Serie OZGGanzheitliche Optimierung
Eines der Vorzeigeprojekte der bisherigen OZG-Umsetzung ist „Einfach Leistungen für Eltern“, kurz: ELFE. Das in der Bremer Finanzverwaltung entwickelte Projekt will die Verwaltungsprozesse rund um die Geburt eines Kindes digitalisieren und verbessern. Anstatt dass sich Eltern mit dem komplexen Antragswesen rund um Kinder- und Elterngeld herumschlagen müssen, sollen sie künftig einer verwaltungsinternen Weiterleitung ihrer bei den Behörden bereits vorhandenen Daten zustimmen können. Alles Weitere läuft dann automatisiert ab. Das Ideal sieht so aus: Ein Kind wird geboren, und die Eltern beziehen Geld.
Damit dieses Ideal Wirklichkeit wird, sind Rechtsänderungen notwendig. Wie viele weiß man nicht genau. So müssen der Zugriff und die Weiterleitung von Daten rechtlich abgesichert sein, und auch die Fristenwahrung muss geregelt werden. Beim Elterngeld gilt es unter anderem, einen Einkommensnachweis über die letzten zwölf Monate zu erbringen. Bislang müssen sich Eltern an den Arbeitgeber wenden. Im Gespräch ist, die Automatisierung des Prozesses über eine Abfrage bei der Deutschen Rentenversicherung zu ermöglichen, die dann im Auftrag der Eltern an den Arbeitgeber herantritt. Dies aber ist nur eine Information, die für einen Elterngeldantrag benötigt wird. Einige weitere Register müssen angezapft werden. Wie lässt sich das alles rechtlich regeln?
Rechtsänderungen möglichst vermeiden
In den Digitalisierungslaboren, in denen derzeit über solche Prozesse nachgedacht und ihre Entwicklung vorangetrieben wird, tauchen immer wieder Fragen zur rechtlichen Dimension auf. In einer Projektskizze aus dem Bundesinnenministerium heißt es: Interdisziplinäre Teams ermöglichen die ganzheitliche Optimierung einer Leistung, zum Beispiel mittels Rechtsänderung. Diese Teams bestehen aus Experten für Digitalisierung, Projekt-Managern und Bürgern – und sie erhalten fachliche Hilfestellung von den Ländern und den jeweils zuständigen Bundesressorts. Letztere initiieren gegebenenfalls die Rechtsänderungen.
Zunächst indes sind die Labore angehalten, möglichst einfache Leistungen für Bürger zu entwickeln – basierend auf dem geltenden Recht. Man will Rechtsänderungen möglichst vermeiden, weil dies langwierige Prozesse nach sich ziehen kann. Der Normenkontrollrat hatte in seinem 2. Monitor Digitale Verwaltung vom Mai 2019 vermutet: „Um eine Rechtsanpassung konsequent für die 14 OZG-Themenfelder durchzuführen, müssten in den verbleibenden dreieinhalb Jahren rechnerisch vier Artikelgesetze pro Jahr verabschiedet werden.“ Artikelgesetze sind Änderungen von oder Ergänzungen zu bestehenden Gesetzen und müssen zwei Mal den Bundesrat passieren, der nur an acht oder neun Terminen pro Jahr zusammenkommt. Da erscheint es verständlich, die Gesetzeslage möglichst unberührt lassen zu wollen.
Trägergesetz zur OZG-Umsetzung geplant
Vollständig gelingen wird das wohl kaum. Nimmt man die Nutzerorientierung ernst und setzt in den Digitalisierungslaboren auf kreatives Vorgehen und Vereinfachung, würde der Blick durch die Brille der vorherrschenden Gesetzeslage dem Ganzen den Schwung und die Freiheit nehmen. Die Digitalisierungslabore müssten dann den Spagat antreten, Nutzerorientierung und Recht zu harmonisieren und würden am Ende bestehende Prozesse einfach in eine digitale Form überführen – und das Ziel, die Prozesse auch zu vereinfachen, verfehlen.
