E-AkteIn der Grauzone
Rund 80 Prozent der Behörden, die heute schon mit der E-Akte arbeiten, heften die Originale immer noch ab und verwahren sie in Archiven. Der Grund ist die Unsicherheit, ob die eingescannten Dokumente wirklich rechtssicher sind. Denn nur, wenn die digitale Version Beweiskraft hat, kann die Papierversion endgültig vernichtet werden. Die Verwaltungen sehen sich damit vor die Aufgabe gestellt, selbst entsprechende Abläufe zu entwickeln. Sie bewegen sich damit in einer Grauzone und betreiben eine aufwendige Hybrid-Aktenführung. Statt die Arbeit zu erleichtern, stellt die E-Akte derzeit also eine zusätzliche Belastung dar. Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung kommt so nur schleppend voran. Das E-Government-Gesetz des Bundes spricht in diesem Zusammenhang zwar von einer ordnungsgemäßen elektronischen Aktenführung, legt aber keine Kriterien für den Begriff der Ordnungsmäßigkeit fest und lässt die Umsetzung im Einzelnen offen. Im so genannten Minikommentar zum Gesetz wird hinsichtlich der Kriterien an das ersetzende Scannen beispielhaft auf eine Richtlinie des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), nämlich die TR RESISCAN verwiesen.
Richtlinie geht am Ziel vorbei
Grund genug, sich mit der Richtlinie TR 03138, Technische Richtlinie zum rechtssicheren Scannen (TR RESISCAN 1.0), zu befassen. Sie ist als Leitfaden gedacht, wie Dokumente ordnungsgemäß gescannt werden. 160 Seiten umfasst das Werk, mit vielen Verweisen auf weiterführende Literatur. Schon das deutet an, warum die Richtlinie in der aktuellen Fassung am Ziel vorbeigeht: Sie ist zu umfangreich, zu detailliert, zu komplex, um als Anleitung für die Praxis zu dienen. Es steht zu befürchten, dass sie ihre Anwender überfordert. Dies bestätigt auch das Positionspapier zur TR RESISCAN, das PricewaterhouseCoopers gemeinsam mit der Organisations- und Technologieberatung Zöller & Partner erstellt hat. Die Richtlinie sollte demnach nochmals von Grund auf überarbeitet und verschlankt werden. Das Engagement würde sich lohnen: Denn als praxistauglicher, verlässlicher Leitfaden hätte die TR RESISCAN das Potenzial, die Digitalisierung der Verwaltung entscheidend voranzubringen. Die Kritik an TR RESISCAN bezieht sich vor allem auf die Schutzbedarfsanalyse, nach der jede Art von Dokument vor dem Scannen zunächst einer bestimmten Schutzklasse zuzuordnen ist. In einem aufwendigen Verfahren gilt es, vier verschiedene Datenkategorien zu unterscheiden und die Dokumente auf neun Sicherheitsziele hin zu bewerten. Erst daraus ergibt sich am Ende, wie der Scan-Vorgang im Einzelnen abzulaufen hat. Ob der damit verbundene Arbeitsaufwand einen wirklichen Nutzen bringt, ist allerdings mehr als fraglich. In einem mittelständischen Unternehmen würden allein die Strukturanalyse und die Schutzbedarfsfeststellung mehrere Personenwochen in Anspruch nehmen.
Privatwirtschaft zeigt, wie es geht
Doch die Vorgaben, die TR RESISCAN macht, kosten nicht nur Zeit, sondern auch Geld: Wird der Schutzbedarf eines Dokumententyps als hoch eingestuft, empfiehlt die Richtlinie komplexe Signaturverfahren, die anspruchsvolle Hard- und Software-Lösungen erfordern. Die technischen Anforderungen für das Scannen werden längst nicht von allen gängigen Geräten erfüllt. Auch hier macht die Richtlinie hohe Investitionen für Neuanschaffungen geeigneter Fax-, Multifunktionsgeräte oder Scan-Stationen nötig. Wie es einfacher und alltagstauglicher gehen kann, zeigen dagegen Verfahren aus der Privatwirtschaft. Dort gibt es für die Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten in Unternehmen schon seit Jahren Kriterien für rechtssicheres Scannen, die sich in der Praxis bewährt haben. Seit Anfang des Jahres geben die Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD) Orientierung. Sie ersetzen die Grundsätze ordnungsgemäßer DV-gestützter Buchführungssysteme (GoBS) aus dem Jahr 1995. Einschließlich des Begleitschreibens des Bundesministeriums der Finanzen kommen sie mit nur 17 Seiten aus, um Anwendern die nötigen Informationen für rechtssicheres Scannen an die Hand zu geben. Sie gehen darüber hinaus noch auf die Fragen ein, wie digitale Akten ordnungsgemäß aufbewahrt werden und wer darauf Zugriff hat – Aspekte, die die TR RESISCAN vermissen lässt.
Nutzerperspektive einnehmen
In ihrer jetzigen Form hat die TR RESISCAN aufgrund ihrer Komplexität wohl eher eine demotivierende Wirkung. Es besteht also dringend Nachbesserungsbedarf. Denn die Richtlinie – sollte sie einmal größere Verbindlichkeit erlangen – wird in den Bereichen auf wenig Akzeptanz stoßen, in denen es bereits nutzerfreundliche Regelwerke gibt. Die TR RESISCAN müsste sich als handhabbares, übersichtliches Dokument präsentieren, das sich auf die Nutzerperspektive konzentriert und neben dem Einscannen auch das Verwahren von E-Akten und Fragen des Zugriffs thematisiert. Sie sollte ein grundsätzliches Konzept für die Ordnungsmäßigkeit elektronischer Aktenführung entlang des gesamten Dokumentenlebenszyklus darstellen. In einer praxisorientierten und anwenderfreundlichen Form ist die Richtlinie genau das, was Mitarbeitern in Verwaltungen derzeit fehlt, um das Projekt Digitalisierung Schritt für Schritt vorzubereiten und effizient umzusetzen. Von ihrer Idee her hat die Richtlinie in jedem Fall das Potenzial, die Einführung der E-Akte deutlich voranzubringen. Denn trotz des Aufwands, den jede Umstellung anfangs mit sich bringt, darf nicht vergessen werden: Die elektronische Akte macht die Arbeit in Behörden langfristig effizienter und nachvollziehbarer. Abläufe lassen sich schneller und schlanker gestalten, Recherchezeiten werden reduziert. Öffentliche Verwaltungen können Bürgern mehr Service und neue Formen von Dienstleistungen bieten. Doch erst, wenn der Aktenordner der Vergangenheit angehört, lassen sich die Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet, voll ausschöpfen. In einer überarbeiteten Version könnte die TR RESISCAN einen entscheidenden Beitrag dazu leisten.
http://www.pwc.de
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