InterviewDatenraum für Freiburg
Herr Aćimović, welche Schwerpunkte setzt die Stadt Freiburg auf ihrem Weg zur Smart City?
Die Digitalstrategie der Stadt „Freiburg.Digital.Gestalten. gemeinwohlorientiert & nachhaltig“ wurde im Dezember 2019 vom Gemeinderat verabschiedet und genießt hohen politischen Rückhalt. Das Besondere an der Strategie ist, dass sie mit ausgeprägten partizipativen Elementen erarbeitet wurde. Eine der Basismaßnahmen der Strategie ist das Projekt Daten:Raum:Freiburg, das im Rahmen der zweiten Staffel der „Modellprojekte Smart Cities“ vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) zu 65 Prozent gefördert wird (wir berichteten). In einer Kommune werden viele unterschiedliche Daten produziert – von Informationen zum Verkehrsfluss über den Wasserkonsum bis hin zum Wahlverhalten. Diese Daten entstehen in der Verwaltung aber auch in Unternehmen, Wissenschaftsorganisationen und auf privaten Geräten wie Smartphones. Allein durch Sensorentwicklungen nimmt die Datenmenge immer mehr zu. Im Rahmen des Projekts wird eine Art Infrastruktur erstellt, um unterschiedlichste Daten zugänglich und nutzbar zu machen, etwa für Szenarien oder als Simulationen, die evidenzbasierende Entscheidungen ermöglichen. Die Infrastruktur wird zudem eine Vielzahl anderer Anwendungen (Use Cases) ermöglichen, die es im Projekt zu identifizieren gilt. Das Ziel ist es, eine integrierte Stadtentwicklung über die Fachbereiche hinweg möglich zu machen. Besonders die Planung des groß angelegten Stadtteils Dietenbach soll von den innovativen Maßnahmen profitieren.
Welche Idee steckt hinter dem Modellprojekt Daten:Raum:Freiburg und was wird in diesem Rahmen erprobt?
Der Daten:Raum:Freiburg umfasst alle Daten, Datensysteme, Datendienste und datenbasierte Anwendungen der Stadt. Als System of Systems im Sinne der DIN SPEC 91357 soll der Daten:Raum:Freiburg eine dezentrale, verteilte Informationsintegrationsarchitektur zur Bereitstellung von mehrfach nutzbaren Daten und Datendiensten sein. Durch eine virtuelle Verbindung mit Datenräumen auch außerhalb der Stadtverwaltung soll sich das Anwendungsspektrum beliebig erweitern lassen. Bewährte Beteiligungsinstrumente werden zu Connected Participation ausgebaut. Die vielfältigen Zielgruppen aus Stadtgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft sowie Nutzen und Mehrwert stehen bei der Entwicklung der Use Cases im Fokus. Im Rahmen eines Partizipationsmodells werden Qualitätsstandards erarbeitet. Dabei fließen auch Methoden zum Fortschrittstracking und zur Evaluation ein. Für Wissenstransfer und Wissenssicherung wird ebenfalls gesorgt.
Welche Rolle hat das EU-Instrument der innovativen Vergabe für das Projekt gespielt?
Die Stadt Freiburg ist nach aktuellem Kenntnisstand die erste Kommune in Deutschland, die als Instrument der innovativen Vergabe die so genannte vorkommerzielle Auftragsvergabe, auf Englisch Pre-Commercial Procurement (PCP), angewandt hat. Diese Art der Vergabe eignet sich für noch zu entwickelnde digitale Großprojekte besser als herkömmliche Vergabeverfahren. Im Wesentlichen geht es darum, Innovation zu fördern und in der Projektanfangsphase keine Festlegungen zu treffen, die mögliche Lösungen zu früh ausschließen. Auch der stetigen technologischen Weiterentwicklung kann mit einer innovativen Vergabe besser Rechnung getragen werden. Mit diesem Instrument waren wir in der Lage, den Umsetzungsfortschritt anhand von Zwischenzielen zu bewerten und je nach Erfolgsaussicht feinzujustieren.
Welche Erfahrungen wurden mit den Prototypen (wir berichteten) gemacht?
