Round TableIn die Köpfe kommen
Der Axians Infoma Innovationspreis wurde 2020 zum achten Mal in Folge verliehen. Wie haben sich die eingereichten Projekte in dieser Zeit thematisch verändert?
Jens Weiß: Die Kommunen in Deutschland sind weiterhin intensiv mit der durchgehenden und bruchlosen Digitalisierung ihrer Prozesse beschäftigt. Das ist eine Entwicklung, die Zeit braucht, auch wenn aus externer Sicht eine höhere Geschwindigkeit wünschenswert wäre. Was die Einreichungen zum Wettbewerb angeht, haben sich die Themen in den vergangenen Jahren nicht stark verändert. Es geht aber immer mehr um die umfangreiche Digitalisierung durchgehender Geschäftsprozesse oder ganzer Verwaltungsbereiche. Das ist sehr erfreulich. Schwerpunkte sind die Digitalisierung des Finanzbereichs und die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG).
Holger Schmelzeisen: Unsere Perspektive auf die Entwicklung der eingereichten Projekte sieht etwas anders aus. Die Projekte, die in den ersten Jahren präsentiert wurden, waren darauf angelegt, Verfahren und Module einzuführen, um damit mehr Transparenz zu schaffen. Es waren beispielsweise viele Doppik- und Bauhof-Projekte oder Vorhaben aus dem Bereich Liegenschafts- und Gebäude-Management dabei. Vor vier bis fünf Jahren kam dann durch die Einführung von Rechnungsworkflows die Prozessautomatisierung und -optimierung vermehrt auf den Plan.
Was zeichnet den diesjährigen Wettbewerb und die Gewinner-Kommunen besonders aus?
Weiß: Der diesjährige Gewinner, die Samtgemeinde Neuenhaus in Niedersachsen, hat als kleine Kommune ein überzeugendes Gesamtkonzept zur Digitalisierung umgesetzt. Aus meiner Erfahrung heraus ist es für eine kleine Kommune eine große Herausforderung, ein so umfassendes Konzept umzusetzen. Viele Aspekte und Erfahrungen lassen sich auf andere Kommunen dieser Größenordnung, aber auch deutlich größere Verwaltungen übertragen. Der Stadtbetrieb Grevenbroich in Nordrhein-Westfalen, einer der Finalisten, hat ein Digitalisierungsprojekt im gewerblichen Bereich umgesetzt. Dort können Mitarbeiter beispielsweise auf dem Smartphone die Ergebnisse von Spielplatzinspektionen eintragen. Bei der Kreisstadt Bergheim in Nordrhein-Westfalen fällt insbesondere die innovative Umsetzung der Web-Kasse für das E-Payment auf.
Inwieweit können andere Kommunen von den ausgezeichneten Beispielen profitieren?
Steffen Schanz: Ursprung des Innovationspreises war es, die Kommunen für vorbildliche Arbeit auszuzeichnen. Die Verwaltung hatte früher im Allgemeinen ja eher das Image, ein wenig technologiefeindlich zu sein. Dem wollten wir begegnen und aufzeigen, dass unsere Kommunen kundenorientiert und innovativ sind. Das wollen wir mit dem Innovationspreis prämieren und auch nach außen darstellen. Zudem kann man die Punkte aus dem Innovationspreis verwenden, um anderen Kommunen den Einstieg in innovative Projekte etwas leichter zu machen. Die Gewinner des Innovationspreises bekommen oft große Aufmerksamkeit und werden von Kolleginnen und Kollegen angerufen und gefragt, wie genau sie das gemacht haben, worauf man achten muss und welche Tipps sie für die Einführung geben können. So muss nicht jeder das Rad selbst neu erfinden.
Wie bewerten Sie insgesamt die Entwicklungen in den Kommunen in Richtung eines Smart Government?
Weiß: Smart Government ist einerseits eine Reformvision, andererseits ein Marketing-Begriff für Technologie und Dienstleistungen zur Verwaltungsdigitalisierung. Jenseits von ein paar Leuchtturm-Projekten bleibt es weiterhin so, dass die Digitalisierung in den deutschen Verwaltungen eher sehr nüchterne und schwierige Grundlagenarbeit erfordert. Wenn die internen Prozesse nicht durchgehend digitalisiert sind, kann man kein Unternehmen und keine Verwaltung smart betreiben. Das haben die meisten Verwaltungen in den vergangenen Jahren erkannt. Wenn die internen Prozesse systematisch digitalisiert sind, dann bekommen wir auch gute Leistungen zu den Stakeholdern, also zu den Bürgern und Unternehmen. Das halte ich für smart. Wir können gerne Zukunftskonzepte zur Verwaltungsdigitalisierung aufzeigen, sollten aber nicht vergessen, dass viele Kommunen derzeit überwiegend nach wie vor von Papierprozessen geprägt sind.
