Round TableErfolgsfaktor Herzblut
In futuristischer Umgebung fand ein weiteres Kommune21-Round-Table-Gespräch mit Vertretern des baden-württembergischen ANDI-Netzwerks statt.
Im Rathaus im Stühlinger (Bild) in Freiburg im Breisgau diskutierten: Marco Brunzel, Leitung Digitalisierung und E-Government, Metropolregion Rhein-Neckar GmbH; Rüdiger Czieschla, Digitales und IT, Stadt Freiburg im Breisgau; Holger Diener, IT-Amt, Stadt
(Bildquelle: K21 media AG)
Der digitale Wandel verändert auch die Stadtverwaltungen. Welche Strategien verfolgen Sie, was haben Sie in Ihren Kommunen erreicht?
Rüdiger Czieschla: In Freiburg haben wir eine Digitalisierungsstrategie mit finanzieller Unterstützung des Landes erarbeitet. Durch die Fördermittel hatten wir eine hervorragende Personalausstattung, ein Team hat sich ausschließlich um dieses Thema gekümmert. Bei der Entwicklung der Strategie haben wir alle Stakeholder eingebunden: Verwaltung, Wirtschaft, Tourismus, Energieversorger, städtische Tochterunternehmen und die Wissenschaft. Zudem haben wir eine Bürgerbeteiligung durchgeführt. Daraus haben wir übrigens sehr viel Mehrwert gezogen, das hatten wir so nicht erwartet. Der Entwurf der Strategie „Freiburg. Digital. Gestalten.“ ist fertig. Die Beschlussfassung soll noch im Dezember 2019 erfolgen.
Judith Geiser: Das ist in Mannheim schon geschehen. Unser Strategiepapier ist verabschiedet, wir befinden uns mitten in der Umsetzung. In unserem Konzept haben wir einen Maßnahmenkatalog mit 40 Projekten entwickelt, mit denen wir die Fachbereiche möglichst passgenau unterstützen. Für die Strategieentwicklung haben wir die Mitarbeiter befragt und über 200 Ideen gesammelt. Auch wir haben eine Bürgerumfrage gemacht, an der sich rund 100 Menschen aktiv beteiligt haben. Derzeit wird das Strategiepapier weiterentwickelt in Richtung eines Smart-City-Konzepts.
Karsten Krumm: Friedrichshafen hat ein integriertes Stadtentwicklungskonzept erarbeitet. Innerhalb dieses umfassenden Ansatzes geht es auch um das Thema Smart City und darunter um die Digitalisierung der Verwaltung. Dafür wurde ein neues Amt für Digitalisierung geschaffen, das die Kompetenzen in den Bereichen Smart Government und Public Services bündelt. Die Stadt profitiert hier vom Projekt T-City, so ist insbesondere die Breitband-Infrastruktur sehr gut, und viele Smart-Government-Vorhaben, etwa zur Bürgerbeteiligung, bauen auf T-City-Projekten auf. Zudem gibt es in den Fachstellen der Verwaltung etwa 30 Innovationsmanager, die digitale Themen vorantreiben.
Sabine Meigel: Ulm ist einer der Gewinner des Bundeswettbewerbs Zukunftsstadt für nachhaltige Entwicklung. Bereits im Vorfeld wurde die Digitalisierung mit den Bürgern, der Verwaltung und der Wissenschaft breit diskutiert. Man war sich einig, dass Treiber nötig sind. Die Wissenschaft hat sich bereit erklärt, diese Rolle für die kommenden drei Jahre zu übernehmen. Es wird nun spannend, wie der Prozess der Umsetzung mit externen Wissenschaftspartnern und der Beteiligung der Verwaltung ablaufen wird, wenn die Fördermittel fließen.
Siegfried Ehrlinspiel: In Konstanz wurde schon vor vier Jahren eine E-Government-Roadmap erstellt. Diese Digitalisierungsstrategie für die Stadtverwaltung wurde vom Gemeinderat einstimmig verabschiedet. Enthalten waren 16 Projekte mit bestimmten Zielvorgaben. Bei der Umsetzung hat sich die Befürchtung bewahrheitet, dass die im Papier geforderten personellen Ressourcen – die wir nicht bekommen haben – erforderlich sind, um die Zielvorgaben zu erreichen. Es hat sich also gezeigt, dass eine Digitalisierungsstrategie nur mit zusätzlichem Personal und entsprechenden Mitteln realisiert werden kann. Wir müssen hier nun im Rahmen eines Nachtragshaushalts nachbessern.
