BürgerbeteiligungDie Macht der Bürger
Seit rund 40 Jahren sucht eine große Anzahl von Bürgern nach neuen Möglichkeiten der politischen Teilnahme und Mitgestaltung. In Ostdeutschland brach sich dieser Impuls verspätet in Form der Bürgerproteste Bahn (Wir sind das Volk). Vielfältige Versuche im Westen, neue Wege und Formen der politischen Beteiligung etwa mit Bürgerinitiativen und neuen sozialen Bewegungen zu erschließen, legen beredtes Zeugnis davon ab. Dennoch hat die Politiker- und Parteienverdrossenheit ungeahnte Ausmaße erreicht. Auf der anderen Seite ist die Suche nach Auswegen bei einer intensiven Diskussion direkter sowie neuer partizipativer Formen der Entscheidungsbeteiligung angelangt. Geprägt wird diese Diskussion vom Begriff der Bürgerkommune. Hier lassen sich folgende Trends erkennen, welche die Entwicklung der öffentlichen Verwaltung maßgeblich beeinflussen. Der erste Trend bezieht sich auf die Bürger. Sie werden charakterisiert durch:
• eine kognitive Mobilisierung (steigendes Bildungsniveau),
• einen Wertewandel mit verstärktem Selbstentfaltungsstreben,
• ein hohes politisches Interesse bei gleichzeitig geringerer Engagementbereitschaft in bestehenden Strukturen,
steigende Erwartungen an die Kommunen.
Faire Angebote zur Mitgestaltung
Parallel zum ersten Trend verstärkt sich seit über zehn Jahren der ursprünglich vor allem finanziell bedingte Zwang zur Modernisierung der Verwaltungen. Dessen erste Stufe war die Entwicklung und Realisierung des Neuen Steuerungsmodells (NSM). Inzwischen wird festgestellt, dass eine Reorganisation und Optimierung der verwaltungsinternen Strukturen und Abläufe nicht ausreicht, um die finanziellen Probleme in den Kommunen zu lösen, freiwillige Leistungen aufrechtzuerhalten und um den steigenden Erwartungen der Bürger gerecht zu werden. Hier sind flexiblere und offenere Systeme erforderlich, die mit einer zum Bürger hin abgeschlossen wirkenden staatlichen oder kommunalen Verwaltung noch unvereinbar erscheinen. Auf dem Weg zur partizipativen Bürgerkommune wirken deshalb zwei Antriebskräfte besonders zusammen. Zum einen fordern die Bürger nach den Maximen Mitmachen – Mitwirken – Mitentscheiden deutlich verbesserte Partizipationsmöglichkeiten ein. Zum anderen setzen die Kommunen verstärkt auf bürgerschaftliches Engagement, um die Ressourcen privater Akteure für die Bereitstellung öffentlicher Leistungen zu erschließen. Übergreifende Perspektive ist die Ausbildung einer neuen Partizipationskultur für das Gemeinwohl. Im Zentrum der Diskussion zur Verwirklichung der Bürgerkommune steht die Frage, wie die Bürger zu ehrenamtlichem Engagement motiviert werden können. Von ihrer knappen Freizeit werden sie nur dann etwas für gemeinwohlorientierte Aktivitäten abzweigen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind:
• weitgehende Informationstransparenz seitens der Verwaltung,
• ehrliches Interesse an einer Zusammenarbeit mit dem Bürger,
• Eröffnung verschiedener Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Verwaltung und Bürgern (interaktiv),
• schnelle und fundierte Reaktion auf Vorschläge aus der Bürgerschaft,
• Angebot passender Mitgestaltungsmöglichkeiten statt Pseudobeteiligung.
Es geht im Kern um die Schaffung eines neuen Vertrauensverhältnisses zwischen Bürgern und Verwaltung und um die Mobilisierung für die eigenen Ziele, nach dem Motto: Wir machen am liebsten das Projekt für die Allgemeinheit, das wir selber vorgeschlagen haben. Um die Bürger für gemeinwohlorientierte Tätigkeiten zu gewinnen, sind deshalb eine permanente Kommunikation zwischen Bürgern und Verwaltung sowie effektive und faire Angebote zur Mitwirkung und -gestaltung vor Ort erforderlich.
Der Weg zur kooperativen Verwaltung
Hier liegt die unerwartete Schnittmenge zwischen den beiden beschriebenen Entwicklungstrends. Deshalb geht es auch um die schrittweise Realisierung einer Ermöglichungsverwaltung. Diese sieht die Bürger selbst als die eigentlichen Träger von Kultur oder sozialer Wohlfahrt und macht es sich zur Aufgabe, entsprechendes bürgerschaftliches Engagement zu ermöglichen, zu fördern und zu unterstützen. Eine Verwaltung also, die nicht anstelle der Bürger handelt, sondern gemeinsam mit ihnen (Kooperative Verwaltung). Es handelt sich also um eine Belebung der kommunalen Selbstverwaltung in ihrem eigentlichen Sinn. Eine frühzeitige und kontinuierliche Kommunikation zwischen den Akteuren garantiert jedoch nicht automatisch perfekte Lösungen für kommunalpolitische Fragestellungen oder Planungen. Aber durch integrierte Ansätze und eine gemeinsame, offene Diskussion am Beginn von Entscheidungsprozessen werden Konfrontationen und Reibungsverluste vermieden. Die Chance auf breit akzeptierte Lösungen steigt. Um die Kommunikation und den Beteiligungsprozess zu organisieren, sind sowohl webbasierte Mitgestaltungsmöglichkeiten als auch neue reale Instrumente zur Beteiligung erforderlich. Zu den geeigneten Veranstaltungsformen zählen unter anderem Bürgerversammlungen nach neuem Verständnis, die Planungszelle, das Ratschlagverfahren, runde Tische oder Zukunftswerkstätten. Alle Verfahren müssen vernetzt werden. Nötig dazu ist ein kommunales Partizipationsmanagement, das die unterschiedlichen bürgerschaftlichen Beteiligungsinstrumente koordiniert. Hier wird das gesamte Verfahren gesteuert und die Rückkoppelung in die Verwaltung gewährleistet. Wird das Ziel Bürgerkommune erreicht, kann die Verwaltung mittelfristig ein dezentrales Wissensmanagement unter Einbeziehung einer Vielzahl von Bürgern aufbauen. Das bedeutet, dass die Ideen der Bürger und deren Engagement in Prozesse der Problemlösung, Entscheidungsfindung und Umsetzung systematisch und kontinuierlich mit einbezogen werden. Auch ein gezieltes Outsourcing kann betrieben werden, indem freiwillige kommunale Leistungen in die Gestaltungsmacht der Bürger übergeben werden. So können Personal- und Betriebskosten eingespart und zugleich das Angebot kommunaler Leistungen durch die Bürger selbst optimiert werden. Das ist kommunale Selbstverwaltung im 21. Jahrhundert.
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