E-ProcurementErfolgsfaktor Vergabe
Zahlreiche IT-Großprojekte verlaufen wenig erfolgreich oder scheitern sogar vollständig. Kostenexplosionen und deutliche Verzögerungen sind bekannte Phänomene. Auch fachliche Ziele der Projekte werden in vielen Fällen nicht komplett erreicht. Der öffentliche Sektor scheint bei der Umsetzung von IT-Großprojekten besonders schlecht abzuschneiden. So zeigt eine Studie der Hertie School of Governance, in der 170 öffentliche Infrastruktur-Großprojekte in Deutschland untersucht wurden, dass diese Projekte 59 Milliarden Euro teurer ausgefallen sind als geplant – ihre Gesamtkosten belaufen sich statt auf 141 auf mindestens 200 Milliarden Euro. Bezogen auf IKT-Projekte betrugen die Kostensteigerungen dabei bis zu 1.150 Prozent. Bei vier von zehn Projekten betrug die Kostensteigerung über 200 Prozent.
Es gibt gängige Erklärungen dafür, warum sich der öffentliche Sektor bei der Umsetzung von IT-Großprojekten schwer tut. So führt etwa ein stark reguliertes Umfeld dazu, dass bei der Entwicklung von IT-gestützten Fachverfahren komplexe politisch-rechtliche Rahmenbedingungen zu berücksichtigen sind. Zudem hat es die öffentliche Hand schwer, den Konkurrenzkampf um die bestausgebildeten Fachkräfte – in diesem Fall mit Kompetenzen in IT und Projekt-Management – zu gewinnen. In der Ursachenanalyse bisher zu wenig beachtet wird aber, dass viele Probleme mit IT-Großprojekten ihre Wurzeln in einer falschen Vergabestrategie haben.
Werden die vergaberechtlichen Instrumente dazu eingesetzt, eine Wettbewerbssituation zu schaffen und Lieferanten strategisch auszuwählen, führt dies zu Projektergebnissen mit hoher Wirtschaftlichkeit. In gescheiterten Projekten wird dagegen die strategische Lieferantenauswahl und -steuerung im Rahmen der Vergabe meist vernachlässigt, und die Möglichkeiten des Vergaberechts werden nicht ausgeschöpft.
Eigene Steuerungskompetenz aufbauen
Ausgangspunkt für jedes Projekt – und die Durchführung des Vergabeverfahrens – ist eine klar formulierte Produktvision, die beschreibt, welche Ziele und welchen konkreten Nutzen ein Projekt erreichen soll. Daran lässt sich nach der Umsetzung des Vorhabens auch dessen Erfolg messen. Um die Projektziele zu bestimmen, sollten die politisch-strategisch und die operativ Verantwortlichen zusammenarbeiten. So lassen sich ein vollständiges Bild vom Projektkontext aufbauen und eine umsetzbare Planung entwickeln. Zudem sind Abstimmungsschleifen zu diesem Zeitpunkt noch kostengünstig. Mit fortschreitender Projektumsetzung steigt dagegen die Zahl der externen und internen Beteiligten – Kosten, die aus Wartezeiten für (politische) Abstimmungen resultieren, steigen dann exponentiell an.
Zum Erfolg der IT-Auftragsvergabe trägt auch bei, eigene Steuerungskompetenz aufzubauen, um die Abhängigkeit vom Auftragnehmer zu verringern. Denn für IT-Großprojekte werden oft Generalunternehmer beauftragt und diesen umfassende Umsetzungsverantwortung übertragen – etwa für die Steuerung der verschiedenen Unterauftragnehmer. Dieses Modell hat aber auch Nachteile, da die öffentliche Hand als Auftraggeber oft kaum mehr Einblick in die praktische Umsetzung hat und etwa negative Entwicklungen bei der Kosten- oder Zeitplanung nicht nachvollziehen kann. Lösungsvorschläge des Auftragnehmers müssen daher meist ohne Verifizierungsmöglichkeit akzeptiert werden.
Es ist deshalb sinnvoll, dem Generalunternehmer einen Projektsteuerer und Qualitätssicherer zur Seite zu stellen, der über die erforderliche Lösungskompetenz verfügt und die praktische Umsetzung begleitet. Der Auftraggeber zieht auf diese Weise ein System von Checks and Balances in die Projektsteuerung ein, das seine Handlungskompetenz letztlich stärkt.