Andreas Kraut: Ettlingen mit seinen 39.000 Einwohnern ist in einer etwas anderen Situation als die Großstädte. Im März 2019 wurde die Ettlinger Digitalisierungsstrategie einstimmig im Gemeinderat beschlossen. Davor fiel die Entscheidung, die Digitalisierung zu institutionalisieren, und der OB hat mich zum Digitalisierungsbeauftragten ernannt. Die Strategie haben wir ohne Förderung aus der Mitarbeiterschaft heraus entwickelt. Die Grundlagen wurden in 14 Workshops mit allen Dienststellen, den Gemeinderäten und Führungskräften erarbeitet. Aus über 300 Ideen entstand in einem agilen Prozess die Strategie. Mit dieser Basis gehen wir jetzt in den Dialog mit der Bürgerschaft.
Holger Diener: In Karlsruhe wird derzeit ein Strategiepapier „Digitales KA“ entwickelt. Organisatorisch wird die Digitalisierung mithilfe der Orga-Matrix IQ, innovativ und quervernetzt, umgesetzt. In jedem Dezernat kümmert sich ein Team für die moderne Verwaltung beispielsweise um Themen wie E-Rechnung oder Bürgerbeteiligung. Hier werden auch Strategieziele entwickelt und agil vorangetrieben. Zudem wurde eine Stabsstelle Verwaltungsmanagement und -entwicklung eingerichtet.
Was sind aus Ihrer Sicht die Grundlagen für die Digitalisierung?
Bernd Mutter: Die Basis ist zunächst die Kommunikationsinfrastruktur über Glasfaser oder Funktechnologien. Dann stellt sich mir die Frage, wie Partizipation organisiert werden kann, in einer Gesellschaft, die in Echtzeit unterwegs ist. Das betrifft insbesondere die Themen Bauleitplanung und Stadtentwicklung. Hinzu kommt der Dialog mit den Bürgern. Bei der handgestrickten und von Bedenken geprägten Kommunikation über Social Media sind Stadtverwaltungen gleich überfordert, wenn viele Rückmeldungen kommen. Auch der klassische Internet-Auftritt ist nicht mehr zeitgemäß. Ein städtisches Online-Portal sollte gemeinsam mit der Wirtschaftsförderung, dem Einzelhandel und Gewerbe zum vernetzten, personalisierbaren System weiterentwickelt werden. Nicht zuletzt brauchen wir in der Verwaltung Personal, das experimentierfreudig ist. Derzeit erleben wir, dass Mitarbeiter privat digital unterwegs sind, aber sobald sie die Behördentür schließen, kommen ihnen diesbezüglich Bedenken.
Ehrlinspiel: Das sehe ich auch so. Es ist für alle Kommunen essenziell, das Mindset der Mitarbeiter zu ändern. Die Digitalisierung muss in die Köpfe, und aus den Ämtern müssen Ideen kommen.
Thomas Wiesler: Die Dimensionen bei unserer Digitalisierung in Mannheim lauten: E-Government, intelligente digitale Arbeitswelt für Mitarbeiter, intelligente digitale Infrastruktur und modellhafte Smart-City-Projekte. Diese vier Sichten müssen zusammengebracht werden, damit etwas wirklich Neues entstehen kann. In Mannheim bieten dazu das neue Leitbild 2030 und die starke Verknüpfung zur Digitalisierungsstrategie eine gute Basis. Unsere Leitformel lautet Creating Community²–Zusammenhalt.digital, und zwar nicht nur in der Verwaltung. Gerade beim Thema Smart City müssen wir uns mit anderen Kommunen und Akteuren vernetzen. Das angestammte Mindset ändert sich nur, wenn wir deutlich über Stadtgrenzen hinausgehen und gemeinsam auf Augenhöhe kooperieren.
Kraut: Neben den E-Government-Themen treibt auch uns in Ettlingen die Infrastruktur um. Dazu haben wir einen Masterplan Breitband erstellt. Wichtig bei der Digitalisierung ist außerdem, dass das Konkurrenzdenken zwischen den Städten überwunden wird. Einige unserer Projekte laufen in interkommunaler Kooperation. Bei den Themen Sensorik, Verkehrsflusssteuerung oder Parkraum-Management arbeiten wir beispielsweise mit acht großen Kreisstädten und einem Stadtkreis zusammen.
