Rhein-Kreis NeussDigitalisierung als Prozess
Der Weg zur digitalen Behörde scheint in Deutschland immer noch weit, auch wenn durch Förderprogramme von Bund und Ländern sowie gesetzliche Initiativen – wie beispielsweise die E-Government-Gesetze – mächtig Dampf im Kessel erzeugt wird. Die Ursachen und Hindernisse für die schleppenden Fortschritte bei der Digitalisierung sind vielfältig und reichen von der fehlenden ganzheitlichen Strategie, auch bedingt durch den föderalen Staatsaufbau, über den fehlenden Bekanntheitsgrad und die mangelnde Nutzerfreundlichkeit von Online-Services sowie die hohen Datenschutzanforderungen bis hin zu engen finanziellen Ressourcen – insbesondere auf kommunaler Ebene.
Chancen nutzen
Der Rhein-Kreis Neuss hat sich bereits vor einigen Jahren auf den Weg gemacht und ist entschlossen, die mit der Digitalisierung verbundenen Chancen zur Steigerung der Effizienz der Verwaltung, zur Verbesserung des Bürger- und Unternehmensservice sowie der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu nutzen. Wie viele andere Kommunen steht aber auch der Rhein-Kreis Neuss beim Thema E-Government im Spannungsfeld zwischen Innovationserfordernis und finanziellen Spielräumen. Dennoch setzt Landrat Hans-Jürgen Petrauschke auf Digitalisierung und Vernetzung, schafft den hierfür notwendigen Rahmen und stellt die Weichen entsprechend. Bereits im Jahr 2007 wurde ein E-Government-Beauftragter für die Kreisverwaltung bestellt, später eine regelmäßig tagende E-Government-Arbeitsgruppe eingerichtet. Die IT-Abteilung wurde aus der Gebäudewirtschaft ausgegliedert und als Zentrale Steuerungseinheit aufgewertet.
Drei für Digitalisierung
Im Jahr 2016 hat der Rhein-Kreis Neuss sein erstes Digitalisierungskonzept vorgelegt. Die Digitalisierungsstrategie ist aber kein in sich geschlossener Projektplan, sondern ein fortlaufender Prozess. Im Zuge dessen wurde vor wenigen Wochen die IT-Abteilung des Kreises neu aufgestellt (wir berichteten). Neben dem CIO (Chief Information Officer) wurde der neu geschaffene Posten eines CDO (Chief Digital Officer) unterhalb des IT-Dezernenten besetzt. Während sich der CIO um den reibungslosen Betrieb und die Weiterentwicklung der Verwaltungs-IT kümmert, rund 3.000 PCs und 200 Fachverfahren in Verwaltung und Kreisschulen, fungiert der CDO als Ansprechpartner und Promotor der Digitalisierung in allen Fachbereichen der Verwaltung. Neue digitale Projekte und Innovationen sollen hier zentral entwickelt und vorangetrieben werden.
Drei erfolgreiche Apps
Durch die Digitalisierung sollen die Verwaltungsdienstleistungen für Bürger und Unternehmen einfacher, nutzerfreundlicher und effizienter gestaltet werden. Erfolgreich sind dabei auch die drei kostenlosen Apps, die der Kreis entwickelt hat. Seit September 2017 steht etwa die Straßenverkehrsamts-App „Mein StVA“ zur Verfügung, die den Service für jährlich 170.000 Kunden verbessern soll. Ein Online-Unterlagenprüfer, eine Wartezeitenprognose für alle vier Dienststellen des Straßenverkehrsamts und eine Wartenummer-Alarmfunktion bilden das Herzstück der App.
Mein StVA
Der Online-Unterlagenprüfer ermittelt beim Kunden anhand eines einfachen Interviews alle erforderlichen Unterlagen für die gewünschte Dienstleistung. Am Ende erhält der Kunde nicht nur eine Checkliste mit zusätzlichen Informationen, wie etwa Gebühren, sondern kann sich die benötigten Formulare zeit- und ortsunabhängig auf sein mobiles Endgerät oder seinen PC schicken lassen. Durch die App sollen Kunden besser auf den Besuch des Straßenverkehrsamts vorbereitet werden und fehlende Unterlagen möglichst der Vergangenheit angehören.
