E-VergabeExpertise einholen
Die Vergaberichtlinien der EU verpflichten öffentliche Stellen, ihre Beschaffung künftig digital abzuwickeln. Das bietet Chancen, birgt aber auch Risiken. IT-Systeme erlauben es, den Vergabeprozess rechtssicher und regelkonform durchzuführen. Die Abbildung der erforderlichen Prozessschritte erfordert aber Sorgfalt und vergaberechtliche Expertise, um Fehler bei den grundlegenden Weichenstellungen für das E-Procurement zu vermeiden.
Die Regeln zur elektronischen Vergabe werden von der EU (und damit nachfolgend auch vom nationalen Gesetzgeber) als verbindlich angesehen. Drei neue EU-Vergaberichtlinien, die im April 2014 in Kraft getreten sind und im April 2016 in deutsches Recht umgesetzt wurden, schreiben den (nahezu) ausschließlichen Einsatz elektronischer Mittel bei Vergabeverfahren zwingend vor. Neben der klassischen Vergaberichtlinie 2014/24/EU gilt dies auch für die Sektorenvergaben (RL 2014/23/EU) und die Konzessionsvergaben (RL 2014/25/EU). Insgesamt ist die elektronische Vergabe mit einem hohen Zeitdruck und Erfüllungsaufwand verbunden. So müssen bereits seit April 2016 alle Bekanntmachungen und Ausschreibungsunterlagen elektronisch zugänglich sein; seit April dieses Jahres sind zudem alle Angebote an zentrale Beschaffungsstellen elektronisch zu übermitteln. Bis zum 18. Oktober 2018 müssen dann endgültig alle öffentlichen Auftraggeber und Bieter ausschließlich elektronische Mittel bei der Vergabe von Aufträgen nutzen. Spätestens ab 2018 muss mithin die gesamte Kommunikation während eines laufenden Vergabeverfahrens über elektronische Mittel erfolgen.
Vielzahl neuer Verfahrensarten möglich
Ziel der Vergaberechtsnovelle 2016 war und ist, dass im Bereich oberhalb der EU-Schwellenwerte die Struktur des deutschen Vergaberechts einfacher und anwenderfreundlicher, der bürokratische Aufwand verringert und kommunale Handlungsspielräume ausgebaut werden sollen. Die E-Vergabe eröffnet eine Vielzahl neuer Verfahrensarten, die in § 120 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) als besondere Methoden und Instrumente im Vergabeverfahren benannt werden. Darin liegen die Chancen der elektronischen Vergabe für die Beschaffer.
Hierzu gehören:
• Das dynamische Beschaffungssystem als ein zeitlich befristetes, ausschließlich elektronisches Verfahren zur Beschaffung marktüblicher Leistungen, bei denen die allgemein auf dem Markt verfügbaren Merkmale den Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers genügen.
• Die Elektronische Auktion als ein sich schrittweise wiederholendes elektronisches Verfahren zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots.
• Der elektronische Katalog als ein auf Grundlage der Leistungsbeschreibung erstelltes Verzeichnis der zu beschaffenden Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen in einem elektronischen Format. Dieser kann insbesondere beim Abschluss von Rahmenvereinbarungen eingesetzt werden.
• Die Nutzung des von der EU-Kommission zur Verfügung gestellten Online-Dokumentationsarchivs e-certis. Dieses soll grenzüberschreitende Ausschreibungen erleichtern.
• Die Einheitliche Europäische Eigenerklärung (EEE) die zumindest in einem ersten Verfahrensschritt verpflichtend Eignungsnachweise durch eine Eigenerklärung ersetzt.
Risiken und Herausforderungen
Die Digitalisierung der Vergabeverfahren soll durch die medienbruchfreie Bearbeitung den Verwaltungsaufwand verringern und vor allem Durchlaufzeiten verkürzen, indem beispielsweise Postwege nicht mehr einkalkuliert werden müssen. Auch die Kosten sollen aufgrund kürzerer Vergabeverfahren bei steigender Prozesssicherheit sinken. Durch die elektronische Aufzeichnung könnten Vorwürfe wegen nachträglicher Manipulationen entfallen, eine Reduzierung der Rechtsstreitigkeiten erscheint denkbar.