Marco Brunzel: Ich kann nur bestätigen, wie wichtig Zusammenarbeit und Vernetzung sind. In der Metropolregion Rhein-Neckar bin ich ausschließlich damit beschäftigt, interkommunale Kooperationen zu organisieren. Bei der Entwicklung der Digitalisierungsstrategie haben wir uns insbesondere um eher abgehängte Gegenden gekümmert und Regionalentwicklungskonzepte erarbeitet. Eine der wesentlichen Grundlagen für die Digitalisierung ist meines Erachtens kreatives Experimentieren. Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht, denn das bringt Dynamik in den Prozess.
Meigel: Sehr wichtig ist auch, die organisatorischen Grundlagen zu schaffen. In Ulm ist die Geschäftsstelle Digitale Agenda mit Personal und Budget ausgestattet, so können greifbare Projekte in Gang gesetzt werden. Es gibt zudem eine IT-AG für Gemeinderäte und einen Innovationsausschuss, der mit Fraktionsmitgliedern, Vertretern städtischer Betriebe und der Wissenschaft besetzt ist. Und wir schreiben so genannte Fellowships aus. Das sind befristete Stellen für IT-Cracks, die in der Verwaltung die Möglichkeit haben, für das Gemeinwohl tätig zu werden. Wir haben bereits zwei Programmierer eingestellt – zu einem im Vergleich zur Wirtschaft geringen Gehalt.
Wo liegen die Fallstricke, aus welchen Fehlern haben Sie gelernt, was sind die Erfolgsfaktoren?
Kraut: In einer Stadt unserer Größe sind die personellen und zeitlichen Ressourcen die größten Fallstricke. Ein Erfolgsfaktor ist das Herzblut, mit dem wir die Projekte angehen. Besonders wichtig ist es, allen Beteiligten klarzumachen, dass Digitalisierung kein Hype ist, der bald endet. Hier ist eine Entwicklung im Gang, welche die Verwaltung und die gesamte Gesellschaft umkrempeln wird. Dieses Bewusstsein fehlt noch immer.
Geiser: Von Anfang an sollte man offen und ehrlich kommunizieren.Das erleichtert das persönliche Zusammenspiel. Und man muss Entscheidungen treffen, damit Ergebnisse erzielt werden können.
Wiesler: Wir kommen aus einer Leitungskultur und nicht aus einer Führungskultur. Schnelle Entscheidungen sind leider nicht die Regel.
Mutter: Ein Erfolgsfaktor ist Vertrauen in uns selbst. Und wir müssen vermitteln, dass die Mitarbeiter uns vertrauen können. Es kommt auch darauf an, auf der Klaviatur der Verwaltung richtig zu spielen. Manchmal brauchen wir eine Leitungskultur, aber für mich persönlich gilt: Wenn ich Projekte mache, will ich freie Hand. Ich kann nicht ständig Rapport erstatten.
Brunzel: Persönlichkeit und Vertrauen führen zu Engagement und Motivation. Wir brauchen institutionelle Strukturen, um Freiräume zu schaffen. Allerdings ist es extrem schwierig, das in der Verwaltung umzusetzen.
Meigel: Das stimmt. Die Fellowship-Stellen trafen auch in Ulm auf Widerstände in der Personalverwaltung. Einen Fallstrick will ich noch nennen: das Vergaberecht. Bei der Umsetzung von bestimmten Projekten kommen wir an dieser Stelle an unsere Grenzen, da wird es ganz, ganz langsam und manchmal sogar unmöglich. Bei einer Ausschreibung zu einem LoRaWAN-Schaugarten mit Sensorik mitten in der Stadt kommen wir mit normalen Vergabeverfahren nicht weiter. Wir versuchen das nun mit einem Innovationswettbewerb. Das Vergaberecht ist das größte Hindernis für Innovationen, hier wären Experimentierklauseln, wie es sie in Nordrhein-Westfalen gibt, dringend notwendig.
Mutter: Ja, das Vergaberecht ist grundsätzlich ein Problem. Es macht das Korsett so eng, dass man Beanstandungen in Kauf nehmen muss, wenn man innovativ sein will. Ein Innovationssprint mit externen Leuten ist mit dem klassischen Vergaberecht nicht machbar.
Krumm: Das sehe ich genauso. Auch auslagern hilft nicht, weil man dann die Steuerung verliert. Ich denke, wir brauchen insgesamt eine neue Verwaltungskultur. Denn derzeit basiert sie immer noch auf dem Ansatz des New Public Management. Heute geht es aber um Governance und das Regieren in Netzwerken. Innovation kann nicht per Dienstanweisung verordnet werden, Innovation muss zugelassen werden.
