Dienstag, 11. Februar 2025

TorontoHier baut Google

[28.08.2018] In einem Industriehafen der kanadischen Metropole Toronto entsteht die digitale Modellstadt Quayside, das Ideal einer Smart City. Errichtet wird sie vom Unternehmen Alphabet, dem Mutterkonzern von Google.
Im kanadischen Toronto entsteht die Smart City der Superlative.

Im kanadischen Toronto entsteht die Smart City der Superlative.

(Bildquelle: sleg21/Fotolia.com)

Einst galten Städte wie Brasília als Stadt der Zukunft: autofreundliche Orte, die wenig Gedanken an Menschen als Verkehrsteilnehmer verschwendet haben. Statt Bürgersteigen durchziehen vielspurige Autotrassen das Zentrum der brasilianischen Hauptstadt. Der Präsident kann mit der Limousine über eine Rampe an sein Dienstzimmer im Palácio do Planalto heranfahren. Heute haben Städte eine Zukunft, wenn sie smart sind, auf digitale Infrastrukturen und allgegenwärtige Vernetzung setzen und dabei die Bürger im Blick behalten. So wie im neu entstehenden Stadtteil Quayside im kanadischen Toronto, wo das Unternehmen Alphabet, der Mutterkonzern von Google, eine Smart City der Superlative plant. Autos spielen dort zwar noch eine Rolle, allerdings nur in autonomer Version.

Modellprojekt für die digitale Urbanisierung

Alphabet, vertreten durch seine Tochterfirma Sidewalk Labs, hat damit begonnen, ein 50.000 Quadratmeter großes Gebiet im Industriehafen von Toronto zu erschließen, das später um ein Vielfaches erweiterbar ist. Um die Entwicklung des neuen Viertels voranzutreiben, werden zunächst 50 Millionen US-Dollar (circa 43 Millionen Euro) in die Hand genommen. Die kanadische Regierung rechnet mit Gesamtkosten von über einer Milliarde Dollar – zehntausende Menschen sollen einmal in Quayside leben und arbeiten können. Das Quartier gilt heute schon als ein Modellprojekt für die digitale Urbanisierung.
So wird etwa beim Gebäudebau Wert darauf gelegt, dass die Immobilien in Modulbauweise entstehen, flexibel als Büro-, Wohn- oder Gewerbeflächen nutzbar sind und jederzeit an die sich verändernden Ansprüche der Bewohner angepasst werden können. Mehr als 30 Prozent der Wohnfläche soll für Einkommensschwache reserviert sein. Die ganze Entwicklung des Quartiers geschieht in engem Kontakt mit der Bevölkerung. Es gibt regelmäßige Bürgertreffen, um die gegenseitigen Erwartungen abzuklären. „Unser ganzes Denken und unsere Entscheidungen drehen sich um die Frage: Wie verhelfen uns die Technologien des 21. Jahrhunderts dazu, etwas Besseres zu schaffen?“, erklärte Rit Aggarwala, Geschäftsführer von Sidewalk Labs, dem Fachmagazin Technology Review.

Roboterautos ersetzen Individualverkehr

Beim Verkehr setzt das Unternehmen auf autonomes Fahren. Neben öffentlichen Verkehrsmitteln sollen Taxibots – selbstfahrende Vehikel, die per Smartphone-App bestellt werden können – den Individualverkehr ersetzen. Die Roboterautos, die bis zu zwölf Sitzplätze haben, errechnen während der Fahrt die beste Route für die verschiedenen Fahrziele der Kunden. Die Quote von Privatautos soll auf diese Weise unter 20 Prozent sinken. Das errechnete Einsparpotenzial pro Jahr und Familie beträgt 6.000 US-Dollar. Der Einsatz von Robotern ist auch für die Müllabfuhr und die Auslieferung von Post und Paketen geplant. Über ein unterirdisches Tunnelsystem sollen alle Gebäude für die Roboter erreichbar sein. Das unterirdische Frachtsystem schafft Platz für Fußgänger und Radfahrer auf Straßen und Gehwegen.

Ein ganzer Stadtteil wird verkabelt

Das Funktionieren einer solchen Smart City basiert auf Vernetzung und Digitalisierung. Der ganze Stadtteil wird daher verkabelt und mit Kameras und Sensoren ausgestattet. Sidewalk Labs will – typisch für Google – möglichst viele Daten sammeln, um die öffentlichen Aktivitäten und die Gewohnheiten der Bewohner präzise zu erfassen. Verkehrsampeln zeichnen den Verkehrsfluss sowie die Bewegungen von Fußgängern und Radfahrern auf. Die selbstfahrenden Taxis reagieren auf diese Daten und können so etwa Verkehrsmassen umfahren. Eine Software erkennt freie Parkplätze und zeigt sie im Navi an. Die Temperatur von Gebäuden kann gemessen und reguliert und Mülleimer vor dem Überquellen bewahrt werden.
Aus den gewonnenen Daten soll zudem ein virtuelles Modell von Quayside entstehen, das Stadt- und Verkehrsplaner nutzen können, um Veränderungen an der Infrastruktur kostengünstig zu simulieren und zu testen. Die Daten sollen Start-ups und andere Firmen in die Lage versetzen, ihrerseits digitale Dienste zu entwickeln. Sidewalk Labs betrachtet die Smart City als eine Art Smartphone und sieht sich selbst als Plattformbetreiber dafür verantwortlich, die Grundwerkzeuge zur Verfügung zu stellen – so wie Google es mit seinem Betriebssystem Android für Smartphones macht. Schätzungen zufolge könnten 80 Prozent der Anwendungen künftig von Drittanbietern stammen.

Bedenken der Bürger ernst nehmen

Das wirft Fragen nach dem Geschäftsmodell von Sidewalk Labs auf. Kanadische Zeitungen und Blogs haben sich vielfach skeptisch darüber geäußert, dass bislang nicht kommuniziert worden ist, wie das Unternehmen seine Investitionen wieder einspielen will. Insbesondere die vielen Sensoren, die im gesamten Quartier installiert werden, haben Befürchtungen geweckt, die Firma wolle mit dem Vermessen der täglichen Interaktionen der Bewohner Geld erzielen. „Welche Daten werden gesammelt, wie persönlich werden sie sein, wie werden sie genutzt und wer soll Zugang zu ihnen erhalten?“, fragt etwa David Roberts, Professor für Stadtplanung an der University of Toronto.
Sidewalk Labs beschwichtigt und verweist darauf, dass die Daten nur zur Lösung konkreter Probleme herangezogen werden sollen. Eine Auswertung zu Werbezwecken sei für dieses Projekt ausgeschlossen. Die Stadt Toronto hat ihrerseits bereits klargestellt, dass sie von Sidewalk Labs erwartet, die Bedenken der Bürger ernst zu nehmen und ihnen zu erklären, was mit den Informationen geschieht und wie sie geschützt werden. Dass die Daten in Kanada verbleiben und gespeichert werden, gilt als gesetzt. Im engen Kontakt mit den Bürgern und zukünftigen Bewohnern des Quartiers bemüht sich das Unternehmen aufzuzeigen, dass Datensammeln notwendig ist, wenn man das urbane Leben der Menschen verbessern möchte. Wenn es gelingt, die Bürger wirklich von dieser Notwendigkeit zu überzeugen, könnte Quayside tatsächlich eine smarte Modellstadt werden. Bis 2020 soll sie fertig sein.

Helmut Merschmann




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