DigitalisierungEuphorie und Ernüchterung

Auf dem Weg zur digitalen Kommune sind einige Hürden zu überwinden.
(Bildquelle: Nuthawut/stock.adobe.com)
Als finanzschwache Kommune kann der Kreis Helmstedt beim Thema Digitalisierung leider nicht aus dem Vollen schöpfen. Zu jedem Prozess gehört für uns auch eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung. Wie hoch sind die Fallzahlen? Welche Einsparpotenziale gibt es durch die Digitalisierung des Prozesses? Und wird dadurch der Ressourceneinsatz – Personal, Kosten, Zeit – gerechtfertigt? Darüber hinaus ist die Frage relevant, was ein echter Mehrwert für unsere Bürgerinnen und Bürger und eine Arbeitserleichterung für unsere Mitarbeitenden wäre. In vielen Fällen ist das Ergebnis dieser Prüfungen aber irrelevant. Denn Priorisierungen durch die Kommunen werden teilweise durch gesetzliche Vorgaben konterkariert. So sind wir beispielsweise durch die EU-Dienstleistungsrichtlinie verpflichtet, circa 40 Dienstleistungen anzubieten, die sehr geringe bis gar keine Antragszahlen in unserem Landkreis haben, etwa im Bereich Pfandleihe, Versteigerungen oder Prostituiertenschutz.
Eine große Herausforderung ist für uns oft die Auswahl der Online-Services verbunden mit der Entscheidung über die Integrationstiefe. Bei geringen Fallzahlen, einfachen Prozessen oder einem nicht vorhandenen Fachverfahren setzen wir gern auf die Lösung NOLIS | Rathausdirekt des Anbieters Nolis, mit der wir unsere Anträge mithilfe des Formular-Editors selbst bauen und bei Bedarf sogar das E-Payment anbinden können. So haben wir beispielsweise die Baulastenauskunft oder die Registrierung als beruflicher Betreuer erstellt. Die Antragsdaten gehen dann lediglich in den Sachbearbeiterpostkorb im Content-Management-System (CMS) ein und werden von dort manuell weiterverarbeitet. Dadurch können wir, ohne abhängig von Externen zu sein, schnell und einfach Online-Prozesse launchen.
Einheitliches Back End ist kaum durchzuhalten
Darüber hinaus setzen wir auf die Anträge, die uns (momentan noch kostenlos) über das Niedersächsische Antragsverfahren Online (NAVO) bereitgestellt werden. Hier nutzen wir viele Leistungen aus dem Themenfeld Gesundheit, für das unser Bundesland die Themenfeldführerschaft hat. Wir bieten beispielsweise seit rund einem Jahr die Belehrung nach dem Infektionsschutzgesetz ausschließlich online an und verzeichnen circa 50 Antragseingänge im Monat. Mitarbeitende im Gesundheitsamt freuen sich, da keine Belehrungsveranstaltungen mehr organisiert und durchgeführt werden müssen. Zudem haben wir die Online-Bezahlung als verpflichtend eingestellt, sodass jeder Antrag, der eingeht, bereits bezahlt ist und automatisch verbucht wird. Für die Mitarbeitenden entfallen somit auch die Prüfungen der Zahlungseingänge und die Erstellung von Gebührenbescheiden und Sollstellungen. Die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern ist ebenfalls sehr groß. Schließlich muss man nicht auf einen Termin zur Belehrungsveranstaltung warten, sondern kann diese rund um die Uhr absolvieren.
Problematisch im Gesundheitsamt war, dass es mit CMS und NAVO zwei unterschiedliche Sachbearbeitungssysteme für Online-Anträge gab. Der Kreis Helmstedt hat sich daher entschieden, gemeinsam mit der Firma Nolis eine Schnittstelle zu implementieren, bei der die NAVO-Anträge via FitConnect in NOLIS | Rathausdirekt eingehen. Eine Komfortlösung für die Mitarbeitenden, die aus Kostengründen aber nur bei Anträgen mit echten Fallzahlen realisiert wird. Der Anspruch, den Mitarbeitenden ein einheitliches Back End zur Bearbeitung von Online-Anträgen zu bieten, ist vorhanden – aber aufgrund der heterogenen Verfahrenslandschaft und Wirtschaftlichkeit wohl auf Dauer nicht durchzuhalten.
