Donnerstag, 5. Dezember 2024

Round TableLuft nach oben

[14.07.2020] Wie digitale Prozessketten die Verwaltung in Richtung Smart Government bringen. Ein virtuelles Round-Table-Gespräch.
Beim virtuellen Round Table sprachen die Teilnehmer darüber

Beim virtuellen Round Table sprachen die Teilnehmer darüber, wie digitale Prozessketten die Verwaltung in Richtung Smart Government bringen.

(Bildquelle: PEAK Agentur für Kommunikation)

Die aktuelle Corona-Krise stellt Kommunen, Institutionen und Unternehmen gleichermaßen vor große Herausforderungen. Wie haben Sie es geschafft, den Betrieb aufrechtzuerhalten?

Daniel Riss: Alle Mitarbeitenden von Axians Infoma sind mit Laptops ausgerüstet, so konnten im Prinzip alle von einem Tag auf den anderen ins Homeoffice gehen. Zudem arbeiten wir mit Office 365, einer Lösung, über die man einfach über die Cloud Daten teilen und sich austauschen kann. Den Rest hat unsere interne IT auch gut gelöst. Wir brauchten etwa einen halben Tag, was die Kommunikation angeht, ansonsten waren wir aber voll da und konnten auch alle Termine einhalten.

Christian Diste: Bei ekom21 gingen wir Mitte März ins Homeoffice. Wir konnten sofort agieren und hatten keine Kommunikationsprobleme. Unsere kommunalen Kunden haben allerdings schon ein paar Wochen für die Umstellung gebraucht. Wir hatten in der Zeit deutlich weniger Anfragen, augenscheinlich mussten sich die Kommunen erst einmal sammeln und sortieren.

Wo liegen denn die besonderen Herausforderungen für Ihre Kunden, die Kommunen, wenn es darum geht, die Belegschaft ins Homeoffice zu schicken?

Diste: Es ist definitiv die Hardware-Ausstattung. Die Kommunen haben in der Regel nur sehr wenige Laptops. Das wird sich in Zukunft ändern. Wir haben viele Anfragen nach VPN-Verbindungen erhalten. Meine Kollegen, die dieses Thema betreuen, waren die ersten zwei Wochen jedenfalls gut ausgelastet.

Herr Spier, wie ist die Lage bei Ihnen?

Fabian Spier: Wir sind als Landeskirchenamt der evangelischen Kirche Hannovers sozusagen auch eine oberste Verwaltungsbehörde und haben es ebenfalls relativ schnell geschafft, einen Großteil der Belegschaft ins Homeoffice zu schicken. Die Umstellung ging relativ rasch, weil etwa die Hälfte aller Mitarbeiter ohnehin mit Laptops ausgestattet war und auch genügend VPN-Verbindungen bereitstanden. Insgesamt haben sich die Arbeitsprozesse etwas verlangsamt. Eine Videokonferenz abzuhalten für etwas, das man sonst vielleicht schnell zwischen Tür und Angel besprochen hätte, funktioniert natürlich auch, ist aber zeitlich aufwendiger. Ich erlebe zudem, dass die Mitarbeitenden mehr Gesprächsbedarf haben als sonst. Es scheint, dass man beispielsweise mehr über Privates spricht, wenn die Leute alleine zu Hause im Homeoffice sitzen.

Herr Linke, als Digitalisierungsbeauftragter von Axians Infoma ist das alles für Sie ja kein Thema, oder?

Christopher Linke: In meinem Arbeitsumfeld habe ich da in der Tat Glück. Im Zuge einer ISO-Zertifizierung habe ich mich für das papierlose Büro entschieden. Ich konnte also völlig normal weiterarbeiten. Aber viele unserer Kunden haben jetzt erst gemerkt, wie viel Papier sie noch im täglichen Betrieb verwenden, obwohl man vielleicht dachte, schon recht digital zu arbeiten.

Steffen Schanz: Das kann ich nur bestätigen. Bei unseren Kunden hat man in der Vergangenheit gemerkt, dass digitale Arbeitsweisen oder auch digitale Termine anfangs eher zögerlich angenommen wurden. Mittlerweile haben wir jedoch den Eindruck, dass sie es jetzt gerne nutzen. Viele sagen heute, wenn sie vorher gewusst hätten, wie einfach, effizient und flexibel Online-Termine sind, hätten sie auf viele Termine vor Ort verzichtet.

Wie beurteilen Sie die weitere Lage und welche Lehren ziehen Sie aus den jetzt gemachten Erfahrungen?

