Samstag, 23. November 2024

InterviewKI ist kein Selbstzweck

[25.02.2019] Das Thema KI muss bei der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen bereits mitgedacht und dabei insbesondere das Rechtsstaatsgebot beachtet werden, meint Christian Pfromm, Chief Digital Officer (CDO) der Freien und Hansestadt Hamburg im Kommune21-Interview.
Hamburg-CDO Christian Pfromm

Hamburg-CDO Christian Pfromm

(Bildquelle: Bina Engel)

Herr Pfromm, der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg hat eine Strategie für eine Digitale Stadt entwickelt. Welche Schwerpunkte setzt diese?

Grundaussage der Strategie aus dem Jahr 2015 ist, dass Hamburg die Chancen des technologischen Fortschritts zur Steigerung von Lebensqualität und Wirtschaftskraft nutzen und aktiv gestalten möchte. Hamburgs erste umfassende Digitalstrategie hatte den Anspruch, die Digitalisierung aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in den Blick zu nehmen. Bei den Vorhaben unseres Amts für IT und Digitalisierung liegt der Fokus also nicht allein auf der Digitalisierung der Verwaltung, vielmehr muss die Stadt diese Entwicklung in allen Lebensbereichen begleiten. Greifbar wird dies etwa an der Strategie zu Intelligenten Transportsystemen (ITS), die mit Blick auf den ITS-Weltkongress in Hamburg 2021 aktuell mit Nachdruck verfolgt wird.

Sieht die Strategie künftig auch den Einsatz von Algorithmen und künstlicher Intelligenz (KI) vor?

Das Thema KI zeigt, mit welcher Geschwindigkeit sich das Thema Digitalisierung immer wieder verändert, und wieso es einen peniblen Masterplan nicht geben kann. Wir müssen vielmehr in der Lage sein, neue Themen schnell zu identifizieren und aufzunehmen. Selbstverständlich ist KI mittlerweile in vielen Fachbereichen und Projekten der Verwaltung Teil der Überlegungen und wird bereits in einigen Anwendungen erprobt. Sie ist aber kein Selbstzweck, und es muss stets im Einzelfall geprüft werden, ob ihr Einsatz einen Mehrwert in der digitalen Stadt schafft.

Welche Chancen sehen Sie generell im Einsatz solcher Technologien in der öffentlichen Verwaltung?

Für die öffentliche Verwaltung als Arbeitgeberin und Dienstleisterin sehen wir große Potenziale. Auf diese sind wir schon allein aufgrund des demografischen Wandels und dem daraus folgenden Ausscheiden von etwa 30 Prozent unserer Beschäftigten bis zum Jahr 2028 angewiesen. Um die berechtigten Erwartungen der Bürger an die Leistungen der Verwaltung auch in Zukunft erfüllen zu können, werden wir digitale Hilfsmittel benötigen und experimentieren daher auf ausgewählten Feldern bereits mit künstlicher Intelligenz. Im Zuge des Projekts „Digitale Bauleitplanung“ testen wir den Einsatz von KI, die Sachbearbeiter bei der Vorsortierung und Beschaffung relevanter Informationen in der Bauleitplanung unterstützen soll. Dies ist ein Beispiel dafür, wie digitale Hilfsmittel unsere Beschäftigten von Routinetätigkeiten entlasten würden und somit mehr Zeit für andere Aufgaben zur Verfügung stehen könnte.

„Es muss stets im Einzelfall geprüft werden, ob der Einsatz von KI einen Mehrwert in der digitalen Stadt schafft.“
Was gilt es beim Einsatz von KI zu beachten?

Wie bei jeder Software muss zunächst für Akzeptanz geworben werden. Auch müssen die eigenen Beschäftigten befähigt werden, mit solchen Programmen professionell umzugehen. Noch wichtiger ist es aber, schon im Schritt davor zu bedenken, dass Algorithmen die Gefahr von Intransparenz bergen. Die KI wird immer nur so gute Entscheidungen treffen, wie die eingefütterten Datensätze und Programmierungen es vorsehen. Es muss daher gewährleistet sein, dass der KI-Einsatz nicht ungewollt zu einer Benachteiligung einzelner Bevölkerungsgruppen führt und das Ergebnis der KI rechtmäßig ist. Das gilt für uns als Verwaltung aufgrund der Bindung an das Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes umso schärfer. Unser Handeln muss sich immer an dieses Gebot halten und somit konsequenterweise auch durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit überprüfbar sein. Daher hat die Senatskanzlei Hamburg gemeinsam mit weiteren Institutionen im Oktober 2018 mit 40 Experten über die künftige Rolle von KI in öffentlicher Verwaltung und Gerichtsbarkeit diskutiert. Die auf der Veranstaltung gewonnenen Erkenntnisse sollen wissenschaftlich aufbereitet und daraus Hamburger Thesen abgeleitet werden.

Wie weit ist dieses Projekt gediehen?