Neuland wird mit der Wartezeitenprognose betreten, die automatisiert die Anzahl der Kunden ins Verhältnis zum vorhandenen Personal setzt. Neben der Darstellung der aktuellen durchschnittlichen Wartezeit signalisieren Ampelfarben für alle vier Dienststellen, ob ein Besuch zu empfehlen ist. Bei überdurchschnittlich langer Wartezeit erhält der Kunde automatisch eine Empfehlung, den Besuch entweder zu verschieben oder eine andere Dienststelle aufzusuchen, wobei ihm auch die Wegstreckenzeit angezeigt wird.
Anlass für die Wartenummer-Alarmfunktion war ein häufig geäußerter Kundenwunsch. Sie erlaubt es, bei längeren Wartezeiten den Wartebereich kurzfristig zu verlassen, um etwa einen Einkauf in einem nahegelegenen Geschäft zu erledigen. Über die Push-Funktion seines Smartphones wird der Kunde alarmiert, sobald der Aufruf seiner Wartenummer näher rückt.
Heimfinder-App
Mit der Heimfinder-App unterstützt das Kreissozialamt Angehörige und Pflegebedürftige bei der Suche nach einem Kurzzeit- oder Langzeitpflegeplatz in Seniorenhäusern. Häufig müssen Entscheidungen für einen Pflegeplatz innerhalb kurzer Zeit getroffen werden – etwa nach einem Krankenhausaufenthalt. Mithilfe der App können sich Ratsuchende kreisweit einen schnellen Überblick über aktuell freie Pflegeplätze in den derzeit 46 Seniorenhäusern verschaffen. Eine Umkreissuche mit Übersichtskarte sowie die Anzeige der freien Bettkapazitäten – unterteilt nach Kurz- und Langzeitpflegeplätzen – dienen der Orientierung. Kontaktdaten und Internet-Adressen ermöglichen eine schnelle Kontaktaufnahme mit dem jeweiligen Seniorenhaus.
Rettungsdienst-App
Auch in der Notfallmedizin schreitet die Digitalisierung voran – und eine vom Rhein-Kreis Neuss entwickelte App spielt dabei eine wichtige Rolle. Sie informiert über die rettungsdienstlichen Standards und wird bereits in elf Nachbarkreisen genutzt. Eine Neuentwicklung des digitalen Angebots soll bald in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt sowie in ganz Nordrhein-Westfalen eingesetzt werden.
Eine Arbeitsgruppe von ärztlichen Leitern im Rettungsdienst aus den vier Bundesländern hat 2016 gemeinsam einheitliche Vorgaben in so genannten Standardarbeitsanweisungen und Behandlungspfaden zur praktischen Ausbildung und theoretischen Schulung entwickelt. Zur weiteren Verbreitung und Nutzung der elektronischen Möglichkeiten entwickelte der Rhein-Kreis Neuss die Rettungsdienst-App, über die auch Anregungen und Feedback übermittelt werden können und somit der jährliche Überarbeitungsprozess unterstützt wird.
In Weiterbildung investieren
Die Potenziale der Digitalisierung sind in der Kreisverwaltung – gerade auch im Bereich Bürger- und Unternehmensservice – bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Demografische und finanzielle Rahmenbedingungen zwingen unverändert dazu, Prozesse zu optimieren und Digitalisierungschancen zur Steigerung der Effizienz zu nutzen. Eine Schlüsselrolle auf dem Weg zur digitalen Kreisverwaltung kommt den notwendigen Investitionen in die Qualifizierung und Weiterbildung des Personals zu.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Juni 2018 von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
Kostenlose Apps und weitere Online-Dienste des Kreises
Rheinland-Pfalz: Erfolg durch Kooperation
[18.11.2024] Der digitale Wandel dient den Menschen, sagt Staatssekretär Denis Alt. Im Interview mit Kommune21 spricht der neue rheinland-pfälzische CIO und CDO über die Umsetzung der Digitalstrategie des Landes. mehr...
Potsdam: Fachbereichsleiterin für E-Government bestätigt
[12.11.2024] Potsdams Stadtverordnete haben Melitta Kühnlein als neue Leiterin des Fachbereichs E-Government bestätigt. Kühnlein ist seit Anfang 2021 in leitender Funktion im IT-Bereich der Stadtverwaltung tätig. mehr...
Baden-Württemberg: Änderung der Gemeindeordnung verabschiedet
[11.11.2024] Der Landtag von Baden-Württemberg hat jetzt eine Änderung der Gemeindeordnung verabschiedet, die Kommunen in administrativen Abläufen entlastet und die finanzielle Berichterstattung vereinfacht. mehr...
