Donnerstag, 26. Dezember 2024

Serie 115Mehr als ein Telefonkanal

[03.02.2012] Als Telefonservice bietet die 115 einen kurzen Draht zur Verwaltung. In ihr steckt jedoch das Potenzial, die Arbeitsweise der Verwaltung grundlegend zu verändern. Wie kann die 115 als strategisches Instrument zur Verwaltungstransformation ausgebaut werden?

Anfang April vergangenen Jahres wurde die einheitliche Behördenrufnummer 115 in den Regelbetrieb überführt. Nur fünf Jahre nach ihrer Initiierung auf dem ersten Nationalen IT-Gipfel steht rund 18 Millionen Bürgern ein einheitlicher Zugang zur Verwaltung zur Verfügung. Über die 115 erhält die Öffentlichkeit Auskunft zu den am häufigsten nachgefragten Leistungen der Kommunen sowie der Bundes- und Landesverwaltungen – von A wie Ausbildungsförderung bis Z wie Zulassungsbescheinigung.
Was auf den ersten Blick lediglich wie ein neuer telefonischer Zugangskanal zur Verwaltung aussieht, ist in Wirklichkeit eine wesentlich weiter reichende Innovation: Der D115-Verbund hat das Potenzial, die Transformation der öffentlichen Hand im Sinne einer umfassenden Modernisierung zu beschleunigen und die Arbeitsweise der Verwaltung in den kommenden Jahren grundlegend zu verändern.

Instrument für die Transformation

Die 115 stellt ein völlig neues Modell im Hinblick auf den Zuschnitt und die Erbringung von Verwaltungsleistungen und damit im Kern ein Transformationsinstrument dar. Grundgedanke des Modells ist, dass der Bürger als Kunde der Verwaltung im Mittelpunkt steht; entsprechend folgt die Organisation der Verwaltungsprozesse seinen Bedürfnissen. Darüber hinaus tritt die Verwaltung dem Bürger gegenüber mit einem verbindlichen Serviceversprechen zu Erreichbarkeit und Qualität des Zugangs auf. Ermöglicht wird dies durch neue Ansätze der Leistungserbringung, die der Startpunkt einer fundamentalen Neuausrichtung der Verwaltung sein können: Angeboten wird ein einheitliches Leistungsspektrum, die Erbringung der Services wird mithilfe von Kennzahlen wie beispielsweise Wartezeiten und Fallabschlussquote gemessen und gesteuert, es gibt ein Service-Center-übergreifendes Wissensmanagement mit einem zentralen Wissenspool, und der Shared-Service-Gedanke ist unter Einsatz moderner elektronischer Kommunikationsmittel verwirklicht. Bei all dem wurden die Prinzipien des Föderalismus berücksichtigt; das Teilnahmemodell beruht auf Selbstorganisation und Freiwilligkeit. Die 115 ist also weit mehr als eine nur geringfügige Weiterentwicklung des bestehenden Servicemodells der öffentlichen Verwaltung. Die entstandenen D115-Service-Center eignen sich mit ihrer Prozess- und IKT-Infrastruktur als organisatorische und technische Kristallisationspunkte einer effizienteren Leistungserbringung der Verwaltung.

Drei Entwicklungshorizonte

Für den Einsatz der einheitlichen Behördenrufnummer für die Verwaltungstransformation können drei Entwicklungshorizonte mit jeweils spezifischen Handlungsempfehlungen unterschieden werden. Im ersten Horizont geht es um die Verstetigung des erfolgreich eingeführten Modells und um quantitatives Wachstum. Schwerpunkte sind hier die Erhöhung der Flächendeckung insbesondere durch die Entwicklung von Kooperationsmodellen für kleinere kreisfreie Städte und Landkreise, die Schärfung des Wertversprechens für größere kreisfreie Städte, der Übergang vom D115-Projekt zu einem in die Fachverwaltungen integrierten Service, die Erhöhung der Bekanntheit durch Medien- und Werbekampagnen sowie die Stärkung der Koordinationsfunktionen auf der Ebene von Bund und Ländern.
Der zweite Horizont ist durch die Ausweitung und strukturelle Vertiefung des Serviceversprechens gekennzeichnet. Ansätze sind hier die Verbreiterung des Leistungsumfangs, die Herstellung der Multi­kanalfähigkeit und der Einsatz der 115 als dispositives Steuerungs­instrument. Das Leistungsspektrum der einheitlichen Behördenrufnummer entwickelt sich damit deutlich über die aktuellen Dienstleistungen hinaus.
Der dritte Horizont betrifft die Transformation der öffentlichen Verwaltung. Zwei Themen stehen hier im Vordergrund: die Weiterentwicklung der 115 zu einem strategischen, Politik und Verwaltungsspitze unterstützenden Management-Werkzeug und die konsequente Ausrichtung der Verwaltung an dem operativen Modell, das durch den einheitlichen Behördenruf vorgezeichnet wird: Einführung und systematische Aufgabenteilung von Front und Back Office sowie eine gebietskörperschaftenübergreifende Bündelung.

Mutige Ansätze gefragt

Einige der drängendsten strukturellen Herausforderungen der öffentlichen Verwaltung können nicht mehr mit nur schrittweise wirkenden Lösungsansätzen angegangen werden, es sind vielmehr grundsätzlich neue und mutige Ansätze notwendig. Zur Lösung dieser Probleme wurde mit der Einführung der 115 ein vielversprechender Prozess angestoßen. Die Effizienzsteigerungen, die mit der einheitlichen Behördenrufnummer erzielt werden können, beruhen auf Mengeneffekten durch die hohen Fallzahlen in den Service-Centern, auf Verbundeffekten durch die Beherrschung einer breiten und heterogenen Kompetenz sowie auf Qualifikationseffekten durch die Spezialisierung der Mitarbeiter. Darüber hinaus macht der Einsatz eines gemeinsamen Wissenspools Best-Practice-Erfahrungen im gesamten D115-Verbund nutzbar.
Der Zeitpunkt ist gekommen, sich von einer eingeschränkten Sichtweise der 115 als lediglich telefonischem Zugangskanal zu lösen und sie vielmehr als erfolgreichen Startpunkt für einen konsequenten Prozess der Transformation der Verwaltung zu verstehen. Ausgehend von den bereits entstandenen Strukturen in den D115-Service-Centern kann so beispielsweise die Trennung von Front und Back Office fortgeführt, weitere Tätigkeiten in den Service-Centern gebündelt und diese in Bezug auf den Kontakt zum Bürger im Sinne eines Multikanalansatzes zu Informationsdrehscheiben ausgebaut werden.

Dr. Dirk Graudenz ist freiberuflicher Unternehmensberater und engagiert sich im ISPRAT e.V. unter anderem als Sprecher des Wissenschaftlichen Beirats.


Stichwörter: 115, 115, ISPRAT


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