Die Hauptveranstalter, der Rechtsstandort Hamburg e.V. und das Hans-Bredow-Institut für Medienforschung, haben ihre Thesen bereits veröffentlicht. Für die Teilnehmer der Veranstaltung und andere Interessierte aus dem Wissenschaftsbereich geht es nun darum, sich in ihren jeweiligen Forschungs- und Anwendungsfeldern der drängenden Problemstellungen anzunehmen und den Erkenntnisgewinn voranzutreiben. Eine auf der Tagung besprochene Idee war beispielsweise das Sandboxing. Bei dieser Methode könnten neue Regulierungsideen in einem isolierten Testfeld erprobt werden, etwa durch einen fingierten Verwaltungsprozess zu einem KI-Sachverhalt vor einem nachgebildeten gerichtlichen Spruchkörper.

Wie lauten die wichtigsten Erkenntnisse der Veranstaltung?

In der Gesamtschau scheint es mir so, dass die veröffentlichten Thesen die Chancen und Risiken von KI im Verwaltungskontext ausgewogen aufgreifen. Aus meiner Sicht als Hamburgs CDO ist es natürlich besonders spannend, wie wir das Thema bei der Digitalisierung der Verwaltungsleistungen konkret mitdenken müssen. Beispielsweise ist uns nochmal verstärkt vor Augen geführt worden, dass wir schon bei der Ausgestaltung unserer eigenen Prozesse die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht aus dem Blick verlieren dürfen. Wir müssen immer schon einen Schritt weiter denken und prüfen, inwiefern der KI-Einsatz potenziell von einem Verwaltungsgericht überprüft werden könnte. Das nennt man Rule of Law by Design.

Inwiefern sollen die Thesen in die digitale Strategie Hamburgs einfließen?

Unmittelbar zunächst nicht. Es sind Thesen unabhängiger Wissenschaftler. Aber selbstverständlich haben wir uns als Mitveranstalter und Partner der Tagung solche Impulse und Denkanstöße erhofft. Die Diskussion werden wir selbstverständlich weiter verfolgen und in den jeweiligen Bereich der Strategie Digitale Stadt einfließen lassen – etwa bei Justiz, Wirtschaft und digitaler Verwaltung. Politik und Verwaltung müssen über den Tellerrand schauen und mit Wissenschaft, Wirtschaft und der Stadtgesellschaft in den Dialog kommen, um digitale Zukunftsthemen gemeinsam anzugehen.

Welchen Nutzen könnten andere Kommunen oder der Bund aus den Hamburger Thesen ziehen?

Ich denke, es ist nicht mehr die Frage, ob KI zukünftig im Bund oder den Kommunen genutzt wird, sondern eher wann und wie. Dementsprechend würden wir uns natürlich freuen, wenn die Thesen auch andernorts als Impulse für eigene Problemstellungen und Anwendungsfelder verstanden werden. Wir können generell alle sehr davon profitieren, wenn wir unsere Erfahrungen austauschen und dort, wo es sinnvoll ist, Sy­nergien heben. Eine solche umfassende Zusammenarbeit haben wir bereits beim Onlinezugangsgesetz (OZG). Genauso müssen wir beim Thema KI am Ende der Bevölkerung vermitteln, dass wir alles im Griff haben und die Chancen die Risiken überwiegen werden.

Interview: Bettina Schömig




Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Politik
Porträtfoto von Dr. Denis Alt.
interview

Rheinland-Pfalz: Erfolg durch Kooperation

[18.11.2024] Der digitale Wandel dient den Menschen, sagt Staatssekretär Denis Alt. Im Interview mit Kommune21 spricht der neue rheinland-pfälzische CIO und CDO über die Umsetzung der Digitalstrategie des Landes. mehr...

Melitta Kühnlein

Potsdam: Fachbereichsleiterin für E-Government bestätigt

[12.11.2024] Potsdams Stadtverordnete haben Melitta Kühnlein als neue Leiterin des Fachbereichs E-Government bestätigt. Kühnlein ist seit Anfang 2021 in leitender Funktion im IT-Bereich der Stadtverwaltung tätig. mehr...

Baden-Württemberg: Änderung der Gemeindeordnung verabschiedet

[11.11.2024] Der Landtag von Baden-Württemberg hat jetzt eine Änderung der Gemeindeordnung verabschiedet, die Kommunen in administrativen Abläufen entlastet und die finanzielle Berichterstattung vereinfacht. mehr...

Blick vom See auf das neue Rathaus Hannover, HMTG

Hannover: Fonds für digitalen Fortschritt

[30.10.2024] Hannover setzt mit einem 48-Millionen-Euro-Digitalisierungsfonds auf die umfassende Modernisierung seiner Verwaltungsprozesse. Ziel ist ein digitales Rathaus, das Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen effiziente, benutzerfreundliche Services bietet. Die IT-Strategie umfasst dazu digitale Souveränität und Kosteneffizienz. mehr...