Schmelzeisen: Für uns ist das kein reiner Marketing-Begriff. Wir sehen die Digitalisierung als wesentliches Element für Smart Government. Smart wird das Ganze aus Sicht von Axians Infoma erst, wenn man künstliche Intelligenz einbezieht – also das, was die Maschine für uns erledigen kann.
Schanz: Wir verstehen unter Smart Government zudem etwas mehr als die reine Digitalisierung. Es geht um Vernetzung und intelligentes Verwaltungshandeln. Ein Beispiel wäre der Vergleich mit einem Staubsauger: Dieser ist zwar ein schönes Hilfsgerät, aber ich muss immer noch selber saugen. Erst ein smarter Staubsaugerroboter braucht mich nicht mehr, der saugt selbst. Das ist der Unterschied zwischen reiner Digitalisierung und Smart Government.
Mit welchen Projekten haben Sie am Innovationspreis teilgenommen? Was wollten Sie mit der Umsetzung Ihres Projekts erreichen?
Bürgermeister Günter Oldekamp: Die Samtgemeinde Neuenhaus hat rund 14.000 Einwohner. Wir haben fünf Mitgliedsgemeinden und sind eine kreisangehörige Gemeinde der Grafschaft Bentheim. Wir sind bodenständig an die Bewerbung herangetreten und für uns ist es eine besondere Ehre, dass wir den Preis tatsächlich gewonnen haben. Allein an zwei kleinen Beispielen lässt sich der Mehrwert des Unterfangens feststellen. Wir haben den digitalen Rechnungsworkflow vorbildlich entwickelt und auch schon voll integriert. Das hat dazu geführt, dass sich im Laufe der Zeit zwölf bis fünfzehn andere Kommunen das System des Rechnungsworkflows bei uns vor Ort angesehen haben. Wir arbeiten außerdem gut mit dem System Infoma newsystem, das hier in der Kämmerei auch weiterentwickelt worden ist. Auf Dauer planen wir, uns als Bürgerportal zu öffnen – Stichwort OpenR@thaus. Hier gibt es gemeinsame Pläne mit dem Landkreis Grafschaft Bentheim.
Jacqueline Ewert (Neuenhaus): Wir haben uns mit dem Projekt Digitaler Rechnungsworkflow beim Innovationswettbewerb beworben. Mit diesem arbeiten wir seit vier Jahren. Die Umsetzungsphase dafür dauerte eine Weile, da wir uns eine ganzheitliche Strategie überlegt hatten. Da ging es beispielsweise darum, zu klären, wen wir beteiligen müssen und wie genau wir das Unterfangen hier im Haus umsetzen. Wichtig war, dass die Verwaltungsspitze hinter dem Vorhaben steht, da es dabei ja auch um eine Umstrukturierung hier im Rathaus ging. Zeitgleich haben wir den E-Rechnungsmanager und die zentrale Adressverwaltung eingeführt. Unser neuestes Projekt ist das eben erwähnte Bürgerportal OpenR@thaus, das im August 2020 gestartet ist. Hier haben wir die Fachverfahren direkt hinzugezogen, die Anbindung an die Standesamtssoftware Autista sowie die Erweiterung mit der Schnittstelle OR-Finanz. So können Bürger ihre Steuerbescheide über das Bürgerportal abrufen.
Michael Wübben (Neuenhaus): Als wir uns anfangs entschieden haben, den Rechnungsworkflow einzuführen, mussten wir erst einmal klären, was uns dieser interne Prozess überhaupt bringt. Wir hatten im Vorfeld insbesondere bei der Rechnungsbearbeitung festgestellt, dass man lange Liegezeiten in Kauf nehmen muss, wenn die Rechnungen klassisch in Papierform bearbeitet und durch das Haus geschickt werden. Gleichzeitig gab es immer wieder Doppeleingaben und doppelte Bearbeitungsprozesse, die uns gestört haben. Mit dem elektronischen Rechnungsworkflow hat jeder Mitarbeiter nur die Rechnungen vorliegen, die ihn auch betreffen. Die eingegebenen Daten werden für weitere Prozessschritte vorgehalten. Das schafft Motivation, vereinfacht die Arbeit und sorgt für Schnelligkeit und Transparenz.
