ZukunftskongressDie digitale Gemeinde
Jüngere zieht es immer stärker in die Städte, während sich der ländliche Raum zusehends entleert. So leben mittlerweile 30 Prozent der deutschen Bevölkerung auf einer Fläche, die 70 Prozent Gesamtdeutschlands ausmacht. Zu diesem Ergebnis kommt das Bundesamt für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Neben einer deutlich niedrigeren Bevölkerungsdichte ist zudem der Anteil älterer Mitbürger im ländlichen Raum überdurchschnittlich hoch. Deshalb stellen sich bei der Entwicklung ländlicher Räume ganz andere Aufgaben als bei der städtischen Planung. Das gilt auch für die Konzeption innovativer Bürgerservices auf der Grundlage moderner Kommunikations- und Informationstechnologien. Im Best-Practice-Dialog 4.5 über die so genannte Digitale Gemeinde werden auf dem Zukunftskongress deshalb deren Chancen und Erfolgsfaktoren thematisiert.
Die Digitalisierung des ländlichen Raums wird häufig auf den Ausbau eines Breitband-Netzes reduziert. In Abgrenzung dazu stellt die digitale Gemeinde sowohl den Einwohnern als auch der ortsansässigen Wirtschaft auf Basis eines bereits vorhandenen und hinreichend performanten Kommunikationsnetzes verschiedene, auf den lokalen Bedarf abgestimmte digitale Angebote zur Verfügung.
Anschauliche Beispiele dank Familie Wirtz
Wie sich der Alltag durch die Digitalisierung des ländlichen Raums ändern kann, zeigt Beispielfamilie Wirtz aus Ostholstein: Die 78-jährige Erna Wirtz ist in ihrer 600-Seelen-Gemeinde fest verwurzelt. Ihren Kardiologen besucht sie regelmäßig in der 24 Kilometer entfernten Kreisstadt. Es gibt nur wenige Busverbindungen dorthin. „Besonders schlimm ist der Buswechsel auf halber Strecke im Winter“, meint Erna Wirtz frustriert. Die schlechten Busverbindungen erschweren auch den täglichen Einkauf der alten Dame.
Ihr 27-jähriger Enkel Stefan hat in Hamburg studiert. Wegen der Hektik und Anonymität der Großstadt ist Stefan Wirtz jedoch vor einem Jahr in seinen Heimatort zurückgekehrt. Er hat das seitdem nicht bereut. Dennoch vermisst er die Theateraufführungen und die vielen Konzertangebote der Elbe-Metropole. Auch der weite Weg zur nächsten Volkshochschule ist für den sprachbegeisterten jungen Mann ungewohnt und sehr lästig.
Sein Vater Paul Wirtz ärgert sich: „Die Ampel an der Ortsausfahrt ist häufig kaputt. Man wartet endlos auf grün und nicht selten wird erst nach Tagen repariert. Was ich da jedes Mal an Zeit verliere…“ Seine Frau Kirsten Wirtz trauert dagegen der Zeit nach, in der die sozialen Beziehungen im Dorf noch intakt waren: „Früher waren die Nachbarn immer zur Stelle, wenn sie gebraucht wurden“, kommentiert sie wehmütig.
Lokale und digitale Tauschbörsen
Digitale Angebote können in solchen Fällen schnell Abhilfe schaffen. Der Vielfalt sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Verschiedene Lösungen unterstützen Mitfahr- oder Mitbringmöglichkeiten über lokale Online-Börsen oder Car Sharing auf Gemeindeebene. Andere Angebote bieten regionalen Erzeugern, Handwerks- und Dienstleistungsbetrieben oder Einzelhändlern moderne Shopping-Portale in Kombination mit einem bequemen Lieferservice bis an die Haustür. Lokal begrenzte digitale Tauschbörsen vermitteln Nachbarschaftshilfe wie Nachhilfe- oder Musikunterricht, Gartenarbeit oder Babysitting und vertiefen den sozialen Zusammenhalt im Ort. Telemedizinische Diagnose- und Therapielösungen ersetzen den Arztbesuch oder längere Klinikaufenthalte. Opern- und Theateraufführungen oder VHS-Kurse werden aus der nächstgelegenen größeren Stadt über digitales Streaming direkt in das heimische Wohnzimmer übertragen. Zeitraubende Fahrten entfallen.
Genutzt wird nur, was auch gebraucht wird
Bei dieser Aufzählung nicht fehlen dürfen die digitalen Angebote der Gemeindeverwaltung. Sie machen zahlreiche Behördengänge überflüssig und eröffnen neue Formen der bürgerschaftlichen Beteiligung an kommunalen Entscheidungen. Ein auf jedem Smartphone nutzbarer Mängelmelder bietet etwa allen Bürgern die Möglichkeit, die zuständigen Stellen der Gemeindeverwaltung unter Nutzung der GPS-Funktionalität auf akute Störungen oder Mängel der Infrastruktur wie Löcher im Straßenbelag, defekte Ampelanlagen oder beschädigte Straßenlaternen aufmerksam zu machen. Über die eingeleiteten Schritte bis zur Behebung des jeweiligen Problems wird der hilfreiche Bürger laufend informiert.
Was sind aber die Erfolgsfaktoren auf dem Weg zur digitalen Gemeinde? Eine besonders wichtige Erkenntnis ist: Genutzt wird nur, was auch gebraucht wird. Ohne die sorgfältige Abstimmung digitaler Lösungen auf den ortsspezifischen Bedarf ist das Risiko hoch, dass die Nutzer ausbleiben. Daher ist die jeweilige Zielgruppe eines Angebots in allen Projektphasen aktiv einzubinden. Erreicht werden muss dabei stets eine breite Identifikation engagierter Bürger mit den digitalen Angeboten.
Smart Cities nicht kopieren
Diese Angebote dürfen sich gerne durch die medienwirksamen digitalen Initiativen großer Städte inspirieren lassen. Kopieren sollte man die Smart Cities aber nicht. Zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen, Ziele und Erfolgsfaktoren gelingender Digitalisierungsprojekte in Stadt und Land.
Weniger ist mehr – dieser Grundsatz gilt auch für die Entwicklung der digitalen Gemeinde. Auf der Grundlage einer auf mehrere Jahre ausgelegten digitalen Agenda sollten kluge Akzente gesetzt und lösbare Aufgaben angegangen werden. Rasche Erfolge und ein breiter Nutzen sollten das Projekt ins Gespräch bringen und ihm Rückenwind für neue Anwendungen verleihen. Die wiederum müssen sich zunächst einschwingen und erzielen deshalb erst nach einiger Zeit Akzeptanz. Es ist außerdem wichtig, alle digitalen Angebote auf ihre Eignung auch für Nutzergruppen ohne PC oder Smartphone zu prüfen.
Die Digitalisierung im ländlichen Raum ist nicht nur Thema für ein paar Technikbegeisterte, vielmehr eröffnet sie allen Einwohnern neue Möglichkeiten. Zeit also, sich auf den Weg zur digitalen Gemeinde zu machen. Dass dies die Lebensqualität in den ländlich geprägten Regionen weiter verbessern kann, wird auch der Dialog auf dem Zukunftskongress zeigen.
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