DO.IT StuttgartKatalysator für Digitalisierung
Herr Bönig, seit Anfang Juli sind Sie Leiter des neuen Amts für Digitalisierung, Organisation und IT der Landeshauptstadt Stuttgart. Das Amt wird erst aufgebaut. Welche Strukturen wurden bereits geschaffen und was ist noch geplant?
Mitte April wurde das neue Amt gegründet, jetzt steht die Startkonfiguration. Hauptziel ist es, die Digitalisierung in der gesamten Stadt voranzubringen und dafür sind wir der Katalysator. Ich will das Amt digitaler und moderner aufstellen und zum Beispiel die Hierarchien abflachen. Wir werden uns mehr in Communities organisieren, verstärkt agil arbeiten und auch digital besser kommunizieren sowie die Team-Bildung voranbringen.
Wie wird das Amt agieren?
Unsere Kunden sind Ämter und Eigenbetriebe der Stadt Stuttgart. Sie bringen ihr Know-how bei uns ein und sagen beispielsweise, welche Prozesse priorisiert digitalisiert werden sollen. Ziel ist es, eine Art Generalunternehmer für Digitalisierungsprojekte zu werden. Wir liefern aus dem Amt DO.IT Beratung, Konzeption, Technik und die gesamte Implementierung, am besten mit Erfolgsgarantie. Dabei ist klar, dass wir nicht alles selbst machen können. Die jetzigen Dienstleister wie etwa Netze BW und Komm.ONE werden eingebunden und es wird auch externe Beratung nötig sein. Im Kunden-Management schaffen wir einen Single Point of Contact, um alle Dienstleistungen zu optimieren.
Sie waren zuvor Chief Digital Officer (CDO) in München. Was hat Sie nach Stuttgart gezogen?
Die Aufgabe als CDO in München hatte den Reiz, dass ich eine ganze Stadt in dieser Größenordnung digitalisieren durfte. Das war beruflich eine große Chance. Allerdings hat sich die Politik in München jetzt dafür entschieden, stärker auf Open Source Software zu setzen. Nun bin ich weder für oder gegen Open Source, aber es gibt Bereiche, in denen es nicht zielführend ist. Wenn Digitalisierung von einer politischen Ideologie dominiert wird und nicht das beste Ergebnis wichtig ist, sondern das Werkzeug, dann kann man nicht erfolgreich sein. Für mich war damit absehbar, dass ich meine beruflichen Ziele nicht mehr erreichen kann.
In der Stuttgarter Stellenausschreibung hieß es, der Amtsleiter soll langfristig die digitale Transformation vorantreiben und die Stadt zukunftsfähig machen. Wie wollen Sie für den nötigen Push-Effekt sorgen?
Das neue Amt wird eine serviceorientierte Organisation sein. Leistungen werden kontinuierlich optimiert, damit die Ämter ihre Dienstleistungen gegenüber den Bürgern und der Wirtschaft besser erbringen können. Das ist unsere Mission, vor allem nach außen wirken und nicht nur nach innen. Natürlich werden wir Prozesse streichen, verschlanken, neu gestalten und Schnittstellen reduzieren. Hier sind auch die Fachbereiche gefordert. Und wir etablieren einen Stab, der die digitale Transformation der Landeshauptstadt Stuttgart eng begleitet. Alle Informationen wie Finanzlage, Stand der Projekte oder Ressourcenauslastung werden hier gebündelt. Damit schaffen wir Transparenz gegenüber der Verwaltungsspitze, dem Gemeinderat und allen anderen Ämtern. Ich setze darauf, dass so bessere Entscheidungen getroffen werden können.
Wie würden Sie aktuell den Digitalisierungsstand in der Stadt Stuttgart beschreiben?
Wie in anderen Kommunen auch gibt es noch Lücken. Gerade an neuralgischen Punkten fehlen digitale Angebote. Die Verwaltung ist auch in diesem Bereich abhängig von Rechtsvorschriften, Formalien und Gesetzen, was dazu führt, dass alles länger dauert als in der Wirtschaft. DO.IT wird anstreben, dass wir in Stuttgart schneller vorankommen mit der Digitalisierung.
