Samstag, 19. April 2025

Digitale BildungDigital allein genügt nicht

[16.04.2025] Deutschland treibt die Digitalisierung des Schulunterrichts voran – während Skandinavien bereits zum Buch zurückkehrt. Wir fragten Klaus Zierer, Buchautor und Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg, wie digitales Lernen gelingen kann.
Porträtfoto von Prof. Dr. Klaus Zierer.

Prof. Dr. Klaus Zierer ist seit dem Jahr 2015 Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg.

(Bildquelle: Privat)

Herr Professor Zierer, Lesefähigkeit, Deutschkenntnisse und das allgemeine Bildungsniveau von Schulkindern in Deutschland werden als besorgniserregend eingeschätzt. Woran liegt das?

Die Gründe dafür sind vielfältig und betreffen alle Akteure des Bildungssystems: Die Schulen wurden in den vergangenen Jahren mit Aufgaben überflutet, die nicht immer der Bildung zugutekamen. Manchmal schadeten diese sogar mehr als sie nutzten. Allen voran ist in diesem Zusammenhang die Aufgabe der Integration zu nennen, die ein von Personalmangel betroffenes System in die Knie zwingt. Zudem schaffen es Familien immer weniger, ihre Verantwortung für Bildung zu übernehmen, weil auch selbstverständlich erscheinende Aufgaben nicht mehr erledigt werden. Man denke hier beispielsweise an die Fälle von Kindern, die in der Grundschule noch Windeln brauchen. Und schließlich sind Schüler heute immer weniger in der Lage, schulische Grundkompetenzen in einem notwendigen Maß aufzubringen, wie etwa Konzentration, Aufmerksamkeit, Gewissenhaftigkeit und Anstrengungsbereitschaft. Eine naive Digitalisierung der Lebenswelt, die ohne Reflexion Technik in die Kinderzimmer spült, ist mit ein Grund dafür. Wer in der Woche mehr als 70 Stunden im Internet surft, dem fehlen einfach Zeiträume für Bildung und Lernen.

Der Einsatz digitaler Medien in den Schulen wurde in den vergangenen Jahren stark vorangetrieben. Welche Rolle spielt dieser Faktor?

Auch hier dominiert vielfach eine naive Auffassung, die dem Narrativ folgt: Wir müssen möglichst schnell und möglichst viel Technik in die Schulen bringen, dann sind wir modern. So wurden Tafeln aus den Klassenzimmern verbannt und durch Smartboards und Beamer ersetzt. Zudem wurde damit begonnen, jedem Kind ein Tablet in die Hand zu drücken. Dadurch verlängert sich nicht nur die Bildschirmzeit der Kinder und Jugendlichen weiter, sondern auch wichtige Kompetenzen werden reduziert. Aus der Forschung ist bekannt, dass ein zu früher Einsatz von digitalen Medien mehr schadet als nutzt. Insofern muss das Narrativ geändert werden: Weniger über die Technik sprechen, mehr über den pädagogischen Einsatz der Technik. Ohne Zweifel haben digitale Medien das Potenzial, Lernen zu optimieren – wenn sie zum richtigen Zeitpunkt und mit einem klaren pädagogischen Ziel eingesetzt werden. Selbst in der Grundschule ist das möglich, aber dafür braucht eben nicht jedes Kind ein Tablet, sondern es reichen entsprechende Tabletwägen aus. Letztlich hat eine naive Digitalisierung an Schulen dazu geführt, dass wir heute in den Klassenzimmern durch Technik nicht mehr Möglichkeiten haben, sondern weniger – verbunden mit einem problematischen Digitalisierungszwang für alle Beteiligten.

„Wir sollten mehr über den pädagogischen Einsatz der ­Technik sprechen.“

Unsere Welt wird zunehmend digitalisiert. Daher wird der Aufbau digitaler Kompetenzen schon im Schulalter vielfach für unerlässlich gehalten. Wie können diese besser vermittelt werden, als es jetzt der Fall ist?

