VergabeGebraucht? Aber sicher!
Im April 2016 hat die Vergabekammer Westfalen für die öffentliche Beschaffungspraxis von Standard-Software eine wegweisende Entscheidung getroffen. Sie verpflichtete den Kreis Steinfurt, knapp 1.500 Microsoft-Office-Lizenzen neu auszuschreiben, nachdem dieser gebrauchte Software zuvor ausdrücklich ausgeschlossen hatte – ein Präzedenzfall. Vergabestellen in Deutschland müssen also umdenken. Eine gleichberechtigte Vergabegrundlage für neue und gebrauchte Software zu schaffen und dabei die Rechtsprechung für die Beschaffung gebrauchter Lizenzen im Blick zu haben, stellt jedoch viele Vergabestellen vor große Herausforderungen. Dank immenser Einsparpotenziale haben gebrauchte Lizenzen im Bieterverfahren nicht selten die Nase vorn. Viele Kommunen, die ihre IT-Kosten senken möchten, setzen längst auf die Beschaffung aus zweiter Hand. Schließlich bilden die Aufwände für Software-Lizenzen und -wartung einen großen Posten im IT-Budget. Selten nutzen kommunale IT-Verantwortliche dagegen neueste Releases. Die Produktzyklen sind vergleichsweise lang. Auch aus vergaberechtlicher Sicht ist der Einsatz gebrauchter Software sinnvoll. Die öffentliche Hand ist dazu angehalten, Software möglichst günstig zu beschaffen.
Rechtekette offenlegen
Oberstes Gebot beim Software-Kauf aus zweiter Hand ist die Offenlegung der Rechtekette. Dazu rät auch Vergaberechtsexperte Roderic Ortner, Fachanwalt für IT-Recht und Partner der Kanzlei BHO Legal, in einem aktuellen Leitfaden für die Vergabe von Standard-Software. Darin bezieht er sich auf ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg vom 27. Juni 2016 (AZ 5 W 36/16), wonach dem Verbraucher die Rechtekette mitzuteilen ist. Der Verkauf von Lizenz-Keys ohne entsprechende Informationen stelle eine grobe Irreführung durch Unterlassen der Mitteilung von wichtigen Verkaufsinformationen dar und sei daher unlauter, heißt es in der Urteilsbegründung. Mit dem Hamburger Urteil liegt nun auch eine zweitinstanzliche Entscheidung vor, die einem Käufer Anspruch auf Informationen zuspricht, die den Nachweis der Erschöpfungsvoraussetzungen begründen. Beim Unternehmen Preo Software ist diese Transparenz bereits seit der Firmengründung vor zehn Jahren Grundvoraussetzung für den Handel mit gebrauchter Software. Dass beim Kauf alle notwendigen Dokumente zur Darlegung der Nutzungsrechte mitgeliefert werden, ist allerdings bei vielen Anbietern auch heute noch alles andere als selbstverständlich.
Freistellung schützt nicht
In puncto gebrauchter Software herrscht starker Aufklärungsbedarf. „Die Praxis zeigt, dass in vielen Vergabestellen immer noch große Unsicherheit darüber herrscht, welche rechtlichen Vorgaben und Kriterien für die Beschaffung von Standard-Software anzuwenden sind – vor allem unter der Prämisse, dass Anbieter neuer und gebrauchter Software bei der Teilnahme an Vergabeverfahren gleich behandelt werden müssen“, erläutert Roderic Ortner. „Sogar Kommunen, die gebrauchte Software bereits anwenden, verkennen nicht selten die Risiken, die beispielsweise die Beschaffung intransparenter Lizenzen mit sich bringt.“ So entscheidet in vielen Fällen der Preis über das Bieterverfahren. Zuschlagskriterien wie die Offenlegung der Rechtekette bleiben unberücksichtigt – und das, obwohl ein Prüfer im Fall einer Auditierung mit 100-prozentiger Sicherheit Belege zur Erschöpfung des Verbreitungsrechts einfordern wird. Liegen diese nicht vor, steht die Vergabestelle in der Verantwortung. Schließlich sind Behörden im Falle einer Überprüfung durch Software-Hersteller für die lückenlose Darlegung ihrer Lizenzrechte verantwortlich. Vor dieser Pflicht schützt im Ernstfall auch keine Freistellungserklärung durch den Handel. Erst recht nicht, wenn ein Software-Händler wegbricht – beispielsweise durch eine Insolvenz. Bei einer Auditierung stehen Vergabestellen auch aus Sicht der Vergabekammern als Rechteinhaber in der Pflicht, ihre Nutzungsrechte gegenüber dem Hersteller nachzuweisen. Dennoch geben sie günstigen Angeboten den Zuschlag, ohne sich die dafür notwendigen Dokumente vorlegen zu lassen. Stattdessen lassen sich kommunale Entscheider wie in vielen Bereichen auf Freistellungserklärungen ein.