Digitalisierung: Dresdner Forderungen 2.0

[22.10.2024] Die Fachgruppe Verwaltungsinformatik der Gesellschaft für Informatik hat 20 Thesen zum digitalen Wandel formuliert. Die Forderungen zielen darauf ab, die Verwaltung effizienter, zukunftssicherer und bürgerfreundlicher zu machen. mehr...

bericht

Liechtenstein: Mit Pragmatismus und Agilität

[14.10.2024] Liechtenstein hat auf dem Weg zum Smart Country bereits eine beeindruckende Entwicklung zurückgelegt. Das ist nicht zuletzt vielen mutigen Entscheidungen und einer gehörigen Portion Pragmatismus geschuldet. mehr...

Holger Klötzner, Dezernent für Digitalisierung und Bildung der Stadt Darmstadt; Maral Koohestanian, Leiterin des Dezernats für Smart City, Europa und Ordnung der Stadt Wiesbaden; Eileen O’Sullivan, Dezernentin für Bürger:innen, Digitales und Internationales der Stadt Frankfurt am Main
interview

Smartes Rhein Main 2030: Gemeinsame Vision

[02.10.2024] Eine gemeinsame Vision für ein smartes Rhein-Main-Gebiet haben die Städte Frankfurt am Main, Wiesbaden und Darmstadt erarbeitet. Im Interview erklären die CIOs Eileen O’Sullivan, Maral Koohestanian und Holger Klötzner, was konkret geplant ist. mehr...

Landrat Achim Brötel ist neuer Präsident des Deutschen Landkreistages.

Deutscher Landkreistag: Achim Brötel ist neuer Präsident

[11.09.2024] Der Deutsche Landkreistag (DLT) hat einen neuen Präsidenten gewählt: Achim Brötel, Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises, tritt die Nachfolge von Reinhard Sager an, der das Amt zuvor zehn Jahre lang innehatte. mehr...

Charta Digitale Ethik setzt die Rahmenbedingungen für den Einsatz digitaler Technologien in der Essener Stadtverwaltung.

Essen: Charta Digitale Ethik verabschiedet

[04.09.2024] In ihrer Charta Digitale Ethik hat die Stadt Essen die Rahmenbedingungen für den Einsatz digitaler Technologien in der Stadtverwaltung festgelegt. Das soll insbesondere für einen ethisch verantwortungsvollen Umgang mit Künstlicher Intelligenz sorgen. mehr...

Scheckübergabe an die Gewinner des Wettbewerbs um den Ulmer Lederhof.

Ulm: Innovationsmotor gestartet

[23.08.2024] Um ihre Digitale Agenda mit kreativen Köpfen aus der Region umzusetzen, hat die Stadt Ulm den Innovationsmotor gestartet – einen Ideenwettbewerb insbesondere für junge Unternehmen. Runde eins hat der digitale Begleiter für Angsträume gewonnen. mehr...

Markt Postbauer-Heng: Digitalisierung ist kein Privileg der Metropolen

[08.08.2024] Auch kleine Kommunen sind in der Lage, bürgernahe digitale Lösungen zu implementieren, wie das Beispiel des Marktes Postbauer-Heng zeigt. Um die Entstehung digitaler Insellösungen zu vermeiden, wurde die Zukunftskommission #Digitales Bayern 5.0 ins Leben gerufen. mehr...

Kick-off zur Digitalisierungsstrategie der Stadt Petershagen
.

Petershagen: Mit OWL-IT in die digitale Zukunft

[02.08.2024] Gemeinsam mit dem IT-Dienstleister OWL-IT hat die Stadt Petershagen nun den Startschuss für die Erarbeitung einer umfassenden Digitalstrategie gegeben. mehr...

In Bayern soll nach dem Willen von Digitalminister Fabian Mehring der „Digitalisierungsturbo“ gezündet werden.

Bayern: Land unterstützt Digitalisierung der Kommunen

[16.07.2024] Bayerns Digitalminister sieht die konsequente Digitalisierung der Verwaltung als wichtige Möglichkeit, um den künftigen Ruhestand der Babyboomer-Generation und den dadurch entstehenden Fachkräftemangel zu kompensieren. Es gelte, die Potenziale von Standardisierung, Zentralisierung und KI zu nutzen. mehr...

Essen-CDO Peter Adelskamp

Interview: Wir brauchen eine Dachmarke

[15.07.2024] Peter Adelskamp ist Chief Digital Officer (CDO) in Essen und dort zugleich Fachbereichsleiter Digitale Verwaltung. Im Gespräch mit Kommune21 berichtet er von seiner Arbeit in Essen und dem dortigen Stand der Digitalisierung. mehr...

Laut dem jüngsten eGovernment-Benchmark-Report haben die europäischen Staaten bei der Bereitstellung digitaler Behördendienste stetige Fortschritte gemacht.

eGovernment Benchmark 2024: Nutzerzentrierung ist der Schlüssel

[08.07.2024] Laut dem jüngsten eGovernment-Benchmark-Report der Europäischen Kommission haben die europäischen Staaten bei der Bereitstellung digitaler Behördendienste stetige Fortschritte gemacht. Raum für Optimierungen gibt es insbesondere bei grenzüberschreitenden Diensten und bei Dienstleistungen, die von regionalen und kommunalen Behörden erbracht werden. mehr...