Open DataHer mit den Daten
Geplant hätte es sicher nicht so gut funktioniert, wie es sich letztlich einfach ergab: Vor knapp fünf Jahren trafen erstmals interessierte Studierende der Universität Ulm (Datalove Hochschulgruppe) auf die Ulmer Stadtverwaltung und forderten städtische Daten – am besten alle, möglichst aktuell und sofort. Es folgten verschiedene Treffen, ein vorsichtiges gegenseitiges Beschnuppern, und langsam lernten beide Seiten, mit den Anforderungen, Befürchtungen und Problemen der jeweils anderen Seite umzugehen. Aus dem Zufallstreffen wurde ein Beispiel für eine gelungene Zusammenarbeit zwischen Stadt und lokaler Community. Dabei ist keine der vorab beschworenen Horrorvisionen eingetreten – vielmehr sind seit dem ersten Treffen zahlreiche gute und innovative Lösungen auf Basis kommunaler Daten entstanden. Dennoch gibt es ganz praktische Herausforderungen, die es nun zu bewältigen gilt. Die Chancen und Potenziale offener Daten und einer offenen Verwaltung sind mittlerweile auch in Deutschland hinreichend bekannt. Dennoch überwiegen an vielen Stellen in der Verwaltung zunächst die Vorbehalte. Neben berechtigten Fragen nach dem ausreichenden Schutz persönlicher Daten steht oft auch die Angst vor Missbrauch und Fehldeutung der städtischen Daten und Gewährleistungsfragen im Mittelpunkt der Diskussion. Als beispielsweise im Jahr 2012 der kommunale Haushalt der Stadt Ulm als Offener Haushalt im Internet veröffentlicht werden sollte, wurden Befürchtungen bezüglich der Manipulation und Verfälschung von Daten zwischen Community und Stadtverwaltung diskutiert.
Datenmanipulation befürchtet
Dennoch wagte die Ulmer Finanzverwaltung mit dem Ersten Bürgermeister Gunter Czisch den ersten Schritt und stellte die Haushaltsdaten der Stadt Ulm – zunächst ohne Datenportal – als offene Daten bereit. Bestehende Bedenken bezüglich der Missdeutung veröffentlichter Zahlen erwiesen sich als ungerechtfertigt. Die tatsächlich größte Hürde war technischer Art: Die Aufbereitung der Daten in ein veröffentlichungsfähiges strukturiertes Datenformat und die Feinheiten der Verwaltungsvorschrift Doppik – beides waren Punkte, die im konstruktiven und offenen Austausch zwischen Verwaltung und Community geklärt werden konnten. Auch hinsichtlich der Fahrpläne der Stadtwerke Ulm (SWU) bestand die Sorge, dass die Daten verfälscht werden könnten. Bei vielen Verkehrsunternehmen und -verbünden hält sich hartnäckig die Ansicht, dass Fahrplanauskünfte ein komplexes Unterfangen seien, das nur sie selbst richtig stemmen können – keinesfalls sollte ein Dritter die offiziellen Pläne des Unternehmens manipulieren können. Nüchtern betrachtet dürfte solch ein Vorhaben aber etwa so realistisch sein wie eine böswillige Manipulation der analog an den Haltestellen aushängenden Fahrpläne – was im Zweifelsfall ebenso wenig verhindert werden kann. Nur am Rande: Die örtliche Open-Data-Arbeitsgruppe hatte ohnehin schon seit einigen Jahren die Abfahrtsdaten des Verbundes über dessen EFA-Schnittstelle (Elektronische Fahrplanauskunft) abgegriffen und sich somit einen inoffiziellen Fahrplandatensatz erstellt. Konsequenterweise definierte diese Community zusammen mit der Verkehrsgesellschaft SWU Nahverkehr einen Weg, die Daten offiziell zu exportieren.
Positive Auswirkungen offener Daten
Seit 2013 steht der Fahrplan unter Open-Data-Lizenz im Datenaustauschformat GTFS (Generalized Transit Feed Specification) zur Verfügung – mit positiven Auswirkungen: Durch das einheitliche Datenformat können die Ulmer Daten direkt in Tools und Programmierungen verwendet werden, die für andere Städte entwickelt wurden. Der positive Einfluss dieser Vernetzung der Open-Data-Community zwischen Stadtverwaltung und Studierenden lässt sich auch am Datensatz der Stadtviertel und -quartiere festmachen, den die Stadt im Jahr 2011 als ersten Datensatz unter einer offenen Lizenz (Creative Commons) veröffentlichte. Zwei Jahre wurde er nur mäßig nachgefragt, bis die US-Initiative Code for America das Wissensspiel Click that hood (Klicke Deine Nachbarschaft) veröffentlichte, mit dem die eigenen geografischen Kenntnisse in der Heimatstadt getestet werden konnten. Da der Quellcode des Spiels ebenfalls unter freier Lizenz steht, waren die Ulmer Stadtviertel binnen Minuten eingepflegt. Die Kita-Platz-Karte ist ein weiteres bemerkenswertes Beispiel für den mehrwertigen Einsatz offener Geodaten. Auf Kartenbasis werden Nutzern unbelegte und belegte Kindertagesstätten für Kinder über und unter drei Jahren angezeigt. Mit der Kartendarstellung wird die Suche nach einer Kindertagesstätte vereinfacht, die zuvor nur über eine schriftliche Auflistung aller Kitas samt Adresse vorhanden war. Die Idee zu diesem Projekt wurde im Dialog zwischen Stadt, Community und der Lokalzeitung vor Ort geboren. Risiken zum Datenschutz und Persönlichkeitsschutz gab es de facto nicht – alle nötigen Daten wurden ohnehin bereits auf der alten Ansicht veröffentlicht und wurden nur neu angeordnet und visualisiert.
