WettbewerbDigitale Modellstädte
Ein ehrgeiziges Ziel haben sich der Hightech-Verband Bitkom und der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) gesetzt: Deutschland soll in den kommenden Jahren eine digitale Vorzeigestadt mit internationaler Strahlkraft erhalten. Realisiert wird dies in Darmstadt – die südhessische Wissenschaftsstadt konnte sich Mitte Juni dieses Jahres unter den fünf Finalisten des Wettbewerbs Digitale Stadt von Bitkom und DStGB durchsetzen. Mit dem Umbau zur digitalen Vorzeigestadt soll nun zügig begonnen werden. Ab 2018 sollen unter anderem die Bereiche Verkehr, Energieversorgung, Schulen, Gesundheitswesen und Handel sowie die Darmstädter Verwaltung mit neuesten Technologien ausgerüstet werden.
Darmstadt darf dabei mit der Unterstützung von mehr als 20 Partnerunternehmen des Bitkom rechnen, die Produkte und Dienstleistungen in zweistelliger Millionenhöhe beisteuern. Das Land Hessen beteiligt sich ebenfalls mit zehn Millionen Euro an den Smart-City-Vorhaben. Auf der Agenda steht unter anderem die digitale Vernetzung der städtischen Infrastrukturen mittels IoT-Plattformen (Internet of Things) und autonomen Systemen. Basis hierfür sind das bestehende Glasfasernetz sowie der Ausbau der Mobilfunktechnologie. Geplant ist auch ein kostenloses WLAN-Netz in der Stadt sowie in Bussen und Straßenbahnen. Sensoren, die in Signalanlagen, Straßenlaternen, Mülltonnen und Fahrzeugen der öffentlichen Versorgung integriert sind, sollen in der Digitalstadt Darmstadt künftig vielfältige Daten erfassen, um etwa den Verkehrsfluss, die Beleuchtung, den öffentlichen Nahverkehr, die Müllentsorgung oder Carsharing-Angebote bedarfsgerecht zu steuern. Über die Sensortechnik können zudem Umweltdaten gesammelt und somit Klimaschutz- und Verkehrsmaßnahmen optimiert werden.
Echtzeitfähige Datenplattform als zentraler Aspekt
Zentraler Aspekt ist zudem eine echtzeitfähige Datenplattform. Bürger können darüber künftig Behördengänge weitgehend digital durchführen, sich beim Energieversorger und der Müllentsorgung anmelden oder ÖPNV-Fahrkarten erstehen. Die Authentifizierung wird über das bundesweite Servicekonto erfolgen. Stadtverwaltung und -wirtschaft wiederum sollen die Plattform nutzen, um den Zustand der Digitalstadt zu überwachen, den Kontakt zu den Bürgern zu halten und Prozesse abzuwickeln. Weitere Maßnahme des Smart-City-Konzepts ist eine flexible und bedarfsgerechte Entsorgungslogistik, etwa durch die Nutzung von Füllstandssensoren und RFID-Tags zur Identifikation von Müllcontainern und Papierkörben sowie eine dynamische Tourenplanung, welche sich aus der Datenplattform speist und zudem die aktuelle Straßenlage berücksichtigt. Touren könnten dann derart optimiert werden, dass die Entsorgung mit kleineren E-Fahrzeugen möglich ist. An den Straßen und Wegen der Digitalstadt Darmstadt wird eine intelligente, integrierte und energieeffiziente Beleuchtung Internet-Zugang und Lade-Infrastrukturen bieten. Wichtiger Bestandteil der digitalen Lebensreform sind laut dem Darmstädter Konzept zudem Verkehrsverflüssigung und ökologisch nachhaltige urbane Mobilität. Hierfür sollen Individualverkehr, ÖPNV sowie die städtische Infrastruktur vernetzt und die Voraussetzungen für den Mischverkehr mit automatisierten und autonomen Fahrzeugen geschaffen werden.