Wir haben in einer Prototypphase gemeinsam mit zwei konkurrierenden Konsortien (PCP-Verfahren) jeweils zwei Prototypen entwickelt. Dabei wurden erste Erkenntnisse gesammelt, wie eine zukünftige Datenplattformarchitektur aussehen soll. Anhand der beiden Anwendungsfälle wurde das Zusammenspiel neuer Plattformarchitekturen mit vorhandenen Systemlandschaften erprobt. Mit der Umsetzung wurden aber keine vollwertigen Anwendungen erstellt. Konkret haben wir identifiziert, um welche Funktionalitäten wir unsere bestehenden Systeme erweitern müssen. Wichtig war herauszufinden, wie wir unsere Systeme verknüpfen müssen, um den Daten:Raum:Freiburg als eine Art System of Systems mit größtmöglichem Mehrwert zu etablieren. Diese identifizierten Komponenten sind Teil der aktuellen Ausschreibung. Eine zentrale Erkenntnis der Prototypphase war, dass die Auswahl der Prototypen enorme Konsequenzen hat. So muss im Vorfeld das Ziel der Prototypphase gut diskutiert und kommuniziert werden. Stehen die Prototypen im Fokus oder geht es um die Frage einer geeigneten Plattformarchitektur für unterschiedlichste Use Cases? Oder stehen beispielsweise das Lernen und Ausprobieren im Mittelpunkt? Ein gemeinsames Verständnis und das Zielbild in einer interdisziplinären Umgebung sind enorm wichtig.
„Das Ziel ist, uns selbst zu befähigen, nicht nur mit den künftigen Herausforderungen klarzukommen, sondern vielmehr die Gestaltungsspielräume zu erschließen.“
Welche Erkenntnisse konnten im Rahmen der Begleitforschung an der Uni Freiburg gewonnen werden?
Wir stehen noch relativ am Anfang unserer Begleitforschung, die wir neben der Universität Freiburg auch mit der TU München angehen. Ziel dieser Forschung ist es, geeignete Instrumente zur Ausarbeitung von generischen Lösungen für die Entwicklung von Smart Cities zu identifizieren. Da wir verschiedene Aspekte der Smart-City-Themenfelder bedienen wollen, ist bereits jetzt klar, welche Komplexität dieses Unterfangen mit sich bringen wird. Das wird federführend im Rahmen eines Promotionsvorhabens untersucht. So wird unter anderem geforscht, wie kommunale Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsstrategien mit Smart Cities zu verbinden sind, um die Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung der Städte auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene zu gewährleisten. Einen Grundstein dafür liefern insbesondere Messinstrumente und -methoden, so genannte multidimensionale Kriterienverfahren für die Evaluation der Smart- und Nachhaltigkeitsperformance in Städten.
Wie wird die Öffentlichkeit über den Daten:Raum:Freiburg informiert und zur Mitwirkung motiviert?
Die Freiburger Stadtgesellschaft, aber auch relevante Stakeholder aus Wirtschaft und Wissenschaft werden regelmäßig über soziale Medien oder die städtische Homepage sowie über klassische Pressearbeit informiert. Zentrales Element des Dialogs zum Daten:Raum sind zudem Veranstaltungen vor Ort: So gab es beim Digitaltag 2022 experimentelle Formate mit Virtual und Augmented Reality für alle zum Ausprobieren. Auf diese Weise testen wir im Zuge der Projektentwicklung auch neue Wege der Bürgerbeteiligung. Bei anderen Veranstaltungen wie den IFG-Days des Landesdatenschutzbeauftragten präsentieren wir die wichtigsten Basics zum Smart-City-Projekt als Hybridvortrag sowohl für Special-Interest-Gruppen als auch für die breite Stadtgesellschaft. Im Rahmen des Fallstudienseminars „Smart City – Brückenschlag zwischen Praxis und Forschung“ analysieren Studierende der Universität Freiburg Beteiligungsaspekte des Modellprojekts. Dabei nehmen sie genau unter die Lupe, wie die Wahrnehmung des Themas Smart City insgesamt ist und welche Beteiligungsformate im Projekt eingesetzt werden sollen. Die ersten Ergebnisse hierzu werden im Frühjahr 2023 zusammengetragen. Bewährte Beteiligungsinstrumente wollen wir zu Connected Participation ausbauen, einem Partizipationsmodell für die Entwicklung der Use Cases, Fortschrittstracking, Wissenstransfer und Ergebnisbewertung. Mit ihrer stetigen Arbeit an der Partizipationskultur orientiert sich die Stadt an der Zielphase des Open-Government-Vorgehensmodells.