Riss: Wir erwarten schon, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder in unsere Geschäftsstellen zurückkehren. Manche denken jetzt ja, dass man Büroräume kündigen kann. Davon gehe ich nicht aus. Es kann aber durchaus sein, dass sich die Arbeitsweise bei jedem Einzelnen verändert. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass es effizienter ist, vielleicht ein oder zwei Tage pro Woche im Homeoffice zu verbringen. Ich glaube, wir werden ab jetzt flexibler zusammenarbeiten. Auch unseren Kunden können wir vielleicht schneller online helfen und müssen nicht immer einen Präsenztermin vereinbaren. Auch bei der Interaktion unserer kommunalen Kunden mit den Bürgern wird sich noch viel tun.

Diste: Ich glaube auch, dass die Kollegen künftig flexibler und mehr im Homeoffice arbeiten. Das wird auch in den Kommunen kommen. Ich erwarte auch, dass die Digitalisierung der Verwaltung durch die jetzigen Erfahrungen noch weiter vorankommt. Denn digitale Prozesse helfen natürlich, wenn viele im Homeoffice sind. Das ist die Rückmeldung von Kommunen, die schon relativ weit sind bei der Einführung von E-Akte und digitalen Workflows. Für sie war es viel einfacher, sofort ins Home-office zu gehen.

Spier: Ich bin ganz bei meinen Vorrednern, was die Flexibilisierung betrifft. Ich glaube aber auch, dass es höhere Anforderungen an die Gestaltung von Kommunikation nach sich ziehen wird. Auch das Führungsverständnis wird man neu justieren müssen. Als Chance sehe ich, dass bestimmte Dinge künftig schneller ablaufen. Bei Innovationen gibt es ja immer Bremser und Bedenkenträger, die sagen, so geht das nicht, da müssen wir noch mal auf den Datenschutz oder die Archivierung schauen – das wird jetzt alles vom Tisch gewischt, weil der Bedarf, alles zu digitalisieren enorm gestiegen ist. Das hat bei uns zur Folge, dass wir im Landeskirchenamt aktuell alle Rechnungen digital verarbeiten. Plötzlich funktioniert das und ist schneller umgesetzt worden, als wir es vermutet hätten.

Linke: Die aktuelle Situation ist eine ganz deutliche Warnung, dass wir unser tägliches Arbeiten und Handeln in einer vernetzten Welt anpassen müssen. Ich kann nur bestätigen, was Herr Spier gesagt hat. In vielen Gremiensitzungen wurde immer wieder diskutiert, warum dies oder jenes nicht geht. Jetzt sind die Bedenken vom Tisch, weil die Notwendigkeit deutlich wird. Das stimmt mich positiv, weil es ja bedeutet, dass die Gremien in Deutschland grundsätzlich in der Lage sind, in Notsituationen zu reagieren. Für mich sieht die ganze Situation wie ein Schuss vor den Bug aus. Und den sollten wir ernst nehmen. Es ist noch viel Luft nach oben bei der Digitalisierung.

Schanz: Die Digitalisierung ist ja kein neues Thema, sie begleitet uns schon länger – ob es um das Onlinezugangsgesetz oder E-Go­vernment-Komponenten geht. Um es noch mal zu untermauern: Wir haben bemerkt, dass es häufig Vorbehalte gab und eher weniger in Chancen und Lösungen gedacht wurde. Und jetzt hat sich herausgestellt: Wenn die Digitalisierung sowieso nicht verhindert werden kann, lässt sie sich dafür aber aktiv gestalten. Ich glaube, dass erst jetzt erkannt wird, dass es eine Riesen-Chance für die Verwaltung ist, wenn man digitalisiert, Prozesse neu denkt und sich Richtung Transparenz und Effizienz aufstellt.

Herr Spier, Herr Diste, welche Bedeutung haben durchgängige digitale Prozessketten mit Blick auf die Herausforderungen der Zukunft?

Spier: Das Thema digitale Prozessketten ist für mich noch eher ein Traum. In der Kirchenverwaltung basiert vieles noch auf Papier. Manchmal dauert es sieben Tage bis eine Papierabrechnung bearbeitet wird. Es gibt also noch einen gewaltigen Nachholbedarf. Insofern müssen wir natürlich dafür sorgen, dass solche Prozessketten künftig gut funktionieren – auch mit Blick auf jüngere Menschen, die viel ehrenamtliches Engagement bei uns leisten. Da wächst eine Generation heran, die mit WhatsApp, YouTube und Online-Tutorials groß wird. Wir müssen nachlegen, um sie für die Arbeit in der Kirche zu begeistern.

