BeschaffungDer Riese hat Hunger
Die öffentliche Vergabe in Deutschland ist ein großer und mächtiger Markt. 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), das entspricht 500 Milliarden Euro, umfasst nach Angaben der OECD der deutsche Beschaffungsmarkt – vom Bleistift bis zum Panzer. Entsprechend attraktiv sind die Ausschreibungen, welche die öffentliche Hand ab einer bestimmten Höhe europaweit tätigen muss, für Unternehmen und Händler. Aber auch eine ganz andersartige Beschaffung weckt Begehrlichkeiten.
Seit dem Jahr 2016 ist Amazon Business in Deutschland im Bereich öffentlicher Beschaffung aktiv. Die Geschäftskundensparte des Online-Konzerns rühmt sich mit dem Zugang zu über 250 Millionen Produkten, die Amazon selbst oder die vielen Online-Händler auf der Plattform anbieten. Der Konzern ist damit auch in den USA, Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan und Indien präsent. Und in Deutschland. Nach Angaben von Amazon zählen 14 der 15 größten deutschen Städte mit mehr als 500.000 Einwohnern, 10 der 15 größten Krankenhäuser und 13 der 15 größten Universitäten sowie eine Vielzahl kleinerer öffentlicher Verwaltungen zu den Kunden von Amazon Business. Es heißt, die Amazon-Plattform werde für „Markterkundungen“ und den Direktkauf im Rahmen der unterschwelligen Beschaffung genutzt, wobei die Funktion „Kauf auf Rechnung“ für die öffentliche Verwaltung besonders attraktiv sei. Hierbei werden die Kosten erst nach der Lieferung beglichen.
E-Marktplatz senkt Transaktionskosten
Zu den Produkten, die auf diese Weise beschafft werden, gehören Laptops, Bürobedarf, elektronisches Zubehör, Aufbewahrungslösungen, Büromöbel oder Reinigungsgeräte – sofern sie die Schwelle von 1.000 Euro (beziehungsweise beim Bund neuerdings 3.000 Euro im Rahmen des Konjunkturpakets) nicht übersteigen.
Amazon hat unlängst eine Studie bei Michael Eßig, Professor an der Universität der Bundeswehr in München, in Auftrag gegeben, die sich insbesondere auch für die Bedeutung von elektronischen Marktplätzen für die öffentliche Beschaffung interessiert. Der Experte für Supply Management kommt wenig überraschend zu dem Schluss, dass sich digitale Marktplätze insbesondere für „Produkte relativ geringer Wertigkeit und Kritikalität“ eignen. In diesem Bereich sei normalerweise das Verhältnis von Anschaffungs- und Prozesskosten besonders ungünstig, weil viel Aufwand für die Bestellung von kleinvolumigen Ausgaben betrieben würde. E-Marktplätze könnten indessen die Transaktionskosten signifikant senken und erfüllten somit das Primat der Wirtschaftlichkeit.
Vergabe lohnt
Auf einer Online-Konferenz des Bundeswirtschaftsministeriums zu „Chancen und Nutzung von E-Marktplätzen im öffentlichen Einkauf“, zu der sich Amazon über den Bundesverband Materialwirtschaft Einkauf und Logistik Zugang verschaffte, hob Burkhard Schemel, bei Amazon Business für Großkunden und öffentliche Einrichtungen zuständig, ebenfalls die Effizienz von Online-Marktplätzen hervor, die er für Unternehmenskunden mit 19 Prozent Einsparung bei den Prozesskosten bezifferte. Für die öffentliche Hand seien solche Berechnungen aber noch nicht angestellt worden. Schemel machte auf die Möglichkeit des monatlichen Reporting aufmerksam, wodurch jede öffentliche Institution einen guten Überblick über Bündelungs- und Skaleneffekte erhalte.
Genau dieser Aspekt wird von angestammten Marktteilnehmern skeptisch betrachtet. Ihrer Erfahrung nach führt eine reguläre Beschaffung und Digitalisierung des Einkaufs durch Dienstleister zu besserer Transparenz und Steuerungsmöglichkeiten. „Vergabe lohnt! Unsere Kunden berichten immer wieder von überraschenden Preisvorteilen, die sich aus der verwaltungsweiten Bündelung aller Beschaffungsvorgänge durch Ausschreibung und Vergabe ergeben“, sagt Monika Schmidt, Aufsichtsratsvorsitzende beim Dienstleister TEK Service aus Lörrach. 25 bis 40 Prozent Preisvorteil seien bei regulären Ausschreibungsverfahren keine Seltenheit. Würden Geschäfte hingegen über Marktplätze abgewickelt, fielen zum Teil erhebliche Provisionsmargen an die Betreiber an, die wiederum eingepreist würden. „Aus Sicht einer Verwaltung lohnt es unbedingt, genau hinzusehen und auch kleinpreisige Artikel zu bündeln und auszuschreiben, anstatt Verwaltungsmitarbeitern die Einzelbeschaffung über Portale oder Marktplätze zu gestatten“, erklärt Schmidt.
Problem Datenschutz
Darüber hinaus spielen hier auch Datenschutzaspekte eine Rolle. US-Unternehmen stehen vor der Schwierigkeit, den transatlantischen Datenverkehr DSGVO-konform zu gestalten. Der Europäische Gerichtshof hatte kürzlich das so genannte Privacy-Shield-Abkommen für den Datenaustausch zwischen Europa und den USA mit der Begründung gekippt, dass Informationen über europäische Verbraucher auf US-Servern nicht vor dem Zugriff dortiger Behörden und Geheimdienste geschützt seien. Amazon erklärt zwar, dass Kundendaten aus Sicherheitsgründen immer verschlüsselt werden und es nicht zum Geschäftsmodell des Konzerns gehöre, persönliche Informationen an andere zu verkaufen. Das ist sicherlich richtig.
Im Ernstfall jedoch, das heißt, wenn der US-amerikanische Patriot Act greift, müsste Amazon seine Kundendaten den amerikanischen Behörden zur Verfügung stellen. Und in dieser Hinsicht darf ein Interview mit Florian Böhme, Director Amazon Business DACH, in der „Zeitschrift für effiziente Beschaffung“, CEBRA, einigermaßen verwundern. Es heißt dort: „In den vergangenen Monaten, während des Corona-Lockdowns, haben wir beispielsweise vielen Unternehmen und Organisationen dabei geholfen, Lieferungen – von IT-Hardware wie Monitoren und Adaptern bis hin zu Büromaterial oder sogar Stühlen und Tischen – an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Hause zu liefern.“ Amazon ist folglich auch im Besitz der Privatadressen von Verwaltungsmitarbeitern, und es dürfte spannend sein, zu erfahren, auf welcher rechtlichen Grundlage dies geschieht.
Zu dem Artikel ist uns ein Statement von Amazon zugegangen. Sie finden es hier.
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