WebGIS 2.0Karten neu gemischt
Was könnte den Wandel hin zum Digitalen besser dokumentieren als das Angebot des Westermann Verlages im Internet? Diercke WebGIS. Der Name Diercke steht seit 1883 für den Schul- und Weltatlas, der viele Generationen von Schülerinnen und Schülern begleitet hat und oftmals bis zum Lebensende als das einzig nennenswerte kartografische Erzeugnis das heimische Bücherregal zierte. Nun mutieren Länder-, Bevölkerungs-, Klima- und Wirtschaftskarten im Internet zum WebGIS, und in wenigen Jahren hat sich vollzogen, was Generationen von Kartografen, Geodäten und Geografen sich nie hätten träumen lassen: Die Karte wird in Zeiten von Web 2.0, GPS und Geocaching zum massenhaft genutzten und interaktiven elektronischen Informations- und Orientierungsmedium.
Benutzerfreundlichkeit von GIS gering
WebGIS steht vereinfacht für die Bereitstellung raumbezogener Informationen im Internet und deren interaktive Nutzungsmöglichkeit über Browser. GIS im ursprünglichen Sinn, also rechnergestützte Geo-Informationssysteme, sind schon seit den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Einsatz und selten über die Nutzung im Rahmen von Fachinformationssystemen hinausgekommen. Bund, Länder und Kommunen haben dennoch in den vergangenen Jahren weder Geld noch Aufwand gescheut, GIS- oder Geoportale über das Internet anzubieten. In der Regel sind dies völlig eigenständige Auftritte der Vermessungsverwaltungen, die primär das Leistungsspektrum der publizierenden Organisation widerspiegeln sollen und sich weniger am Bedarf einer breiten Öffentlichkeit orientieren. Die Anwendungen sind oft wenig intuitiv in der Bedienung, vor der Erstnutzung ist häufig die Installation von Zusatzprogrammen erforderlich, grafisch und kartografisch lassen sie durchaus Spielraum für Verbesserungen.
Daran werden auch GDI-DE (Geodaten-Infrastruktur Deutschland) und INSPIRE (Infrastructure for Spatial Information in Europe) so schnell nichts ändern. GDI-DE und INSPIRE haben das Ziel, die grenzübergreifende Nutzung von Geodaten in Europa zu erleichtern und eine Geodaten-Infrastruktur in der Europäischen Union für die Zwecke der gemeinschaftlichen Umweltpolitik zu schaffen. Doch müssen für eine konvergente Nutzung in einem Informationssystem zu viele Merkmale von Geodaten in Übereinstimmung gebracht werden. Solange es EU-weit keine Übereinstimmung in Bezeichnung, Erhebung, Bewertung und Darstellung umweltrelevanter Geo-Informationen gibt, bleibt die Absicht, Geodaten aus verschiedenen Quellen aus der gesamten Staatengemeinschaft kohärent zu verknüpfen und darauf aufbauend interoperable Geodatendienste bereitzustellen, mit Sicherheit für lange Zeit eher Wunsch als realistisches Ziel.
Online-Stadtpläne beliebt
Hoher Zugriffszahlen erfreuten sich dagegen schon immer die Online-Stadtpläne. Diese Karten waren einst so individuell wie die Städte selbst, die Qualität und Bedienbarkeit höchst unterschiedlich. Zwei Entwicklungen haben den Umgang mit Karten in kürzester Zeit nachhaltig verändert: der weltweite Siegeszug von Google Maps und der Einsatz von GPS zur Lokalisierung raumbezogener Daten, Informationen und Objekte. Viele Städte haben inzwischen eigene Lösungen oder diejenigen kommerzieller Anbieter durch Google Maps abgelöst. Dabei lässt die Qualität der Karten selbst durchaus Wünsche offen. Außerhalb von Großstädten und im großmaßstäblichen Bereich reduziert sich die Karteninformation nicht selten auf graue Flächen. Hier bieten Vermessungsverwaltungen für ihren Arbeitsbereich oft wesentlich differenziertere und geometrisch exaktere Karten – sofern sie denn frei im Web zugänglich sind.