Birgit Ritz: Wir in der Kreisstadt Bergheim haben die Einführung der Web-Kasse als Projekt beim Wettbewerb um den Innovationspreis eingereicht. Nachdem wir schon seit fünf Jahren mit dem digitalen Rechnungsworkflow arbeiten, wollten wir weitere Bereiche mit einer manuellen Zahlungsabwicklung optimieren. Unsere Idee war, dass wir dazu auch die Finanz-Software Infoma newsystem nutzen, um so mit einem geschlossenen System arbeiten zu können.
Die Web-Kasse bietet die Möglichkeit, Gebühren online zu bezahlen?
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Ritz: Die Web-Kasse ist vor allem im Bereich Einwohnermeldeamt im Einsatz, um beispielsweise das Passwesen abzuwickeln – also überall dort, wo die Bürger im Hause Zahlungen über EC-Cash-Geräte zu leisten haben. Die direkte Abwicklung über die Web-Kasse ist im Prinzip das Zahlungsmodul, über das die Mittel dann auch direkt wieder in unser Finanz-Management-System Infoma newsystem gebucht werden können.
Carina Steinert (Bergheim): Ich möchte noch ergänzen und veranschaulichen: Jeder hat schon einmal bei Amazon oder einem vergleichbaren Online-Anbieter eingekauft. Dort hat man die Möglichkeit, nach einem Artikel zu suchen, diesen in einen Warenkorb zu legen und dann auch die Zahlungsmethode auszuwählen, die man gerne nutzen möchte. Genau das machen unsere Mitarbeiter im Endeffekt für den Bürger, das heißt beispielsweise im Einwohnermeldeamt: Der Bürger sagt, heute möchte ich bei der Stadt Bergheim einen Personalausweis und ein Führungszeugnis beantragen, dann können die Mitarbeiter das in den Warenkorb legen und den Bürger fragen, wie er bezahlen möchte. Da haben wir aktuell die Möglichkeiten Bargeld, Scheckzahlung oder Girocard-Zahlung anzubieten. Unter diesen kann der Bürger dann auswählen und so wird der komplette Zahlungsvorgang abgeschlossen.
Mit welchem Projekt haben die Stadtbetriebe Grevenbroich teilgenommen?
Monika Stirken-Hohmann: Die Stadtbetriebe Grevenbroich AöR (SBG) gibt es erst seit Anfang 2018. Wir haben eine frühere GmbH von der Organisationsform her geändert und Teile der Verwaltung zusätzlich mit in die SBG genommen, nämlich die Bereiche Grün, Straßen, Facility Management und Hochbau. Die Software Infoma newsystem für Kommunale Betriebe haben wir mit der Gründung eingeführt. Denn wir wollten bei der Neuorganisation gleich damit anfangen, Strukturen der Leistungserfassung zu ändern. Spielplatzkontrollen, Straßenschäden aufnehmen – das zählt zu den Bereichen, die früher wirklich reine Zettelwirtschaft waren. Zudem fehlt die Gelegenheit, belastbare Daten aus diesem Zettelwust herauszuziehen. Uns ging es insbesondere darum, Transparenz bei der Leistungserbringung zu schaffen. Wir haben auch schon sehr früh das Liegenschafts- und Gebäude-Management bei uns eingeführt. Auch im Bereich Hochbau und Facility Management entwickeln wir uns entsprechend weiter und das passt sehr gut zum Modul Kommunale Betriebe.
Welche Herausforderungen gab es bei der Umsetzung der Projekte?
Florian Herpel (Grevenbroich): Die Aufgabe, vor der wir standen war, ein wirtschaftlich privat aufgestelltes Unternehmen und Teile der ursprünglichen Kernverwaltung in einem Betrieb zusammenzuführen. Dabei wurde sehr schnell klar, dass es auch Handlungsbedarf bei den Arbeitsabläufen gibt. Wir wollten die Arbeitserfolge transparent machen und Arbeitsergebnisse sicherstellen – gerade bei haftungsrechtlichen Fragen ein immer relevanterer Aspekt. Zudem ist es wichtig, standortunabhängig einen allgemeinen Zugriff auf die Daten zu haben. Und natürlich geht es darum, Schnittstellen entsprechend zu verbessern. Von den Stadtbetrieben aus in eine Personalverwaltung aber eben auch Dritten gegenüber – sei es dem Rat, der Bürgerschaft oder den Beteiligten aus der übrigen Verwaltung gegenüber.
Wübben (Neuenhaus): Die größten Herausforderungen lagen für uns in der Organisation. In der Verwaltung haben wir über die Jahre bewährte Arbeitsabläufe geschaffen, welche die Mitarbeiter verinnerlicht haben. Wenn man neue Systeme einführt, werden diese Routinen durchbrochen. Deshalb müssen Prozesse evaluiert und an die neue Technik angepasst werden. Dabei ist das Wichtigste, die Mitarbeiter abzuholen und rechtzeitig zu informieren. Zudem gilt es, die Vorteile für die Bürger und die Belegschaft in den Vordergrund zu rücken.