Diste: Durchgängige digitale Prozessketten werden sehr wichtig werden. In der Vergangenheit wurde immer in den Schubladen der Ämterzuständigkeit gedacht, statt einen Prozess übergreifend von A bis Z durchzudenken. Das ist enorm wichtig, um den gesamten Prozess vernünftig digital abzuwickeln. Möglich wird dies beispielsweise mit der E-Go­vernment-Suite civento von ekom21, die wir gerade in Hessen ausrollen. Der Bürger stellt über civento einen Antrag, der dann alle beteiligten Fachabteilungen durchläuft. Dabei ist es wichtig, dass die Fachverfahren miteinander vernetzt sind.

Welche Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht kurz- und mittelfristig unbedingt notwendig, um die Leistungsfähigkeit der Verwaltungsorganisation zu gewährleisten?

Spier: Es gibt ja Studien, die sagen, dass wir demnächst gewaltigen Personalmangel haben werden. Andererseits gibt es die Auffassung, dass der öffentliche Dienst aufgrund der Corona-Situation mehr Zulauf haben wird, da es sich um sichere Arbeitsplätze handelt. Ich glaube das nicht unbedingt; die Menschen vergessen schnell. Deswegen meine ich schon, dass wir auf einen Personalmangel in der Verwaltung zusteuern. Das bedeutet, dass wir Digitalisierung und Automatisierung voranbringen müssen. Deshalb muss sehr genau überlegt werden, wie die Prozesse funktionieren. Wir sollten uns unabhängig von Hierarchien und Abteilungen anschauen, wo der Prozess anfängt und wo er aufhört, wie viel menschliche Aktion dazwischen noch notwendig ist, und wo wir neue Wege gehen können. Unter Umständen müssen dafür auch Rechtskonstrukte, wie das Vier-Augen-Prinzip im Rechnungswesen, geändert werden.

Diste: Ich denke auch, dass wir nicht unbedingt mit einem Personalzuwachs in den Kommunen rechnen können. Deswegen ist es wichtig, dass die Kommunen weiter an der Digitalisierung arbeiten – und dass die Prozesse nicht nur digitalisiert, sondern auch verschlankt werden. Es geht darum, Routineaufgaben abzulösen und Prozesse zu verkürzen. Die digitale Rechnungsbearbeitung beispielsweise sollten alle Kommunen einführen. Daraus resultiert auch eine elektronische Akte. Denn eins ist klar: Wenn wieder so eine Krise kommt, dann wollen sich die Bürgermeister nicht noch mal sagen lassen, dass sie nicht vorbereitet waren. Deswegen glaube ich, dass kurz- bis mittelfristig die digitalen Prozesse, der digitale Rechnungsworkflow und verwaltungsübergreifend die E-Akte sehr wichtige Bausteine sein werden.

„Smart Government bedeutet vernetztes Verwaltungshandeln.“
Axians Infoma verfolgt eine Smart-Government-Strategie. Was bedeutet das für die Entwicklung Ihrer Produkte und Prozesse?

Linke: Smart Government bedeutet ein intelligentes, vernetztes Verwaltungshandeln. Dabei geht es uns vor allem darum, altes Schubladendenken aufzubrechen – und zwar sowohl bei den Personen, die unsere Software nutzen, als auch bei denen, die sie herstellen. Wir sagen unserem ganzen Team: Versucht euch in die Situation des anderen hi­neinzuversetzen und so neue Wege einzuschlagen. Ich möchte das an einem Beispiel erklären. Früher wurde ein Brief verschickt und heute soll ein digitales Dokument in der Ablage eines Servicekontos hinterlegt werden. Aber das ist nicht Smart Government. Denn die Frage ist ja: Was macht der Bürger dann? Möchte der Bürger zum Beispiel auf Basis des Bescheids seine Vorauszahlung für Wasser anpassen? Viele Verwaltungsprozesse können intelligent miteinander vernetzt werden. Daran müssen wir die Software und auch unser eigenes Produktverständnis ausrichten. Deswegen sollten wir weg vom klassischen E-Government hin zum Smart Government. Dieser Begriff trifft es besser. Denn Smart Government ist immer auch Bestandteil einer gesamten Smart-City-Strategie. Und das geht über die einzelnen Schubladen hinaus.

Schanz: Ergänzen möchte ich noch, dass smart durchaus ein positiv besetzter Begriff ist. Unsere Smartphones und unsere smarten Assistenten wie zum Beispiel Navigationssysteme möchten wir auch nicht mehr missen. Sie ermöglichen es uns, viele Aufgaben intelligenter, effizienter und einfacher zu erledigen. Es gibt noch Rathäuser mit einem Briefkasten, auf dem steht: Einwurf Online-Formulare. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, für unsere kommunalen Kunden das Smarte in den Fokus zu stellen und gemeinsam den Weg in die Zukunft hin zum Smart Government zu beschreiten.