Die zwingenden Regelungen im Bereich der E-Vergabe, denen zufolge die Kommunikation im Vergabeverfahren grundsätzlich elektronisch erfolgen soll, bedeutet freilich eine Einschränkung der kommunalen Handlungsspielräume, keine Erweiterung. Die öffentlichen Auftraggeber werden gezwungen, die erforderlichen Maßnahmen zur Umsetzung der E-Vergabe einzuführen, da ansonsten unterlegene Bewerber die Regeln über die Einhaltung des elektronischen Vergabeverfahrens einfordern können. In der unvollständigen, fehlerhaften oder nicht fristgerechten Umsetzung der Vorgaben liegt nach wie vor das größte Risiko für öffentliche Beschaffer, die faktisch gezwungen werden, ein individuelles elektronisches Beschaffungsmanagement – von der Bereitstellung einer geeigneten Plattform über elektronische Dokumente bis hin zu datenschutzrechtlichen Belangen – vorzuhalten.
Allgemein verfügbar und nicht-diskriminierend
Weitere wesentliche Risiken der E-Vergabe resultieren aus Artikel 22 der RL 24/2104 als der zentralen Norm der elektronischen Vergabe, die im Kern unverändert in das deutsche Vergaberecht umgesetzt wurde. Sie schreibt vor, dass die gesamte Kommunikation und der Informationsaustausch im laufenden Vergabeverfahren grundsätzlich nur mithilfe elektronischer Mittel erfolgen dürfen. Das umfasst die Einreichung von Angeboten, das Zurverfügungstellen von Vergabeunterlagen sowie die Übermittlung und Veröffentlichung der Bekanntmachungen. Parallel dazu müssen Bieterfragen, Informationen und Zwischenmitteilungen an die Bieter ebenfalls auf digitalem Wege erfolgen. Gleichzeitig kann ein elektronisches Archiv erstellt werden, sodass die Verfahren auch digital abgelegt werden können.
Die EU-Richtlinien fordern aber auch, dass die Kommunikation nicht-diskriminierend, allgemein verfügbar sowie kompatibel mit „allgemein verbreiteten Erzeugnissen der Informations- und Kommunikationstechnik“ sein muss. Was das genau heißt, ist noch unklar. Sicher ist, dass große Veränderungen auf alle deutschen Behörden zukommen. Jede Vergabestelle muss ihre Computer umrüsten, gegebenenfalls neue Formblätter erstellen, Mitarbeiter schulen und alle notwendigen technischen Voraussetzungen schaffen, insbesondere Schnittstellen, um die E-Vergabe rechtssicher umzusetzen. Ohne die Hinzuziehung externer IT-Dienstleister und versierter Vergaberechtler wird das jedenfalls bei kleineren Beschaffungseinheiten in der Regel nicht gelingen.
Erste Streitpunkte
Streit herrscht zudem schon jetzt hinsichtlich des Artikels 51 der klassischen Vergaberichtlinie RL 2014/24/EU. Dieser schreibt vor, dass den Bietern bei der E-Vergabe die Vergabeunterlagen unentgeltlich bereitgestellt werden müssen. Auf den heute gängigen Plattformen müssen sich Bieter allerdings registrieren und teilweise eine Bearbeitungs- oder Aufnahmegebühr zahlen. Handelt es sich dabei um ein Entgelt für die Vergabeunterlagen im Sinne der EU-Richtlinie? Teilweise ist ein Herunterladen der Vergabeunterlagen zudem nur möglich, wenn der Bieter gleichzeitig ein Support-Paket bucht, das etwa einen Bieterassistenten oder die Prüfung der Unterlagen auf Vollständigkeit umfasst. Dann kommt kein Bieter ohne Zahlung an die Unterlagen. Aber: Zahlt er deshalb für die Unterlagen oder nur für den Service? Datenschutz, Verschlüsselung der Angebote vor der Öffnung und die Vorgaben nach dem elektronischen Signaturgesetz sind weitere Beispiele, die das Ausmaß der mit der E-Vergabe verbundenen Herausforderungen und Risiken beschreiben, ohne dass es für diese derzeit einfache Lösungen gäbe.
Einheitliche E-Vergabeplattform wichtig
Wichtig für den Erfolg der E-Vergabe sind medienbruchfreie Prozesse und Systemkompatibilität, für die der öffentliche Beschaffer zwingend Sorge tragen muss – ob mit Bordmitteln oder externer Hilfe. Die Forderung nach einer einheitlichen E-Vergabeplattform anstelle eines eigenen E-Vergabe-Managements für jede Behörde ist nicht neu, sachlich aber richtig. Eine solche Plattform, die allgemein zugänglich ist, muss kommen, um die bestehenden und befürchteten Risiken und nicht zuletzt den mit der E-Vergabe verbundenen Kostenaufwand für die öffentlichen Auftraggeber in einem erträglichen Rahmen zu halten.
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