Wie haben Sie die Projekte organisatorisch umgesetzt?
Oldekamp (Neuenhaus): Wir arbeiten eng mit unserem IT-Dienstleister ITEBO aus Osnabrück zusammen, der uns bei den wesentlichen Prozessen unterstützt. Die Digitalisierung ist bei uns im Bereich Zentrale Dienste angesiedelt, auch die Fachabteilung Finanzen ist eng eingebunden. Was mich immer gefreut hat ist, dass der Anstoß für das Projekt aus der Belegschaft kam und nicht von oben angeordnet war. Die Einführung von Rechnungsworkflow, E-Rechnungsmanager, die Weiterentwicklung von Infoma newsystem – das ist aus den Reihen der Mitarbeiter entstanden und ich bin überzeugt, dass wir uns damit auf den richtigen Weg begeben.
Steinert (Bergheim): Wir haben in der Verwaltung den Bereich Organisation und IT, der solche Projekte dauerhaft begleitet und als Koordinationsstelle in Kontakt mit den einzelnen Fachabteilungen, den anderen Projektteilnehmern und unserem Rechenzentrum steht. Das Rechenzentrum hat uns bei diesem Projekt viel unterstützt, unter anderem mit zusätzlichen Arbeitskräften bei der Einrichtung.
Herpel (Grevenbroich): Bei uns lief das im Grunde vergleichbar zu dem, was die Kollegen beschrieben haben. Es handelt sich im Prinzip um eine Operation am offenen Herzen. Wir konnten also nicht auf der grünen Wiese anfangen, alles bis ins letzte Detail planen, um dann den Startschuss zu geben. Stattdessen fand die Umwandlung im laufenden Betrieb statt. Insofern kommt es vor allem darauf an, an einer Stelle die Projektkoordination zu haben. Bei uns hat das der Kollege Pascal Ramrath übernommen. Seine Hauptaufgabe ist es, die verschiedenen Beteiligten zueinander zu bringen und dafür zu sorgen, dass die dort anfallenden Aufgaben auch erledigt werden.
Was sind aus Ihrer Sicht die Erfolgsfaktoren für Ihre Projekte?
Ewert (Neuenhaus): Ein Erfolgsfaktor ist, dass man alle Mitarbeiter der Verwaltung mitnimmt und jeden auf seinem jeweiligen Wissensstand abholt. Wichtig ist auch, dass die Verwaltungsspitze vorangeht und das Projekt unterstützt. Ausschlaggebend ist zudem, dass man als Projektgruppe auch im Anschluss an das Projekt offene Ohren für Fehler oder Probleme aufseiten der Mitarbeiter hat.
Steinert (Bergheim): Das eine ist natürlich, dass die Kollegen Unterstützung benötigen. Dazu gehört, dass die Kollegen bereit sind, zu testen – das heißt, sie sollten sich idealerweise bereits im Vorfeld mit der Software vertraut machen und sich bei Problemen und Fragen sofort an uns wenden. Das gab uns in Bergheim die Möglichkeit, Probleme direkt zeitnah anzusprechen und zu lösen. Gut war auch, dass wir dafür die Unterstützung unseres Rechenzentrums hatten, sonst wäre das Unterfangen so gar nicht möglich gewesen. Ein weiterer wesentlicher Faktor war der Einsatz unserer Stadtkasse. Der Leiter und stellvertretende Leiter haben sehr viel Zeit investiert, viel mit uns gesprochen, ausprobiert und so geklärt, was sie noch bräuchten und was sie weiterbringen könnte.
Stirken-Hohmann (Grevenbroich): Bei der Veränderung, die wir eingeführt haben, ist eine hohe Akzeptanz sehr wichtig. Es kommt etwas vollkommen Neues auf die Mitarbeiter zu. Die Unterstützung, welche die Mitarbeiter dabei gebraucht haben, hat Herr Ramrath wirklich in guter Weise geleistet. Bei der Kommunikation mit den Meistern und den Beschäftigten in den einzelnen Kolonnen war viel Geduld nötig, um das System letztendlich auch in den Köpfen zu installieren.
Welche weiteren Pläne die Finalisten des Axians Infoma Innovationspreises verfolgen, lesen Sie im zweiten Teil des Round-Table-Gesprächs in der Februar-Ausgabe von Kommune21.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Januar 2021 von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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