Erschreckende Komplexität
Sehr schwer tun wir uns derzeit noch mit echten Fachverfahrensintegrationen. Macht man sich selbst auf den Weg, gibt es Entwicklungen des eigenen Landes, wartet man auf einen Einer-für-Alle(EfA)-Dienst oder bietet vielleicht der eigene Fachverfahrenshersteller einen Online-Service an? Ein Problem bei vielen Fachverfahrensintegrationen ist, dass sich die Kalkulation der Kosten teilweise sehr schwierig gestaltet. Auch der Bezug der Leistungen im EfA-Kontext ist noch nicht in Gänze geklärt. Oftmals werden zur Verfügung stehende Integrationen beworben, bei denen allerdings nicht (wie suggeriert) die Daten in den Eingabemasken, sondern lediglich die PDF-Anträge im Fachverfahren landen. Aber auch die Einbindung in regionale Portale (Übergabe von Kontodaten und der Rückkanal) werden häufig nicht betrachtet oder sind erst Bestandteil kommender Ausbaustufen.
Eine reine Digitalisierung des Antrags reicht jedoch oft nicht, um Effizienzgewinne zu erzielen. Nötig ist eine Digitalisierung des gesamten Prozesses – ohne Medienbrüche und mit Rechtssicherheit. Bei all den möglichen Front Ends, die geboten werden, der komplexen Fachverfahrenslandschaft im öffentlichen Sektor und den mangelnden personellen Ressourcen, sowohl aufseiten der Verwaltungen als auch aufseiten der Software-Hersteller, ist es doch erschreckend, dass wir uns als Land die komplexen Umsetzungsstrukturen im Kontext des Onlinezugangsgesetzes (OZG) auferlegen. Wir erstellen ein Bundesportal, 16 Landesportale, jede Kommune hat nochmal ihr eigenes Portal oder vielleicht sogar einen Landkreis-Verbund.
Schmeißt uns keine Knüppel zwischen die Beine!
Die Entscheidung, dass es 16 Landeskonten geben muss und ein Projekt, um diese wiederum interoperabel zu gestalten, wird – genau dann, wenn die Bürger die Servicekonten endlich annehmen – wieder rückgängig gemacht. Natürlich kann man sich über die Entscheidung für ein einheitliches Bundeskonto freuen, allerdings kommt sie viel zu spät. Auch was diese Entscheidung nach sich zieht, wird nicht weiter betrachtet. Wie gestalten sich die Verträge, wie wird mit bereits integrierten Konten und Schnittstellen umgegangen? Eine Migration bestehender Konten wurde sogar bereits ausgeschlossen.
Von Bund und Ländern würden wir uns als Kommune vielfach mehr Unterstützung wünschen. Schmeißt uns keine Knüppel zwischen die Beine, sondern räumt uns Steine aus dem Weg! Nur durch einheitliche Standards, etwa beim rechtlichen Rahmen, bei Konten und Postfächern, dem EfA-Leistungsbezug, Signaturmöglichkeiten oder Schnittstellen, können wir es schaffen, dass nicht nur Piloten und Leuchttürme gefeiert werden, sondern eine echte Flächendeckung in der OZG-Umsetzung erzielt wird.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe September 2023 von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
Beckum: d-NRW-Beitritt beschlossen
[03.03.2025] Um Zeit und Aufwand bei der Ausweitung ihrer digitalen Verwaltungsservices zu sparen, tritt die Stadt Beckum der d-NRW bei. Als Trägerin der rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts wird sie unter anderem von einer ausschreibungsfreien Nachnutzung von OZG-Leistungen profitieren. mehr...
München: Fortschreibung der Digitalisierungsstrategie
[13.02.2025] Der Münchner Stadtrat hat die fünfte Fortschreibung der Digitalisierungsstrategie der bayerischen Landeshauptstadt beschlossen. Sie beinhaltet unter anderem den Aufbau eines Kompetenzschwerpunkts für User Experience sowie eine neue Formulierung des strategischen Prinzips der nutzerzentrierten Gestaltung. mehr...
OZG: „Aufenthalt“ erreicht alle Milestones
[07.02.2025] Das maßgeblich vom Land Brandenburg vorangetriebene OZG-Projekt „Aufenthalt“ hat alle Vorgaben des OZG-Verwaltungsabkommens erfüllt. Inzwischen nutzen über 270 Ausländerbehörden die digitalen Dienste, weitere 170 befinden sich im Roll-out. Die Weiterentwicklung läuft kontinuierlich. mehr...
Sachsen: Neue CIO für den Freistaat
[07.02.2025] Daniela Dylakiewicz ist neue CIO des Freistaats Sachsen. Um die digitale Verwaltungstransformation voranzutreiben, strebt sie eine enge Zusammenarbeit mit den Kommunen des Landes an. mehr...
