DarmstadtEthische Leitplanken
Als erste Kommune bundesweit hat die Stadt Darmstadt ethische Leitplanken für ihren Ende 2017 gestarteten Digitalisierungsprozess verabschiedet. Dafür gründete die südhessische Großstadt eigens einen 32-köpfigen Ethik- und Technologiebeirat, dessen Leitlinien im Juni 2019 durch eine Beschlussvorlage von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung verankert wurden. Fast ein Jahr ist seitdem vergangen.
„Wir haben seit etwa zweieinhalb Jahren weit über 80 Digitalisierungsprojekte aufgerufen und begleiten diese oft hoch komplexen Vorhaben administrativ und koordinierend“, berichten die Geschäftsführer Simone Schlosser und José David da Torre Suárez von den Anfängen und Aufgaben der Digitalstadt Darmstadt GmbH. Diese wurde im November 2017 als hundertprozentige Tochter der Stadt gegründet, nachdem Darmstadt im bundesweiten Wettbewerb des Branchenverbands Bitkom den ersten Platz als zukunftsfähigste Stadt erreichte und sich durch Sieg und Titulierung auf den bis dato noch unbekannten Pfad der Digitalisierung begab. „Von Anbeginn zielten wir darauf ab, Darmstadt mit digitalen Technologien lebenswerter, umweltfreundlicher und zukunftsorientierter – sprich smarter – zu gestalten. Das heißt, dass wir zunächst definieren mussten, was für uns, also die Stadtverwaltung, die Unternehmen der Stadtwirtschaft und die gesamte Darmstädter Bürgerschaft smart sein bedeutet. Durch Bürgerbeteiligung und Arbeitstreffen der zu involvierenden Ämter und Behörden wurde uns schnell klar, dass wir nicht alles, was mit digitaler Vernetzung möglich ist, auch einfach machen dürfen. Eine sehr zentrale Frage war aufgeworfen – nämlich: Wie sieht das ethische Rahmengerüst unserer Aktivitäten aus?“, reflektieren die beiden Geschäftsführer.
Keine technischen Eintagsfliegen
Mit externen und internen Beratern waren kurz zuvor in einem Strategieprozess 14 Handlungsfelder definiert worden, in denen einzelne sowie bereichsübergreifende Digitalisierungsprojekte stattfinden sollten. Themenkomplexe wie Bildung, Umwelt und Sicherheit gaben die Aktionsradien vor, die Zukunftstauglichkeit der Projekte sollte sicherstellen, dass keine technischen Eintagsfliegen kreiert werden: „Wir bewegen uns also inmitten der praktischen Technikfolgenabschätzung und -bewertung. Derzeit gibt es beispielsweise keine Alternative zu hochfrequenten Datennetzen wie 5G, wenn wir kabellos und in Echtzeit hochleistungsfähige Rechner mit ebenso komplexen Maschinen und Robotern koppeln wollen“, erläutert José David da Torre Suárez. Und Simone Schlosser ergänzt: „Neben der Frage, was wir mit Digitalisierung machen dürfen, besteht auch eine Herausforderung darin, dass die Projektgruppen während ihrem regulären Tagesgeschäft die smarte Version der eigenen Arbeit implementieren müssen. Dadurch wird hinterfragt und reorganisiert und es stellt sich heraus, was derzeit machbar und was eben noch nicht machbar ist.“
Internet of Things notwendig
Schnell war in Darmstadt klar, dass Digitalisierung nur zusammen mit einem ausgeklügelten Internet of Things (IoT) funktionieren kann, also einem Netzwerk, das Gegenstände intelligent vernetzt und managt. Ein solches Netzwerk zu installieren, ist bereits technisch ziemlich anspruchsvoll und hat darüber hinaus noch einen gewissen Beigeschmack: „Smart wird zunächst einmal sehr individuell interpretiert: Wenn alltägliche, subjektive Handlungen und Bedürfnisse schneller befriedigt werden, dann ist es smart und besser als zuvor. Doch um so etwas zu erreichen, muss das IoT samt allen zugehörigen Technologien sprichwörtlich übergriffig werden – nämlich vom öffentlichen auch in den privaten Raum eingreifen. Was so viel heißt, wie Daten auszutauschen“, erläutert das Digitalstadt-Team und ergänzt: „Unser Chief Digital Officer (CDO), eine Funktion die ebenfalls durch den Bitkom-Wettbewerb in Darmstadt Einzug gehalten hat, sagte anlässlich der Gründung unseres Ethik- und Technologiebeirats, dass das Internet dazu verführt, alles was möglich ist, auch zu tun.“
Ethische Wegweiser
Neben der sich zwangsläufig ergebenden Diskussion um IoT, Schnittstellen, Datengemenge und -schutzaspekte bewertet und berät der ethische Expertenrat die Darmstädter Digitalprojekte nach folgendem Prinzip: Prämisse aller Digitalisierungsprojekte ist es, den Alltag der Bürger angenehmer, effizienter und umweltfreundlicher zu gestalten und dabei die Kernziele sicher, nachhaltig, zukunftsorientiert, partizipativ sowie wertvoll für das Gemeinwesen zu verfolgen. Als erste Leitplanke wurde somit festgesetzt, dass der Digitalisierungsprozess dem Gemeinwohl verpflichtet ist mit dem Ziel der sozialen und/oder ökologischen Verbesserung der kommunalen Daseinsvorsorge. Weiterhin dürfen keine neuen Machtstrukturen durch Digitalisierung entstehen, die sich demokratischer Kontrolle entziehen könnten, automatisierte Verfahren dürfen die Verantwortung demokratisch gewählter Gremien nicht ersetzen. Als dritte Leitplanke legte der Beirat fest, dass offenzulegen ist, wann eine Maschine verwaltungstechnisch eingesetzt wird. Diese dürfe weiterhin auch nicht die demokratisch gewählten Entscheidungsgremien ersetzen. Ferner ist der diskriminierungs- und barrierefreie Zugang in die Stadtverwaltung zu erhalten, analoge Angebote müssen weiterhin Bestand kommunaler Infrastruktur sein. Auch Abhängigkeiten von Produkten und Firmen gilt es laut der Darmstädter Digitalethik zu vermeiden, die öffentliche Hand solle digitale Infrastrukturen so souverän wie möglich entwickeln und betreiben. Personengebundene Daten dürfen nicht verkauft und so wenig wie möglich erfasst und weitergegeben werden. Hingegen sollten nicht-personengebundene, öffentliche Daten möglichst benutzerfreundlich zur Verfügung gestellt werden. Weiterhin sind alle Digitalisierungsprojekte von Anfang an auf mögliche Folgen zu bewerten, die Verletzlichkeit und Resilienz der Daseinsvorsorge samt deren Funktionssicherheit sind zu gewährleisten.
„Wir möchten mit unseren ethischen Wegweisern Vorreiter für eine gut durchdachte und verantwortungsvolle Smart-City-Entwicklung sein. Die Leitlinien sind daher nicht auf Darmstadt begrenzt, sondern als universelle Wegweiser in der Entwicklung digitalisierter Kommunen und smarter Lebensräume zu sehen“, resümiert die Digitalstadt-Geschäftsführung.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Mai 2020 von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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