Realisierungsaufwand richtig einschätzen
Ein fundiertes, integratives Anforderungsmanagement stellt eine weitere wichtige Grundlage für das Vergabeverfahren dar. Es stellt sicher, dass die konzeptionellen Ansätze den Anforderungen der Nutzer in der Praxis entsprechen und sich mit vertretbaren Mitteln umsetzen lassen. Ohnehin hängt der Erfolg von IT-Projekten wesentlich von der Benutzerfreundlichkeit der Systeme ab. Die Vergabeunterlagen wiederum müssen die Anforderungen an das IT-Projekt in Kriterien für die Auswahl eines Auftragnehmers umwandeln. Diese richtig zu definieren und zu gewichten, ist eine Kunst. Grundsätzlich sollte eine qualitative Bewertung von Angeboten möglich sein, sodass nicht schlicht der billigste Anbieter gewinnt. Gleichzeitig sind die Kriterien so zu formulieren, dass die Bieter die Grundlage für ihre Bewertung nachvollziehen können.
Um IT-Großprojekte zu realisieren, müssen zudem in vielen Fällen technologische Innovationen genutzt oder sogar erst entwickelt werden. Weil es mit deren Einsatz aber kaum Erfahrungen gibt, werden in der ursprünglichen Planung Realisierungsaufwand und technische Umsetzbarkeit leicht falsch eingeschätzt. Gleichzeitig können während des langen Realisierungszeitraums von IT-Großprojekten neue, innovative Technologien auf den Markt kommen, welche die Leistungsbeschreibung noch gar nicht berücksichtigt hat.
In der Vergabe ist es darum erforderlich, flexibel auf den Einsatz innovativer Technologien zu reagieren und sich sowohl in der Anforderungsbeschreibung als auch bei der Realisierung auf die Minimalanforderungen zu fokussieren, welche in der ersten System- oder Produktversion unbedingt erfüllt sein müssen. Darüber hinausgehende Anforderungen werden dann im Zuge der Auftragsausführung sukzessive konkretisiert – insbesondere was den Einsatz konkreter Technologien oder Lösungsansätze angeht.
Den Dialog suchen
Das Haushaltsrecht verpflichtet die öffentliche Hand darüber hinaus zu einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung, wenn sie Investitionsvorhaben umsetzt. Dieses wirkungsvolle Instrument wird jedoch – wie das Vergabeverfahren auch – allzu oft stiefmütterlich behandelt, anstatt es für eine gründliche Prüfung zu nutzen, ob ein Vorhaben innerhalb der geplanten Konzeption wirtschaftlich umsetzbar ist. Die Kostenexplosionen in IT-Großprojekten machen deutlich, dass die Prognose voraussichtlicher Systementwicklungskosten eine schwierige Disziplin ist. Wird allerdings die Lösungskompetenz der Entwickler in die Einschätzung einbezogen, lassen sich gute Ergebnisse erzielen. Schätzkonferenzen können dazu dienen, die Größe einzelner Module zu prognostizieren, um anschließend unter Berücksichtigung der vorhandenen Ressourcen den Entwicklungsaufwand zu berechnen. Entsprechende Methoden wie Magic Estimation oder Planning Poker werden in der agilen Software-Entwicklung angewandt, eignen sich aber auch für die klassische Projektumsetzung.
Ein weiterer Aspekt für die erfolgreiche Vergabe von IT-Großprojekten ist, den direkten Dialog mit den Bietern zu suchen. Insbesondere bei IT-Großprojekten mit ihren komplexen und umfangreichen Anforderungen ist es unabdingbar, sich frühzeitig mit den späteren Realisierungspartnern auszutauschen. Das gestattet nicht nur, den Leistungsgegenstand zu konkretisieren und zu spezifizieren, sondern liefert auch wertvolle Anregungen zu innovativen Technologien und smarten Lösungsansätzen, welche die Konzeption noch nicht berücksichtigt hatte. Das Vergaberecht hält Verfahrensarten bereit, die sich für solch einen Dialog eignen: das Verhandlungsverfahren, den wettbewerblichen Dialog und die Innovationspartnerschaft.
Der Prozess der Auftragsvergabe endet nicht mit dem Zuschlag. Vielmehr sollte die Leistungsbeschreibung, die Grundlage für das Vergabeverfahren war, nun in ein Vertragsmanagement überführt werden. Dies stellt sicher, dass Anforderungen im Sinne des Vertrags umgesetzt und Service Level Agreements eingehalten werden – was wiederum ein Vertragscontrolling regelmäßig überprüfen kann. Ist ein Projektsteuerer damit beauftragt, die Umsetzung zu begleiten, so kann man diesen auch in die Dienstleistersteuerung und das Vertragscontrolling einbinden. Letzteres lässt nicht nur etwaige Leistungsstörungen erkennen, es zeigt auch an, wann es nötig ist, den Auftragsgegenstand neu zu justieren.
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