Welche Wege gehen Sie, um die fachlichen Lösungen zu schaffen, die gebraucht werden, um die Chancen der Digitalisierung effizient zu nutzen?

Linke: Es geht uns darum, die Produkte smart zu machen. Das bedeutet, dass wir unsere bestehenden Produkte in eine neue Generation überführen und an bestimmten Stellen anreichern. Langfristig wird dafür beispielsweise der Einsatz von Big-Data-Analysen oder auch künstlicher Intelligenz interessant.

Riss: Künstliche Intelligenz klingt zwar immer ein wenig hochtrabend, aber ich glaube schon, dass diese Technologie ein unglaubliches Potenzial für die Automatisierung und die intelligente Unterstützung von Prozessen hat. Dabei geht es nicht darum, Personal einzusparen, denn die Mitarbeiter können dann wichtigere Aufgaben übernehmen.

Herr Diste, wie weit sind die Kommunen auf dem Weg zum Smart Government?

Diste: Nehmen wir als Beispiel die Stadt Haiger in Hessen, mit der ekom21 ein Digitalisierungsprojekt zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes durchführt. In Haiger wurde in den vergangenen Jahren schon einiges bewegt, gerade im Finanzwesen. Es wurden schon früh ein digitaler Rechnungsworkflow, die E-Akte und eine digitale Kasse eingeführt. Weil die Prozesse schon digital umgesetzt waren, konnte die Stadtverwaltung auch in der Corona-Krise schnell reagieren und viele Mitarbeiter ins Homeoffice schicken.

Wie wird – unabhängig von der aktuellen Krise – die Verwaltung der Zukunft aussehen?

Riss: Ich erwarte eine starke Veränderung in Richtung Automatisierung. Mittlerweile lässt sich vorhersehen, dass wir in der Lage sein werden, alles, was an der Verwaltung unkreativ ist, langfristig zu automatisieren. Für die Bürger werden die Prozesse einfacher und günstiger werden und die Mitarbeiter der Verwaltung haben mehr Zeit, sich um die Bürger zu kümmern und kreative Dinge zu tun.

Diste: Die Umsetzung des OZG wird die Arbeit in den Kommunalverwaltungen verändern. Dadurch ändert sich auch die Kommunikation mit den Bürgern. Ich denke auch, dass künstliche Intelligenz eine Rolle spielen wird, viele Prozesse automatisiert und vielleicht auch komplett auf den Kopf gestellt werden.

Spier: Auch ich erwarte, dass Standardprozesse automatisiert werden. Ich glaube aber nicht, dass alles sofort automatisiert wird. Vielmehr werden intelligente Assistenzsysteme benötigt. Das ist wie beim Autofahren. Die meisten lassen sich nicht vom Fahrersitz verdrängen, aber ein Assistenzsystem, das ihnen sagt, wo und wie schnell sie fahren sollen, das wird akzeptiert. Und wenn man das auf die Verwaltung überträgt, man zum Beispiel einen Chatbot fragen kann und eine Antwort bekommt, wird man als Person mitgenommen. Und intern werden andere Strukturen nötig sein, um zu einer prozessorientierten Verwaltung zu kommen.

Linke: Die Sachbearbeiter in den Verwaltungen werden künftig nicht mehr irgendwelche Informationen abtippen. Stattdessen werden sie als eine Art Bürgerlotse fungieren und eine beratende Funktion einnehmen. Die Software-Hersteller müssen deshalb dafür sorgen, dass die Routineaufgaben von ihren Tischen verschwinden.

Schanz: Bisher war die Digitalisierung ja getrieben von Gesetzen, also etwa einem OZG oder einem E-Rechnungsgesetz. Das Schöne ist, dass jeder, der den Schritt in die digitale Welt getan hat, nicht mehr zurück möchte. Deswegen hat die Digitalisierung eine Eigendynamik, einfach weil die Arbeit mehr Spaß macht und der Nutzen im Vordergrund steht.

Moderation: Alexander Schaeff; Dokumentation: Corinna Heinicke

Am virtuellen Round Table saßen:, Fabian Spier, Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers; Christian Diste, ekom21; Daniel Riss, Geschäftsführer Axians Infoma; Steffen Schanz, Prokurist, Axians Infoma; Christopher Linke, Digitalisierungsbeauftragter, Axians Infoma.



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