Diener: Der größte Erfolgsfaktor kann aus meiner Sicht das Onlinezugangsgesetz werden, weil es neuen Schwung bringt. Entscheidend ist auch, dass die Mitarbeiter die Änderungen mittragen. Denn ihre Arbeitsprozesse werden teilweise infrage gestellt. Auch auf die Bevölkerung muss Rücksicht genommen werden. Gerade ältere Mitbürger haben Schwierigkeiten mit der Digitalisierung, das kann eine Verwaltung nicht ignorieren.
Czieschla: Für den Erfolg der Digitalisierung ist es wichtig, sich zu vernetzen und Kompetenzen auszutauschen. Aber man muss klar sagen: Wir sind darin nicht gut. Die Transparenz darüber, wer was tut, ist mangelhaft. Ich bin kürzlich fast vom Glauben abgefallen, als ich erfahren haben, wie viele Kommunen in Baden-Württemberg an der Digitalisierung der Hundesteuer arbeiten. Wäre es nicht schön, wenn das eine Stadt macht und allen anderen zur Verfügung stellt?
Krumm: Was hier anklingt, ist in anderen Ländern längst Realität. In Großbritannien wird die Zusammenarbeit beim Public Service Design über weltweite Netzwerke organisiert. Diese Netzwerke haben eine ungeheure Dynamik.
Brunzel: Hierzulande wäre es schon gut, wenn bundesweit mehr Netzwerke wie ANDI gegründet würden. Die Dienste, die hier entwickelt werden, könnten auch von anderen verwendet werden. Denkbar sind auch formale Kooperationen über Open-Source-Plattformen.
Zum Stichwort digitale Daseinsvorsorge: Wie verändert sich die Rolle der Städte durch den digitalen Wandel?
Mutter: Vor 20 Jahren haben wir über Lean Management und Entstaatlichung diskutiert. Das hat sich geändert. Heute geht es um das Selbstverständnis einer Stadt. Das Verwalten wird an Bedeutung verlieren, das Gestaltende wird wichtiger. Dafür ist allerdings eine völlig andere Personalbesetzung notwendig. Es kommt meines Erachtens zu einem kulturellen Switch, wir werden ein anderes Verhältnis zur Bürgerschaft haben. Denn je digitaler wir werden, desto mehr orientieren wir uns an den Menschen. Das führt zu einem Demokratisierungsschub, mit dem Risiko, dass wir Stimmungen unterliegen.
Brunzel: Der gestalterische, am Gemeinwohl orientierte Kommunaljob erfordert engagierte Mitarbeiter. Wenn das bei Stellenbesetzungen nicht weit vorne steht, werden wir die falschen Leute rekrutieren. Wir brauchen aber die Coolsten und die Besten.
Kraut: Dafür müsste der TVöD angepasst werden, sonst kriegen wir diese Leute nicht.
Ehrlingspiel: Der Schrei nach Online-Services wird lauter. Die Verwaltung wird eine andere Art von Service anbieten, und sie wird mit Themen konfrontiert sein, die heute noch nicht bekannt sind. Diesen Wandel muss eine Kommunalverwaltung schaffen. Wer da gut ist, hat einen Standortvorteil.
Meigel: Da stimme ich zu. Was wir tun ist Standortpolitik. Übrigens ging es bei den Bewerbungsgesprächen, die ich geführt habe, um mein Team aufzubauen, nicht in erster Linie um das Gehalt. Es ging um den Sinn der Arbeit und Nachhaltigkeit, darum eine Stadt selbst mitgestalten zu können. Das ist gerade bei der jüngeren Generation ein großes Thema.
Krumm: Die Digitalisierung wird das tayloristische Denken in der Verwaltung zurückdrängen und uns neue Freiräume geben. Städte werden viel mehr wie Ökosysteme funktionieren. Ich sehe einen Trend zu mehr Gemeinwohl und regionalerem Denken. Ich meine deshalb auch, dass Kommunen attraktive Arbeitgeber für die jüngeren Generationen sein können.
Czieschla: Ich kann alles unterstützen, was gesagt wurde. Die Digitalisierung bietet die Chance, den Föderalismus neu zu gestalten, Grenzen zu überwinden. Die klassischen Aufgaben verlieren an Bedeutung, und die Verwaltung gewinnt Raum, sich als Teil der Stadtgesellschaft mit einer moderierenden Aufgabe zu verstehen. Ich bin allerdings pessimistisch, dass es so kommt, weil ich das vor zehn Jahren auch schon gesagt habe.
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