GesetzgebungKein Recht auf analog
Während allenthalben von der Digitalisierung die Rede ist und ihr Vorankommen wortreich beschworen wird, geht es auf den Bürgerämtern meist noch sehr analog zu. Das soll sich bekanntlich ändern, braucht nur viel Zeit. Auf der Ebene von Bedeutung und Konnotation hat das Digitale längst die Nase vorn. Es steht für Modernität, Transformation, Transparenz, und es verbinden sich damit mehr Komfort für die Bürgerinnen und Bürger, mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit. Das Analoge hingegen ist zum Synonym für Rückständigkeit geworden, und Schlagzeilen wie „Deutsche Behörden im Analogzeitalter“ sind kaum positiv gemeint. Noch im Jahr 2017 stellte Altkanzlerin Angela Merkel fest: „Wir sind bei der Frage des E-Government in Deutschland doch eher ein Entwicklungsland.“
Interessanterweise ist hierzulande die Gesetzgebung im Kontext der Staats- und Verwaltungsmodernisierung der digitalen Entwicklung stets voraus. In Wirtschaft und Gesellschaft verhalten sich die Dinge ja oft umgekehrt. Modernisierungsprojekte wie BundOnline 2005, die E-Government-Gesetze von Bund und Ländern oder das Onlinezugangsgesetz (OZG) von 2017 haben der Digitalisierung Vorschub geleistet, sodass das Analogzeitalter auch juristisch seinem Ende entgegensieht. Gibt es noch ein „Recht auf analog“? Diese Frage hat sich Jonas Botta gestellt, Referent am Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung in Speyer.
Recht auf analog schwindet
„Ein ‚Recht auf analog‘ schwindet in dem Maße, wie die Verbreitung von IT-Kompetenz und technischem Zugang zunimmt. Vor 20 Jahren haben Verfassungsrechtler aus den Zugangshürden der damals neuen Kommunikationstechnologien ein Recht auf analoge Verwaltung abgeleitet“, erläutert Jonas Botta. „Jetzt gibt es aber nur noch eine ganz kleine Minderheit in Deutschland, die nicht teilhaben kann. Auch für sie muss es Wege geben, mit der Verwaltung in Kontakt zu treten, und muss sich der Staat verantwortlich fühlen. Aber in erster Linie muss er an die Mehrheit denken, die digital gut ausgestattet und kompetent ist und mit der digitalen Verwaltung umgehen kann.“
Laut ARD/ZDF-Online-Studie aus dem Jahr 2021 nutzen fast 67 Millionen Menschen das Internet – 100 Prozent der unter 50-Jährigen, 95 Prozent der Gruppe zwischen 50 und 69 Jahren und 77 Prozent der ab 70-Jährigen. Der Zuspruch beim E-Government sieht zwar nicht ganz so erfolgreich aus und stagniert bei etwa 50 Prozent. Das jedoch soll an den wenigen vorhandenen digitalen Angeboten liegen. Gleichwohl leitet die Legislative daraus die Aufgabe ab, der Digitalisierung weiter auf die Sprünge zu helfen.
Das „Gesetz über die Digitalisierung im Freistaat Bayern“ vom 22. Juli 2022 geht schon von der Vorrangigkeit des Digitalen aus und handelt nach dem Prinzip Digital First: Digitale Verwaltungsleistungen sollen zum Regelfall in Bayern werden. „Wenn Bürger nicht darauf beharren, sich analog an die Verwaltung wenden zu wollen, dann arbeitet die Verwaltung nunmehr digital. Das ist schon ein deutlicher Unterschied zum OZG und den alten E-Government-Gesetzen, die noch an der Gleichrangigkeit von analogen und digitalen Verwaltungszugängen festgehalten haben“, sagt Jonas Botta. Allerdings sieht das bayerische Digitalgesetz in Artikel 12 weiterhin die Möglichkeit vor, Verwaltungsverfahren auch nicht-digital zu erledigen. „Das hätte man aus meiner Sicht auch mit Härtefallklauseln regeln können für diejenigen, die sich etwa aus Barrieregründen oder aus finanziellen Gründen nicht digital an die Verwaltung wenden können.“
Festhalten am Multikanalprinzip
Offenbar hat man sich das noch nicht getraut und hält am Multikanalprinzip fest. Doch wie lange lassen sich solche teuren Doppelstrukturen noch aufrechterhalten? Einerseits immer mehr digitale, von zu Hause abrufbare Services, andererseits die Möglichkeit, alles auch auf dem Amt zu erledigen. Während der Corona-Pandemie hatte ein freischaffender Künstler in Bayern gegen die Künstlerförderung geklagt und sich darauf berufen, mangels technischen Zugangs die Soforthilfen nicht beantragt haben zu können und daher „digital diskriminiert“ worden zu sein. Die Gerichte wollten dem nicht folgen. Ihr Argument: Internet hat man zu haben. Angesichts der Zahlen von ARD und ZDF, die feststellen, dass immerhin noch 23 Prozent der über 70-Jährigen offline sind, könnte die Annahme der bayerischen Gerichtsbarkeit etwas überfortschrittlich erscheinen, sie war aber auch nur auf den konkreten Fall bezogen.
Die Richtung, in die ein solches Urteil weist, ist jedoch unverkennbar. Erst im Mai dieses Jahres hat die Bundesregierung ein „Recht auf schnelles Internet“ erlassen, das die digitale Teilhabe für alle sicherstellen soll. Im Verwaltungsverfahrensgesetz sind längst automatisierte Verwaltungsakte vorgesehen, „solange weder ein Ermessen noch ein Beurteilungsspielraum besteht“. Das Registermodernisierungsgesetz geht noch einen Schritt weiter und zielt auf die Verwirklichung des Once-Only-Prinzips. Das würde tatsächlich eine Automatisierung und Beschleunigung von Verwaltungsvorgängen bedeuten, ist unter Verfassungsrechtlern wegen der Identifikationsnummer allerdings umstritten. Fest steht: Von Digital First zu Digital Only ist es nicht mehr sehr weit, und das derzeit in Vorbereitung befindliche Folgegesetz des OZG wird sich sicherlich zumindest auf die eine Seite schlagen.
Von Digital First zu Digital Only
„Wenn es inzwischen bereits Digital First heißt und mittelfristig Digital Only, so stellt sich die Frage, inwieweit der digitalen Verwaltungstransformation grundrechtliche Grenzen gesetzt sind“, gibt Jonas Botta zu bedenken und plädiert für eine rasche Klärung. „Das Grundgesetz und die Landesverfassungen sehen kein absolutes Abwehrrecht gegen eine digitale Verwaltung vor. Doch verpflichten der Allgemeine Gleichheitsgrundsatz und das Rechtsstaatsprinzip den Staat dazu, auch digital abgehängten Bürgern effektive Verwaltungszugänge zu ermöglichen, beispielsweise durch digitale Service-Terminals in den Bürgerämtern.“
Ob künftig physische Bürgerämter noch in dem Maße nötig sind, wie wir es heute kennen, und unterhalten werden können oder ob Service-Terminals vielleicht auch in Supermärkten zur Verfügung stehen, wird sich erweisen. Durch die allmähliche Abkehr vom Analogzeitalter stehen der Verwaltung und ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen jedenfalls grundsätzliche Veränderungen bevor: Weniger Interaktion und Bürgernähe einerseits, wenn sich Massenverfahren wie die Kfz-Zulassung voll digitalisieren lassen, mehr Zeit für digitale Daseinsvorsorge andererseits. Das Recht ist bereits auf dem Weg dorthin.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Oktober 2022 von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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