Sonntag, 10. November 2024

Round TableDigitale Wegbereiter

[09.11.2015] Experten aus Wirtschaft und Kommunen tauschten sich in Düsseldorf über den Sachstand und die Zukunft des E-Governments aus. Vom Bürgerportal über die E-Rechnung bis hin zur E-Akte wurden Hürden und Erfolgsfaktoren diskutiert.
Welche E-Government-Lösungen Zukunft haben und wie Hürden umschifft werden können

Welche E-Government-Lösungen Zukunft haben und wie Hürden umschifft werden können, wurde am Round Table im Düsseldorfer Büro von Infoma diskutiert.

Teilgenommen haben (v.l.): Christopher Linke, Infoma; Dagmar Mirbach, Stadt Düren; Doris Havertz, regio iT; Norbert Monscheidt, Stadt Gütersloh; Alexander Schaeff, Kommune21; Christian Diste, ekom21; Oliver Couvigny, Infoma.

(Bildquelle: Michael Rutta)

Mit Frau Mirbach und Herrn Monscheidt nehmen heute Vertreter der E-Government-Modellkommunen Düren und Gütersloh am Round Table teil. Mit welcher Idee haben sich die beiden Städte für die Auszeichnung beworben?

Mirbach: In Düren wollen wir den Bürgerservice und die Effizienz der Verwaltung erhöhen. Schließlich wünschen sich die Bürger eine Verwaltung, die rund um die Uhr erreichbar ist und die sie nach Möglichkeit nicht mehr persönlich aufsuchen müssen. Auch erwarten sie, dass die Prozesse dort schnell zu Ende gebracht werden. Für den Wettbewerb hat Düren den Status quo in der Stadt skizziert, Ziele aufgezeigt und so den Zuschlag vom Bundesinnenministerium erhalten.

Monscheidt: Auch in Gütersloh wollen wir auf die Wünsche der Bürger eingehen. Mit dem elektronischen Workflow oder der elektronischen Steuerakte hatte die Stadt sogar die ersten Vorhaben eingespielt. Diese Vorgänge richten sich zwar nicht direkt an den Bürger. Wenn aber die Voraussetzungen innerhalb der Verwaltung nicht geschaffen werden, dann lässt sich weder das E-Payment noch eine elektronische Rechnung aufsatteln. Ein weiterer Teil des E-Government-Projekts ist das im März freigeschaltete Bürgerportal.

Wo stehen die Modellkommunen heute?

Mirbach: Düren hat mit der elektronischen Gewerberegisterauskunft oder der elektronischen Gewerbeanzeige neue Projekte gestartet – mit Letzterer stehen wir kurz vor der Inbetriebnahme. Seit Frühherbst ist außerdem eine Hundean- und -abmeldung via Internet mit Durchfluss in die Fach-Software realisiert. Praktisch wäre auch ein Bürger-Terminal. Auf diesem Bürger-Terminal ist die Seite der Stadt Düren mit dem integrierten Bürgerportal zu erreichen. Hier kann der Bürger die Online-Dienste der Kommune nutzen, auch wenn ihm zu Hause die notwendige technische Ausstattung fehlt. Das Terminal soll an Orten aufgestellt werden, die auch dann zugänglich sind, wenn das Bürgerbüro geschlossen ist. Ferner wollen wir in Düren den Kita-Planer von Little Bird einführen. Ein weiterer wichtiger Bestandteil ist nicht zuletzt die Optimierung unserer Vordrucke. Aktuell führen der Bund und das Land ein Normenscreening durch. Hier werden die gesetzlichen Regelungen hinsichtlich ihres Schriftformerfordernisses überprüft.

Monscheidt: Eine wesentliche Neuerung in Gütersloh ist das Bürgerportal. In dieses haben wir zunächst Massenverfahren und solche Verfahren integriert, die bereits ziemlich automatisiert waren. Der Bürger hat nun über das Portal beispielsweise Zugriff auf die Sperrmüllanmeldung, die Kita-Lösung Little Bird oder auf das digitale Angebot rund um die Hundesteuer, die Gewerbesteuer oder den Bewohnerparkausweis. Auch Urkunden lassen sich anfordern. Da wir das Bürgerportal als ständige Phase des Ausbaus begreifen, werden wir es um andere Fachanwendungen erweitern.

Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Bürgerkonto bislang gemacht?

Monscheidt: Die Bürger melden sich freiwillig dafür an, da sie darüber mit der Stadt in Kontakt treten und die entsprechenden Online-Dienstleistungen in Anspruch nehmen wollen. Damit das Bürgerkonto Erfolg hat, muss es aber ständig in den lokalen Medien beworben werden.

Mirbach: In Düren haben wir deshalb verschiedene Werbeaktionen angestoßen. Wir haben Bürgerbefragungen in der Innenstadt und online durchgeführt. Auch haben wir auf Märkten in der Stadt einen Stand mit Bürgerportal aufgebaut. Wir haben Plakate gedruckt und waren in den lokalen Medien präsent. Alle neuen Angebote bewerben wir entsprechend, um sie an den Bürger heranzutragen.

Welche E-Government-Lösungen sind besonders erfolgreich?

Havertz: Erfolgreiche Prozesse haben eine niedrige Einstiegshürde, sind leicht zu finden und einfach zu durchlaufen. Es bedarf also weder des neuen Personalausweises, noch muss ein Formular ausgedruckt werden. In Aachen ist beispielsweise das Online-Verfahren rund um das Bewohnerparken erfolgreich. Damit hat regio iT zwischenzeitlich eine 40-prozentige Abdeckung erreicht. Die hohe Fallzahl resultiert unter anderem daraus, dass der Bewohnerparkausweis nach einer bestimmten Zeit abläuft. Per E-Mail erhält der Bürger dann einen Link auf die Portalseite, wo er den neuen Parkausweis beantragen kann – ein Online-Prozess der auch im Wiederholungsfall durchgängig ist.

Diste: Die Zählerstandserfassung beim Wasser ist ein ebenso einfacher und dem Bürger vertrauter Prozess. ekom21 ist es gelungen, dass 50 Prozent der Bürger einer Kommune ihre Zählerstände online erfassen. Bei komplexeren Prozessen ist die Anwenderbereitschaft niedriger. Deshalb ist es wichtig, dass die Verwaltung einerseits alle Eingangskanäle abfängt – vom Telefon über die Bürgeransprache vor Ort, via Internet bis hin zu externen Systemen – und andererseits die schwierigeren Prozesse intern verschlankt. Ungemein wichtig ist nicht zuletzt das Vertrauen der Bürger in die Verwaltung. Die Datensicherheit muss gewährleistet sein. Andernfalls wird der Bürger seine Daten nicht dem E-Government anvertrauen.

Couvigny: In den vergangenen zehn Jahren wurde E-Government entweder nur verwaltungsintern oder bürgerorientiert gedacht. Dadurch haben sich letzten Endes wieder Brüche ergeben. E-Government muss stattdessen als Prozess komplett von außen nach innen und umgekehrt gedacht werden. Einerseits müssen die Bürger mitgenommen werden, auf der anderen Seite darf aber kein Mehraufwand in der Verwaltung entstehen. Denn Verwaltungen in Deutschland erbringen sehr viele Leistungen. Und das müssen sie auch in Zukunft – dann aber mit weniger Mitarbeitern. Sie brauchen deshalb entsprechend digitalisierte Prozesse, die zentralisieren und vereinfachen.

Mirbach: Durch das E-Government nimmt der Bürger der Verwaltung Arbeit ab. Er erfasst seine Daten selbst. Als Gegenleistung kann er die gewünschte Leistung täglich und rund um die Uhr beantragen. Er erhält alle notwendigen Informationen, eine Eingangsbestätigung sowie in der Regel eine kürzere Bearbeitungszeit.

Monscheidt: Bei allen E-Government-Vorhaben müssen die Mitarbeiter mitgenommen werden. Andernfalls wäre das Projekt zum Scheitern verurteilt – nicht zuletzt, weil über Ablauforganisationen nachgedacht werden muss und es vielleicht auch Mitarbeiter gibt, die sich schwertun, ihre gewohnten Arbeitsweisen zu ändern.