Deutscher Landkreistag: Aufgabenbündelung ja, Verfassungsänderung nein
[06.02.2025] Der vom Normenkontrollrat vorgebrachte Vorschlag einer stärkeren Bündelung staatlicher Aufgaben wird vom Deutschen Landkreistag unterstützt. Der kommunale Spitzenverband warnt aber auch vor zentralistischen Strukturen und lehnt vorgeschlagene Verfassungsänderungen ab. mehr...
Kreis Recklinghausen: Info-Plattform zum Smart-City-Ansatz
[03.02.2025] Eine Informationsplattform zur regionalen Digitalisierungsstrategie haben der Kreis Recklinghausen und die zehn kreisangehörigen Städte online geschaltet. Das Portal stellt die fünf Handlungsfelder und unterschiedlichen Projekte rund um den Smart-City-Ansatz vor und listet Neuigkeiten und Veranstaltungshinweise auf. mehr...
Bayern: Einheitlicher kommunaler IT-Dienstleister geplant
[28.01.2025] Im Frühjahr startet die neue Umsetzungsphase der Zukunftskommission #Digitales Bayern 5.0. Unter den Maßnahmen ist auch die Einführung eines einheitlichen kommunalen IT-Dienstleisters bis Ende 2025. mehr...
Vitako: 10-Punkte-Plan zur Digitalisierung
[24.01.2025] Vitako fordert in einem 10-Punkte-Plan klare Prioritäten, Investitionen und Kooperation aller Ebenen, um die Digitalisierung voranzutreiben und Krisen zu kontern. Dabei gehe es um die Sicherung kommunaler Handlungsfähigkeit ebenso wie um die nationale Koordination und die Berücksichtigung EU-weiter Strategien. mehr...
Hamburg: Neue Digitalstrategie vorgestellt
[22.01.2025] Hamburg hat seine neue Digitalstrategie präsentiert. In den kommenden Jahren soll das digitale Angebot konsequent ausgebaut werden, um den Kontakt mit den Behörden so einfach und effizient wie möglich zu gestalten. Wo es möglich ist, setzt die Freie und Hansestadt dabei auch auf Automatisierung und Künstliche Intelligenz. mehr...
Wolfsburg: Neuer smarter Geschäftsbereich
[20.01.2025] Mit organisatorischen Änderungen ist die Wolfsburger Stadtverwaltung in das neue Jahr gestartet. Unter anderem wurden die Bereiche Informationstechnologie und Smart City im Geschäftsbereich Smart City und IT-Services zusammengeführt. mehr...
Saarland: Digitalisierungsoffensive für Kommunen wird konkreter
[20.01.2025] Die 2021 auf den Weg gebrachte Digitalisierungsoffensive für Kommunen im Saarland nimmt Gestalt an: 17 Millionen Euro aus dem Sondervermögen Pandemie wurden an konkrete Projekte gebunden, darunter KI-gestützte Chatbots, Verkehrsdatenerfassung und Straßenmanagementsysteme. mehr...
Hessen: Kommunale Verwaltungsdigitalisierung wird gestärkt
[15.01.2025] Das Land Hessen und die kommunalen Spitzenverbände wollen die kommunale Verwaltungsdigitalisierung weiter unterstützen. Die bisherige Koordinierungsstelle OZG-Kommunal wird zur Kompetenzstelle erweitert, die Digitalisierungsplattform civento wird weiter finanziert. mehr...
IT-Planungsrat: Kommunen im Fokus
[13.01.2025] Im Jahr 2025 führt Mecklenburg-Vorpommern den IT-Planungsrat. Im Fokus sollen die Föderale Digitalstrategie und eine stärkere Einbindung der Kommunen stehen. Geplant ist auch eine Stärkung und Weiterentwicklung der FITKO. mehr...
Digitalisierung: Blick in die Glaskugel
[07.01.2025] Agil, bürokratiearm und Ende-zu-Ende digitalisiert – so sollen die Kommunalverwaltungen im Jahr 2030 aussehen. Im Moment sind sie davon aber oft noch weit entfernt. Sind die gesetzten Ziele realistisch? mehr...
Brandenburg: OZG-Umsetzung auf Kurs
[19.12.2024] In seiner OZG-Bilanz meldet Brandenburg für 2024 deutliche Fortschritte: 100 neue digitale Verwaltungsdienste wurden eingeführt, insgesamt sind nun 650 verfügbar. Fördermittel und Kampagnen unterstützen Kommunen bei der Digitalisierung. mehr...