Derzeit werden die Änderungsbedarfe aus den Digitalisierungslaboren gesammelt. Auf der OZG-Informationsplattform des Bundesinnenministeriums, die allen Beteiligten in den Laboren zur Verfügung steht, dokumentieren die 14 Themenfeldverantwortlichen auf einer Pinnwand alle Änderungswünsche. Einmal im Monat tauschen sie sich darüber in einer Videokonferenz aus. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass Bedarfe, die in einem Themenfeld auftauchen und für die eine rechtliche Lösung gesucht wird, auch von anderen Themenfeldern genutzt werden können. Geplant ist, zum Abschluss ein Trägergesetz zur Umsetzung des OZG zu formulieren, in das alle notwendigen Rechtsänderungsvorhaben einfließen. Darüber hinaus sind Rechtsänderungen auch auf der Ebene von Verwaltungsabkommen möglich.
Anbindung der Wirtschaft und EU-Vorgaben
Eine weitere Herausforderung besteht in der Anbindung der Privatwirtschaft an das Onlinezugangsgesetz, dessen Reichweite auf die föderale Verwaltung beschränkt ist. Beim Beispiel Elterngeld müsste etwa sichergestellt werden, dass die Arbeitgeber Lohndaten an die Deutsche Rentenversicherung liefern können, die dann die Funktion einer Datendrehscheibe übernimmt. Dafür sind entsprechende Schnittstellen auf Arbeitgeberseite erforderlich, die erst eingerichtet werden müssen.
Im Zuge des europäischen Single Digital Gateway (wir berichteten), das parallel zum OZG umgesetzt wird, sind gerade im Unternehmensbereich technische Standards in Arbeit, die es ermöglichen sollen, Verwaltungsverfahren in der gesamten EU medienbruchfrei und online zu nutzen. Das Gateway soll ein einheitliches digitales Zugangstor zu den Verwaltungsleistungen der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten werden. Einige der europäischen Erfordernisse – etwa Unternehmensgründungen online über Ländergrenzen hinweg vornehmen zu können – werden im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes umgesetzt. Es zeigt sich aber auch hier die große Schwierigkeit, Standards, Schnittstellen und die Rechtssituation in Einklang zu bringen.
Es bleibt viel zu tun
Ebenfalls von der EU stammt das Once-Only-Prinzip, dem die Idee zugrunde liegt, dass Bürger und Unternehmen bestimmte Informationen nur noch einmal an Behörden liefern und der Verwaltungsaufwand abnimmt. Unter Wahrung des Datenschutzes und mit Einwilligung der Betroffenen sollen Verwaltungen die Daten anlassbezogen untereinander austauschen können. Viele OZG-Leistungen gründen auf Once Only, sodass hier rechtliche Regelungen die Voraussetzung für die weitere Umsetzung sind. Bislang wurden sie aber nicht getroffen.
Nicht zuletzt können in den Digitalisierungslaboren rechtliche Änderungswünsche auftreten, die nicht unmittelbar den digitalen Prozess betreffen, aber dennoch als Hürden für ein Verfahren wahrgenommen werden. So wurde im Digitalisierungslabor „Bürgerbeteiligung“ festgestellt, dass Bürger, die ein Beteiligungsverfahren auf den Weg bringen möchten, eine Kostenschätzung ihres Anliegens vorzunehmen haben (wir berichteten). Das sehen einige Ländergesetze so vor. Diese rechtliche Vorgabe stellt – gewollt oder ungewollt – eine hohe Hürde dar, die Beteiligungsverfahren insgesamt erschwert. Wollte man hier eine Vereinfachung der Bürgerpartizipation erreichen, müssten die entsprechenden Gesetze an dieser Stelle geändert werden. Es bleibt also eine Menge in relativ kurzer Zeit zu tun.
Teil 1 der OZG-Serie
Teil 2 der OZG-Serie
Teil 3 der OZG-Serie
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