E-PartizipationHören und gehört werden
Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg hat sich Bürgerbeteiligung von Anfang an auf die Fahnen geschrieben und im Regierungsprogramm verankert. Ministerpräsident Winfried Kretschmann spricht in diesem Zusammenhang gerne von einer Politik des Gehörtwerdens als Leitidee. Grundlegende Elemente einer solchen Politik sind das aktive Zuhören und Aufnehmen der Vorschläge sowie mehr Systematik und Verbindlichkeit für Bürgerideen. Hierfür wurde das Amt der Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung geschaffen, die gleichberechtigt mit den Ministern am Kabinettstisch sitzt.
Projekte für mehr Bürgerbeteiligung
Um eine breite Beteiligung zu erreichen, wurden mehrere Projekte entwickelt. Eines ist die Schaffung einer „Allianz für Beteiligung“. Als unabhängiges, selbsttragendes und landesweites Netzwerk soll diese dazu beitragen, das Thema Bürgerbeteiligung und Zivilgesellschaft im Land zu verankern. Das Besondere an der Allianz ist, dass sie wie ein intelligenter Schwarm immer mehr Akteure auf dem Weg zur Bürgergesellschaft mitnehmen und unterstützen soll und zwar weitgehend staatlich unabhängig. Hier engagieren sich Akteure, die das Gemeinwesen über das ehrenamtliche Engagement hinaus erfolgreich gestalten – sei es im Bereich Energiewende, neue Mobilität oder Demografie, Stiftungen, Kommunalverbände, Eigeninitiativen oder Unternehmen. Eine zentrale Frage dabei wird sein, wie zukünftig auch benachteiligte Gruppen und Milieus gesellschaftlich stärker beteiligt werden können. Dazu müssen neue Wege beschritten werden. So führt die Landesregierung regelmäßig Besuche in verschiedenen Kommunen durch, um Einblicke zu bekommen und in einen direkten Dialog treten zu können. Außerdem werden regelmäßig verschiedene Gruppierungen zu Kamingesprächen ins Staatsministerium eingeladen, um zuzuhören und nach Möglichkeiten für mehr Beteiligung zu suchen.
Gesetzliche Hürden abbauen
Wegweisende Vorarbeit beim Thema Beteiligung haben die kommunalen Spitzenverbände wie der Städtetag oder das Themenheft des Gemeindetages mit vielen gelungenen Beispielen geleistet. Das Rad der Beteiligung muss nicht gänzlich neu erfunden werden, es gilt vielmehr, enger zusammenzurücken und klarer zu kommunizieren, was der Einzelne mitbringt.
Die Reformen des Gesetzgebungsprozesses zu direkter Demokratie und anderer demokratischer Rechte sind Dreh- und Angelpunkt, wenn es um die Stärkung der Bürgerbeteiligung geht. Ziel ist es, die Hürden beim Volksbegehren deutlich abzubauen. Neben der Veränderung von gesetzlichen Rahmenbedingungen im Bereich Wahlrecht und direkter Demokratie wird die Landesregierung auch informelle Verfahren ausbauen. Auf kommunaler Ebene liegen diese allerdings ausschließlich in der Verantwortung der Kommunen. Die Landesregierung begrüßt deshalb die intensiven Bemühungen des Landkreis-, Städte- und- Gemeindetages, Bürgerbeteiligung in das Verwaltungshandeln zu integrieren. Es ist geplant, die Gemeindeordnung so zu verändern, dass Bürgerbeteiligungsverfahren einfacher möglich sind.
Landesregierung im Dialog
Begleitend und mit eigenen Initiativen ist die Landesregierung in die Bürgerbeteiligung und den Dialog zu Stuttgart 21 involviert. Die Stabsstelle im Staatsministerium begleitet konstant verschiedene Prozesse rund um das Bahnprojekt. So ist das Land im BürgerFORUM der Stadt Stuttgart vertreten. Des Weiteren werden die Partner des Bahnprojekts Stuttgart 21 die Öffentlichkeit im Rahmen eines Dia-logforums in die weitere Planung auf den Fildern einbeziehen. Der Filder-Dialog soll das formelle Planfeststellungsverfahren unterstützen und Bürgern die Möglichkeit eröffnen, alternative Vorschläge in die bisherige Planung einzubringen.