Hannover: Fonds für digitalen Fortschritt
[30.10.2024] Hannover setzt mit einem 48-Millionen-Euro-Digitalisierungsfonds auf die umfassende Modernisierung seiner Verwaltungsprozesse. Ziel ist ein digitales Rathaus, das Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen effiziente, benutzerfreundliche Services bietet. Die IT-Strategie umfasst dazu digitale Souveränität und Kosteneffizienz. mehr...
Digitalisierung: Dresdner Forderungen 2.0
[22.10.2024] Die Fachgruppe Verwaltungsinformatik der Gesellschaft für Informatik hat 20 Thesen zum digitalen Wandel formuliert. Die Forderungen zielen darauf ab, die Verwaltung effizienter, zukunftssicherer und bürgerfreundlicher zu machen. mehr...
Liechtenstein: Mit Pragmatismus und Agilität
[14.10.2024] Liechtenstein hat auf dem Weg zum Smart Country bereits eine beeindruckende Entwicklung zurückgelegt. Das ist nicht zuletzt vielen mutigen Entscheidungen und einer gehörigen Portion Pragmatismus geschuldet. mehr...
Smartes Rhein Main 2030: Gemeinsame Vision
[02.10.2024] Eine gemeinsame Vision für ein smartes Rhein-Main-Gebiet haben die Städte Frankfurt am Main, Wiesbaden und Darmstadt erarbeitet. Im Interview erklären die CIOs Eileen O’Sullivan, Maral Koohestanian und Holger Klötzner, was konkret geplant ist. mehr...
Deutscher Landkreistag: Achim Brötel ist neuer Präsident
[11.09.2024] Der Deutsche Landkreistag (DLT) hat einen neuen Präsidenten gewählt: Achim Brötel, Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises, tritt die Nachfolge von Reinhard Sager an, der das Amt zuvor zehn Jahre lang innehatte. mehr...
Essen: Charta Digitale Ethik verabschiedet
[04.09.2024] In ihrer Charta Digitale Ethik hat die Stadt Essen die Rahmenbedingungen für den Einsatz digitaler Technologien in der Stadtverwaltung festgelegt. Das soll insbesondere für einen ethisch verantwortungsvollen Umgang mit Künstlicher Intelligenz sorgen. mehr...
Ulm: Innovationsmotor gestartet
[23.08.2024] Um ihre Digitale Agenda mit kreativen Köpfen aus der Region umzusetzen, hat die Stadt Ulm den Innovationsmotor gestartet – einen Ideenwettbewerb insbesondere für junge Unternehmen. Runde eins hat der digitale Begleiter für Angsträume gewonnen. mehr...
Markt Postbauer-Heng: Digitalisierung ist kein Privileg der Metropolen
[08.08.2024] Auch kleine Kommunen sind in der Lage, bürgernahe digitale Lösungen zu implementieren, wie das Beispiel des Marktes Postbauer-Heng zeigt. Um die Entstehung digitaler Insellösungen zu vermeiden, wurde die Zukunftskommission #Digitales Bayern 5.0 ins Leben gerufen. mehr...
Petershagen: Mit OWL-IT in die digitale Zukunft
[02.08.2024] Gemeinsam mit dem IT-Dienstleister OWL-IT hat die Stadt Petershagen nun den Startschuss für die Erarbeitung einer umfassenden Digitalstrategie gegeben. mehr...
Bayern: Land unterstützt Digitalisierung der Kommunen
[16.07.2024] Bayerns Digitalminister sieht die konsequente Digitalisierung der Verwaltung als wichtige Möglichkeit, um den künftigen Ruhestand der Babyboomer-Generation und den dadurch entstehenden Fachkräftemangel zu kompensieren. Es gelte, die Potenziale von Standardisierung, Zentralisierung und KI zu nutzen. mehr...
Interview: Wir brauchen eine Dachmarke
[15.07.2024] Peter Adelskamp ist Chief Digital Officer (CDO) in Essen und dort zugleich Fachbereichsleiter Digitale Verwaltung. Im Gespräch mit Kommune21 berichtet er von seiner Arbeit in Essen und dem dortigen Stand der Digitalisierung. mehr...
eGovernment Benchmark 2024: Nutzerzentrierung ist der Schlüssel
[08.07.2024] Laut dem jüngsten eGovernment-Benchmark-Report der Europäischen Kommission haben die europäischen Staaten bei der Bereitstellung digitaler Behördendienste stetige Fortschritte gemacht. Raum für Optimierungen gibt es insbesondere bei grenzüberschreitenden Diensten und bei Dienstleistungen, die von regionalen und kommunalen Behörden erbracht werden. mehr...