Bereits vereinbart wurde die Einführung der App „Park and Joy“ der Deutschen Telekom für das smarte Parken. Bis Ende 2019 soll nach Angaben der Stadt Darmstadt ein Großteil des innerstädtischen, bewirtschafteten Parkraums vernetzt sein, damit Autofahrer komfortabler und schneller ans Ziel kommen. In einer weiteren Ausbaustufe sollen Parkhäuser und private Stellflächen an die Lösung angeschlossen werden. So werde die Möglichkeit geschaffen, Parkplätze im Vorfeld zu reservieren. Oberbürgermeister Jochen Partsch erklärt: „Die Park-App passt gut in das Projekt Green Smart City. Mit der App machen wir auf das verfügbare Kontingent an Parkplätzen aufmerksam und erleichtern Pendlern sowie Besuchern den Aufenthalt in unserer Stadt.“
Heidelberg: Unterstützung für die weitere Digitalisierung
Auch wenn Darmstadt den Wettbewerb gewonnen hat und es der Stadt somit leichter fallen wird, ihre Smart-City-Vision in die Tat umzusetzen, wollen die anderen Finalisten – die Städte Heidelberg, Kaiserslautern, Paderborn und Wolfsburg – ihre Konzepte nun nicht in der Schublade verschwinden lassen. „Es ist schade, dass es für uns nicht ganz zum Sieg gereicht hat“, erklärt etwa Heidelbergs Oberbürgermeister Eckart Würzner. „Dennoch werden wir den Weg der Digitalisierung konsequent weitergehen.“ „Gemeinsam mit unseren Partnern haben wir innerhalb kürzester Zeit viele Ideen entwickelt“, bestätigt Nicole Huber, die in Heidelberg das Thema Digitale Stadt koordiniert: „Etliche Partner haben uns von vornherein zugesagt, uns auf jeden Fall zu unterstützen – unabhängig vom Ausgang des Wettbewerbs.“
Die Stadt am Neckar muss beim Thema Smart City nicht bei anfangen – in vielen Bereichen gibt es bereits smarte Lösungen, so zum Beispiel eine digitale Vorhabenliste und Online-Bürgerbeteiligungsplattformen. Zu erwähnen ist auch die weltweit größte Passivhaussiedlung Bahnstadt, in der unter anderem flächendeckendes Smart Metering zum Einsatz kommt. Und in der Verwaltung der Stadt Heidelberg werden häufig nachgefragte Dienstleistungen bereits heute digital bearbeitet. Die elektronische Akte wurde bei bisher acht Fachverfahren eingeführt, der Einsatz außerhalb klassischer EDV-Fachverfahren befindet sich nach Angaben der Stadtverwaltung derzeit im Pilotbetrieb. Zudem werde das digitale Baugenehmigungsverfahren eingeführt und das Amt für Soziales und Senioren realisiert ein Programm, das die digitale Vernetzung interner Akteure in der Hilfeplanung und für Betreuungsangelegenheiten ermöglicht.
Paderborn kann und will
Die nordrhein-westfälische Stadt Paderborn führte in ihrer Bewerbung für den Bitkom-Wettbewerb ebenfalls eine Reihe von Einzelprojekten an, die die Stadt bereits jetzt digitaler und ein Stück weit fortschrittlicher machen. Als ein Beispiel nennt die Kommune den Kita-Navigator, ein Online-Informations- und Vormerksystem für die Betreuungsplätze in allen Kindertageseinrichtungen. Im öffentlichen Nahverkehr sollen zudem erste sprechende Bushaltestellen installiert werden. „Auf Tastendruck können sich Sehbehinderte und blinde Menschen dann Abfahrtzeiten ansagen lassen“, berichtet René Möller, stellvertretender Leiter des städtischen Verkehrsunternehmens PaderSprinter. „Außerdem informieren wir über das Internet oder unsere PaderSprinter-App per Handy in Echtzeit, wann genau der Bus fährt und wo sich die nächstgelegene Haltstelle befindet.“
Als einmalig hob die Stadt in ihrer Bewerbung den Schulterschluss von Stadt und Wirtschaft im Verein „Paderborn überzeugt“ hervor. Dieser finanziere eine Vielzahl von Leuchtturmprojekten, beispielsweise das mit drei Millionen Euro geförderte Projekt garage33, welches den Anspruch Paderborns als Hochburg technologieorientierter Gründungen unterstreiche. Ein Highlight im Bereich Bildung sei das Projekt Lernstatt zur Digitalisierung aller Schulen im Stadtgebiet – hierfür werden acht Millionen Euro investiert. Punkten wollte Paderborn in seinem Konzept ferner mit den Möglichkeiten der Stadtentwicklung: „Nach Abzug der britischen Streitkräfte bieten sich neue Potenziale, um digitale Lösungen in neuen Stadtquartieren umzusetzen“, erklärte dazu Paderborns Bürgermeister Michael Dreier. Nach dem Motto: „Wir können das und wir wollen das“ werde die Stadt Paderborn ihre Smart-City-Ziele auch in Zukunft weiter verfolgen.