Verschiedene Hürden
Die größte Datenschutzhürde kam erst zutage, als die in wenigen freiwilligen Arbeitsstunden entstandene Kartenansicht als Teil des offiziellen städtischen Angebots zurückgespiegelt werden sollte: Da auf dem städtischen System personenbezogene Daten verarbeitet werden, konnten die – obgleich datenschutztechnisch unproblematischen – Code-Beiträge nicht einfach eingebracht werden. Eine pragmatische Lösung konnte hier bislang nicht gefunden werden.Eine auf den ersten Blick unübliche Anfrage erreichte die Stadt, als es um die Herausgabe von Vornamensstatistiken – aufgeteilt nach Jahreszahlen – ging. Die Daten bildeten zusammen mit den Namensstatistiken anderer Kommunen die Grundlage für die Applikation „Baby benamsen“. Mit der Smartphone-App können sich werdende Eltern mit Namensvorschlägen für ihren Nachwuchs inspirieren lassen. Das Thema Open Data wurde innerhalb der Ulmer Stadtverwaltung an verschiedenen Stellen äußerst unterschiedlich bewertet. Als Argumente gegen eine offene Bereitstellung von Daten werden neben Engpässen bei den Personalressourcen oftmals das Verfälschen staatlicher Daten, die Gefahr des Weglassens der originären städtischen Bezugsquelle, die teils noch nicht gegebene Konsistenz und Richtigkeit von Geodaten (topologisch) und Sachdaten (inhaltlich) oder auch die Angst vor Missinterpretationen angeführt. Ebenso werden das Verschneiden schutzbedürftiger Daten, die Veröffentlichung persönlichkeitsrelevanter Daten, der entstehende zusätzliche Aufwand, die ungeklärte Aktualisierungspflicht der Daten oder auch die eigentliche Sinnfrage zu Open Data gestellt.
Vorteile von Open Data
Die zahlreichen genannten Beispiele machen allerdings deutlich, dass Bürgerschaft, Stadt(-verwaltung) und Wirtschaft sowohl von der Bereitstellung als auch der Nutzung offener Daten profitieren können. Bessere Leistungen, mehr Transparenz und die Einbindung eines digitalen Ehrenamtes in die Stadtgesellschaft – all das konnte in Ulm realisiert werden. Die Chancen und Vorteile von Open Data sind somit vielfältig: Wirtschaftsförderung, Förderung der Demokratie (vor allem Transparenz), Bereitstellung neuartiger und innovativer Lösungen in Form einer Förderung der offenen Innovationskultur, die Anpassung bestehender erfolgreicher Anwendungen aus anderen Kommunen und auch die Förderung junger Talente vor allem in den Bereichen Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Als Herausforderungen bezüglich Open Data bleiben in der Verwaltung die Förderung der sich entwickelnden Transparenzkultur – innerhalb der Verwaltung ebenso wie nach außen, die nachhaltige Gestaltung des Themas Open Data aus technischer Perspektive und in der Öffentlichkeit, sowie die zeitnahe Umsetzung und Einbindung der durch die Community bereitgestellten Lösungen.
Ideen für die Zukunft
Auch in Zukunft wird sich die Stadt Ulm dem Thema Open Data widmen. Die Beziehung zur Community, der Erfahrungsaustausch mit anderen Kommunen in Innovationszirkeln und Arbeitsgruppen – etwa die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) und der Städtetag Baden-Württemberg – sowie der Diskurs mit der Wissenschaft sollen fortgeführt werden. Open-Data-Portale auf Landesebene werden Kommunen den technischen Einstieg in das Thema erleichtern, da mit den angebotenen Lösungen nicht in jeder Kommune eine eigene Infrastruktur geschaffen und gepflegt werden muss. Initiativen zur Steigerung der Transparenz, beispielsweise OParl (offene Ratsinformationssysteme) steigern die Sichtbarkeit von Open Data in der Öffentlichkeit und erleichtern den Zugang zu kommunalen Datenbeständen für normale Internet-Nutzer. Mit Projekten wie „Jugend hackt“, bei dem Jugendliche gemeinsam programmieren, wird das Thema Open Data zudem gezielt mit Medienbildung verknüpft und bringt es einer jungen Zielgruppe näher. Chancen und Risiken die sich aus dem Gesamtthema Digitalisierung ergeben, werden seit September auch im Bürgerdialog zur Zukunftsstadt 2030 in Ulm gesammelt und diskutiert – und lassen sich übrigens direkt als Open Data herunterladen. Wichtig ist und bleibt der offene Dialog auf Augenhöhe zwischen Verwaltung und Datennutzern. Durch ihn konnten Ängste, gegenseitiges Misstrauen und Vorbehalte ausgeräumt und Bürgern innovative, mehrwertige Lösungen auf Basis offener Daten bereitgestellt werden.
Dieser Beitrag ist im Titel der Dezember-Ausgabe von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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