Location Based Services, Mehrwertdienste mit Ortsbezug, lassen insbesondere mit dem Aufkommen GPS-fähiger Smartphones ein völlig neues Nutzungsspektrum zu. Diente der Stadtplan in erster Linie der Orientierung in einer Stadt, können nun erweiterte Informationen über Einrichtungen und Objekte in der unmittelbaren Nähe des Nutzers abgerufen werden. Mit dem koordinatengenauen Wissen um die eigene Position und sein unmittelbares Umfeld kann allerdings die Information über den geografischen Raum schon mal verloren gehen. Die Orientierung wird durch die Navigation von A nach B abgelöst.
Verändertes Nutzungsverhalten
Der kleine Zusatz 2.0 markiert einen weiteren Quantensprung. Web 2.0 steht nicht für eine neue technologische Entwicklung, sondern für ein verändertes Nutzungsverhalten. Mit Web 2.0 verbinden sich Begriffe wie Mitmach-Internet (user generated content) und Social Media. Übertragen auf WebGIS 2.0 heißt dies, dass es die klare Trennung von Nutzern und Anbietern von Karten und darauf basierenden thematischen Inhalten nicht mehr gibt, sondern die Nutzer die Karten selbst produzieren, wie zum Beispiel bei OpenStreetMap, oder diese Karten mit eigenen Inhalten anreichern. Dies können Fotos oder Live-Cams sein, die mit dem Ort ihrer Aufnahme verknüpft sind, Lokalitäten und Sehenswürdigkeiten, die bewertet und kommentiert werden, persönliche Laufstrecken, die von Vorlieben und Leistungsfähigkeit künden sollen, Hinweise auf Schäden und örtliche Probleme, so genannte Unortkataster, akustische Aufnahmen von Lärmquellen, etwa im Schienenbereich von Stadtbahnen, oder die Zuordnung von Wikipedia-Artikeln zu Orten und Objekten. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Diese Kombination unterschiedlicher Inhalte und Medien wie Text, Bilder, Töne oder Videos wird als Mashup (vom Englischen to mash für vermischen) bezeichnet.
Offen für neue Ideen und Inhalte
Mit der Geo-Referenzierung dieser Inhalte und durch den Medienmix erhält man weit mehr als nur einen Stadtplan. Kartografisch betrachtet steht der Begriff Mashup in diesem Zusammenhang für eine neue Form so genannter thematischer Karten. Auf einer Basiskarte – meist Google Maps – werden Themen aus den verschiedensten Lebensbereichen dargestellt. Während Legende, Maßstab und Zeichenvorschriften, kartografische Gestaltungsregeln und ein ausgewogenes Kartenbild die Lesbarkeit und das Verständnis der analogen Karten gewährleisten sollten, ist dafür in Zeiten nutzergenerierter Inhalte auf den Mobilgeräten kein Platz mehr und die Gewöhnung ersetzt den Lernprozess und erhöht die Akzeptanz.
Wollen öffentliche Verwaltungen die Nutzer für ihre Kartenprodukte gewinnen, müssen sie ihre Stärken dort ausspielen, wo sie Google Maps & Co. überlegen sind: in der Genauigkeit und Detaildichte insbesondere großmaßstäbiger Karten und den frei von kommerziellen Absichten bereitgestellten Kartengrundlagen und -inhalten. Aber diese müssen auch kostenfrei nutzbar, leicht zugänglich und einfach bedienbar sein. Und sie müssen vor allem die Bedarfe einer breiten Nutzerschaft abdecken und offen für neue Ideen und Inhalte sein. Wenn sich dann amtliche Karten mit von Bürgern eingestellten Inhalten zu Mashups verbinden, eröffnen sich vielleicht ganz neue Formen von WebGIS-2.0-Anwendungen.
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