Mobile GovernmentErlaubend regulieren
Sozialarbeiter Uwe hat ein Problem: Die Jugendlichen, die er betreut, sind für ihn nur schwer erreichbar. Zumindest auf klassischen Wegen. Auf Briefe wird nicht reagiert, E-Mails werden nicht abgerufen, Telefonate nicht angenommen. Das macht es für den Streetworker schwierig, kurzfristig Termine zu vereinbaren. Privat ist Uwe beim sozialen Netzwerk Facebook angemeldet und versendet darüber mit seinem privaten Smartphone Nachrichten an die Jugendlichen. Es dauert nicht lange und er bekommt eine Antwort. Das macht Facebook für den Sozialarbeiter attraktiv. Auch ist das soziale Netzwerk einfach zu bedienen, schnell und es kostet nichts. Zudem ist die Plattform persönlich und Spaß macht sie obendrein.
Um nichts Wichtiges zu vergessen, verfasst Uwe sofort im Anschluss an einen Termin seine Dokumentationen mit der Diktierfunktion seines privaten Tablets. Eine Spracherkennungssoftware sorgt dafür, dass seine Texte nahezu fehlerfrei und zügig erfasst werden, ohne dass er sie zeitraubend via Tastatur eintippen muss. Über sein privates E-Mail-Konto bei Google sendet Uwe die Dokumentation dann an seine Dienstadresse. So spart er sich stundenlanges Nacharbeiten im Büro. Mit Erfolg: Seine Dokumentationsqualität ist die beste im Team. Problem ist jedoch, dass jetzt personenbezogene Daten bei Unternehmen wie Facebook und Google liegen, jenen amerikanischen Internet-Giganten, die im Kern ihr Geld damit verdienen, dass sie Daten Dritter speichern und für eigene Zwecke auswerten. Wo die Daten liegen, was genau damit passiert, ob sie jemals wieder löschbar sind? Wer weiß das schon.
Grenzen zwischen privater und beruflicher Nutzung verschwimmen
Björn Niehaves kennt viele solcher Beispiele, auch aus anderen Bereichen. Ob es die Krankenschwester ist, die Fotos von der Verletzung des Patienten macht, damit der Arzt den Verband nicht unnötigerweise öffnen muss; ob es der Fliesenleger ist, der aus Regressgründen das Badezimmer des Kunden dokumentiert; oder eben Uwe, der Streetworker. Die vielen kleinen nützlichen Helferlein verwandeln bei vielen Millionen Arbeitnehmern ein modernes Smartphone heutzutage zu einer Art Schweizer Messer, zum Fast-Alleskönner für die Brusttasche. Immer da, schnell zur Verfügung, einfach zu bedienen. Damit verschwimmen aber auch die Grenzen zwischen privater und beruflicher Nutzung. Professor Niehaves ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik an der Universität Siegen und Vorstand des Nationalen E-Government Kompetenzzentrums in Berlin. Der gebürtige Bocholter beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt. Der wissenschaftliche Begriff dahinter ist Bring-Your-Own-anything (BYOx). Untersucht wird die Frage, welchen Einfluss konsumentenorientierte Technologien, Geräte und Software auf die Berufswelt ausüben. Niehaves nahm unter anderem den öffentlichen Sektor unter die Lupe. 400 Kommunen haben er und sein Team untersucht und wissenschaftlich ausgewertet. Demnach nutzen 46 Prozent der Verwaltungsmitarbeiter private Geräte wie Smartphones oder Tablets für dienstliche Zwecke. 72 Prozent derjenigen, die private Geräte für Dienstzwecke nutzen, tun dies ohne Erlaubnis, das heißt, ohne Regelung oder gegen bestehende Verbote. 45 Prozent der Verwaltungen haben keine expliziten Regeln für die Nutzung privater Geräte für dienstliche Zwecke und 19 Prozent erlauben Mitarbeitern die dienstliche Nutzung privater Geräte. Niehaves weiß also, wovon er spricht, als er auf der Fachbereichsleitertagung der Stadt Bocholt in Wesel referiert. „Talkin´ about my generation: die Jungen, die Alten und die digitale Arbeitswelt“, lautet der Titel seines Vortrags. „Früher hatten Menschen an ihrem Arbeitsplatz die Technik stehen, die sie zum Arbeiten benötigten. Heute bringen Menschen die Technik in die Arbeitswelt selbst mit, um besser, schneller, effizienter und serviceorientierter zu arbeiten. Weil sie einfach ist, günstig und universell“, so der Professor. Verfüge man über die passenden Geräte, Apps und Software, sei „menschliche Kreativität unerschöpflich“.
Motivation durch moderne Technik unterstützen
Ein zweiter Megatrend kommt hinzu, der demografische Wandel. Die Gesellschaft wird älter, sie schrumpft, sie wird kulturell bunter. Menschen aus der Zeit der so genannten Babyboomer (49-67 Jahre), der Generation X (34-48 Jahre) und der Generation Y (18-33 Jahre) gehen zudem anders mit Technik und deren Nutzung um, wie Niehaves in seiner Studie herausfand. Mit Folgen: Das Arbeitsleben und seine Anforderungen werden zunehmend uneinheitlich oder wie Niehaves es ausdrückt: „Wir erleben eine zunehmende Heterogenität des Erwerbslebens.“ Der klassische „Nine-to-five-Job“ sei längst auf dem Rückzug und stattdessen Flexibilität gefragt. Auf beide Trends sollten Verwaltungen reagieren. Sie sollten eine Haltung entwickeln, empfiehlt der Wissenschaftler: „Standardlösungen werden dem nicht gerecht und sind schlecht für die Produktivität. Ziel sollte sein, individuelle Produktivitätspotenziale von Mitarbeitern zu heben, indem man Arbeit, Technik und Prozesse nach den Bedürfnissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausrichtet.“ Verbote und Strafen würden dabei nicht helfen, so Niehaves: „Menschen lassen sich durch Regeln nicht davon abbringen, was sie für richtig halten.“ Studien belegten, dass gerade bei Verwaltungsmitarbeitern eine Grundhaltung, für andere da zu sein, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten, besonders ausgeprägt sei. Diese Motivation gelte es, durch moderne Technik zu unterstützen – statt sie zu bremsen. Niehaves plädiert seitens des Arbeitgebers zu einer „erlaubenden Regulierung“, die in Einklang stehen müsse mit Sicherheits- und Datenschutzvorschriften.
Ein weiterer Rat: Verwaltungen sollten, wie Unternehmen, darüber nachdenken, so genannte Chief-Digital-Officer-Stellen einzurichten, um Digitalisierungsprozesse zu steuern. Arbeitsplätze und Geschäftsprozesse sollten einzeln analysiert werden, um über den Einsatz konsumentenbezogener Technik entscheiden zu können.
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