Vergabestelle musste neu ausschreiben
Die negativen Folgen einer solchen Vergabepraxis zeigt ein aktueller Fall aus Thüringen. Ende 2015 hatte dort ein Landratsamt eine Freistellungserklärung zur Bedingung für die Ausschreibung von 400 gebrauchten Lizenzen für Microsoft Office Standard 2013 gemacht. Ausweislich der Vertragsunterlagen sollten die Bieter unter anderem eine Erklärung abgeben, den Auftraggeber von sämtlichen Ansprüchen Dritter wegen etwaiger Schutzrechtsverletzungen freizustellen, falls dieser aufgrund der Geltendmachung von Schutzrechtsverletzungen gerichtlich oder außergerichtlich in Anspruch genommen werden sollte. Im Ergebnis wurde das Vergabeverfahren auf Kosten des Landratsamts als rechtswidrig beanstandet. Die Vergabestelle der Kommune musste neu ausschreiben – unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer des Freistaats Thüringen, die sich auf ein entsprechendes Urteil des Bundesgerichtshofs berief. Dort heißt es: „Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Erschöpfungsvoraussetzungen obliegt dem Verkäufer und dem Nutzer der gebrauchten Lizenzen“ (vgl. BGH GRUR 2011, 418 / EuGH GRUR 2012, 904). Im Interesse des Auftraggebers, Klarheit und damit Sicherheit hinsichtlich der Herkunft der Software-Lizenzen zu erlangen, machte die Vergabekammer außerdem entsprechende Lizenznachweise geltend. Bedingung bei einer Neuausschreibung sei es, sich Erschöpfungsbelege des Verbreitungsrechts für angebotene Software-Lizenzen vorlegen zu lassen. Das sei legitim und vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung einer Beschwerdeführerin stellten die Lizenznachweise keine Unterlagen zur Eignungsprüfung dar, sondern seien produktbezogene Nachweise. Auch Datenschutzeinwände griffen in diesem Zusammenhang nicht. „Ein öffentlicher Auftraggeber ist per se in seiner Eigenschaft als Vertreter der öffentlichen Hand verpflichtet, Informationen aus allen internen Abläufen im Rahmen des allgemeinen Datenschutzes vor nicht befugten Dritten entsprechend zu schützen“, heißt es im Beanstandungsprotokoll zum Nachprüfungsverfahren gemäß § 19 ThürVgG der Vergabekammer Freistaat Thüringen.
Ausschreibungsleitfaden unterstützt
Mit dem aktuellen Ausschreibungsleitfaden von Roderic Ortner, der insbesondere auf die rechtssichere Beschaffung von Gebraucht-Software eingeht, wird die dringend notwendige Aufklärungsarbeit geleistet. „Vergabestellen bekommen mit dem Leitfaden eine praktische Planungshilfe an die Hand, die vor teuren Nachprüfungsverfahren durch Vergabekammern bewahren soll“, sagt Fachanwalt Ortner. „Indem Kommunen ihre Nutzungsrechte sauber darlegen können, entgehen sie im Ernstfall auch dem Vorwurf mangelnder Lizenznachweise in einer Auditierung.“ Um Vergabestellen vor Fallstricken wie den hier beschriebenen zu bewahren, ist es oberstes Ziel, eine Basis zu schaffen, um eindeutig rechtssichere Kriterien für die Teilnahme am Ausschreibungsverfahren für Standard-Software aufzustellen. Das erfüllt der Leitfaden mit praxisnahen Ausführungs- und Formulierungshilfen sowie einer kompakten Checkliste. Der Ausschreibungsleitfaden von Rechtsanwalt Roderic Ortner ist ab sofort kostenlos über den Vergabeblog und die Website des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) abrufbar.
Praxistipp
Öffentlichen Auftraggebern ist zu empfehlen, im Rahmen einer Ausschreibung folgendes Zuschlagskriterium festzulegen:
„Beleg der Erschöpfung des Verbreitungsrechts. Sollte ein Angebot über eine Gebraucht-Software nach Wertung in die engere Zuschlagswahl gelangen, so wird der öffentliche Auftraggeber den betreffenden Bieter noch vor Zuschlagserteilung auffordern darzulegen, dass sich das Verbreitungsrecht an der angebotenen Software erschöpft hat. Hierzu sind folgende Erklärungen und Unterlagen vorzulegen:
1. Der Name des Ersterwerbers sowie die Namen aller nachfolgenden Erwerber, (Rechtekette) unter Offenlegung der zugrundeliegenden Lizenzvertragsnummern.
2. Belege über die Unbrauchbarmachung aller Kopien der Software beim Ersterwerber und aller nachfolgenden Erwerber.
3. Die Produktnutzungsrechte zwischen dem Rechtsinhaber und dem Ersterwerber.
4. Die Bestätigung, dass Verbesserungen und Aktualisierungen von einem zwischen dem Urheberrechtsinhaber und dem Ersterwerber abgeschlossenen Vertrag gedeckt sind.
5. Der Nachweis, dass die Software-Lizenzen in der EU oder einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums erstmalig in Verkehr gebracht wurden.
6. Die Erklärung, dass der Bieter im Fall der Bezuschlagung vor Überlassung der Software sämtliche bei ihm verbliebenen Kopien unbrauchbar macht.
Sollte dem Bieter die Darlegung misslingen, so ist sein Angebot zwingend auszuschließen.“
Weitere Praxistipps zur Ausschreibung von Standard-Software liefert der kostenlos abrufbare, aktuelle Ausschreibungsleitfaden von Fachanwalt Roderic Ortner.
http://www.preo-ag.com
Dieser Beitrag ist in der September-Ausgabe von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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