Wolfsburg wird zum Reallabor
Die Stadt Wolfsburg wiederum hatte sich mit ihrer Initiative #WolfsburgDigital am Bitkom-Wettbewerb beteiligt. Ziel der im Dezember 2016 gemeinsam mit dem Volkswagen-Konzern gestarteten Initiative ist es, Wolfsburg zum Vorreiter bei digitalen Anwendungen, Hightech- und IT-Arbeitsplätzen sowie zum Großlabor für digitale Dienstleistungen und neue Geschäftsfelder zu machen. Durch ihren starken Mobilitätsbezug biete sich die Stadt zudem als Reallabor für E-Mobilität, vernetzte Mobilität sowie automatisiertes und autonomes Fahren an.
Die Weichen für die digitale Zukunft stellen soll ein flächendeckendes Glasfasernetz im gesamten Stadtgebiet. Zwar gibt es laut einer umfangreichen Marktanalyse aus dem Jahr 2015 in Wolfsburg nur noch sehr wenige mit Breitband unterversorgte Stadt- und Ortsteile. Dennoch besteht Modernisierungsbedarf: „Immer neue, immer komplexere digitale Angebote entstehen, die enorme Datenmengen produzieren. Herkömmliche Kupferleitungen sind kaum in der Lage, diese zu transportieren“, erklärt Oberbürgermeister Klaus Mohrs. Der stadtweite Glasfaserausbau sei daher unabhängig vom Ausgang des Wettbewerbs Digitale Stadt bereits auf Hochtouren angelaufen.
Des Weiteren arbeitet Wolfsburg an der Umsetzung einer Online-Partizipationsplattform und weiteren Digitalprojekten der Verwaltung. Schwerpunkte liegen dabei auf der Schaffung von Online-Bürgerdiensten und der Etablierung offener städtischer Datenplattformen. 2016 startete in der Ausländerstelle ein Pilotprojekt zur Einführung der E-Akte. Online-Bauantrag, elektronische Rechnungsbearbeitung und elektronische Bezahlverfahren sind in Vorbereitung, zudem soll die Ratsarbeit digitalisiert werden. Ein Team „Digitalisierung“ im Referat für Strategische Planung und Stadtentwicklung, das direkt beim Oberbürgermeister angesiedelt ist, befindet sich ebenfalls im Aufbau. Große Bedeutung nimmt in der Wolfsburger Smart-City-Initiative auch das Thema Bildung ein: Im Rahmen eines dreijährigen Pilotprojekts an fünf Wolfsburger Schulen will die Stadt erarbeiten, unter welchen Bedingungen sich die Potenziale digitaler Medien für Lehr- und Lernprozesse entfalten können. Die Gesamtkosten des Projekts belaufen sich nach Angaben der Stadtverwaltung von 2017 bis 2019 auf rund 1,9 Millionen Euro.
Ziele bleiben bestehen
Mit dem Gewinn des Wettbewerbs Digitale Stadt hätten sich zwar viele Prozesse und Projekte beschleunigen lassen, so die Stadt Wolfsburg. Dazu zähle etwa die Entwicklung einer städtischen Datenplattform, die mit externem Know-how schneller umgesetzt werden könnte. Die Vereinbarung, Wolfsburg zu einer Modellstadt der Digitalisierung zu entwickeln, hätten der Volkswagen-Konzern und die Stadt Ende 2016 aber unabhängig vom Bitkom-Wettbewerb getroffen. Die angestoßenen Innovationen würden daher auch in Zukunft weiter vorangetrieben. „Wir haben für den Wettbewerb innerhalb kürzester Zeit ein Netzwerk von über 100 Akteuren aus Verwaltung, städtischen Gesellschaften, Wirtschaft, Institutionen, Wissenschaft, Verbänden und Vereinen geknüpft“, erklärte Wolfsburgs Oberbürgermeister Klaus Mohrs. „Dieses Netzwerk werden wir künftig nutzen können – ob wir den Wettbewerb nun gewonnen haben oder nicht.“ Thomas Krause, Vorstand der Wolfsburg AG, bestätigt: „Unabhängig vom Ergebnis des Wettbewerbs wächst die Idee von Wolfsburg als digitales Reallabor kontinuierlich weiter.“
Herzlich digital braucht keinen Ansporn
Auch das Konzept der rheinland-pfälzischen Stadt Kaiserslautern, das unter dem Motto „Herzlich digital“ stand, hat es im Bitkom-Wettbewerb nicht auf den ersten Podestplatz geschafft. „Uns war klar: Sekt oder Selters – jetzt ist es Rieslingschorle geworden“, heißt es vonseiten der Stadtverwaltung. Dennoch solle die herzlich-digitale Stadt Kaiserslautern nun entwickelt und gebaut werden: „Wir werden weitermachen. Dafür braucht es keinen weiteren Ansporn.“
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