Hilfestellung für Kommunen
Ein weiterer Schwerpunkt ist der im Koalitionsvertrag formulierte Auftrag zur Erstellung eines Leitfadens für eine neue Planungs- und Beteiligungskultur. Angestrebt wird, den Landesbehörden eine praktische Anleitung für die Durchführung von Beteiligungsverfahren an die Hand zu geben. Im Zentrum der Beteiligung wird ein frühzeitiger Informations- und Meinungsaustausch mit den Bürgern stehen. Mit Verwaltungs- und Beteiligungsexperten sollen dafür geeignete Dialogverfahren vorgeschlagen und gegebenenfalls unabhängige Moderatoren hinzugezogen werden.
Um eine Politik der Bürgerbeteiligung langfristig zu verankern, müssen auch neue Schwerpunkte bei der Aus- und Weiterbildung der Beamten gesetzt werden. Auf Anregung der Stabsstelle entwickelt die BW-Stiftung ein Programm für Beteiligungslotsen in Kommunen. Die Verwaltungsakademien haben in Absprache mit der Stabsstelle begonnen, Weiterbildungen zu Mediation anzubieten. Die Curricula von Führungsakademie und Verwaltungshochschulen sollen in Kooperation mit der Wirtschaft um den Schwerpunkt Bürgerbeteiligung ergänzt werden. Zudem gibt es eine Ausbildung von Moderatoren für Bürgerräte (Vorarlberger Modell) durch die Evangelische Akademie Bad Boll.
Darüber hinaus wurde von der grün-roten Landesregierung ein Kabinettsausschuss für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung einberufen, der als beratendes und vorbereitendes Gremium für Richtlinienfragen zum ressortübergreifenden Austausch und zur Gewährleistung der Koordinierung des Themas dient. Versucht wird auch, über die Grenzen hinaus zu schauen und Baden-Württemberg als international anerkannten Akteur in den Beteiligungsdiskurs einzubringen. So haben sich das Land Baden-Württemberg und der Schweizer Kanton Aargau auf einen verstärkten Austausch zu Fragen der direkten Demokratie und Beteiligung verständigt.
Bürgerbeteiligung via Internet
Die vergangenen Jahre und Ereignisse haben gezeigt, dass auch mehr Transparenz und Beteiligung im Internet erforderlich sind. Das Web ermöglicht eine stärkere Beteiligung der Bürger in Richtung einer Politik des Gehörtwerdens. Um diesen Anspruch umzusetzen, wird eine Online-Bürgerbeteiligungsplattform der Landesregierung entwickelt, die bis Winter 2012 starten soll.
Das Ziel der Transparenz soll durch einen Ausbau der bisherigen Aktivitäten Baden-Württembergs im Bereich E-Government und digitaler Demokratie erreicht werden. In einem umfassenden Informationsfreiheitsgesetz sollen gesetzliche Regelungen geschaffen werden, damit die Bürger unter Beachtung des Datenschutzes grundsätzlich freien Zugang zu den bei den öffentlichen Verwaltungen vorhandenen Informationen haben. Zu diesem Zweck wird die im Sommer 2012 anstehende Evaluation des Bundesinformationsgesetzes ausgewertet, um dann einen baden-württembergischen Ansatz, ein Informationsfreiheitsgesetz der zweiten Generation, zu erarbeiten.
Die Prinzipien Frühzeitigkeit, hohe Transparenz, Offenheit für Alternativen, breite Information und Einbeziehung stummer Gruppen betreffen auch die Zugänglichkeit zu Daten. Ein Open-Data-Portal ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg des Landes zu einer Bürgergesellschaft. Das Innenministerium arbeitet an der Weiterentwicklung der Plattform service-bw. Der Prototyp eines Open-Data-Portals Baden-Württemberg wurde auf der CeBIT freigeschaltet. Die Beteiligungsplattform und der Prototyp, der bereits in vorbildlicher Weise Daten bürgernah zur Verfügung stellt, ergänzen sich dabei.
Dieser Beitrag ist in der Mai-Ausgabe von Kommune21 im Schwerpunkt E-Partizipation erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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