauf will ich mich in Berlin konzentrieren.

Können Sie uns schon etwas über das geplante OZG 2.0 sagen?

Es gibt noch keinen Referentenentwurf seitens des Bundes für die Fortführung des OZG. Im November findet eine Klausurtagung der CIOs von Bund und Ländern statt. Dort werden wir über die wesentlichen Inhalte sprechen. Mit Sicherheit wird es ein Nachfolgegesetz geben. Vor dem Hintergrund der finanziellen Handlungsmöglichkeiten, wenn die Bundesmittel auslaufen, wird die politische Verständigung mit den Kommunen wieder schwieriger. Darum werbe ich dafür, dass man eine bundesgesetzliche Vorgabe realistisch formuliert.

Interview: Helmut Merschmann




Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Politik
Porträtfoto von Dr. Denis Alt.
interview

Rheinland-Pfalz: Erfolg durch Kooperation

[18.11.2024] Der digitale Wandel dient den Menschen, sagt Staatssekretär Denis Alt. Im Interview mit Kommune21 spricht der neue rheinland-pfälzische CIO und CDO über die Umsetzung der Digitalstrategie des Landes. mehr...

Melitta Kühnlein

Potsdam: Fachbereichsleiterin für E-Government bestätigt

[12.11.2024] Potsdams Stadtverordnete haben Melitta Kühnlein als neue Leiterin des Fachbereichs E-Government bestätigt. Kühnlein ist seit Anfang 2021 in leitender Funktion im IT-Bereich der Stadtverwaltung tätig. mehr...

Baden-Württemberg: Änderung der Gemeindeordnung verabschiedet

[11.11.2024] Der Landtag von Baden-Württemberg hat jetzt eine Änderung der Gemeindeordnung verabschiedet, die Kommunen in administrativen Abläufen entlastet und die finanzielle Berichterstattung vereinfacht. mehr...

Blick vom See auf das neue Rathaus Hannover, HMTG

Hannover: Fonds für digitalen Fortschritt

[30.10.2024] Hannover setzt mit einem 48-Millionen-Euro-Digitalisierungsfonds auf die umfassende Modernisierung seiner Verwaltungsprozesse. Ziel ist ein digitales Rathaus, das Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen effiziente, benutzerfreundliche Services bietet. Die IT-Strategie umfasst dazu digitale Souveränität und Kosteneffizienz. mehr...

Digitalisierung: Dresdner Forderungen 2.0

[22.10.2024] Die Fachgruppe Verwaltungsinformatik der Gesellschaft für Informatik hat 20 Thesen zum digitalen Wandel formuliert. Die Forderungen zielen darauf ab, die Verwaltung effizienter, zukunftssicherer und bürgerfreundlicher zu machen. mehr...

bericht

Liechtenstein: Mit Pragmatismus und Agilität

[14.10.2024] Liechtenstein hat auf dem Weg zum Smart Country bereits eine beeindruckende Entwicklung zurückgelegt. Das ist nicht zuletzt vielen mutigen Entscheidungen und einer gehörigen Portion Pragmatismus geschuldet. mehr...

Holger Klötzner, Dezernent für Digitalisierung und Bildung der Stadt Darmstadt; Maral Koohestanian, Leiterin des Dezernats für Smart City, Europa und Ordnung der Stadt Wiesbaden; Eileen O’Sullivan, Dezernentin für Bürger:innen, Digitales und Internationales der Stadt Frankfurt am Main
interview

Smartes Rhein Main 2030: Gemeinsame Vision

[02.10.2024] Eine gemeinsame Vision für ein smartes Rhein-Main-Gebiet haben die Städte Frankfurt am Main, Wiesbaden und Darmstadt erarbeitet. Im Interview erklären die CIOs Eileen O’Sullivan, Maral Koohestanian und Holger Klötzner, was konkret geplant ist. mehr...

Landrat Achim Brötel ist neuer Präsident des Deutschen Landkreistages.

Deutscher Landkreistag: Achim Brötel ist neuer Präsident

[11.09.2024] Der Deutsche Landkreistag (DLT) hat einen neuen Präsidenten gewählt: Achim Brötel, Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises, tritt die Nachfolge von Reinhard Sager an, der das Amt zuvor zehn Jahre lang innehatte. mehr...

Charta Digitale Ethik setzt die Rahmenbedingungen für den Einsatz digitaler Technologien in der Essener Stadtverwaltung.

Essen: Charta Digitale Ethik verabschiedet

[04.09.2024] In ihrer Charta Digitale Ethik hat die Stadt Essen die Rahmenbedingungen für den Einsatz digitaler Technologien in der Stadtverwaltung festgelegt. Das soll insbesondere für einen ethisch verantwortungsvollen Umgang mit Künstlicher Intelligenz sorgen. mehr...

Scheckübergabe an die Gewinner des Wettbewerbs um den Ulmer Lederhof.

Ulm: Innovationsmotor gestartet

[23.08.2024] Um ihre Digitale Agenda mit kreativen Köpfen aus der Region umzusetzen, hat die Stadt Ulm den Innovationsmotor gestartet – einen Ideenwettbewerb insbesondere für junge Unternehmen. Runde eins hat der digitale Begleiter für Angsträume gewonnen. mehr...

Markt Postbauer-Heng: Digitalisierung ist kein Privileg der Metropolen

[08.08.2024] Auch kleine Kommunen sind in der Lage, bürgernahe digitale Lösungen zu implementieren, wie das Beispiel des Marktes Postbauer-Heng zeigt. Um die Entstehung digitaler Insellösungen zu vermeiden, wurde die Zukunftskommission #Digitales Bayern 5.0 ins Leben gerufen. mehr...

Kick-off zur Digitalisierungsstrategie der Stadt Petershagen
.

Petershagen: Mit OWL-IT in die digitale Zukunft

[02.08.2024] Gemeinsam mit dem IT-Dienstleister OWL-IT hat die Stadt Petershagen nun den Startschuss für die Erarbeitung einer umfassenden Digitalstrategie gegeben. mehr...

In Bayern soll nach dem Willen von Digitalminister Fabian Mehring der „Digitalisierungsturbo“ gezündet werden.

Bayern: Land unterstützt Digitalisierung der Kommunen

[16.07.2024] Bayerns Digitalminister sieht die konsequente Digitalisierung der Verwaltung als wichtige Möglichkeit, um den künftigen Ruhestand der Babyboomer-Generation und den dadurch entstehenden Fachkräftemangel zu kompensieren. Es gelte, die Potenziale von Standardisierung, Zentralisierung und KI zu nutzen. mehr...

Essen-CDO Peter Adelskamp

Interview: Wir brauchen eine Dachmarke

[15.07.2024] Peter Adelskamp ist Chief Digital Officer (CDO) in Essen und dort zugleich Fachbereichsleiter Digitale Verwaltung. Im Gespräch mit Kommune21 berichtet er von seiner Arbeit in Essen und dem dortigen Stand der Digitalisierung. mehr...

Laut dem jüngsten eGovernment-Benchmark-Report haben die europäischen Staaten bei der Bereitstellung digitaler Behördendienste stetige Fortschritte gemacht.

eGovernment Benchmark 2024: Nutzerzentrierung ist der Schlüssel

[08.07.2024] Laut dem jüngsten eGovernment-Benchmark-Report der Europäischen Kommission haben die europäischen Staaten bei der Bereitstellung digitaler Behördendienste stetige Fortschritte gemacht. Raum für Optimierungen gibt es insbesondere bei grenzüberschreitenden Diensten und bei Dienstleistungen, die von regionalen und kommunalen Behörden erbracht werden. mehr...