Linke: Mit Blick in die Zukunft ist außerdem wichtig, dass wir über die heute genutzten Geräten hinausdenken. Dass ich zum Auslesen des nPA ein Lesegerät an meinen PC stecken muss, ist schlimm genug. Was aber mache ich, wenn ich gar keinen PC mehr habe? Es gibt keine bewährte Möglichkeit, einen nPA oder einen anderen physischen Authentifizierungsmechanismus mit dem Smartphone zu nutzen.

Havertz: Mit dem Bürgerkonto verfolgen wir unter anderem das Ziel, dass der Bürger auch ohne das nPA-Lesegerät E-Government-Dienste nutzen kann. Um die im Bürgerkonto integrierten Daten nutzen zu können, muss er sich einmalig authentifizieren – entweder über die eID-Funktion des neuen Personalausweises oder indem er sich vor Ort ausweist.

Diverse Bundesländer haben jetzt E-Government-Gesetze zur Konsultation freigegeben. Würden Sie etwas ergänzen?

Havertz: Wir wünschen uns einen viel freieren Umgang mit der Schriftform und mit der elektronischen Datenhaltung. Oft ist nicht klar geregelt, ab wann eine E-Akte zulässig ist und was noch in Papierform vorgehalten werden muss. Viele Dokumente werden deshalb elektronisch vorgehalten und trotzdem ausgedruckt.

Mit der E-Akte kündigen die E-Government-Gesetze ein weiteres großes Thema an. Bis wann ist Ihrer Meinung nach alles digital?

Mirbach: Die Frage, ob sich alles digitalisieren lässt, hängt wiederum an rechtlichen Aspekten. In Düren arbeiten die Steuerabteilung und die Abteilung Liegenschaften mit der digitalen Akte von Infoma. Bei den Liegenschaften aber werden beispielsweise die Kaufverträge ausgesondert und in Papierform aufbewahrt. In anderen Bereichen kann die Papierversion zu den digitalisierten Schriftstücken vernichtet werden.

Diste: In Hessen gibt es mittlerweile viele interkommunale Kooperationen. Die Kommunen arbeiten dabei nicht nur im Finanzwesen oder im Ordnungsamt, sondern auch in anderen Bereichen zusammen. Und in diesem Rahmen muss man zwingend über die E-Akte diskutieren. Damit die interkommunale Zusammenarbeit am Ende aber ein Erfolg wird, muss der Gesetzgeber klar machen, was digital verwaltet werden kann.

Couvigny: Die technische Lösung für die E-Akte hat Infoma längst. Unsere Software ist flexibel und passt auf unterschiedliche lokale Gegebenheiten. Auch ist sie skalierbar, sodass ein Vorgehen Schritt für Schritt möglich ist. Schließlich handelt es sich bei der Einführung der E-Akte um ein großes organisatorisches Thema, das oft nicht in einem Zug umgesetzt werden kann. Für Infoma spielt deshalb die Beratung der Kunden eine wesentliche Rolle bei der Umsetzung.

Wie ist der Stand der Dinge hinsichtlich der E-Rechnung?

Linke: Ich sehe der E-Rechnung mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegen. Einerseits bewegen wir uns mit der E-Rechnung auf dem richtigen Weg. Andererseits verpflichtet die entsprechende EU-Richtlinie ausschließlich die öffentliche Hand. Was aber ist, wenn im Jahr 2018 kein Unternehmen die E-Rechnung nutzt? Große Unternehmen drängen zwar auf die E-Rechnung, doch was ist mit den vielen kleinen Betrieben?

Monscheidt: An der Stelle könnte die E-Rechnung dazu beitragen, das Bürgerportal weiterzuentwickeln. Denn wenn kleinere Betriebe über das Bürgerportal ihre Rechnung an die Kommune einstellen könnten, würde das die Akzeptanz des Bürgerportals fördern. Vielleicht ist es sogar möglich, dass die Kommune darüber ihre Steuer- oder Abgabenbescheide an Bürger oder Gewerbebetriebe versendet.