Was erhoffen sich Freiburg und Köln von der städteübergreifenden Kooperation im Rahmen von Smart City?
Freiburg und Köln verfolgen ein methodisches Vorgehen, was zu Wirkungsmessung und Orchestrierung von Smart-City-Projekten führen soll. Wir wollen die gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen teilen und die Ergebnisse in die Entwicklung eines Standards einfließen lassen. Abgerundet wird das Ganze durch den Brückenschlag zur wissenschaftlichen Forschung. Mit diesem Ansatz erhoffen wir uns, die Stadtgesellschaft bedarfsgerecht zu adressieren und die kommunalen Entscheidungsträgerinnen und -träger bei der Gestaltung der Smart Cities zu unterstützen. Letztlich gilt es, die Best-Practice-Strategie zu quantifizieren. Dabei kann eine agilere, dynamischere Verwaltung ein guter Ausgangspunkt sein.
Welche Rolle spielen Open Data in der Smart City?
Eine gesamtstädtisch kooperativ aufgesetzte Open-Government-Agenda ist seit 2014 in der Umsetzung. Dabei geht es nicht nur um offene Daten, vielmehr möchten wir crossmediale Beteiligung, Standardisierung der Datenhaltung, mobile raumbezogene Dienste sowie Business Intelligence erreichen. Das Modellprojekt Smart City sorgt dafür, dass all diese Themen nachhaltig im Verwaltungshandeln verankert sind.
Wie geht es mit dem Daten:Raum:Freiburg weiter?
Aktuell läuft ein Auswahlprozess für die Entwicklung und Implementierung einer urbanen Datenplattform. Der Umsetzungsbeginn ist für das zweite Quartal 2023 vorgesehen. Auf Basis dieser Infrastruktur werden Anwendungsfälle aus den Bereichen Stadtsimulation und Mobilität umgesetzt. Außerdem möchten wir in diesem Jahr mehrere Use Cases aus der Stadtgesellschaft identifizieren, die im Projektrahmen umgesetzt werden können. Dafür wird aktuell ein Beteiligungskonzept erarbeitet. Damit der Daten:Raum:Freiburg dauerhaft mit Leben gefüllt wird, werden wir noch in diesem Jahr eine Data-Governance-Strategie entwerfen und anschließend Schritt für Schritt in die Praxis umsetzen. Dabei geht es darum, eine Steuerungsebene für den Daten:Raum:Freiburg zu schaffen, welche wiederum Verantwortlichkeiten, Entscheidungsrahmen und Regeln für das Daten-Management, also die Ausführungsebene, festlegt. In unserem Vorhaben eines Urbanen Digitalen Geobasiszwillings soll das Grundgerüst für künftige Digitale Zwillinge erarbeitet werden. Wir verfolgen dabei das Konzept der Instanzen. Ausgehend von unserem 3D-Stadtmodell auf Basis von CityGML (wir berichteten) untersuchen wir, welche Daten und Objekte benötigt werden, aus welchen Grunddaten sie abgeleitet werden können und welche Art der fortlaufenden Aktualisierung wir nutzen. Im Bereich der Mobilität werden zunächst einige Elemente aus der Pilotphase verstetigt und entsprechend skaliert. Anschließend stehen vor allem Maßnahmen entlang der Datenkette von der Echtzeiterfassung über Analysemöglichkeiten bis hin zur Darstellung für Bevölkerung und Stadtverwaltung im Fokus. Die Datenkette kann dabei thematisch sowohl Verkehrsmengendaten als auch Sharing-Daten und darüber hinausgehende betreffen. Innerhalb der Organisation werden wir Strukturen schaffen, damit Kompetenzaufbau bestmöglich gelingen kann. Das Ziel ist, uns selbst – und hier meine ich Verwaltungspersonal – zu befähigen, nicht nur mit den künftigen Herausforderungen klarzukommen, sondern vielmehr die Gestaltungsspielräume zu erschließen.
Eine Kurzfassung des Interviews ist in der Ausgabe März 2023 von Kommune21 im Schwerpunkt Smart City erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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