Innovatives ManagementDeutschland vergeigt Chancen
Podiumsdiskussion: Der IT-Planungsrat kam nicht gut weg.
v.l.: Dr. Wilfried Bernhardt, Staatssekretär der Justiz und für Europa und CIO des Freistaates Sachsen; Prof. Pater Dr. Thomas Grießbach, Dominikanerkloster Sankt Paulus Berlin; Dr. Kay Ruge, Beigeordneter des Deutschen Landkreistags; Daniel Goffart, Mode
(Bildquelle: MACH AG)
Wenn das Ende der Amtszeit naht, kann man offen reden. Deshalb nahm Wilfried Bernhardt, CIO des Freistaats Sachsen auf Abruf, auf dem Führungskräftekongress Innovatives Management (25. September 2014 in Lübeck) kein Blatt mehr vor den Mund. Auf der zentralen Podiumsdiskussion der Veranstaltung des Lübecker Unternehmens MACH übte der Staatssekretär im sächsischen Justizministerium – vor der Landtagswahl noch von der FDP geführt – deutliche Kritik. In der öffentlichen Verwaltung stehe die Digitalisierung bei den Führungskräften keineswegs an erster Stelle. Es gebe ein riesiges Defizit. Bernhardt: „Die Führungskräfte sind nicht vorbereitet auf den digitalen Wandel. Chancen und Risiken können sie nicht erkennen.“ Es gebe auch kein Konzept für die Weiterbildung von Führungskräften in Sachen Informationstechnik. Zudem müssten sich Bund, Länder und Kommunen besser vernetzen. Leider arbeite der IT-Planungsrat, dessen Mitglied Bernhardt war, nicht effizient und auch die Digitale Agenda der Bundesregierung strahle eher Ruhe aus als Aktivität. Bernhardt: „Deutschland vergeigt hier Chancen.“ Er appellierte: „Die Führungskräfte müssen aktiv werden. Konzepte für die digitale Verwaltung gibt es genug.“ Machen laute jetzt die Devise.
IT-Planungsrat ist ein „hoffnungsloser Fall“
Kay Ruge, Beigeordneter des Deutschen Landkreistags, assistierte Bernhardt: „Der IT-Planungsrat ist ein hoffnungsloser Fall und bringt E-Government nicht voran.“ Die Beschlüsse des Gremiums seien nicht bindend und würden verpuffen. Die Kommunalverwaltungen hingegen stellen sich den Veränderungen, unterstrich Ruge. Es gebe bereits enorme Effizienzgewinne beim Verwaltungshandeln durch den IT-Einsatz, auch die Doppik habe zu positiven Verhaltensänderungen in den Kommunen geführt. Beim Thema E-Government gebe es zwar viele kommunale Leuchttürme, elektronische Verwaltungsleistungen seien aber nicht flächendeckend verfügbar, Breitband-Anschlüsse als Basisinfrastruktur fehlten, auch weil der Bund die nötigen Finanzmittel für den Ausbau nicht bereitstelle. Ruges Fazit: „Die Digitalisierung der Verwaltung ist politisch nicht ausreichend priorisiert und leider immer noch ein Technikthema.“ Das traf wohl den Nerv des Publikums: „Die Verwaltung ist innovativ, was fehlt ist der politische Wille“, lautete ein Zwischenruf.
Dass die zunehmende Digitalisierung nicht das alleinige Allheilmittel zur Verwaltungsmodernisierung darstellt, klang aber ebenso durch. Tino Schuppan, Professor für Public Management, wies darauf hin, dass zuerst eine Reihe nicht-technischer Entscheidungen nötig seien, damit IT letztlich ihren Nutzen entfalten könne. „Projekte sollten vom zu lösenden Problem ausgehen und nicht von der technischen Lösung, anhand derer man sich oft überlegen würde, wie man sie einsetzen könnte“, sagte der wissenschaftliche Direktor am Institute for eGovernment in Potsdam.
Kopfthema Datenschutz
Ein weiteres Diskussionsforum fand zum Thema Datensicherheit statt. Im Lichte der aktuellen Debatte um Privatsphäre, globale Überwachung und Zugriffsversuche auf kommunale IT-Systeme stelle sich zwangsläufig die Frage, wie die digitale Verwaltung den Ansprüchen an Datensicherheit und Datenschutz genügen kann, lautete der Tenor. Peter Schaar verlangte, Datenschutz und Datensicherheit zum Kopfthema zu machen – das gelte sowohl für den Kopf der Mitarbeiter als auch für den Kopf von Organisationen und Unternehmen. Die persönliche Verantwortung müsse gestärkt und die Sicherheit auch zertifiziert werden. Dafür empfahl der ehemalige Bundesbeauftragte für den Datenschutz eine Zentralisierung und damit einhergehend eine Professionalisierung der IT-Strukturen in allen Verwaltungsbereichen. Hardy Hessenius, IT-Leiter der Gemeinde Westoverledingen, betonte, dass eine Zentralisierung mit all ihren Vorteilen häufig auf kommunaler Ebene am fehlenden politischen Willen scheitere. Seine persönliche Erfahrung zeige, dass Vorgaben und gesetzliche Regelungen in den Kommunen oft nicht eingehalten werden – oder sehr schnell dem Rotstift zum Opfer fallen, wenn die Haushaltslage knapp ist.
Kinkel plaudert aus dem Nähkästchen
#bild2 Eröffnet hatte den Kongress der frühere Justiz- und Außenminister Klaus Kinkel. Er forderte in seiner Rede Mut zu vernünftigen Veränderungen unter Beachtung des Schlüsselfaktors Datensicherheit. „Der Rohstoff der neuen Wirtschaft, das sind die Daten“, sagte Kinkel vor den 130 Zuhörern. Der Ex-Bundesminister gab zu bedenken, dass die Digitalisierung Arbeitsprozesse überflüssig mache und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit durch mobile Geräte immer mehr aufgeweicht würden. „Mobiles Arbeiten bedeutet einen Kulturwandel“, sagte Kinkel. Als persönlicher Referent von Hans-Dietrich Genscher habe er schon in den 1970er-Jahren erlebt, was das bedeute, plauderte Kinkel aus dem Nähkästchen. Genscher sei ein „Informationsfreak“ gewesen, für den er auch im Urlaub ständig erreichbar sein musste. Also zog Kinkel einen Bollerwagen mit schwerem Funkgerät durchs Nordsee-Watt und tatsächlich meldete sich Genscher mehrmals. Dank technischer Innovationen wäre dies für Kinkel heute leichter zu tragen.
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