Donnerstag, 5. Dezember 2024

OZG-UmsetzungFehlende Perspektive

[13.12.2021] Fast 700 Millionen Euro haben die Bundesländer für OZG-Umsetzungsprojekte beantragt. Damit werden allerdings nur Front-End-Lösungen entwickelt. Wie die Anbindung der Fachverfahren finanziert wird, ist völlig unklar.

Eine kleine Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Manuel Höferlin und die entsprechende Antwort von Staatssekretär Markus Kerber vom Bundesinnenministerium brachte etwas Transparenz hinsichtlich der Finanzierung von Einer-für-Alle-Leistungen (EfA) im Zuge der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG). Demnach haben die Länder 51 Umsetzungsprojekte mit insgesamt fast 700 Millionen Euro beantragt. Interessant sind hier die Summen je OZG-Leistung. Denn allein das Thema Ehe hat ein Budget von 36 Millionen Euro. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es nur einen einzigen Fachverfahrensanbieter im Bereich Standesamt gibt, hätte dieser sicher die Umsetzung übernehmen können – und das für einen Bruchteil des obigen Betrags. Genauso verhält es sich im Grunde bei allen anderen Leistungen. Wer nun die für die 51 Leistungen veranschlagten Mittel auf die insgesamt zur Umsetzung vorgesehenen 575 Leistungen hochrechnet, kommt auf einen Finanzbedarf von 7,8 Milliarden Euro – wohlgemerkt, nur für das Front End.
Bei der eingeschlagenen Vorgehensweise gibt es aber drei Probleme. Zum ersten sind die Umsetzungskosten im Vergleich zum Marktniveau völlig überhöht. Ursache können hier nur ineffiziente Umsetzungsstrukturen und die überall eingesetzten Berater sein. Auf der Vergabeseite beim Bund sind Berater eingebunden, um die Mittelausschreibungen zu betreuen. Auf der empfangenden Seite der Länder sind ebenfalls Berater – hoffentlich nicht die gleichen – eingebunden, um die Mittel zu beantragen und die Umsetzung zu begleiten. Nur so können diese exorbitanten Beträge zustande kommen.

Komplexität und Kosten steigen enorm

Das zweite Problem ist, dass die Privatwirtschaft keinen Zugang zu den Mitteln hat und somit die Kosten der Umsetzung auch nicht unmittelbar durch Lösungen aus der Wirtschaft reduziert werden können. Gleichzeitig treten die teuer erstellten OZG-Angebote anschließend vor die Produkte der Privatwirtschaft und entziehen diesen einen Teil ihrer Geschäftsgrundlage. Das dritte Problem der EfA-Konzeption ist die fehlende Anbindung der Fachverfahren. Dass diese kommen muss, ist allen klar. Aber weder der Bund noch die Länder haben eine Idee, wie die Umsetzung aussehen und wie diese finanziert werden könnte. Da sich im deutschen Föderalismus das Einer-für-Alle-Prinzip auf kommunaler Ebene nicht durchsetzen kann, was teilweise auch nachvollziehbar begründet ist, entstehen die Front-End-Lösungen für die OZG-Umsetzung nun doch mehrfach in verschiedenen Bundesländern. Das führt dazu, dass die Fachverfahren sich auch an verschiedene Front Ends je nach Bundesland andocken müssen. Komplexität und Kosten steigen hierdurch enorm.
Es ist absehbar, dass der Bund Ende nächsten Jahres seine digitalisierten Angebote vorstellt und für das Fehlen weiterer Angebote in der Fläche die Länder verantwortlich macht, die wiederum die Verantwortung an die Kommunen weiterreichen. Am Ende werden die Software-Hersteller und IT-Dienstleister der Kommunen als letzte in der Kette verantwortlich gemacht werden, ohne überhaupt Einfluss auf die Projekte und deren Durchführung gehabt zu haben.

Standardisierung ist der einzige Ausweg

Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma für alle Beteiligten – denn auch für Länder und Kommunen ist das eine schwierige Situation – ist eine rasche und gute Standardisierung der Kommunikation zwischen Front End und Fachverfahren. So werden beispielsweise im Personenstands- und Meldewesen sehr erfolgreich systematisch XÖV-Standards verwendet. Das reduziert Komplexität und Aufwände und damit auch die Kosten. Standards ermöglichen erst die Marktteilnahme mehrerer Anbieter für eine Leistung und damit den Wettbewerb um die beste Lösung. Jetzt werden einige einwenden, dass mit dem Föderalen Informationsmanagement (FIM) doch eigentlich bereits ein Standard zwischen Front End und Fachverfahren besteht. Das Problem des FIM ist aber, dass dieser Standard nicht gemeinschaftlich mit den betroffenen Fachverfahrensherstellern entwickelt wurde, sondern nur von einem kleinen ministeriellen Kreis, unterstützt von Beratern. Dabei werden bereits vorhandene Standards wie XÖV oft ignoriert. Dementsprechend mangelhaft und ohne Akzeptanz bei den Fachverfahren ist das Ergebnis dort, wo bereits Standards existieren. Selbst das Bundesinnenministerium legt keinen Wert auf die Nutzung von FIM in der OZG-Umsetzung, zugunsten der Umsetzungsgeschwindigkeit. Die Föderale IT-Kooperation (FITKO) bemüht sich mit neuen technologischen Ideen, das Thema zu vereinnahmen, macht aber den gleichen Fehler wie ihre FIM-Vorgänger. Die Software-Hersteller, welche die Technologie und Schnittstellen implementieren sollen, sind kaum eingebunden.
Es steht zu befürchten, dass die nächste Bundesregierung ein großes Budget bereitstellt und in Anbetracht des Durcheinanders auf zentrale Lösungen setzt, die keine Standards und Datentransfers benötigen. Es stehen sicher schon einige weltweit tätige Beratungsunternehmen bereit, um die eine große Lösung für alles zu entwickeln. Man darf aber davon ausgehen, dass auch diese nicht funktionieren wird, da das Behörden- und Kompetenz-Wirrwar, welches die Digitalisierung auch bisher schon ausbremst, dann immer noch vorhanden ist.
Jetzt ist die Politik gefordert, die richtigen Entscheidungen zu treffen, Gesetze digitalfähig zu gestalten und Mittel so bereitzustellen, dass auch die Privatwirtschaft gleich­berechtigten Zugang erhält.

Detlef Sander ist Geschäftsführer von Databund, dem Verband der mittelständischen IT-Dienstleister und Software-Hersteller für den öffentlichen Sektor.




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