Die bisherigen Digitalisierungsstrategien folgen mehrheitlich der Logik: Kinder sollten Technik bedienen und nutzen. So ist beispielsweise angedacht, allen Kindern ein Tablet zu geben, um darauf zu schrei­ben und zu lesen, Textprogramme zu nutzen oder Präsentationen zu erstellen. All das ist naiv, weil die Bedienung der Technik immer einfacher wird. Wichtiger wäre es, die Menschen so zu stärken, dass sie die Technik sinnvoll einsetzen lernen. Das bedeutet aber vor allem auch zu unterscheiden, wo digitale Medien sinnvoll sind und wo nicht, wann sie ein- und wann sie ausgeschaltet werden. Medienmündigkeit, die Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe ist und auch in der Arbeitswelt gefordert wird, bedeutet vor allem, digitale Medien so einzusetzen, dass sie dem Menschen dienen. Insofern wird in Schulen mehr als bisher darauf zu achten sein, ein kritisches Bewusstsein im Umgang mit digitalen Medien herauszubilden: Wie und warum verändert sich mein Fühlen, Denken und Handeln, wenn ich analoge oder digitale Medien nutze? Warum ist es wichtig, den eigenen Medienkonsum zu steuern und zu regulieren? Diese und ähnliche Fragen sind angesichts der sich schon heute zeigenden Abhängigkeiten von digitalen Medien in Verbindung mit einer Reduzierung der kognitiven Fähigkeiten wichtiger denn je.

Die technischen Voraussetzungen sind im Zuge des DigitalPakts vielerorts bereits geschaffen worden. Was müsste sich kurz- und mittelfristig ändern, damit digitale Medien im Schulunterricht sinnvoll eingesetzt werden?

Im Kern fehlt es an einem pädagogischen Grundverständnis, wie digitale Medien bildungswirksam werden können. Allein der Einsatz der Technik schafft das nicht, weil dieser weder gut noch schlecht ist. Es kommt vor allem darauf an, die Menschen zu stärken. ChatGPT, um ein Beispiel zu geben, hat – trotz Fehler, Bias und Halluzinationen – ungeheure Möglichkeiten. Diese können aber erst genutzt werden, wenn verstanden wurde: Die KI darf dem Menschen das Denken nicht abnehmen, sondern muss so eingesetzt werden, dass sie den Menschen zum Nachdenken bringt. Wer also ChatGPT einsetzt, um die Hausaufgaben zu machen oder einen Aufsatz zu schreiben, der hat zwar am Ende alle Aufgaben erledigt, aber selbst nichts verstanden. Ein bildungswirksamer Einsatz von digitalen Medien reflektiert also mithilfe empirischer Ergebnisse immer: Wann ist Technik sinnvoll und wann ist es besser, sie beiseite zu legen?

Welche guten Ansätze sehen Sie pädagogisch wie auch in der Gesamtsteuerung des Themas Schuldigitalisierung? Wo gibt es positive Beispiele?

Überall dort, wo reguliert wird, zeigen sich positive Effekte. Ob das beim Einsatz von Smartphones an der Schule ist, bei Tabletwägen statt Tablets für alle, beim Verbot von sozialen Medien wie in Australien oder beim Verwenden von digitalen Schulbüchern. Grund dafür ist, dass der Ausgangspunkt für diese Regulierungen immer ein pädagogisches Verständnis über Möglichkeiten und Grenzen einer Digitalisierung ist. Der Mensch steht damit im Zentrum und die Frage, wie digitale Medien Bildungsprozesse wirksam unterstützen können. Insofern geht es immer auch darum, nicht zu früh und nicht zu spät, nicht zu viel und nicht zu wenig, nicht zu oft und nicht zu selten digitale Medien einzusetzen. Ein Beispiel hierzu: Wir wissen aus zahlreichen Studien, dass Lesen eine der wichtigsten Fähigkeiten für Bildungserfolg ist. Auch ist gesichert, dass der Kompetenzerwerb des Lesens mit analogen Medien besser funktioniert als mit digitalen. Der Grund dafür ist einfach: Wer an digitalen Geräten liest, wischt die Texte schneller weg und kommt damit nicht in das vertiefte Lesen. Erst dann also, wenn die Lesekompetenz so gesichert ist, dass sie in der Lage ist, an verschiedenen Medien zum Einsatz zu kommen, sollten digitale Medien hinzugezogen werden. Wer also Tablets zu früh im Leseprozess einsetzt und vielleicht sogar als Leitmedium definiert, der schadet ohne jeden Zweifel den Bildungsprozessen. Einstige Vorreiterländer bei der Digitalisierung der Schulen, wie beispielsweise Schweden, Dänemark und Norwegen, haben all das verstanden: Sie kehren wieder zurück zum Buch. Für Deutschland sollten diese Länder erneut zum Vorbild werden, weil sie nicht eine naive, sondern eine differenzierte und evidenzbasierte Digitalisierung der Schulen verfolgen.

Interview: Sibylle Mühlke




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