„Echte digitale Services bringen Vorteile für die Bürgerinnen und Bürger und nicht nur für das Amt.“
Eigentlich sollte das Onlinezugangsgesetz (OZG) flächendeckend für Online-Services sorgen und die Digitalisierung in den Kommunen beschleunigen. Davon ist wenig zu sehen. Wo liegen die Gründe aus Ihrer Sicht?
Das Onlinezugangsgesetz ist eine Sackgasse für Deutschland. Man muss ehrlich sein: Wir sind bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung inzwischen ein drittklassiges Land im weltweiten Vergleich. Das OZG führt dazu, dass nur Online-Services geschaffen werden, nicht digitale Angebote. Das heißt, auf bestehende Anwendungen wird mehr oder weniger eine Online-Maske gesetzt und dann weiter mit PDFs gearbeitet. Auch der angekündigte OZG-Booster wird daran nichts ändern. Es ergibt keinen Sinn, in einer Sackgasse noch mehr Gas zu geben.
Es heißt aber, das OZG habe für einen Schub bei der Digitalisierung gesorgt.
Ja, das OZG ist ein Schritt nach vorne, aber auch in die falsche Richtung. Die strategische Ausrichtung halte ich bisher für eine Fehlentscheidung. Die Bürgerinnen und Bürger werden nicht davon profitieren, wenn die Online-Services sie zu Sachbearbeitenden machen. Zudem muss der Vor-Ort-Service aufrechterhalten werden, es wird also weiter konventionell gearbeitet. Dass es zu relevanten Entlastungen der Verwaltung kommt, kann ich mir nicht vorstellen. Und es stellt sich die Frage, ob die Services auch Akzeptanz finden. Wenn etwas zu kompliziert ist, wird es heutzutage nicht genutzt. Für die OZG-Umsetzung werden enorme Ressourcen aufgewendet für Dienste, die hinterher kaum angenommen werden.
Was ist also zu tun?
Die Kommunen wollen ihre Verwaltungen digitalisieren, aber sie brauchen Begleitung. Insbesondere kleinere Gemeinden verfügen nicht über die Mittel von Landeshauptstädten. Nötig wäre zum Beispiel eine Agentur, die für kleinere Kommunen die Digitalisierung übernimmt, sie berät und fertige Lösungen anbietet. So könnten digitale Services entstehen, die auf bürgerzentrierten Prozessen basieren. Bei einem Umzug sollte man als Bürger einfach angeben können, ich ziehe nach Stuttgart, die Daten kommen aus München, wenn noch etwas benötigt wird, bitte melden. Dazu registriere ich mich als Bürger mit meiner digitalen ID auf einer Plattform und kann hier alle Verwaltungsangelegenheiten einfach und direkt regeln.
Bei der digitalen Transformation ist jetzt viel von einem Kulturwandel die Rede. Was heißt das konkret?
Kulturwandel in der Verwaltung bedeutet vor allem weniger Bürokratie und Hierarchien. Organisationsformen müssen überdacht und Fachkarrieren sollten ermöglicht werden. Kulturwandel heißt auch, dass jede neue Leistung, jeder neue Prozess Digital First umgesetzt wird und die Verwaltung bürgerzentriert denkt. Die kommunalen Geschäftsprozesse müssen als echte digitale Services Vorteile für die Bürgerinnen und Bürger bringen und nicht nur für das Amt.
Wie wollen Sie die Mitarbeitenden der Stadt Stuttgart motivieren, die Digitalisierung umzusetzen?
Wir werden den Kulturwandel im eigenen Amt umsetzen und Vorbild sein. Menschen haben schon immer Gemeinschaften gebildet, um große Ziele zu erreichen. Wir müssen im gesamten Amt ein Team werden und auch alle an einem Strang ziehen. Wenn jeder für sich agiert, wird es wohl bleiben, wie es war.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe September 2022 von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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