Wie ist es um mobile Angebote bestellt?

Linke: Die Zukunft gehört mobilfähigen Websites. Neue App-Entwicklungen sind oft nichts anderes als mobilfähige Web-Seiten, die Live-Verbindungen herstellen. Der Browser ist der kleinste gemeinsame Nenner. Die Kommune kann so an einer Stelle ihre digitalen Angebote abbilden und verwalten.

Couvigny: Infoma geht weg von geschlossenen Apps hin zur Website, die sich automatisch an Format oder Endgerät anpasst. Zum einen bieten wir nach wie vor den klassischen Desktop-Client an, haben aber auch einen Web-Client im Portfolio. Mit Letzterem bekommt der Nutzer eine jeweils passende Oberfläche – ob er den Client nun auf dem HD-Monitor, dem Smartphone oder dem Handy nutzt. Ergänzend bietet Infoma einzelne Apps an, die nur für bestimmte Mitarbeiter-Gruppen gedacht sind und nicht über eine Website angeboten werden können.

Wie sieht die E-Government-Kommune der Zukunft aus?

Mirbach: In meiner Vision ist dann die komplette Verwaltung mit einem DMS ausgestattet. Außerdem geht sie klar in Front- und Backoffice-Bereiche. Hierdurch erhält der Bürger zentrale Ansprechpartner und die Mitarbeiter im Backoffice übernehmen die Nachbearbeitung, orts- und zeitunabhängig. Arbeit und Arbeitsplätze können flexibler werden. Bürger müssen für ihre Anliegen zwar nicht mehr zur Verwaltung kommen. Wenn sie diese aber aufsuchen, treffen sie dort auf einen netten Ansprechpartner.

Monscheidt: Auch in zehn Jahren wird es Bürger geben, die sich nicht den elektronischen Angeboten öffnen und stattdessen eine persönliche Ansprache bevorzugen. Die Verwaltung muss deshalb alle Kommunikationswege für den Bürger öffnen.

Diste: Die Vision von ekom21 ist, dass die Kommune nicht nur umfassend E-Government-Prozesse nutzt, sondern auch mit einem einheitlichen System, mit einheitlicher Oberfläche die Eingangskanäle einheitlich abarbeitet und die Schnittstellen integriert funktionieren.

Havertz: Wir stehen meines Erachtens noch ganz am Anfang einer vollständigen E-Government-Welt und bei der Weiterentwicklung ist nicht zuletzt der Gesetzgeber gefragt. Er muss Prozesse vereinfachen, denn gewisse Anträge sind zu lang, als dass sie sich online ausfüllen lassen. Wichtig wäre außerdem, dass nur das Nötigste ausgefüllt werden muss und andere Informationen von vernetzten Systemen ergänzt werden.

Couvigny: Durch die digitale Transformation hat die Verwaltung der Zukunft Zeit für den Bürger, ist ansprechbar und reaktionsfähig. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die E-Akte zurückkommen. Heute gilt es als erstrebenswert, dass DMS und E-Akte von einem Anbieter stammen. Das wird sich aufbrechen und die Anbieter werden stattdessen die Prozesse regeln. Es wird dann aus dem Fachverfahren heraus mit allen Aufbewahrungsfristen und Regelungen gesteuert, sodass ein Dokument im nächsten Verfahren nur noch abgelegt werden muss. Die Art, wie wir Archivierungsprogramme anlegen, wird sich also grundlegend verändern. Verwaltungsmitarbeiter müssen sich dann nicht mehr darum kümmern, in welchem Software-Archiv ihr Dokument landet oder wie lange es abzulegen ist.

Linke: Wir sind dann angekommen, wenn in der Verwaltung der lange Dienstag und der lange Donnerstag abgeschafft werden können. Denn die gibt es ja nur, damit Berufstätige neben ihrer Arbeit ihre Anliegen bei der Verwaltung erledigen können. Das sollte in Zukunft digital mit einem dynamischen Lebensalltag vereinbar sein.

Moderation: Alexander Schaeff; Dokumentation: Verena Barth




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